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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Künstlerisches und naturwissenschaftliches im Arztberuf



Cheshire Cat
14.06.2009, 11:25
Hallo Leute,

Nach bestandenem Abitur bin ich mir gerade sehr unsicher, wie es weitergehen soll... Ein Medizinstudium wäre eine Möglichkeit von mehreren, genauso hab ich seit längerem Interesse für Mathematik oder eine Kunsthochschule. Was den Beruf (nicht das Studium) des Arztes anbelangt, hätte ich im Grunde zwei Bereiche von Fragen an euch, da ich den Berufsalltag kaum einschätzen kann:

I) Fühlt ihr euch in eurem Beruf auf irgendeine Weise "kreativ"? Oder wird zumindest von euch Kreativität gefordert? Nicht nur auf künstlerische Arbeit beschränkt, sondern müsst ihr euch bei "Problemlösungen" aller Art auch mal Neues einfallen lassen, bzw. alte Konventionen ablegen? Oder ist der Patient im Grunde nur nach Schema zu behandeln, bis seine Krankheit zugeordnet werden kann? Könnte man bei einem chrirurgischen Fach eventuell von mehr "kreativer Handarbeit" sprechen? Ich weiß, ein Patient sollte nicht undbedingt zu künstlerischen Nahtmuster-Übungen missbraucht werden... :-)) Aber ich eher allgemein, fühlt ihr euch auf geistiger Ebene herausgefordert?
In einigen Threads hab ich schon ähnliche Entscheidungsprobleme gelesen, z.B zwischen Medizin und Schauspielschule - Ich weiß nicht, ob hier einige Ärzte auch mal in einer solchen Situation waren, aber könnt ich von euch behaupten, heute noch (eventuell neben dem Arztberuf) Zeit für Kunst und Muse zu haben? Theater Spielen ist vermutlich sehr zeitaufwändig, aber wie sieht es mit Fotographieren, Zeichnen, vielleicht sogar in einer bestimmten Szene aktiv Sein aus? Oder fängt man bei solchen Interessen lieber gleich ein Kunststudium an? :\

II) Die andere Seite sind die Naturwissenschaften. Das Medizinstudium kommt mir so vor, als geht es nicht umbedingt um (analytisches) Denken, eher meist nur um Nachvollziehen und auswendig Lernen. Soweit, so gut, aber geht es im (klinischen) Beruf ähnlich weiter? Klar, eine Forderung besteht sicher darin, dass Gelernte nun auch anzuwenden, aber wenn ich mich wirklich noch mehr mit Naturwissenschaften beschäftigen will, muss ich wohl zwangsweise in die Forschung gehen, oder? Aber selbst da spielt vermutlich vor allem Biologie und Chemie eine Rolle? Sollte ich, wenn ich eher technisch visiert bin, lieber gleich Medizinische Informatik (o.ä.) studieren, oder gibt es Möglichkeiten, nach Humanmedizin da noch irgendwie in die Sparte zu kommen (e.g. als Radiologe)?

Das Problem sind irgendwie zuviele Interessen, und keines will ich so richtig zugunsten eines anderen aufgeben :\

Espressa
14.06.2009, 13:29
Hey Cat,

interessante Fragen.

Was mich betrifft, ich finde durchaus dass Medizin einen kreativ fordert. Zumindest operative Fächer bringen immer wieder handwerkliche Aufgaben, die oft sehr individuell zu lösen sind. Und eine Rekonstruktion oder Hautverschiebeplastik nach Tumorentfernung ist immer wieder eine "Kunst".
Das mit dem Auswendiglernen möchte ich auch mal entkräften, natürlich muss ein Arzt im Alltag auch denken, Zusammenhänge erkennen, feine Zeichen wahrnehmen, viele Informationen verknüpfen und abwägen. So oft auch Patienten mit "leichterkennbaren" Krankheiten kommen, die man mehr oder weniger nach Schema behandelt, so kommen doch immer wieder auch etwas ausgefallene Fälle die ausgefallene Lösungen brauchen.
Auch denke ich dass man in der Medizin, so man besonders (natur)wissenschaftlich motiviert ist, dies ausleben kann und in der Forschung glücklich werden kann.

