PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zeilen von mir...



vanco
28.11.2002, 21:56
Freunde gehen

Wenn Freunde sich entschließen zu gehen,
entschwindet ein Gefühl der Sicherheit,
die eigene Konstanz verändert sich
und man muss nun lernen alleine zu stehen.

Nichts ist mehr so wie es einmal war,
hart brechen Wellen der Gewohnheit,
bersten an neu entstandenen Kanten
und die Ordnung muss erneut bestehen.

Ein eigener Teil, der gemeinsam erbaut,
wird nun erschüttert bis ins Mark,
existenziell auf die Probe gestellt,
um seine Gültigkeit zu bewahren.

Man kann ideele Werte vorschieben,
sich selbst und damit andere belügen,
doch Freunde verstehen Egoismus,
der das Gehen unterbindend verbietet.

Am Ende wird dieser überlagert,
von Trauer und selbstlosen Wünschen,
doch ändern wird das Gefühl sich nie,
da es ein Teil der Freundschaft ist.

Man erschuf eine Bindung von Wert,
die man für sich, für Sie erhalten will,
deren Verlust ins Selbst schneidet
und dabei unnötig ist.

So ist ein gehen kein Ende,
auch ewiges Wegbleiben nicht,
denn die Bindung lebt in uns weiter
und erträgt die fehlende Präsenz.

Wenn Freunde gehen - auch für immer,
ohne dem Boden Wurzeln zu entreißen,
bleiben Wege in allen Richtungen offen,
die stets nach Hause führen.

Vanco 16.09.2002

jurij
04.12.2002, 22:11
unglaublich schöner schluss. nicht ganz verstanden habe ich die strophen, in denen "egoismus das gehen unterbindend verbietet und am ende von trauer und selbstlosen gedanken überlagert wird". warum gehen denn die freunde, wenn nicht auch aus egoismus? der anfang hört sich doch eher so an, als ob der protagonist (wenn man das so nennen darf) von ihnen zurückgelassen wird (vielleicht am ende eines lebensabschnittes). ab dem zeitpunkt lebt das gedicht allerdings so richtig auf. die aussagen kommen wah und flüssig rüber, um dann in diesem phänomenalen schlusssatz zu gipfeln. prima!!

zum inhaltlichen fiel mir spontan ein lied von patrick bruel ein... werd ich gleich mal im anschluss dransetzen... (übersetzung bei bedarf)

Pour la vie
(Gérard Presgurvic)

On est partis, c'était fin juin
S'est embrassés, serré la main
Un pour tous et tous pour un
Et puis chacun a pris son train

On avait tous aussi peur
On s'est juré la main sur l'coeur
Qu'on s'reverrait avant dix ans
On s'est revus et maintenant
De temps en temps on s'invite
Même si souvent on s'évite
On s'dit, bien sûr j'm'souviens
Mais on s'rappelle de moins en moins
Ca nous a pas rendus amers
On sait bien qu'on peut rien y faire

C'est la vie
C'est la vie
C'est la vie qui décide, qui nous file des rides
Au coin des yeux et du coeur

A quoi ca sert d'aller contre
On perd son temps
Et quand on r'garde à nos montres
Tout à coup on comprend

Y'en a qui ont fait des enfants
Yèn a d'autres qui ont dit, j'attends
On a tous aimés des femmes
On s'est tous trouvé du charme
On est tous devenus quelqu'un
Dans son quartier ou plus loin
Bien sûr on s'est perdus de vue
Mais on n'appelait pas ca perdu

On s'est traités de tous les noms
On s'est tombés dans les bras
On n'a pas osé dire non
On a dit oui quand fallait pas
Ca nous a pas empêchés
De continuer à s'aimer

Pour la vie
Pour la vie
Pour la vie qui nous change et qui dérange
Toutes nos p'tites idées sur tout

Pour la vie
Pour la vie
Pour la vie qui décide, qui nous file des rides
Au coin des yeux et du coeur

Pas besoin de faire semblant
Ca sert à rien
Chaque jour qui passe, on aprrend
Qu'on peut jouer sans être comédien

A quoi ca sert d'aller contre
Ca sert à rien
Chaque jour qui passe, on apprend
Qu'on suit tous le même chemin

vanco
05.12.2002, 20:24
Hi Jurij.
Zunächst vielen Dank für Dein Lob...freut mich, dass Dir mein "Gedicht" gefallen hat.
Finde auch, dass Du es recht gut durchschaut hast.
Folgende Zeilen haben die ein wenig zu denken gegeben:

" (...) doch Freunde verstehen Egoismus,
der das Gehen unterbindend verbietet.

