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John Silver
29.05.2009, 17:20
Kurzer Einwurf: Der Vergleich der Psychiatrie mit anderen Fachgebieten hinkt aber am Punkt der Zwangsmaßnahmen. In anderen Bereichen ist es nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich, gegen den Willen des Patienten zu handeln. Und genau das ist glaube ich ein Punkt, an dem es zwangsweise viele Reibungen gibt.

Na klar gibt es auch in anderen Fachbereichen Zwangsmaßnahmen. Beispielsweise darf sich ein Patient mit einer gefährlichen ansteckenden Erkrankung wie einer offenen TBC der Behandlung nicht verweigern; tut er es dennoch, ist der Arzt verpflichtet, die Behörden einzuschalten, und diese zwingen den Patienten zur Behandlung, notfalls auch mit Freiheitsberaubung.

Tse Tse
29.05.2009, 20:07
Ich weiß nicht seit wann es dieses, von dir ja schon angesprochene, Konzept der Eigen-/Fremdgefährdung bereits gibt, aber für meine laienhafte Vorstellung klingt das schon schlüssig, um wenigstens "den" radikalsten Antipsychiatern Wind aus den Segeln zu nehmen, die jegliche Behandlung oder dann Zwangsbehandlung ablehnen. (Soweit ich es verstanden habe).
Kann mir nicht vorstellen dass, so in jedem Fall die Fremdgefährdung, noch etwas mit abweichendem "sozialen Verhalten" zu tun haben könnte (auch wenn es dann stigmatisierend klingen mag).
In der Theorie klingt dies jedenfalls sehr überzeugend. Wobei ich natürlich nicht weiß bzw. mir aber vorstellen kann, dass es einzelne Situationen gibt, in welchen dieses Konzept dann nicht mehr ganz so zweifelsfrei in seiner Anwendung ist.
Aber einzelne, sofern konkret definierte psychiatrische Symptome werden doch sicherlich unabhängig von dieser Betrachtungsweise "des sozial Abweichenden" oder der Gesellschaft, den Normen etc. sein können (wie es in den Zitaten des Eingangspost Angeklungen ist), also unabhängig von dem sozialen Verhalten, als Ausdruck von Ursache und Wirkung gesellschaftlicher Bedingungen. Aber vielleicht ist meine Vorstellung da auch falsch und ist bei manchem Verhalten nicht mehr ganz so eindeutig.

(Unter so einem Begriff wie "sozial abweichend" habe ich jedenfalls immer die Vorstellung, dass man in den 50ern, 60ern (?) schon als solches galt und behandlungsbedürftig erschien oder dann auch behandelt wurde, wenn man als Frau womöglich etwas "aus dem Rahmen gefallen" ist oder aufmüpfig war . Oder um ein anderes Bild zu benutzen, dann eher als kriminell eingestuft, jemand der in früheren Zeiten einen Apfel stahl, weil er hungrig war. Also Dinge als Ausdruck gesellschaftlicher Bedingungen, vorherrschenden Normen und dergleichen, und nicht im Sinne einer Krankheit.

PS. du schreibst wirklich erfrischend interessant :-)

Jin Bean
02.06.2009, 14:55
Ich denke etwas konstruktive Kritik hat noch niemandem geschadet.
Genauso wie die Kritik an der Atombombe sinnvoll ist, ja sogar notwendig, ist es auch nötig, in anderen Fachdisziplinen Kritik auszuüben.
Wenn wir die Psychiatrie ganz schließen würden, so wären wir sicherlich gefährdet, weil dort ja auch Menschen untergebracht werden, die andere gefährden.
Dagegen ist das Diabetes Beispiel eine ,,Birne'' und der Selbstmörder, wenn man so will, ein ,,Apfel'', denn sicherlich ist der Tod im akuten Sterbenswunsch abzusehen, jedoch will der ,,depressive'' akut Suizidgefährdete sterben (Ausnahmen des Hilferufes mal ausgenommen), der DM II Patient mit seinen 1000mg/dl wollte aber nicht sterben.
Wobei wir wieder bei den Prinzipien mittlerer Reichweite von Childress und Beauchamp wären: Selbstbestimmung und Autonomie des Patienten sollte in der Ethik an aller erster Stelle stehen. Und Ethik / Moral ist eine Grundlage für funktionierendes menschliches Zusammenleben, auch in der Klinik.
Jin Bean

surfsmurf
02.06.2009, 16:19
Wobei wir wieder bei den Prinzipien mittlerer Reichweite von Childress und Beauchamp wären: Selbstbestimmung und Autonomie des Patienten sollte in der Ethik an aller erster Stelle stehen. Und Ethik / Moral ist eine Grundlage für funktionierendes menschliches Zusammenleben, auch in der Klinik.

Genau das sagen die Prinzipien nach Beauchamp und Childress nicht aus. Vielmehr verstehen die Autoren die insgesamt vier Prinzipien (neben Autonomie auch Gutes tun, Nicht schaden und Gerechtigkeit) als Universalprinzipien, die im jeweiligen Fall kritisch gegeneinander abgewägt werden müssen und somit auch ggf. zur Disposition stehen! Die übliche Aufzählungsweise ist mitnichten eine Rangfolge oder Ordnung nach Wichtigkeit. Autonomie als einziges oder wichtigstes Entscheidungsmerkmal bei ethischen Entscheidungen zu postulieren, ist unsinnig und wird von keinem einzigem mir bekannten Medizinethiker in der Form vertreten.

Leider festigt sich mein Eindruck aus dem "Suizid"-Thread über deine Posts: Große Wellen, kleine Brandung.

Antracis
02.06.2009, 22:39
Ich denke etwas konstruktive Kritik hat noch niemandem geschadet.