Gegen reine Kunststudien spricht m.E. vor allem die mangelnde Aussicht auf Berufsausübung, mit der sich das Leben auch finanzieren lässt.
Ich male auch, und auch wenn ich jetzt nicht mehr so viel Zeit dazu habe- es ist ein Hobby das man auf alle Fälle auch nebenbei erhalten kann.
Dann kenne ich noch einige Ärzte die in Bands spielen, Lieder schreiben und auftreten, geht auch.


Aber letzten Endes musst du deine Prioritäten selbst setzen, und überlegen was dir am wichtigsten ist.
Jedenfalls wirst du, sofern du dich für Kunst oder ein naturwissenschaftliches Fach entscheidest, nicht Medizin "nebenbei" machen können, so wie im umgekehrten Fall.

lg espressa

Cheshire Cat
14.06.2009, 15:54
Espressa, vielen Dank für deine Antwort! Darf ich fragen, in welcher Fachrichtung du arbeitest, bzw. welche du anstrebst? Deine Erfahrungen klingen richtig gut, also, dass immer wieder Abwechslung zustande kommt durch Patientenfälle oder Improvisation bei einer OP. Spricht wohl für die operativen Fächer... Wenn der Arztberuf in allen Fällen abwechslungsreich werden würde, wäre ich sofort dabei - Haben hier einige von euch auch umgekehrte Erfahrungen gemacht?


Jedenfalls wirst du, sofern du dich für Kunst oder ein naturwissenschaftliches Fach entscheidest, nicht Medizin "nebenbei" machen können, so wie im umgekehrten Fall.

Definitiv ein Argument.

John Silver
14.06.2009, 21:54
I) Fühlt ihr euch in eurem Beruf auf irgendeine Weise "kreativ"? Oder wird zumindest von euch Kreativität gefordert? Nicht nur auf künstlerische Arbeit beschränkt, sondern müsst ihr euch bei "Problemlösungen" aller Art auch mal Neues einfallen lassen, bzw. alte Konventionen ablegen? Oder ist der Patient im Grunde nur nach Schema zu behandeln, bis seine Krankheit zugeordnet werden kann? Könnte man bei einem chrirurgischen Fach eventuell von mehr "kreativer Handarbeit" sprechen? Ich weiß, ein Patient sollte nicht undbedingt zu künstlerischen Nahtmuster-Übungen missbraucht werden... :-)) Aber ich eher allgemein, fühlt ihr euch auf geistiger Ebene herausgefordert?

Na klar. Schema F ist etwas, was einem von Politik, Krankenkassen und Defensivkünstlern aus dem Amiland aufgezwungen wird - aber es ändert nichts an der Tatsache, daß jeder Patient anders ist. Jede noch so kleine OP ist anders. Wenn man nicht in der Lage ist, vom Standardschema abzuweichen und sich etwas einfallen zu lassen, was nun mal als Kreativität definiert ist, dann wird man ganz sicher kein guter Arzt.


In einigen Threads hab ich schon ähnliche Entscheidungsprobleme gelesen, z.B zwischen Medizin und Schauspielschule - Ich weiß nicht, ob hier einige Ärzte auch mal in einer solchen Situation waren, aber könnt ich von euch behaupten, heute noch (eventuell neben dem Arztberuf) Zeit für Kunst und Muse zu haben? Theater Spielen ist vermutlich sehr zeitaufwändig, aber wie sieht es mit Fotographieren, Zeichnen, vielleicht sogar in einer bestimmten Szene aktiv Sein aus? Oder fängt man bei solchen Interessen lieber gleich ein Kunststudium an? :\


Es ist sicher kein Problem, neben dem Beruf Zeit für Kunst o.ä. zu haben - aber nur als Hobby, soviel ist klar.


II) Die andere Seite sind die Naturwissenschaften. Das Medizinstudium kommt mir so vor, als geht es nicht umbedingt um (analytisches) Denken, eher meist nur um Nachvollziehen und auswendig Lernen.

