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surfsmurf
01.06.2009, 21:14
Petersilie und Basilikum

Er stand auf dem Balkon und ihr Geruch lag immer noch in der Luft. Vor wenigen Augenblicken erst war sie gegangen, sie waren gemeinsam aufgewacht, sie hatte ihn auf die Stirn geküsst und war ins Bad gegangen. Er hörte das Wasser laufen, sie sang leise. Die Tür fiel ins Schloß, er hatte sich im Bett noch einmal umgedreht und war wieder eingeschlafen. Und nun stand er mit einem Becher Kaffee auf dem Balkon, betrachtete die Küchenkräuter, Petersilie und Basilikum, die sie eines Abends gemeinsam gekauft hatten, weil sie etwas kochen wollten. „Der größte Mist“, hatte sie lachend gesagt, „wird genießbar, wenn man ihn verfeinert.“ Sie hatte ihm über die Wange gestrichen und in diesem Moment hatte er gedacht, dass er noch nie jemand so geliebt hatte wie sie. Er schaute auf die gelben und roten Pflanzen im Blumenkasten vor ihm, ihren Namen hatte er vergessen, er hatte sich nie für Blumen interessiert. Sie hatten vorletzten Sonntag vor seiner Tür gestanden, mit einem kleinen Zettel, als er gerade Brötchen und die Zeitung holen wollte. „Farbe für dein Leben,“ hatte auf der Notiz gestanden, sie wusste, was ihm fehlte.

In the morning, when the moon is at its rest, you will find me at the time I love the best, watching rainbows, play on sunshine, pools of water iced cold nights, it‘s the morning, the morning of my life.

Auf einer Party von Moritz waren sie in der Küche ins Gespräch gekommen, weil beide ein leeres Glas suchten, er hatte einen harmlosen Witz gemacht, sie hatte ihn belustigt angeschaut, sie verloren sich im Menschengewühl der Wohnung. Tage später sah er sie auf der anderen Strassenseite und ging zu ihr hinüber. Stundenlang hatten sie danach auf seinem Balkon in den alten Rattanstühlen gesessen, geredet, getrunken, gelacht. Irgendwann war sie aufgestanden, hatte sich eine Zigarette angezündet, an das Geländer gelehnt und auf die Stadt geschaut. Er hatte sich hinter sie gestellt, eine Zeitlang nichts gesagt, ihr beim Atmen zugehört und nach Momenten, die wie Ewigkeiten schienen, seine Arme um ihren Bauch gelegt. Bei dieser Frau war es leicht gewesen, alles, das Reden, das Zuhören, bei ihr war einfach, was sonst so unendlich schwer fiel. Er spürte das rhythmische Heben und Senken ihres Bauches. Sie drehte sich nach ein paar Atemzügen zu ihm um, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn, er versank in ihren Lippen wie in Treibsand, er ließ sich ein in die Versuchung einer Zukunft, die in ihren Küssen lag.

Der Kaffee dampfte in den verregneten Sonntagmorgen hinein und er sah auf die erwachenden Lichter der Stadt, die ihm anfangs so fremd, so groß und unheimlich vorgekommen war und in der er sich nun zuhause fühlte. Er erinnerte sich an die Busfahrt mit der Linie 10 vor einigen Monaten, in der ihn die drei Jugendlichen fast verprügelt hatten, wenn der Bus nicht in dem Moment an der Endhaltestelle angekommen wäre und der Fahrer streng zum Aussteigen ermahnt hätte. Er dachte an die Angst, die er damals hatte und daran, daß er in diesem Moment glaubte, niemals in dieser Stadt anzukommen. Er lachte still in sich hinein; wie falsch er gelegen hatte. Beate, Moritz, Claudia, Stefan. Sie alle hatten sich hier kennengelernt, sie hatten ihn berührt und verändert. Mehr kann man auf der Welt nicht erwarten, jemanden sehen und sich verbunden fühlen. Ein paar Momente nicht nur gemeinsam erleben, sondern teilen. Etwas Großes, Unsagbares, daß einen erschüttert bis ins Mark und nur dadurch zu etwas Großem wird, weil neben einem jemand sitzt, der auch bis ins Mark erschüttert ist, weil man Trost findet in seinen Augen und ein Versprechen, dass alles nicht so schlimm kommen wird.

In the daytime, I will meet you as before, you will find me in the soft wind down beside the ocean shore, building castles in the shifting sands in a world that nobody understands, it‘s the morning, the morning of my life.

Er dachte an die zahllosen Nächte der bodenlosen Traurigkeit, in die er hineinfiel wie in einen stillgelegten Brunnenschacht. Nächte, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen, die einen ohne Vorwarnung in die Dunkelheit schiessen wie ein menschliches Projektil. Nächte, die man nur erträgt, wenn man singt oder trinkt oder weint oder schreit oder so lange rennt, bis die Lungen und Beine brennen und man sich keuchend an einem Laternenpfahl festhält, um sich in seinem gelben Licht auszuruhen. Nächte, in denen man sehnsüchtig etwas vermisst, was man nie hatte. In denen man weiß, daß man es auch nie haben wird und meint, daran zu zerbrechen. Und man ruft jemanden an, legt eine Platte auf oder liest ein Buch, weil man auf Antworten hofft, auf Rettung, von der man im tiefsten Innern weiß, dass es sie nicht geben wird.

