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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Der Somatostatus - eine (juristische) Zeitbombe?



Confused
29.05.2009, 10:50
Hallo zusammen,

ihr kennt sicher alle die alltägliche Problematik, einen somatischen oder neurologischen Status möglichst präzise und komplett in jedoch sehr beschränkter Zeit durchzuführen. Zu Beginn habe ich noch wirklich sehr extensiv (und dementsprechend zeitraubend) die einzelnen Punkte abgegrast, doch man wird ja doch sehr schnell etwas salopper und so wird dann schonmal von vielen Ärzten der LK-Status als unauffällig notiert, obwohl inguinal gar nicht getastet wurde, oder man beschreibt das Integument als unauffällig, obwohl man den Patienten nicht wirklich überall nach auffälligen Naevi oder ähnlichem durchsucht hat. Es fehlt nunmal auch leider die Zeit, jede Aufnahme absolut präzise und komplett durchzuarbeiten.

Nun frage ich mich aber, ob dieses Vorgehen nicht irgendwo gefährlich ist? Für den einzelnen Patienten ist die Wahrscheinlichkeit ja sehr gering, dass man etwas grob auffälliges übersieht/verpasst, aber über längere Zeitdauer gesehen ist dies ja durchaus möglich... und was dann? Juristisch gesehen wäre das ja kaum zu verteidigen, wenn man einen Normalbefund notiert während der Patient irgendwo eben doch eine Pathologie hat...

Mich würde nur mal interessieren, wie ihr das so betrachtet. Ich selber versuche immer möglichst genau auch anzugeben, was ich untersucht habe resp. was nicht, d.h. ich schreibe eben zB beim LK-Status dazu, wo ich getastet habe falls eine Station fehlt etc... oder vielleicht auch mal, dass irgendetwas eben nicht untersucht wurde (fällt einem ja oft im Nachhinein beim Tippen ein dass man was vergessen hat... ist dann einfach u.U. mühsam weil man je nachdem vom Oberarzt zurechtgewiesen wird, falls mal nicht alles vorhanden ist).

Was denkt ihr zu dem Thema?:-)

icespeedskatingfan
29.05.2009, 11:33
Alles notieren was Du untersucht hast, mit Befund. (Und was Du nicht untersucht hast eben nicht erwähnen) Juristisch gilt: was nicht dokumentiert ist, ist auch nicht untersucht worden.
Im wesentlichen geht man schließlich symptomorientiert vor. Ein Patient mit Herzrhythmusstörungen braucht nicht unbedingt die inguinalen LK´s abgetastet zu bekommen - beim Patienten mit Erysipel des Beines wär´s ein grober Fehler.

dreamchaser
29.05.2009, 12:31
Und die Dokumentation mit Datum und Uhrzeit - denn man kann ja schliesslich nicht für den Status am nächsten Tag garantieren. Vor allem neurologische Auffäligkeiten können sich dann doch mal ändern.
Und sonst, wie oben gsagt, nur das dokumentieen, was auch untersucht wurde. Alles andere kann auch sehr irreführend sein (z.B. Pat. nach Apoplex mit latenter Hemiparese wurde von einer Kollegin als neurologisch unauffällig beschrieben...?).

WackenDoc
29.05.2009, 12:37
Bei den schönen Aufnahmebögen im Krankenhaus hab ich z.B. beim neurologischen Status auch schon mal "grob orientierend unauffällig" hingeschrieben. Grad wenn´s für die Krankheit nicht wichtig war. Hat bedeutet Patient konnte sich normal mit mir unterhalten, war orientiert. Aber die einzelnen Reflexe hab ich nicht durchgeprüft.

Genauso Haut: Haut intakt, keine Effloreszenzen.. damit haste nix über die Naevi gesagt, aber de Status grib beschrieben. Wenn du allerdings nen auffälligen findest, oder besonders viele oder so kannst es natürlich mit beschreiben.