Man muß die Pathophysiologie und die Pathobiochemie nachvollziehen können, und man muß vieles einfach auswendig lernen, weil's auch aufs Faktenwissen ankommt. Doch das, was man nachvollzogen und gelernt hat, muß man anwenden können, sonst ist all das Wissen nutzlos. Und genau hier kommt es auf analytisches Denken an. Die Differentialdiagnostik ist ein Paradebeispiel für die Anwendung analytischer Denkmuster.


Soweit, so gut, aber geht es im (klinischen) Beruf ähnlich weiter? Klar, eine Forderung besteht sicher darin, dass Gelernte nun auch anzuwenden, aber wenn ich mich wirklich noch mehr mit Naturwissenschaften beschäftigen will, muss ich wohl zwangsweise in die Forschung gehen, oder? Aber selbst da spielt vermutlich vor allem Biologie und Chemie eine Rolle? Sollte ich, wenn ich eher technisch visiert bin, lieber gleich Medizinische Informatik (o.ä.) studieren, oder gibt es Möglichkeiten, nach Humanmedizin da noch irgendwie in die Sparte zu kommen (e.g. als Radiologe)?

Das höre ich oft. Ich habe selbst ähnliche Überlegungen angestellt. Das naturwissenschaftliche Denken fiel mir immer leicht und gefiel mir auch, und ich war (und bin) technikbegeistert. Letztlich habe ich mich gefragt, ob ich wirklich eine naturwissenschaftliche Forscherkarriere oder die eines Medizininformatikers anstreben will. Ich habe mich genauer darüber informiert, wie das aussieht, und was man da später alles machen und erreichen kann; und ich erkannte klar, daß es nicht mein Ding war. Etwas Begeisterung für die Naturwissenschaften und ein Faible fürs Technische sind nicht zwangsläufig eine gute Grundlage für eine Karriere als Wissenschaftler oder Ingenieur.


Das Problem sind irgendwie zuviele Interessen, und keines will ich so richtig zugunsten eines anderen aufgeben :\

Du hast vielseitige Interessen? Toll, Du hast alle Voraussetzungen, um ein vielseitig gebildeter Mensch zu werden und dem Schicksal eines Scheuklappenbewehrten zu entkommen. Du denkst, daß die vielen Interessen irgendwie gleichwertig sind, und Du nicht weißt, wofür Du Dich entscheiden sollst? Das wird sich schnell legen, sobald Du die einzelnen Interessen gründlich betrachtet hast. Stelle Dir einfach eine Zukunft in 20 Jahren vor, und Dich in jeder einzelnen Karriere. Aber nicht durch die rosarote Grünschnabel-Brille betrachtet, sondern realistisch. Dann wirst Du schon wissen, was Du werden willst, und was nicht.

Espressa
14.06.2009, 22:12
Espressa, vielen Dank für deine Antwort! Darf ich fragen, in welcher Fachrichtung du arbeitest, bzw. welche du anstrebst? Deine Erfahrungen klingen richtig gut, also, dass immer wieder Abwechslung zustande kommt durch Patientenfälle oder Improvisation bei einer OP. Spricht wohl für die operativen Fächer... Wenn der Arztberuf in allen Fällen abwechslungsreich werden würde, wäre ich sofort dabei - Haben hier einige von euch auch umgekehrte Erfahrungen gemacht?

Mein Fach? Augenheilkunde. Und bereits jetzt mit einem deutlichen Faible für Lid-OPs. :-dance
Als Plastiker oder Unfallchirurg hat man aber vermutlich mehr zu basteln. ;-)

Und noch was fällt mir ein; manchmal ist es auch von Vorteil, wenn man doch auch ein wenig nach Schema arbeiten kann. Kreativität ist nun mal etwas das nicht an allen Tagen gleichermaßen vorhanden ist (spätestens wenn man es sein muss), und auch furchtbares Grübeln über einer Forschungs-Fragestellung kann mal nerven, merkt man spätestens bei der Doktorarbeit...