Am Ende wird dieser überlagert,
von Trauer und selbstlosen Wünschen,
doch ändern wird das Gefühl sich nie,
da es ein Teil der Freundschaft ist. "

Vielleicht fällt es Dir leichter, wenn du weißt, dass der Egoismus hier nicht den gehenden Freunden, sondern dem "Protagonisten" und damit dem Leser zugeschrieben wird. Denke, dass mit diesem Ansatz leichter zu lesen ist und vielleicht das Verstehen auch dieser Sätze möglich wird.

Leider ist mein Französisch schon sooo eingeröstet, dass mir ein wirklich vollendetes Verständnis des von Dir angeführten Liedes versagt geblieben ist. Schade...

Gruß vanco

Feuerblick
06.12.2002, 17:45
Hi Jurij!

Wäre echt toll, wenn Du das Lied einmal übersetzen könntest. Ich kann überhaupt kein Französisch und deshalb entgeht mir leider auch der Sinn des Ganzen....

Gruß
Feuerblick

jurij
06.12.2002, 23:29
so, erst mal zu vanco: ich hatte es schon so verstanden, dass der protagonist egoist sein soll, aber ich meinte: die freunde sind ja vermutlich nicht aus altruismus fortgegangen, sondern auch aus persönlichem interesse, oder?

und nun werd ich mal versuchen, ne übersetzung an den start zu bringen. :-)

"Um des Lebens willen"

Als wir fortgingen, war es Ende Juni,
wir haben uns umarmt und uns die Hand gegeben,
einer für alle und alle für einen,
und dann hat jeder seinen Zug genommen.

Wir hatten alle auch Angst,
haben uns geschworen - mit der Hand auf dem Herzen,
dass wir uns wiedersehen würden vor'm Ablauf von zehn Jahren,
Wir haben uns wiedergesehen und nun
laden wir uns von Zeit zu Zeit gegenseitig ein,
selbst wenn wir uns oft aus dem Weg gehen,
wir bestätigen uns, "natürlich erinnere ich mich daran",
aber wir erinnern uns immer weniger,
das hat uns nicht bitter gemacht,
wir wissen einfach, dass man nichts daran ändern kann

Das ist das Leben
das ist das Leben
das ist das Leben, das uns ändert und das
alle unsere großen Ideen durcheinanderbringt

Das ist das Leben
das ist das Leben
Das ist das Leben, das entscheidet, das uns Falten
in die Augenwinkel zeichnet und in die des Herz

Was nützt es, dagegen anzugehen
man verliert seine Zeit
und wenn man einen Blick auf die Uhr wirft
versteht man plötzlich

Einige haben Kinder gemacht
andere haben gesagt, ich warte
wir haben alle die Frauen geliebt
wir haben uns alle für charmant gehalten
wir sind alle jemand gewordem
in unserem Viertel oder weiter entfernt
Natürlich haben wir uns aus den Augen verloren
Aber wir würden das nicht "verloren" nennen

Wir haben uns mit allen möglichen Schimpfwörtern belegt
wir sind uns in die Arme gefallen
wir haben nicht gewagt, "nein" zu sagen
wir haben "ja" gesagt, wenn es nicht nötig war
Das hat uns nicht daran gehindert,
uns weiterhin zu lieben

Um des Lebens willen
um des Lebens willen
um des Lebens willen, das uns ändert und das
alle unsere kleinen Ideen durcheinanderbringt

Um des Lebens willen
um des Lebens willen
um des Lebens willen, das entscheidet, das uns Falten
in die Augenwinkel zeichnet und in die des Herz

