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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Onkologen im Hause?



Confused
03.06.2009, 09:44
Hey zusammen,

hats hier im Forum jemanden der in der Onkologie arbeitet? Hätte da ein paar Fragen:-)

Ich habe im Ausland einen Monat Onkologie gemacht und es hat mir fachlich auch sehr gefallen. Allerdings war ich da vor allem 'nem Oberarzt angehängt, d.h. wir machten hauptsächlich Visite, Sprechstunde und Rapporte - vom "Stationsalltag" habe ich im Nachhinein betrachtet eher wenig mitbekommen.

Daher meine Fragen (mir ist klar, dass dies alles von Spital zu Spital stark verschieden sein kann):

- Wie sieht der Alltag in der Onkologie aus? Gibt es viele Prozeduren durchzuführen (und welche v.a.), oder sind es eher viele Gespräche etc.? Wie hoch ist der "Patientenumsatz", d.h. wie lange bleiben die Patienten so im Schnitt?

- Wie siehts mit der emotionalen Belastung aus? Ich habe in meinem Monat das eher so empfunden, dass die Kontakte zu den Patienten grösstenteils sehr positiv, vertrauensvoll und erfüllend waren, selbst in teilweise hochpalliativen Situationen... aber wie siehts auf Station aus? Zieht einen das mit der Dauer runter? Die Burnout Rate soll ja auch sehr hoch sein unter den Onkologen...

- Mir ist klar dass die Onkologie ein arbeitsintensives Fach ist, aber trotzdem: mit wievielen Std pro Tag muss man ca. rechnen, und wieviele Stunden noch mit Fachlektüre? In Forschung up to date zu sein ist ja unverzichtbar in diesem Fach..

- Kommt man in der Onkologie auch zum mikroskopieren (ausserhalb der Forschung), oder fällt das ganz weg? Ich meine jetzt nicht die Hämatologie, sondern die Onko inkl. Lymphome (bin Schweizer, bei uns ist das ja getrennt)...

Überlege mir derzeit in welche Fachrichtung es gehen soll, und denke dass mir die Onkologie ganz gut gefallen könnte. Wäre aber froh um jegliche Rückmeldung!

Harvey
03.06.2009, 11:42
Hallo,
kann von meiner 4-Monate-PJ auf der Hämato-Onkologie und viel Erleben in der Palliativmedizin sagen:

- Onkologie ist wirklich ein spannendes und bisweilen schönes Fach. Alltag auf Station bedeutete zum einen Patienten mit neu aufgetretener Symptomatik zu diagnostizieren, wobei da der Hauptteil erst losgeht, wenn es klar ist, dass etwas Malignes besteht. Denn dann folgt der ganze Kram zur Ausbreitungsdiagnostik. Also schon einige Arbeit, immer alles anmelden und zu sammeln. Deshalb bleiben die Patienten schon länger als die üblichen Innere-Patienten.
Richtig los mit dem Onkologiepatienten geht es aber erst, wenn die erste Chemo/Strahlen oder sonstige Therapie begonnen hat, denn dann zeigt sich die wahre Kunst der Onkologie und die größte Aufgabe auf Station: Behandlung der Therapienebenwirkungen sowie der Tumorsymptome. Da siehts du dann die Medizin in allen Facetten, wenn dir immunsupprimierte fast die halbe Mikrobiologie präsentieren können, sofern keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden; oder wie Tumoren ebenfalls eindeutige Symptome machen. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, die Onkologen sind die letzten wirklichen Generalisten der Inneren oder sogar der Medizin.

- Aufgaben sind auf der Onkologiestation vielfältig neben dem oben beschriebenen: häufig Blutentnahmen besonders ab Therapie. Venen zu finden, bei durch therapiezerstörten Venen ist da ziemlich nervaufreibend. Wobei auf der anderen Seite gibt es ja den Port für Infusionen, große Hilfe, wenn auch Infektionsherd.
Diagnostik wie Ultraschall und Knochenmarkspunktion, wobei das Mikroskopieren eher für die hämatologischen Erkrankungen gemacht wird. Soweit ich weiß sind für das onkologische Mikroskopieren eher nur die Pathologen da.