Cheshire Cat
15.06.2009, 09:29
@John Silver: Vielen Dank für die ausführliche Antwort -


Schema F ist etwas, was einem von Politik, Krankenkassen und Defensivkünstlern aus dem Amiland aufgezwungen wird - aber es ändert nichts an der Tatsache, daß jeder Patient anders ist. Jede noch so kleine OP ist anders. Wenn man nicht in der Lage ist, vom Standardschema abzuweichen und sich etwas einfallen zu lassen, was nun mal als Kreativität definiert ist, dann wird man ganz sicher kein guter Arzt.

Defensivkünstler aus dem Amiland? :-)) Bezieht sich das auf ihre Ausbildungsmethoden oder Mentalitäten?


Doch das, was man nachvollzogen und gelernt hat, muß man anwenden können, sonst ist all das Wissen nutzlos. Und genau hier kommt es auf analytisches Denken an. Die Differentialdiagnostik ist ein Paradebeispiel für die Anwendung analytischer Denkmuster.

Würdest du sagen, dass das analytische Denken für solche Aufgaben entweder da oder nicht da ist? Oder lässt es sich mit Üben und Erfahrung Sammeln verbessern?


Das höre ich oft. Ich habe selbst ähnliche Überlegungen angestellt. Das naturwissenschaftliche Denken fiel mir immer leicht und gefiel mir auch, und ich war (und bin) technikbegeistert. Letztlich habe ich mich gefragt, ob ich wirklich eine naturwissenschaftliche Forscherkarriere oder die eines Medizininformatikers anstreben will. Ich habe mich genauer darüber informiert, wie das aussieht, und was man da später alles machen und erreichen kann; und ich erkannte klar, daß es nicht mein Ding war. Etwas Begeisterung für die Naturwissenschaften und ein Faible fürs Technische sind nicht zwangsläufig eine gute Grundlage für eine Karriere als Wissenschaftler oder Ingenieur.

Finde ich sehr interessant zu lesen, gerade den letzen Satz. Stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Neigung zu Naturwissenschaften allein schon ausreicht, in einem solchen Fach wirklich gut zu werden... Wenn ich bedenke, mit welcher Einstellung einige Leute aus meiner Stufe tatsächlich technische Studiengänge wählen, komme ich mir auch eher weniger dafür geeignet vor.


Stelle Dir einfach eine Zukunft in 20 Jahren vor, und Dich in jeder einzelnen Karriere. Aber nicht durch die rosarote Grünschnabel-Brille betrachtet, sondern realistisch. Dann wirst Du schon wissen, was Du werden willst, und was nicht.

Nicht der schlechteste Rat...

@Espressa:


Kreativität ist nun mal etwas das nicht an allen Tagen gleichermaßen vorhanden ist (spätestens wenn man es sein muss), und auch furchtbares Grübeln über einer Forschungs-Fragestellung kann mal nerven, merkt man spätestens bei der Doktorarbeit...

Ziemlich gut nachzuvollziehen - Klar sollten von einem Arzt auch nicht 24 Stunden am Tag die genialsten Einfälle erwartet werden. Mir wäre nur Abwechslung wichtig: Manchmal schematisch vorgehen und manchmal nach Ideen suchen.

icespeedskatingfan
15.06.2009, 14:47
Kreativität ist den ganzen Tag gefragt, denn man hat es mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun. Während Patient A nur schnell gesund werden möchte, liegt Patient B seehr viel daran ein bisschen länger nicht zur Arbeit gehen zu müssen und Patient C verweigert jegliche Therapie, verlangt aber trotzdem" es muss doch endlich mal was passieren".
Schema F ging nicht mal selbst wenn alle Deine Patienten "nur ne Grippe" hätten.

Espressa
15.06.2009, 17:53
Kreativität ist den ganzen Tag gefragt, denn man hat es mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun. Während Patient A nur schnell gesund werden möchte, liegt Patient B seehr viel daran ein bisschen länger nicht zur Arbeit gehen zu müssen und Patient C verweigert jegliche Therapie, verlangt aber trotzdem" es muss doch endlich mal was passieren".
Schema F ging nicht mal selbst wenn alle Deine Patienten "nur ne Grippe" hätten.