Hat das jemand in diesem Thread bestritten ?
Es ging hier aber speziell um die Antipsychiatrie: Worin siehst Du Ihren konstruktiven Aspekt ? Darin, Alternativkonzepte anzupreisen, die bisher immer gescheitert sind und die vorhandenen Probleme nicht lösen konnten ?



Wenn wir die Psychiatrie ganz schließen würden, so wären wir sicherlich gefährdet, weil dort ja auch Menschen untergebracht werden, die andere gefährden.

Das siehst Du leider falsch. Wir wären am wenigsten gefährdet, weil man die Kranken dann einfach ohne Behandlung wegsperren würde, wie schon Jahrhunderte zuvor.
Du scheinst mir auch die Begrifflichkeiten Psychiatrie und Geschlossene Abteilung gleichzusetzen, was meinen Eindruck aus dem "Suizid-Thread" bestärkt, dass Du nicht wirklich Einblick in die Verhältnisse der aktuellen psychiatrischen Versorgung hast. Was ist mit den vielen Patienten, die sich freiwillig behandeln lassen ? Oder selbst mit denen, die nach einer Zwangsunterbringung freiwillig bleiben ? Letztlich sind die am meisten gefährdet, wenn man die Psychiatrie als Fachgebiet nicht hätte, weil man Ihnen schlicht eine fachärztliche Behandlung vorenthält, die Ihnen eventuell helfen könnte.



Dagegen ist das Diabetes Beispiel eine ,,Birne'' und der Selbstmörder, wenn man so will, ein ,,Apfel'', denn sicherlich ist der Tod im akuten Sterbenswunsch abzusehen, jedoch will der ,,depressive'' akut Suizidgefährdete sterben (Ausnahmen des Hilferufes mal ausgenommen), der DM II Patient mit seinen 1000mg/dl wollte aber nicht sterben.

Äpfel und Birnen sind aber in der der Tat beides Obst und die Gemeinsamkeit liegt hier in der vorliegenden Krankheit: Wenn wir von einem schwer depressiven Patient sprechen, liegt es in der Natur der Sache, dass sein Denken von der Krankheit affiziert ist und der Suizidgedanke als krisenhafte Zuspitzung im Krankheitsverlauf aufzufassen ist und nicht als freie, zu respektierende Willensäußerung. Das ist letztlich auch die Grundlage, überhaupt in die Menschenrechte des Patienten eingreifen zu dürfen.
Man muss dann natürlich die kritische Frage stellen dürfen, ob wir da eine diagnostische Sicherheit haben: Nein, die haben wir in der Tat nicht!

Aber welche Konsequenz ziehen wir daraus ?
Ein Patient, der sich im Rahmen seiner schizophrenen Psychose verfolgt wähnt, und aus dem Fenster springen will, sieht das in der Regel nach einigen Wochen im Zustand der Restitution vollkommen anders. Die schwer depressive ältere Dame, die sich vor 3 Wochen noch umbringen wollte, ist mittlerweile ebenfalls anderer Meinung und die 17jährige mit der Anpassungsstörung im ersten Liebeskummer erst recht. Das ist nicht immer so, aber wirklich eher die Regel, als die Ausnahme.

Was soll ich diesen Patienten nun sagen ? Eigentlich dürften sie nicht mehr leben wollen, weil sie damit ein ethisches Konzept aushebeln ?
Worauf ich hinaus will ist, dass man an diesen Tatsachen eben nicht vorbei kommt und sich damit auseinander zu setzen heißt auch, praktische Problemlösungen anzubieten.

Und in diesem Rahmen muß man dann sicher auch Kritik äußern an den rechtlichen Grundlagen (alleine, dass so etwas fundamentales wie die Unterbringung gesetzlich auf Länderebene geregelt ist, will mir nicht wirklich in der Kopf!) und der vielen praktischen Probleme in der Durchführung von Zwangsmaßnahmen. Und eben auch an den Diagnosekriterien.
Aber konstruktive Kritik darf sich halt nicht mit Hinweis auf Unvollkommenheit und ethische Probleme erschöpfen, sondern muß praktisch umsetzbare Alternativen aufzeigen. Ansonsten riskiert man Zustände, wie sie beispielsweise in den USA zu beobachten sind. Dort kam es in den Nachkriegsjahrzehnten zu einer Auflösung der alten Großkrankenhäuser (in denen in der Tat unhaltbare Zustände herrschten) bei Reduzierung der Bettenzahl auf ca. 10%, ohne dies mit gemeindenahen oder ambulanten Versorgungsstrukturen ausreichend auffangen zu können. Die Folge sind schätzungsweise 280 000 schwer psychisch Kranke, in Gefängnissen untergebracht, und über 200 000 Obdachlose. Die radikale Psychiatriereform in Italien hat mehr Nutzen gebracht, aber auch hier gibt es Versorgungsprobleme, weil es natürlich leichter ist, Großkliniken zu schließen, als alternative Strukturen aufzubauen.



Wobei wir wieder bei den Prinzipien mittlerer Reichweite von Childress und Beauchamp wären: Selbstbestimmung und Autonomie des Patienten sollte in der Ethik an aller erster Stelle stehen. Und Ethik / Moral ist eine Grundlage für funktionierendes menschliches Zusammenleben, auch in der Klinik.


Wie surfsmurf schon anmerkte, ist das eine fragliche Interpretation der Autoren. Sie befasst sich aber meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang auch nicht mit dem heißen Brei, sondern redet leider drum herum. Denn die Frage ist wohl nicht, ob man das Selbstbestimmungsrecht und die Autonomie des Menschen als Arzt achten sollte, sondern ob der Mensch im konkreten Fall selbstbestimmt und wirklich autonom entscheidet - oder halt nicht.