- den Kontakt zu den Patienten empfand ich auch als sehr positiv - sie sind im Gegensatz zu anderen (Innere-)Fächern nicht schon wieder nach drei Tagen weg. Man baut wirklich eine Art Arzt-Patienten-Verhältnis auf. Gespräche sind am Anfang länger, besonders in der Diagnostikphase. Wobei ich in der Palliativmedizin mehr Gespräche geführt habe als in der Onkologie. Hinzu kommt, dass ja meist die erste Chemo auf Station gegeben wird und später die Chemozyklen ambulant. Doch nicht wenige kommen wegen der Risiken doch auf Station, so dass du die Patienten immer wieder siehst, den Verlauf mitbekommst, die Eigenheiten kennst - also ähnlich der Hausarztmedizin. Empfand das als sehr nett und kam mir nicht wie ein Fließbandarbeiter vor. Manche Pflegekraft hat die Patienten wie ein altes Familienmitglied begrüßt.

- wie die Atmosphäre auf Station ist, ist natürlich von Haus zu Haus sehr unterschiedlich, aber auf der Onkologiestation und besonders der Palliativstation, wo ich war, war die Stimmung super. Es geht um schwere Erkrankungen und auch wenn du nicht mehr kurativ wirken kannst, dann sind Patienten oft schon ziemlich glücklich, wenn du die Symptome unter Kontrolle kriegst.

- Zeitaufwand ist schon groß, besonders aufgrund der Krisenarbeit, also wenn bei einem Patienten plötzlich neue Symptome entstehen wegen des Tumors oder der Therapienebenwirkung - du hast jeden Tag wieder neue Arbeit, die du natürlich auch voraussehen kannst je nach Tumor und Therapie. Jedenfalls diese Sachen bedürfen einen Großteil deiner Zeit und bringen den normalen Ablauf durcheinander. Zudem kommen längere Patientengespräche als in anderen Fächern.
Dafür ist der Patientendurchlauf im Gegensatz zu anderen Fächern geringer - Patienten bleiben länger. Bedeutet weniger Aufnahmen und Entlassungen. Also nicht so viele Brief - die dafür länger (Diagnostik und Verlauf). Jedoch Vorteil ist, wenn die Patienten wiederkommen, bauen die neuen Briefe auf die alten auf.

- Literatur: das Gebiet Onkologie/Hämatologie ist wirklich erstaunlich umfangreich, wobei ich die Hauptarbeit eher in der Symptomkontrolle und Therapienebenwirkung sehe. Die reichen dann quasi in alle fachbreiche rein. Zum Beispiel Bronchialkarzinom mit Metastasen im Kopf oder Knochen, dann hast du ja lauter neurologische Symptome plus Therapie.

- wenn du schon Gefallen hattest an der Onkologie während der Oberarztbegleitung, wird dir die Assistentenzeit auch gefallen - besonders wenn dir der Patientenkontakt gefällt. Mit Gesprächen kann man keinen Tumor wegmachen, doch viele vergessen, wie wichtig die Moral des Patienten ist und die kannst du durch ein einfaches Gespräch enorm steigern - hatte also auch selbst das Gefühl, etwas tun zu können und nicht nur einfach Chemo anzuhängen. Und um es noch etwas Pathetisch auszudrücken: in der Onkologie hatte ich wirklich den Eindruck - im Gegensatz zu vielen anderen Fächern - da wird der Mensch ganzheitlich gesehen.

- möchte jetzt nicht ein reines Loblied auf die Onkologie singen, wie man die Situation in der Onkologie verarbeitet ist bei jedem anders. Glaube aber viele sind aufgrund von Unkenntnis abgeschreckt - mehr noch gegenüber der Arbeit in der Palliativmedizin. Deshalb ist wohl auch die Stellensituation so ideal.

Evil
03.06.2009, 18:10
Nach 8 Monaten Onko mein Senf (wobei ich vorher anmerken muß, daß mich die ganzen Chemos eigentlich nicht wirklich interessieren, ich aber im Rahmen der hausinternen Rotation hier gelandet bin):

- Patientenumsatz eher niedrig, lange Liegezeiten, an Diagnostik und Therapie wird alles gemacht, was gut und teuer ist, da die Kassen die meisten Tumortherapien anstandslos zahlen (obwohl das zu den richtig teuren Dingen in der Medizin zählt)

- auf Station bekommst Du eher eine Negativselektion an Patienten; die kurativ behandelbaren laufen eher ambulant, außerdem siehst Du die idR logischerweise nur einmal; dagegen kommen die ganzen palliativen Patienten regelmäßig wieder.
Palliativmedizin macht hier einen sehr großen Teil der Stationsarbeit aus, wobei meine persönliche Erfahrung mit Onkologen zumindest hier nicht so gut ist. Zwar wird hervorragende Schmerz- und supportive Therapie gemacht, aber bei langjährigen Patienten wird oft bis zum allerletzten Moment noch eine Chemo mit Antibiose nachgeschoben (Zitat meines Onko-Chefs:"Eine milde Chemo geht immer!" :-kotz), weil die Ärzte nicht "loslassen" können. Dann wird der Patient noch zu was überredet, obwohl er eigentlich in Frieden sterben möchte.