Ich denke ein künstlerisch interessierter Mensch stellt sich unter Kreativität was anderes vor.
Was du beschreibst ist eher die Fähigkeit auf Menschen einzugehen und sie individuell zu behandeln.
Schemen funktionieren doch, Klassiker sind postop. Kontrollen - Checken aller notwendigen Punkte, Standardmedikation. Auch wenn es da Ausnahmen gibt, die meisten dieser Patienten sind doch "Standard". Und Häufiges ist eben auch häufig, sprich gewisse Erkrankungen kommen immer wieder und heilen immer wieder mit der selben Therapie.
Ein kreativer Beruf würde heißen, ständig was neues schaffen zu müssen. Als Maler ein vollkommen neues Bild zu malen, neue Geschichten zu schreiben etc. Da bist echt verloren wenn dir mal einen Tag nix einfällt, das hebelt dich bei Medizin aber noch lang nicht so aus.

:-meinung

icespeedskatingfan
15.06.2009, 18:23
ich hatte es eher so verstanden, das mit kreativ vor allem alles außerhalb der Routine gemeint ist.
... und Routine gibt´s bei unserem Job selbst bei der routiniertesten Tätigkeit nicht .
Künstlerisch.... ist allerdings nicht so gefragt - da hast Du Recht - das könnte ziemlich daneben gehen.;-)

John Silver
15.06.2009, 19:22
Defensivkünstler aus dem Amiland? :-)) Bezieht sich das auf ihre Ausbildungsmethoden oder Mentalitäten?

Es bezieht sich darauf, daß Klagen gegen Ärzte und Krankenhäuser im Amiland zum Volkssport gehören. Deswegen sind viele amerikanische Ärzte sehr defensiv in ihrer Vorgehensweise, um im Falle einer Klage möglichst gut dazustehen. Dazu zählt auch ein oft geradezu sklavisches Befolgen von Standardprozeduren und -abläufen.


Würdest du sagen, dass das analytische Denken für solche Aufgaben entweder da oder nicht da ist? Oder lässt es sich mit Üben und Erfahrung Sammeln verbessern?

Analytisches Denken kann man trainieren. Es ist jedoch sicher nicht von Nachteil, wenn man mit dieser Denkweise nicht auf Kriegsfuß steht.


Finde ich sehr interessant zu lesen, gerade den letzen Satz. Stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Neigung zu Naturwissenschaften allein schon ausreicht, in einem solchen Fach wirklich gut zu werden... Wenn ich bedenke, mit welcher Einstellung einige Leute aus meiner Stufe tatsächlich technische Studiengänge wählen, komme ich mir auch eher weniger dafür geeignet vor.

Ai ebe. Die Arbeit eines Physikers oder Chemikers ist meist nicht sonderlich aufregend; außerdem sind insbesondere in der Grundlagenforschung die Karrieremöglichkeiten sehr eingeschränkt. Die meisten arbeiten in der Industrie. Man muß sich schon eine Karriere am Schreibtisch vorstellen können, um eine solche Option in Betracht zu ziehen. Ich konnte das nicht.

Harvey
15.06.2009, 19:24
Mal ganz abgesehen von der Klinik und der Arbeit am Patienten gibt es sehr deutliche Bestandteile der Kunst im Arztberuf bzw von Ärzten betriebenes Kunsthobby. Bestes Beispiel ist Frank Henry Netter - Arzt, Anatom und Zeichner unzähliger Medizinbilder, wobei sein Anatomieatlas nur einen kleinen Teil davon ausmacht. http://www.netterimages.com/
Von den vielen Lehrbuchautoren, die ihre Abbildungen selbst malen ganz zu schweigen. Und gibt nicht wenige Abteilungschefs, die ihre eigenen Werke im Klinikflur aufhängen.

alphawelle
15.06.2009, 19:34
I) Fühlt ihr euch in eurem Beruf auf irgendeine Weise "kreativ"?

Nicht im Beruf.


Oder wird zumindest von euch Kreativität gefordert?
Nein.