Gruß
Anti

alive
03.06.2009, 00:19
Hallo zusammen!

Zuerst einmal möchte ich mich bei Antracis für seine/ihre Beiträge bedanken. Sehr gut geschrieben.

Nun zur Thematik:
Ich kann die Kritik an den "Antipsychatern" nur bekräftigen.
Meine Meinung: Wer behauptet man könnte ohne Zwangsmaßnahmen auskommen, der hat bestimmte psychatrische Krankheitsbilder einfach noch nicht gesehen. Es juckt mich gerade wahnsinnig in den Fingern, Beispiele aus meiner Zeit im Rettungsdienst aufzuzählen, aber ich verzichte bewusst darauf um keine Nebenschauplätze zu eröffnen.
Sehr wohl muss aber Diskutiert werden, wann Zwangsmaßnahmen gerechtfertigt sind und Mißbrauch bzw. "inflationärer Gebrauch" diskutiert werden. Gerade im Bereich Fixierung durch Überfoderung/Organisationsversagen des KH fallen mir ein paar Schauergeschichten ein.
Mir persönlich wird jetzt schon etwas flau im Magen, wenn ich daran Denke, dass ich in absehbarer Zeit mit meiner Unterschrift die Persönlichkeitsrechte eines Patienten massiv einschränken kann und muss. Vielen Kommillitonen und jungen Assistenten geht es wahrscheinlich (bzw. HOFFENTLICH) nicht anders, denn welche Häuser bieten schon den Luxus eines psychatrischen Konsilarius 24/7 auf den man die Verantwortung abschieben kann? Hier besteht meiner Meinung nach noch massiver Aufklärungsbedarf nicht nur seitens der Psychater sondern auch seitens des Gesetzgebers (Stichwort: Unterbringungsgesetz = Ländersache usw.). Oder vielleicht ist die psychatrische Lehre an meiner Uni auch einfach zu schlecht, aber das bezweifle ich. :-angel

so long...

Jin Bean
03.06.2009, 13:40
In der Tat sind die Kriterien gleich zu stellen und abzuwägen, das ist auch richtig so.
Kritik meinerseits richtet sich an Psychiater, die z.B. Tollwutkranke Patienten wegsperren oder ihnen medizinische Behandlung verwehren (nur ein Beispiel von vielen). Kritik auch an Psychiatern, die Menschen, die ganz sicher nicht mehr leben wollen, wegsperren und so versuchen zu verhindern, dass ein Mensch selber (autonom) über sein Leben entscheiden kann.
Kritik meinerseits auch an Psychologen, die eine Wissenschaft ohne Beweise betreiben wollen. Ich weiß, das sollte vielleicht in die Rubrik Antipsychologie.

Kritik auch an der sogenannten Psychosomatik, die völlig beweisfrei behauptet der Seelenzustand könnt verantwortlich gemacht werden für seltene schwer diagnostizierbare Krankheiten.
Die machen es sich ein bisschen zu leicht und den armen Patienten, die eine seltene organische Erkrankung haben, die man (bisher noch nicht diagnostizieren konnte) denen machen sie das Leben kaputt).

Leider habe ich keine Zeit noch ausführlicher zu schreiben, was schade ist.

Gut finde ich, wenn schwer kranke Menschen mit einem psychiatrischen Krankheitsbild bei dem Gefahr für andere Menschen besteht, wenn denen eine Behandlung zukommen kann, sicher ist es besser als sie nur wegzusperren.
Wie gesagt, habe ich tatsächlich keine Erfahrungen auf dem Gebiet, es ist ja ein Studentenforum und ich kann noch nicht alles wissen.

Ich will aber aufrütteln und gegen den Strom schwimmen. Ich bin kein Lemming, sondern ich denke selbständig. In der Nazi Zeit hat sich das kaum jemand getraut, aber heute haben wir Meinungsfreiheit und Demokratie und es ist ganz wichtig, finde ich, Missstände in unserer Gesellschaft zu rügen, auch wenn sie uns nicht persönlich betreffen. Nur so kann sich etwas ändern und verbessern.

Jin Bean

PS Die ,,großen Wellen'' habe ich nicht geschlagen, ich habe sie nur reflektiert, es waren wahre Begebenheiten, über die ich die Forumsbenutzer informiert habe.

Jin Bean
03.06.2009, 13:47
Aber welche Konsequenz ziehen wir daraus ?
Ein Patient, der sich im Rahmen seiner schizophrenen Psychose verfolgt wähnt, und aus dem Fenster springen will, sieht das in der Regel nach einigen Wochen im Zustand der Restitution vollkommen anders. Die schwer depressive ältere Dame, die sich vor 3 Wochen noch umbringen wollte, ist mittlerweile ebenfalls anderer Meinung und die 17jährige mit der Anpassungsstörung im ersten Liebeskummer erst recht. Das ist nicht immer so, aber wirklich eher die Regel, als die Ausnahme.


Das sind ja nicht die Fälle die kritisiert werden. Ich glaube, diese Beispiele sind aber eher die seltenen. Hast du Zahlen darüber? Ich habe keine Erfahrung und kann dir keine Zahlen geben. Ich vertraue heute vor allem Evidenz basierten Studien, die würden mich eher überzeugen.
Jin

Muriel
03.06.2009, 14:02
Naja, ich denke, ein Psychiater wird wohl doch etwas häufiger mit suizidgefährdeten Psychotikern als mit an Tollwut Erkrankten konfrontiert werden...

lala
03.06.2009, 14:32
Naja, ich denke, ein Psychiater wird wohl doch etwas häufiger mit suizidgefährdeten Psychotikern als mit an Tollwut Erkrankten konfrontiert werden...