Nicht nötig, so zu tun als ob
Das führt zu nichts
Jeden Tag, der vergeht, lernt man
dass man spielen kann, ohne Komödiant zu sein

Was nützt es, dagegen anzugehen
Das führt zu nichts
Jeden Tag, der vergeht, versteht man ein wenig mehr
dass wir alle dem selben Weg folgen

luckyblue
07.12.2002, 03:23
Sodele;-)

Hab' gerade mal eine behutsame Adaptation ins Deutsche verzapft. Da merkt man erst mal, wie langatmig mehrsilbig die deutsche Sprache ist. Hoffe, habe mich mit den Silben nicht verzählt ;-)

Liebe fürs Leben

Wir fuhren mit Juni-Ende,
Geküsst und gedrückt die Hände,
Ich von euch und ihr von mir;
Züge führten uns fort von hier.

Die Seele hatte Schmerzen,
Drum schworen wir, Hand am Herzen,
Wir seh'n uns binnen zehn Jahren;
Ich sah dich und wollt' heimfahren.
Heut' laden wir uns manchmal ein,
Sind oft aber lieber allein.
Ich sag', dass ich noch alles weiß,
Und kenn nicht mal die Konterfeis.
Allein, lass dich nicht verbittern
Sieh ein, da hilft kein Gewittern

Das Leben,
Das Leben,
Das Leben,
Das entscheidet
Und die Falten schneidet
In Augenwinkel und Herz.

Geh nicht dagegen an, lass nur,
Du verlierst Zeit,
Du fragst warum, schau auf die Uhr
Und schon bist du befreit

Da sind die, die Kinder machten,
Und die andren, die dran dachten;
Jeder hat die Frauen geliebt,
Sich den eig'nen Charme reingekippt,
Wir sind alle was geworden,
Teils hier, teils höher im Norden
Und steh'n wir uns nicht Aug' in Aug',
Seh' ich dich, wenn ich ins Herz tauch' (.... schmalz :-blush

Wir schmissen mit alten Namen,
Lagen uns in den Armen,
Niemand wagte, Nein zu sagen,
Stets ja sagen ohne zagen,
Das alles hält uns nicht ab:
Liebe fürs Leben bis ins Grab.

Fürs Leben,
Fürs Leben,
Fürs Leben,
Das uns wandelt
Und viel verschandelt
In den leisen Ideen und Träumen

Fürs Leben,
Fürs Leben,
Fürs Leben,
Das entscheidet
Und die Falten schneidet
In Augenwinkel und Herz

Freund, du musst dich nicht verstellen,
Lass es, Kamerad,
Der Tag wird abends dir erhellen:
Du spielst besser als irgendein Akrobat.

Kämpf nicht, lass die Hunde bellen,
Kämpf nicht, Kamerad,
Der Tag wird abends dir erhellen:
Es ist immer derselbe Pfad.

jurij
07.12.2002, 09:24
respekt!!! und das so früh am morgen... ;-)
nee, mal im ernst, ich bin echt beeindruckt. das einzige, was ich zu kritisieren hätte, wär, dass es sich anfangs so anhört, als sei tatsächlich DIE liebe fürs leben gemeint (also auf eine bestimmte person bezogen), und nicht - wie im lied eigentlich - die freundschaft bzw. die freunde...
bin schon mal gespannt, was vanco dazu sagt. konntet ihr verstehen, warum ich bei vancos gedicht an diesen liedtext gedacht habe?

luckyblue
07.12.2002, 10:22
... als sei tatsächlich DIE liebe fürs leben gemeint
Ja, da hast du leider Recht. Ist mir auch schon beim Verfassen heute morgen (wie man's nimmt ...) etwas bitter aufgestoßen. Trotzdem fand ich's besser, wenn der Rezipient quasi als Individuum angesprochen wird, erzeugt zwar dann nicht so ein starkes Wir-Gefühl, aber es kommt irgendwie direkter rüber, meine ich. Bei der Originalfassung ist das natürlich schon eleganter gelöst. Allein schon das konnotative Spielen mit Assoziationen zur Französischen Revolution ("Un pour tous et tous pour un", "juré la main sur l'coeur") legt ja nahe, dass es sich hier um einen reinen Herren-Gesangsverein (na ja, wohl eher Bac-Abschluss-Klasse) handelt. Das geht bei mir etwas verschütt; trotz des Versuchs, in die letzten Strophen so eine Art Soldateska-Pathos reinzuprügeln.