Ansonsten wie Ice gesagt hat: nix hinschreiben

hennessy
29.05.2009, 12:41
Ich möchte es als Praxisinhaber und damit als "kleiner Unternehmer" so schildern:
Egal, was man macht, man steht immer mit einem Bein vor dem Kadi. Denn es ist schlicht und ergreifend unmöglich, z.B. alle möglichen Behandlungs-Alternativen, Nebenwirkungen, Komplikationen etc. mit dem Patienten ausführlich zu diskutieren, das ganze dann noch zu dokumentieren und "nebenher" eine nicht nur unter medizinischen, sondern auch unter kaufmännischen Kriterien erfolgreiche Praxis zu führen.
Man wird sich also immer auf einen mehr oder weniger faulen Kompromiss einigen müssen. Der heilige Bürokratius verlangt es im Extremfall sogar, gegen ein bestehendes Gesetz verstoßen zu müssen, um ein anderes befolgen zu können. Aber das ist nun mal der Alltag.

In der Klinik sieht es nicht viel anders aus. Da werden z.B. aus Personalmangel Tätigkeiten durchgeführt, die man aufgrund der Ausbildung und Einstufung gar nicht machen dürfte und und und.

Manchmal wundere ich mich, dass nicht noch viel mehr Fehlleistungen oder Zwischenfälle passieren. Wobei ich erhebliche Vorbehalte gegen das Wort "passieren" habe. Nichts passiert einfach so, sondern es wird durch irgendjemanden oder irgendetwas verursacht.:-meinung

John Silver
29.05.2009, 17:42
Lügen ist auf jeden Fall schlecht. Es ist m.E. aber auch gar nicht notwendig, eine wirklich komplette körperliche Untersuchung durchzuführen. Fokussierte Untersuchung ist das Zauberwort. Lunge und Herz kann man auch bei einem Patienten mit Hämorrhoiden abhören - aber eine Prüfung des Integuments oder des LK-Status' halte ich für unsinnig. Für eine wirklich komplette körperliche Untersuchung braucht man mindestens eine halbe Stunde - und die hat man nun mal nicht.

Confused
30.05.2009, 14:08
Lügen ist auf jeden Fall schlecht. Es ist m.E. aber auch gar nicht notwendig, eine wirklich komplette körperliche Untersuchung durchzuführen. Fokussierte Untersuchung ist das Zauberwort. Lunge und Herz kann man auch bei einem Patienten mit Hämorrhoiden abhören - aber eine Prüfung des Integuments oder des LK-Status' halte ich für unsinnig. Für eine wirklich komplette körperliche Untersuchung braucht man mindestens eine halbe Stunde - und die hat man nun mal nicht.

:-dafür

Leider sehen dies aber nicht alle Oberärzte so...

icespeedskatingfan
30.05.2009, 14:52
:-dafür

Leider sehen dies aber nicht alle Oberärzte so...

Dann lass sie meckern, - kann dich vor der Dokumentation erfundener Befunde nur ganz dringend warnen. Abgesehen von juristischen Fallstricken ist es fahrlässig dem Patienten gegenüber. Der HA der den Entlassbrief liest geht von der Richtigkeit der Befunde aus!
Wichtig ist eine ausführliche Anamnese und eine daran orientierte sinnvolle körperliche Untersuchung.
Und für die Dinge auf die in Deiner Abteilung besonderen Wert gelegt wird leg Dir eine Checkliste an.

Confused
30.05.2009, 15:31
Dann lass sie meckern, - kann dich vor der Dokumentation erfundener Befunde nur ganz dringend warnen. Abgesehen von juristischen Fallstricken ist es fahrlässig dem Patienten gegenüber. Der HA der den Entlassbrief liest geht von der Richtigkeit der Befunde aus!
Wichtig ist eine ausführliche Anamnese und eine daran orientierte sinnvolle körperliche Untersuchung.
Und für die Dinge auf die in Deiner Abteilung besonderen Wert gelegt wird leg Dir eine Checkliste an.

"Erfundene" Befunde mein ich ja nicht - würde ich persönlich nie machen, auch wenn es vielleicht "offensichtlich" scheint dass eine junge Patientin mit ner Radiusfraktur wohl kaum einen positiven Babinski hat. Man wird jedoch schon irgendwo durch den Druck dazu gedrängt, gewisse Untersuchungen so schnell über die Bühne zu bringen, dass es im Endeffekt eigentlich besser wäre, es gar nicht erst zu untersuchen und auch demenstprechend zu notieren. Bin aber absolut einverstanden mit den bisher geäusserten Meinungen, dass man sich hier keinesfalls zur Fahrlässigkeit verleiten lassen soll.