Und zu jeder psychiatrischen Aufnahme gehört auch eine internistisch-neurologische Untersuchung....gerade bei akuten psychischen Störungen plus cerebrale Bildgebung und Liqordiagnostik...
Und der Psychiater, der eine Tollwut "übersieht" (weil selten im differentialdiagnostischen Repertoire) ist bestimmt noch seltener als der Internist, der eine KHK, Aortendissektion oder sonstwas beim chronischen Rückenschmerzpatienten übersieht..Fehler passieren überall!

Antracis
03.06.2009, 17:37
Ich will aber aufrütteln und gegen den Strom schwimmen. Ich bin kein Lemming, sondern ich denke selbständig. In der Nazi Zeit hat sich das kaum jemand getraut, aber heute haben wir Meinungsfreiheit und Demokratie und es ist ganz wichtig, finde ich, Missstände in unserer Gesellschaft zu rügen, auch wenn sie uns nicht persönlich betreffen. Nur so kann sich etwas ändern und verbessern.


Aber gerade, wenn man eine unkonventionelle Meinung so offensiv vertritt, wie Du es tust, sollte die Grundlage profundes Fachwissen sein und nicht vorwiegend Enthusiasmus.

Wenn Du Dich so für EBM interessierst, solltest Du auch nicht einige Einzelfälle mit Fehldiagnosen dazu hernehmen, ein ganzes Fachgebiet in Frage zu stellen. Solltest Du jemals in eine Staatsprüfung im Fach Psychiatrie geraten, wird Dir schnell klar werden, welch hohen Stellwert in der Lehre der Differentialdiagnose zu "organischen" Ursachen eingeräumt wird. Insofern wird auch, wie lala bereits erwähnte, immer eine Ausschlussdiagnostik betrieben.
Ich kenne auch durchaus tragische Fälle, wo beispielsweise eine Patientin mit Herpes-Enzephalitis zu spät antiviral behandelt wurde, weil es bei der Aufnahme niemand für notwendig hielt, mal Fieber zu messen und man die vermeintliche Psychotikerin einfach mal mit Haldol weggeschossen hat. Aber das sind Versäumnisse einzelner Personen und keine Fehler im System.

Da Du die von mir genannten Beispiele eher als selten einschätzt, würde mich sehr interessieren, wie Du Dir den typischen Aufnahme-Patienten in der geschlossenen Station einer Akutpsychiatrie vorstellst. ( Ich empfehle, sich vor allem mal über Suchterkrankungen und deren Suizidrate zu belesen, das ist gerade hinsichtlich der Diskussion eines "freien Willens" sehr interessant.)
Weiterhin, da Du ja immer von wegsperren redest, würde mich darüberhinaus interessieren, inwiefern Du die Rechtsgrundlagen kennst und welche Einschätzungen Du hinsichtlich der durchschnittlichen Verweildauern von Patienten hast, die gegen Ihren Willen in der Psychiatrie festgehalten werden.

Ich hab tatsächlich keine repräsentativen Zahlen für das Bundesgebiet zur Hand (solche sollten aber zumindest näherungsweise zu beschaffen sein), aber ein zweiminütiges Googlen ergab beispielsweise folgende Zahlen für ein Darmstädter Krankenhaus der psychiatrischen Akutversorgung:

- etwa jeder sechste Psychiatrische Patient wurde dort zwangseingewiesen

- durchschnittliche Verweildauer auf der geschlossenen Station 4-7 Tage

- ca. 75% dieser Patienten lassen sich im Schnitt danach freiwillig therapieren

- lediglich 2 Patienten wurden in den letzten 2 Jahren in die forensische Psychiatrie verlegt.

Bezüglich letzteren Punktes befürchte ich, dass Du die grundlegenden Unterschiede zwischen einer Unterbringung nach PsychKG bzw. BGB § 1906 und nach StGB § 63 gar nicht kennst, ebenso wenig die üblichen Fristen bei Unterbringung nach PsychKG (in Berlin bspw. 2-4 Wochen, maximal 6 Wochen, nur in sehr wenigen Ausnahmefällen länger).

Auch Dein Pauschalurteil gegen die Psychosomatik ist so nicht haltbar. Interessant in diesem Zusammenhang die Beziehungen zwischen Myokardinfarkten und Depressionen. Affektive Störungen nach schweren akuten Herzerkrankungen sind recht häufig. Und es gibt da eindrucksvolle Studien, die gezeigt haben, dass Patienten mit adäquater antidepressiver Behandlung ein signifikant besseres Outcome haben, als die Vergleichsgruppe.

Letztlich erscheint auch das von Dir immer wieder ins Spiel gebrachte Konzept der "Seele" stark theologisch/philosophisch geprägt. Die Medizin ist aber ein praktisches Handlungskonzept, dass auf naturwissenschaftlichen Grundlagen fußt. Insofern wird man akzeptieren müssen, dass die Psyche des Menschen ihr Korrelat in der Neuroplastizität und/oder Transmitterwechselwirkungen hat, weshalb psychische Erkrankungen letztlich auch organische Erkrankungen sind.
Man kann das natürlich leugnen, aber dann sollte man sich vielleicht doch eher eine Stola umhängen und kein Stethoskop. Und das meine ich nicht abwertend.

Letztlich kann ich Dir einfach nur empfehlen, Dein Wissen über psychische Erkrankungen, und vor allem über die Verhältnisse in der praktischen psychiatrischen Krankenversorgung, auszubauen. Das würde, glaube ich, die Diskussion für alle Seiten fruchtbarer machen.