Die Gemeinsamkeiten zwischen vanco und Bruel brüllen natürlich ins Auge: Vor allem die tief verwurzelte Freundschaft bzw. ihr Wert über den ständigen Kontakt hinaus nach Bestehen der Feuerprobe der Lüge wäre hier zu nennen. Unterschied ist - jetzt ganz lax betrachtet ohne tiefschürfende Interpretation - sicherlich die Art der jeweiligen "Stress-Bewältigungsstrategie" des lyrischen Ichs: Bei Brüehl wird die Kalamität der durch äußere Umstände bedrohten Freundschaft zur Alltäglichkeit bagatellisiert (Geh nicht dagegen an, das bringt eh nichts und ist eh egal, weil ja alle demselben Weg folgen, sprich: dasselbe tun). Ganz anders bei vanco: Hier nimmt das lyrische Ich den Untergang der Freundschaft nicht auf die leichte Schulter (Sicherheit, Gewohnheit, Ordnung - alles geht den Bach runter); hier wird auch eher der Fix-Wert der Freundschaft, die schon gänzlich eingerissen ist, für das Individuum thematisiert - das spielt bei Bruehl eigentlich keine Rolle. Möglicherweise kann daraus eine unterschiedliche Bewertung von Freundschaft an sich abgeleitet werden, die jeweils durch das lyrische Ich repräsentiert wird: Als Luxusartikel bei vanco und als Serienausstattung bei Bruehl. Aber um das verifizieren zu können, müsste ich mir jetzt erstens mal mindestens noch zwei Tassen starken Kaffee und zweitens die Gedichte noch mal richtig scharf reinpfeifen.

Vielleicht irgendwann später ...

cu
luckyblue

vanco
09.12.2002, 13:08
hi jurij, hi luckyblue.

Zwei Dinge direkt vorweg:
1. Toll, dass ihr euch mit meinem "Werk" beschäftigt und habt - noch besser die erfolgreiche Suche nach Vergleichen....allen voran das Lied von Patrick Bruel.
2. Bitte entschuldigt mein zeitliches Nachzügeln....hatte einfach nicht die Zeit gefunden online zu gehen und meine elektronische Post zu checken!!!

Nun zu den Anmerkungen:
"konntet ihr verstehen, warum ich bei vancos gedicht an diesen liedtext gedacht habe?" (jurij)

Absolut......tue ich auch. Bereits das erste Lesen auf Französisch war merkwürdig bekannt, aber leider konnte ich erst mittels der "deutschen Variante" von luckyblue vergleichende Gefühle auch real festmachen....Thanx an dieser Stelle für eure beider Mühen!!!
Unterschiede sehe ich aber trotzdem....wie ihr ja auch.
Meiner Meinung nach verwenden Bruel und meine Wenigkeit andere Quellen, um final das Becken Freundschaft mit Inhalt zu füllen.
Auch steht bei mir wengier das konstrukt Freundschaft als mehr der Freund selbst im Mittelpunkt - mit ihm natürlich die Verkettung der Leiden des lyrischen Ichs.
Als Grundidee, an welcher ich das Thema Freundschaft beleuchten wollte, stand (und steht immer noch) das Fortgehen eines wahren Freundes. Natürlich war von mir hier beabsichtigt, dass tatsächlich nur ein kleiner Sektor der Freundschaft erhellend bearbeitet wird....sonst, denke ich, hätte ich gewichtigen Bereichen nicht gerecht werden können - der Länge wegen z.B. .

Gemein ist beiden Texten die Thematik der Freundschaft und ihre Konsistenz in der zwischenmenschlichen Welt.
Auch die Bedeutung der "wahren Freundschaft" ist herauszulesen respektive zu hören, denn ohne selbige, würden ähnlich Beobachtungen vom lyrischen Ich nicht gemacht weren können.

So viel für den Moment....muss jetzt aber los....

c ya