John Silver
30.05.2009, 15:57
:-dafür

Leider sehen dies aber nicht alle Oberärzte so...

Naja, ich kenne auch einige Leute, die die körperliche Untersuchung viel zu schlampig durchführen - es gibt immer Ausreißer in beide Richtungen ;-)

Man muß die Sache differenziert sehen. Es gibt halt Untersuchungen, die, unabhängig vom Resultat, keine diagnostische oder therapeutische Konsequenz ergeben. Wenn eine solche Untersuchung Geld kostet, und/oder mit Strahlenbelastung verbunden ist, und/oder Arbeitskräfte bindet - dann wird gaaanz schnell Abstand davon genommen; und wenn man eine solche Untersuchung dennoch durchführen will, bekommt man eine gerechtfertigte Abfuhr. Wenn es jedoch um eine Untersuchung handelt, für die lediglich Zeit des Assistenten draufgeht, sind alle plötzlich gaaanz sicher, daß, sollte diese Untersuchung nicht durchgeführt werden, gaaanz bestimmt irgendeine böse-böse Sache übersehen wird.

Andererseits ist m.E. nicht in Ordnung und recht peinlich, wenn man einen Patienten an Hämorrhoiden operieren will, und dieser von der Anästhesie zurückgeschickt wird, weil er ein abklärungsbedürftiges Herzgeräusch o.ä. hat.

WackenDoc
30.05.2009, 22:36
Ich fand den Begriff "Grob orientierend unauffällig" immer ganz praktisch. Grad beim neurologischen Status. Also junger Patient, der sich normal mit mir unterhalten konnte, offensichtlich orientiert. Wo´s um nix neurologisches ging.

Wir haben auf der Inneren bei der Aufnahme immer Herz und Lunge ausführlicher gemacht. Wenn du bei Lunge abhören bist, kannste gleich Nierenlager auf Klopfschmerz untersuchen. Abdomen haben wir palpiert, auf alle 4 Quadranten gehört, Leber und Milz palpiert (wobei Milz meist nicht tastbar war). Puls hab ich immer selber gemacht, auch wegen der Rhythmik, RR von den Schwestern übernommen, LK nur wenn indiziert, orthopädischer Status nur grob orientierend, Haut genauso usw.
Wir hatten aber auch so nen Aufnahmebogen, da was alles vorgedruckt, da konnte man nix wichtiges vergessen.

Ophtalmoplegie
31.05.2009, 05:57
Wenn wir schon dabei sind- wie ists mit der Dokumentation von Negativbefunden?!

Kommt z.B. ein Kind mit hohem Fieber ohne Fokus, schreib ich schon gerne auf, "keine Petechien", "keine meningitischen Zeichen", etc...
Einfach auch, um vielleicht nachweisen zu können, dass man drauf geachtet hat.
Kann man ja nun aber auch nicht mit jedem Negativbefund machen...

Praia-do-Forte
31.05.2009, 08:50
Das mit den Negativ-Befunden mach ich auch, übrigens auch bei der Anamnese.
Z.B. "Kein MI, kein Apoplex, keine Thrombose".
Dies besonders da die älteren Patienten gerne mal was vergessen zu erwähnen und ich somit die wichtigsten Sachen nochmal konkret nachfrage. Und wenn man später Entscheidungen zu treffen hat, wie z.B. OAK, dann ist es ja schon entscheidend ob evtl. schon ein Apoplex oder TVT in der EA ist...

Muriel
31.05.2009, 08:52
Wenn diese Symptome Hinweis auf eine wichtige DD sind, dann dokumentiere ich auf jeden Fall auch Negativbefunde. Damit ist sicher, dass darauf geachtet wurde und dass eine DD eher unwahrscheinlich ist oder dass z.B. ein bestimmtes Stadium einer Erkrankung nicht erreicht ist.