Gruß
Anti

Keenacat
03.06.2009, 19:56
Antracis:

:-party
Respekt für deine Engelsgeduld. Ich hab Jin Bean spätestens seit dem Suizid-Thread als unbelehrbaren Holzkopf abgeschrieben. Und das jemand, der sich selbst als "gläubig" identifiziert tatsächlich von sich sagt:

Ich vertraue heute vor allem Evidenz basierten Studien, die würden mich eher überzeugen....
:-wow
Respekt. Kognitive Dissonanz FTW.

John Silver
03.06.2009, 20:00
Kritik meinerseits richtet sich an Psychiater, die z.B. Tollwutkranke Patienten wegsperren oder ihnen medizinische Behandlung verwehren (nur ein Beispiel von vielen).

Und dann kommst Du mit Objektivierbarkeit und Studien? :-)) Man kann doch nicht einer ganzen Fachrichtung Versagen vorwerfen, nur weil einzelne Vertreter dieser Fachrichtung Fehler gemacht haben (und machen, und machen werden). Derartige "Horrorgeschichten" kann man locker in jeder Fachrichtung finden. So kann man die ganze Medizin "hinterfragen". Letztlich landet man dann bei Ayurveda, die bekanntlich perfekt sei, und wenn die Behandlung nicht anschlage, liege es ausschließlich an falscher Anwendung durch den Arzt. So ein Schmarrn.


Kritik auch an Psychiatern, die Menschen, die ganz sicher nicht mehr leben wollen, wegsperren und so versuchen zu verhindern, dass ein Mensch selber (autonom) über sein Leben entscheiden kann.

Wie bereits mehrfach erwähnt wurde, siehst Du die Sache zu kurzsichtig. Es geht nicht ums Wegsperren, sondern darum, Menschen vor Taten zu bewahren, von denen sie sich später sehr wahrscheinlich selbst distanzieren werden, weil diese Taten erkrankungsbedingt nicht im Vollbesitz der geistigen Kräfte getroffen wurden. Wer wirklich wirklich sterben will, der wird schon noch sterben, wenn man ihn/sie freiläßt; die große Mehrheit jedoch begeht anschließend keinen Suizid und ist dankbar dafür, von ebendiesem abgehalten worden zu sein. An diese Menschen denkst Du überhaupt nicht. Du solltest lernen, mehr als einen Millimeter vorauszudenken - das ist in jeder Fachrichtung hilfreich.


Kritik auch an der sogenannten Psychosomatik, die völlig beweisfrei behauptet der Seelenzustand könnt verantwortlich gemacht werden für seltene schwer diagnostizierbare Krankheiten.
Die machen es sich ein bisschen zu leicht und den armen Patienten, die eine seltene organische Erkrankung haben, die man (bisher noch nicht diagnostizieren konnte) denen machen sie das Leben kaputt).

Auch wieder Schwachsinn, der haufenweise von Dir ach so händeringend geforderten Daten und Beweise ignoriert. Klar kann es sein, daß Menschen mit eher seltenen somatischen Erkrankungen auf die psychosomatische Schiene geschoben werden - es passiert leider gar nicht so selten; es ist jedoch wieder blödsinnig, eine ganze Fachrichtung zu verteufeln, nur weil einige Leute Fehler in der Differentialdiagnostik machen, s.o..


Gut finde ich, wenn schwer kranke Menschen mit einem psychiatrischen Krankheitsbild bei dem Gefahr für andere Menschen besteht, wenn denen eine Behandlung zukommen kann, sicher ist es besser als sie nur wegzusperren.
Wie gesagt, habe ich tatsächlich keine Erfahrungen auf dem Gebiet, es ist ja ein Studentenforum und ich kann noch nicht alles wissen.

Richtig, von nichts eine Ahnung haben, aber gleich die dicke Hose markieren und komplette Fachrichtungen für faschistische Vereine erklären - des hamma gern :-)) Wie wär's mit "Erst informieren, dann reden"?


Ich will aber aufrütteln und gegen den Strom schwimmen. Ich bin kein Lemming, sondern ich denke selbständig. In der Nazi Zeit hat sich das kaum jemand getraut, aber heute haben wir Meinungsfreiheit und Demokratie und es ist ganz wichtig, finde ich, Missstände in unserer Gesellschaft zu rügen, auch wenn sie uns nicht persönlich betreffen. Nur so kann sich etwas ändern und verbessern.

Du denkst selbständig? Toll. Leider zweifelst Du anscheinend nicht im Geringsten an Deinen Gedankengängenn und Schlüssen - dennoch können sie falsch sein, und sind es auch. Ich zitiere mal Dieter Nuhr:

"Ich glaube, das ist damals falsch verstanden worden mit der Demokratie. Man darf eine Meinung haben - man muß aber nicht. Es wäre ganz wichtig, daß sich das mal rumspricht. Wenn man keine Ahnung hat - einfach mal Fresse halten!"

Jin Bean
04.06.2009, 08:26
Ich kritisiere daher auch nicht die ganze Fachrichtung Psychiatrie. Ich weiß nicht, ob das die Be´wegung tut, ich jedenfalls nicht. Auffallend ist immer wieder was hier für falsche Schlüsse gezogen werden.

Jin Bean
04.06.2009, 08:46
Ich kritisiere nicht die ganze Fachrichtung Psychiatrie.

Auffallend ist auch immer wieder mit welchem Hass hier persönliche Beleidigungen ausgesprochen werden. Ist die Kritik wiklich so hart?
Ich finde es härter, was den Opfern passiert.


Du schreibst:
Klar kann es sein, daß Menschen mit eher seltenen somatischen Erkrankungen auf die psychosomatische Schiene geschoben werden - es passiert leider gar nicht so selten; es ist jedoch wieder blödsinnig, eine ganze Fachrichtung zu verteufeln, nur weil einige Leute Fehler in der Differentialdiagnostik machen.