- wenn Du einen kompetenten OA hast, hält der Dich gut auf dem Laufenden, Du kriegst die aktuellen Therapieschemata ja direkt mit; Arbeit gibt es auch nicht mehr als auf internistischen Stationen

- mikroskopiert werden bei uns direkt eigentlich nur Blut- und Knochenmarksausstriche, und auch das nur, wenn Du da selber großes Interesse dran hast; da ich Histo immer schon gehasst hab :-)), bleibt mir das erspart. Lymphome und die soliden Tumoren werden von der Patho aufgearbeitet und häufig in spezialisierte Zentren weiterverschickt

@ Harvey: also, die Onkologen, die ich kenne sind eher KEINE Generalisten; da wird bei Infektion unter Immunsuppression stur Piperacillin/Combactam gegeben, bei Nichtanschlagen dann auf Meropenem ausgewichen (oder je nach Antibiogramm was anderes), und wenn das immer noch nicht hilft, ist der Patient bis dahin tot. Von z. B. Kardiologie/Rhythmologie haben die eher keine Ahnung.
Aber das ist wie immer von Arzt zu Arzt und von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich.

Mir persönlich hat die Palliativmedizin eine Menge gebracht. Onkologie an sich werd ich aber niemals nicht auf Dauer machen.

Confused
07.06.2009, 12:15
Vielen Dank für eure ausführlichen Mitteilungen!:-top


Sonst noch jemand hier mit onkologischer Erfahrung?

davemed
09.06.2009, 08:39
Hey,
ich bin zwar noch nicht fertig, aber ich will später auf jeden Fall onkologisch tätig sein.
Ich habe einen Monat in der Strahlentherapie und einen Monat in einer interdisziplinären onkologischen Ambulanz (v.a. internistisch geprägt) mit Tagesklinik famuliert.
Ich habe wie meine Vorredner den Kontakt mit den Patienten als sehr intensiv und sehr positiv empfunden. Anders als bei Patienten mit Diabetes, KHK etc. hatte ich hier wirklich das Gefühl, dass man „an einem Strang zieht“.
Natürlich besteht immer die Gefahr, dass man nicht loslassen kann, wenn man am Ende der therapeutischen Fahnenstange angekommen ist. Aber auch wenn nur noch supportive Maßnahmen indiziert sind, hat man trotzdem noch die Möglichkeit den Menschen das in dieser Situation wichtigste zu bieten, nämlich Linderung ihrer Beschwerden und damit Lebensqualität.
Strahlentherapie ist ein kleines Fach, allerdings bekommt man hier eine Bandbreite an onkologischen Erkrankungen wie in kaum einer anderen Disziplin geboten. Vom Glioblastom bis zum Analkarzinom, von der AML vor SZT bis zum Ewingsarkom ist alles dabei. Auch die Durchführung von Chemotherapien gehört in der Strahlentherapie zum Tagesgeschäft.
Man muss sich sicherlich mit der technischen Seite des Faches anfreunden (Bestrahlungsplanung etc.), bekommt aber dafür sehr gute Arbeitsbedingungen und Karrierechancen geboten. Entgegen aller Vorurteile sind die Möglichkeiten sich niederzulassen hervorragend (ohne Beschränkung!), für Geräte gibt es meist Leasingmöglichkeiten.
In der interdisziplinären Tumorambulanz fand ich es auch sehr interessant. An Unikliniken, die ihre onkologischen Patientenströme zunehmend in Tumorzentren bündeln, geht der Trend ganz klar zur Bildung von entitätenspezifischen „Kompetenzteams“. Für jedes gibt es eine eigene Sprechstunde mit entsprechenden Internistischen Onkologen/Strahlentherapeuten/Chirurgen. Außerdem gibt es meist SOP’s mit Behandlungsprotokollen für die Entitäten. Vielleicht beantwortet das deine Frage zur Literatur zum Teil.

Grüße!
David