Er dachte an die zahllosen Nächte der kleinen Augenblicke des Glücks, in die er einfach eingetaucht war. Nächte, in denen man mit Menschen loszieht, mit denen man sich unbesiegbar fühlt. Loszieht in der Vorahnung, dass einen die Nacht verschluckt, herumwirbelt, dass man sich treiben lässt ohne Angst, die Kontrolle zu verlieren, sondern im Vertrauen, dass alles, was passieren wird, gut ist und richtig, wie schlecht und falsch es auch sein mag. Nächte, in denen man an der Bar steht, die Bässe in den Eingeweiden hämmern und man einer schönen Frau dabei zuguckt, wie sie selbstverloren in der Musik aufgeht. Nächte, in denen man nach dem Tanzen gemeinsam noch etwas Essen geht, sich dann anguckt und grinst, und auf einmal müssen alle lachen, bis die Tränen kommen. In denen man mit dem letzten Bier auf einer Mauer sitzt und auf das Wasser guckt, bis einer aufsteht, einem wortlos die Hand auf die Schulter legt und nach Hause geht und man lächelt und guckt weiter auf das Wasser, weil man verstanden hat.

In the nightime, I will fly you to the moon, in the top right-hand corner of my room, there I‘ll stay till the sun shines on a another day, play on clothes lines, may I be yawning, it‘s the morning of my life, it‘s the morning of my life.

Lara war weg. Sie waren beide nicht gut im Abschied nehmen, deswegen waren sie einfach gestern abend in das Café zwei Strassen weiter gegangen, hatten sich im Schein der billigen Teelichter schweigend unterhalten und ein Bier nach dem anderen getrunken. Danach weiter in die alte Fabrik, in der inzwischen neben den alten Maschinen Sofas standen und eine Bar, der DJ hatte genau den Club-Jazz gespielt, den sie so liebte, sie hatten getanzt und kein Wort gesagt. Sie hatten sich einfach zur Musik bewegt, den Rhythmus in sich aufgesogen wie Zigarretten, hatten sich zwischendurch auf den Sofas ausgeruht und die Leute beobachtet. Viel früher als normal waren sie verschwitzt ins Taxi gestiegen, er hatte sich gegen das Seitenfenster gelehnt und sich gewundert, dass es sich warm anfühlte, warm in dieser kalten Nacht. Er schloß die Augen und lauschte der Musik der Nacht, dem leisen Fiepen in seinen Ohren. Als sie zuhause waren, zogen sie sich wortlos aus und schliefen miteinander. Er hatte auf ihr gelegen, sich kaum bewegt und ihr die ganze Zeit in die Augen gesehen. Wenn man sich kennenlernt, hatte er gedacht, erscheint die Zeit, die vor einem liegt, so endlos, so weit. Als er tief atmend auf sie zusammengesunken war, fuhr er über ihre Wange, ihren Mund, ihren Hals und die Grube zwischen den Schlüsselbeinen, ihren Bauch, über die blonden Härchen ihrer Arme. Er wunderte sich, dass dieser Körper, den er schon so oft berührt hatte, so neu war für ihn, als würde er ihn das erste Mal berühren. Als er sie küsste, schmeckten ihr Lippen nach Tränen, feucht und salzig. Bilder schossen ihm durch den Kopf, kleine Momente, die sie zusammen erlebt hatten, den Tag am See mit dem kaputten Schlauchboot, die kleine Pension in Rom mit der dicken Vermieterin und dem Schimmelfleck an der Wand, wie sie nackt seine Wohnung gestaubsaugt hatte, der Streit über ihren Ex-Freund, die schlaflose Nacht in Barcelona. Tausend kleine Blitzlichter in seinem Kopf, wie ein Sternenhimmel erschienen sie ihm, ein glitzerndes Mobile der Erinnerungen, aufgereiht auf dem feinen Faden der Zeit, ein Mosaik des Vergangenen.

Bevor er Luft holen konnte, sagte sie: „Ich weiß.“ Sie hatten still geweint, sich festgehalten, bis sie nicht mehr atmen konnten. Acht Monate würden sie sich nicht sehen, weil sie ans andere Ende der Welt flog, und beide waren klug genug, um zu wissen, dass sich in acht Monaten alles ändern kann, alles, sogar das hier. Sie wussten nicht, wie es weiter gehen würde, sie konnten sich nur schweigend ansehen, schweigend, weil Worte nichts vermochten, Worte würden nichts bedeuten, das wussten sie beide und deswegen schwiegen sie.

It‘s the morning of my life, it‘s the morning of my life.

Die letzten Akkorde von In the morning, das Publikum jubelte aus den Lautsprecherboxen. Er schaute wieder auf die Lichter der Stadt, schüttete den Rest des inzwischen kalten Kaffees in den Basilikum und ging nach innen, ohne die Balkontür zu schließen.

mirari
01.11.2009, 01:10
Wundervoll... Du hast den Zeitgeist in Worte gehüllt und mich echt tief berührt, dafür möchte ich dir danken!

Flemingulus
01.11.2009, 17:28
... und ich hoffe ja noch auf eine Fortsetzung! (unbenommen jedweder literarischer Gründe natürlich auch aus Herzensgründen... :-) )