Es passiert tatsächlich sehr oft. Ursache ist unter anderem, dass falsche Schlussfolgerungen beweisfrei gezogen werden. Das ist einfach für den Arzt, er muss keine schwiereigen diagnostischen Rätzel lösen und passend für den Psychologen und ggf. Psychiater.
Ursache ist auch, dass es in unserer heutigen Gesellschaft akzeptiert ist Korrelation mit Kasulität zu verwechseln bzw. dies nicht hinterfragt wird.
Ein Beispiel: Die Frau von Herrn Martin stirbt und er bekommt eine schwer dieagnostizierbare Erkrankung ca. 5 Wochen Später.
Sagen wir mal Fibromyalgie (schlechtes Besipiel, aber Ihr wisst schon was isch meine. Es geht Ihm schlecht und als Ursache wird heute zunächst an den Tod seiner Frau gedacht. Da es dann auch wenige Blutparameter für F. gibt ist der Kausalzusammenhang fälschlicherweise und beweisfrei angenommen.
Die Fehldiagnose führt zum Verzweifeln des Patienten, womit ihm noch eine Depression unterschoben werden kann.
Die fehlende Behandlung führt zur Unfähigkeit den Haushalt zu führen, womit er fast schon als Psychiatrisch krank gelten kann.

Wenn er dann auch noch Polymyositis statt Fibromyalgie hat, wird er Schwierigkeiten bekommen zu kauen.

Wo landet er nun? Nicht vielleicht in der Psychiatrie, oder?

Die Kritik meinersiets richtet sich gegen diese Fehlschlüsse, die zu einer Aneinanderreihung von Fehldiagnosen führt.

Ich kenne so viele Patienten, die von der Psychoschiene (nach Jahren eigenwilliger Selbstudien und Internetrecherchen) es geschafft haben eine Diagnose zu bekommen, die die vermeintlich Psychischen Berschwerden als rein organisch erklärt hat.

Hier sollten wir lernen umzudenken. Und ich als ,,Holzkopf'' lade die anderen Holzköpfe ein darüber nachzudenken.

Meinerseits denke ich sicherlich auch über die hier gebrachten ANregungen nach, auch wenn ich es nicht schaffe, alle Beiträge zu lesen.
Jin

Jin Bean
04.06.2009, 09:01
Du schreibst:


Wer wirklich wirklich sterben will, der wird schon noch sterben, wenn man ihn/sie freiläßt;

Wann wird derjenige freigelassen?
Warum könnenerst gemeinte Fragen nicht ernst beantwortet werden.
Wenn hier schon im Studenten Forum fertige Psychiater sind, die alles besser wissen (was ja kein Wunder ist, bei der Erfahrung), dann könnte man doch wenigstens eine faire Diskusion erbitten, wo auch geantwortet wird. (Bittet lieb :)

Ich frage also, wann wird der Patient freigelassen?

In einem Beitrag bei Suizid, stand so ungefähr, dass der Patient freigelassen wird, wenn er sich von seinem Suizidvorhaben distanziert hat.

Da wäre dann der Knackpunkt. Im Beispiel von dem Patienten, der ganz sicher sterben möchte ist nicht zu erwarten, dass er sich von seinem Vorhaben distanziert. Kann er dann überhaupt entlassen werden um endlich zu sterben, wenn er das auch nach der Zwangstherpie weiterhin will??

Ich weiß es nicht und würde mich freuen eine ernst gemeinte Antwort zu bekommen.

Noch mal: Ich denke auch an die anderen Fälle, wo sich die Patienten vom Vorhaben distanzieren. Ich kritisiere gar nicht die ganze Psychiatrie.
Wie kommt es also, dass mir das immer wieder unterstellt wird, nur weil ich hier Kritik äußere?

Ich kann genau so viel Kritik an der Medizin äußern, Es gibt nur einen Unterschied: Der Patient ist Kunde und kann theoretisch einen anderen Dienstleister suchen.
(Ja, natürlich nicht immer, Bsp. Tbc, Aids, Koma und ettliche andere... schon klar, aber der Patient wird dort nicht eingeschlossen, i.d.R. nicht elektrisch gegen seinen Willen geschockt, nicht gegen seinen Willen von Psychopharmaka abhängig gemacht. Er kann alle Behandlungen ablehenen, die er nicht möchte.)

Wenn der Patient aus der Medizinischen Klinik heruaskommt, ist sein Lebenslauf nicht für immer zerstört.
Wenn er aber aus einer Geschlossenen kommt, ist er für immer geprägt, bekommt Schwiereigkeiten bei Jobs oder in der Beziehung und ist zudem noch abbhängig von Psychopharmaka.

Ich weiß, dass die Kritik Euch sehr hart trifft, da Ihr ja nur Gutes tun wollt, aber leider tut ihr nicht nur Gutes, das ist schon mal sicher.

Jin

icespeedskatingfan
04.06.2009, 09:36
[QUOTE=Jin Bean;782297

Wenn er aber aus einer Geschlossenen kommt, ist er für immer geprägt, bekommt Schwiereigkeiten bei Jobs oder in der Beziehung und ist zudem noch abbhängig von Psychopharmaka.
Jin[/QUOTE]

Ist das so oder passt das gerade so gut in Dein Denkschema?

Mal meinen Senf dazu als Hausärztin:
Ich habe fast jeden Monat einen oder mehrere akut psychisch schwer dekompensierte Patienten hier, die darum BITTEN psychiatrisch eingewiesen zu werden - und die in Fällen z.B. eines Aufnahmestopps wegen Überfüllung völlig verzweiflt sind, weil sie z.B. ANGST haben, sie könnten sich etwas antun.
Die meisten Patienten bleiben längere Zeit freiwillig auf der Geschlossenen und berichten das sie froh sind, das es so einen "geschützten Raum" gibt wo Fachpersonal sie in der Krise aufgefangen hat.
Zum Teil werden sie entsprechend mit Medikation entlassen, aber ich kann keine Stigmatisierung erkennen, das diese ehemaligen Patienten nicht in ihren Arbeitsplatz/Familien -und Freundeskreis zurückkehren.
Soweit mal ein Bericht aus dem realen Leben.
Meine letzte Zwangseinweisung liegt übrigens drei Jahre zurück: die Patientin beabsichtigte sich und ihren Mann umzubringen und hatte Brandbeschleuniger im Eigenheim angezündet. Der Ehemann wollte aber gar nicht umgebracht werden.

Jin Bean
04.06.2009, 09:38
Und zu jeder psychiatrischen Aufnahme gehört auch eine internistisch-neurologische Untersuchung....gerade bei akuten psychischen Störungen plus cerebrale Bildgebung und Liqordiagnostik...
Und der Psychiater, der eine Tollwut "übersieht" (weil selten im differentialdiagnostischen Repertoire) ist bestimmt noch seltener als der Internist, der eine KHK, Aortendissektion oder sonstwas beim chronischen Rückenschmerzpatienten übersieht..Fehler passieren überall!


Nataürlich. Das stellt keiner in Frage.
Es gibt aber Fehler und es gibt systematische Denkfehler, wie der, das man eine SChlussfolgerung nicht beweisen müsste und auch Korrelation mit Kausalität verwechseln dürfte. Attrition bias.
Wenn man systematische Fehler ignoriert, kann man nichts verbessern.
Was genau hättest du im 3. Reich gegen die Tötung von Millionen von
Behinderten gesagt?
Fehler passieren überall, oder was genau?
Vor allem was hättest du getan?
Wenn du nichts getan hättest würde ich es dir nicht übel nehmen.
Jetzt stehst du aber nicht unter Lebensbedrohung, heute darfst du dir eine eigene Meinung bilden.

Jin Bean
04.06.2009, 09:44
Ist das so oder passt das gerade so gut in Dein Denkschema?

Mal meinen Senf dazu als Hausärztin:
Ich habe fast jeden Monat einen oder mehrere akut psychisch schwer dekompensierte Patienten hier, die darum BITTEN psychiatrisch eingewiesen zu werden - und die in Fällen z.B. eines Aufnahmestopps wegen Überfüllung völlig verzweiflt sind, weil sie z.B. ANGST haben, sie könnten sich etwas antun.


Das ist doch gut (bzw. bei Überfüllung nicht gut)- ich bin nicht gegen die Psychiatrie allgemein.
Ich kritisiere dagegen die einzelnen Fälle, in denen falsche Schlussfolgerungen zu falschen Diagnosen führen auf immer ähnlichen basierenden Denkfehlern.

Die meisten Patienten bleiben längere Zeit freiwillig auf der Geschlossenen und berichten das sie froh sind, das es so einen "geschützten Raum" gibt wo Fachpersonal sie in der Krise aufgefangen hat.

Darum geht es gar nicht. Es ging doch um Kritik an der Wegsprerrung von Menschen die ganz sicher sterben wollen.

Zum Teil werden sie entsprechend mit Medikation entlassen, aber ich kann keine Stigmatisierung erkennen, das diese ehemaligen Patienten nicht in ihren Arbeitsplatz/Familien -und Freundeskreis zurückkehren.
Soweit mal ein Bericht aus dem realen Leben.
Meine letzte Zwangseinweisung liegt übrigens drei Jahre zurück: die Patientin beabsichtigte sich und ihren Mann umzubringen und hatte Brandbeschleuniger im Eigenheim angezündet. Der Ehemann wollte aber gar nicht umgebracht werden.

Darum geht es doch gar nicht. Die Zwangseinweisung war richtig. Ich hätte eventuell gleich gehandelt oder die Polizei eingeschaltet.
Das jedenfalls sind nicht die Kritikpunkte und es wurde keine Kritik an der EInweiseung per se geäußert.

Jin

Jin Bean
04.06.2009, 10:01
Aber gerade, wenn man eine unkonventionelle Meinung so offensiv vertritt, wie Du es tust, sollte die Grundlage profundes Fachwissen sein und nicht vorwiegend Enthusiasmus.

Wenn Du Dich so für EBM interessierst, solltest Du auch nicht einige Einzelfälle mit Fehldiagnosen dazu hernehmen, ein ganzes Fachgebiet in Frage zu stellen.

Falsche Schlussfolgerung, das habe ich ja gerade nicht getan.

Solltest Du jemals in eine Staatsprüfung im Fach Psychiatrie geraten, wird Dir schnell klar werden, welch hohen Stellwert in der Lehre der Differentialdiagnose zu "organischen" Ursachen eingeräumt wird. Insofern wird auch, wie lala bereits erwähnte, immer eine Ausschlussdiagnostik betrieben.
Ich kenne auch durchaus tragische Fälle, wo beispielsweise eine Patientin mit Herpes-Enzephalitis zu spät antiviral behandelt wurde, weil es bei der Aufnahme niemand für notwendig hielt, mal Fieber zu messen und man die vermeintliche Psychotikerin einfach mal mit Haldol weggeschossen hat. Aber das sind Versäumnisse einzelner Personen und keine Fehler im System.



Um dein Beispiel mal weiterzutragen:
Ich kenne sogar Patienten, die auf Grund eines Interleukinmangels und Gammaglobulinmangels nicht in der Lage sind Fiebeer zu bilden!!
Sie bilden auch keine Leukozytose, keine CRP etc... Sie können an MEnigokokkenmeningitis sterben und weren erst post mortem daignostiziert. (Fallgeschichte einer schwedischen Patientin, die und in Innere forgestellt wurde) Diese Patienten können zudem noch eine aseptische Meiningitis bekommen, bei der auch keine Antikörper oder sonstiges im Liquor festzustellen sind.

Oh, ich bin ja doch Medi Stdudent:) Da kam wohl die falsche Schulssfolgerung (ich sei kein Med. Student, wer das auch gesagt hatte) aus dem Suizid Thread auch nicht mehr zum tragen.

Flasche Schlussfolgerungen sind mein Kritikpunkt.


Da Du die von mir genannten Beispiele eher als selten einschätzt, würde mich sehr interessieren, wie Du Dir den typischen Aufnahme-Patienten in der geschlossenen Station einer Akutpsychiatrie vorstellst. ( Ich empfehle, sich vor allem mal über Suchterkrankungen und deren Suizidrate zu belesen, das ist gerade hinsichtlich der Diskussion eines "freien Willens" sehr interessant.)
Weiterhin, da Du ja immer von wegsperren redest, würde mich darüberhinaus interessieren, inwiefern Du die Rechtsgrundlagen kennst und welche Einschätzungen Du hinsichtlich der durchschnittlichen Verweildauern von Patienten hast, die gegen Ihren Willen in der Psychiatrie festgehalten werden.

Ich hab tatsächlich keine repräsentativen Zahlen für das Bundesgebiet zur Hand (solche sollten aber zumindest näherungsweise zu beschaffen sein), aber ein zweiminütiges Googlen ergab beispielsweise folgende Zahlen für ein Darmstädter Krankenhaus der psychiatrischen Akutversorgung:

- etwa jeder sechste Psychiatrische Patient wurde dort zwangseingewiesen

- durchschnittliche Verweildauer auf der geschlossenen Station 4-7 Tage

- ca. 75% dieser Patienten lassen sich im Schnitt danach freiwillig therapieren

- lediglich 2 Patienten wurden in den letzten 2 Jahren in die forensische Psychiatrie verlegt.

Bezüglich letzteren Punktes befürchte ich, dass Du die grundlegenden Unterschiede zwischen einer Unterbringung nach PsychKG bzw. BGB § 1906 und nach StGB § 63 gar nicht kennst, ebenso wenig die üblichen Fristen bei Unterbringung nach PsychKG (in Berlin bspw. 2-4 Wochen, maximal 6 Wochen, nur in sehr wenigen Ausnahmefällen länger).

Wie können aus mean 7 d ein Durschnitt von 2-4- Wochen wegsperren werden?


Was sind die Unterschiede PsychKG bzw. BGB § 1906 und nach StGB § 63?

Ich habe gute Noten, weil ich mich auf meine Fächer vorbereite und kann jetzt im Moment keine Psychiatrie wälzen.


Auch Dein Pauschalurteil gegen die Psychosomatik ist so nicht haltbar. Interessant in diesem Zusammenhang die Beziehungen zwischen Myokardinfarkten und Depressionen. Affektive Störungen nach schweren akuten Herzerkrankungen sind recht häufig. Und es gibt da eindrucksvolle Studien, die gezeigt haben, dass Patienten mit adäquater antidepressiver Behandlung ein signifikant besseres Outcome haben, als die Vergleichsgruppe.


Die Psychosomatik behauptet aber genau umgekehrt, dass nämlich der Seelenzustand eine schwere organische Erkrankung (wie hier z.B. MI) generieren könnte.

Früher auch: ...Krebs generieren könnte.

Von letzerem hat man sich neuerdings losgelöst.

Letztlich erscheint auch das von Dir immer wieder ins Spiel gebrachte Konzept der "Seele" stark theologisch/philosophisch geprägt. Die Medizin ist aber ein praktisches Handlungskonzept, dass auf naturwissenschaftlichen Grundlagen fußt.

Die Psychologie leider eben nicht.

Insofern wird man akzeptieren müssen, dass die Psyche des Menschen ihr Korrelat in der Neuroplastizität und/oder Transmitterwechselwirkungen hat, weshalb psychische Erkrankungen letztlich auch organische Erkrankungen sind.

Was bedeutet dann:
,,Bei dem Pat. wurden organische Erkrankungen ausgeschlossen'' ((mit fragwürdigen Methoden)) ,,so dass eine Psychiatrische / psychische Erkankgung vorliegen muss''.


Man kann das natürlich leugnen, aber dann sollte man sich vielleicht doch eher eine Stola umhängen und kein Stethoskop. Und das meine ich nicht abwertend.


Wie gehst du mit Menschen um?
Nutzt du auf Station deren Hilflosigkeit aus?
Merkst du es selber?
Das meine ich nicht abwertend.
Das meine ich nicht an dich persönlich gerichtet sondern an alle als Punkt zum nachdenken.


Letztlich kann ich Dir einfach nur empfehlen, Dein Wissen über psychische Erkrankungen, und vor allem über die Verhältnisse in der praktischen psychiatrischen Krankenversorgung, auszubauen. Das würde, glaube ich, die Diskussion für alle Seiten fruchtbarer machen.


Gruß
Anti


Wenn du nicht mit Studenten dikutieren willst, wieso gehst du dann nicht in ein Fachärzteforum?
Die Mehrzahl der Studis hat eine Psyhcatrische Klinik oder einen Psychiatrischen Wälzer noch nicht von innen kennengelernt.

Jin