Nicht nur auf künstlerische Arbeit beschränkt, sondern müsst ihr euch bei "Problemlösungen" aller Art auch mal Neues einfallen lassen, bzw. alte Konventionen ablegen? Nein. Und wenn du es machst, kriegst du neidische feinde.


Oder ist der Patient im Grunde nur nach Schema zu behandeln, bis seine Krankheit zugeordnet werden kann?Meistens, ja.


Könnte man bei einem chrirurgischen Fach eventuell von mehr "kreativer Handarbeit" sprechen?Keine Ahnung. Ich denke nicht. Es geht mehr da um feinheiten, dass du weniger oft den larynxnerv durchschneidest, als dein kollege.


Aber ich eher allgemein, fühlt ihr euch auf geistiger Ebene herausgefordert?Spieltheoretisch und diplomatisch den Oberärzten gegenüber, schon.


In einigen Threads hab ich schon ähnliche Entscheidungsprobleme gelesen, z.B zwischen Medizin und Schauspielschule - Ich weiß nicht, ob hier einige Ärzte auch mal in einer solchen Situation waren, aber könnt ich von euch behaupten, heute noch (eventuell neben dem Arztberuf) Zeit für Kunst und Muse zu haben? Theater Spielen ist vermutlich sehr zeitaufwändig, aber wie sieht es mit Fotographieren, Zeichnen, vielleicht sogar in einer bestimmten Szene aktiv Sein aus? Oder fängt man bei solchen Interessen lieber gleich ein Kunststudium an? :Werde nie Künstler. Nie. Niemals. Besorg dir einen job, und schreib deinen Buch so nebenbei. Besorgst dir auch mehr künstlerische freiheit indem du einen fixen Gehalt bekommst.


Die andere Seite sind die Naturwissenschaften. Das Medizinstudium kommt mir so vor, als geht es nicht umbedingt um (analytisches) Denken, eher meist nur um Nachvollziehen und auswendig Lernen. Soweit, so gut, aber geht es im (klinischen) Beruf ähnlich weiter?Bisschen besser in der Klinik. Bisschen.


Klar, eine Forderung besteht sicher darin, dass Gelernte nun auch anzuwenden, aber wenn ich mich wirklich noch mehr mit Naturwissenschaften beschäftigen will, muss ich wohl zwangsweise in die Forschung gehen, oder? Ja. Wobei der größte teil deiner Zeit damit verbracht wird, routine zu wiederholen.


Aber selbst da spielt vermutlich vor allem Biologie und Chemie eine Rolle? Vor allem molekülarbiologie, wenn du an "benchwork" denkst.


Sollte ich, wenn ich eher technisch visiert bin, lieber gleich Medizinische Informatik (o.ä.) studieren, oder gibt es Möglichkeiten, nach Humanmedizin da noch irgendwie in die Sparte zu kommen (e.g. als Radiologe)?Strahlentherapeuten kennen sich oft gut aus mit Physik, wenn die forschen, habe ich den Eindruck.


Das Problem sind irgendwie zuviele Interessen, und keines will ich so richtig zugunsten eines anderen aufgeben :\Ich glaube, dass Problem vielleicht ist, dass dir sowohl das genial sein als auch das gesellschaftliche ansehen wichtig ist, und du schaffst das beides nicht so richtig zu kombinieren. Wenn du das talent hast, an die Uni Mathematik-karriere zu machen, dann vergiss Medizin. Ehrlich. Wenn du glaubst, du schaffst nur noch Lehrer zu werden, dann vergiss Mathematik. Dann bleiben Kombiberufe übrig, oder Medizin. Aber wenn dir Naturwissenschaftliches taugt, dann solltest du halt überlegen ob du motivation genug hast, was total uninteressantes 5-6 Jahre lang zu Studieren.

Cheshire Cat
15.06.2009, 23:14
@alphawelle: Mit solch einer Antwort hab ich irgendwie noch gerechnet... Jedenfalls Danke, mal die gegenteilige Erfahrung ins Spiel zu bringen.


Wenn du das talent hast, an die Uni Mathematik-karriere zu machen, dann vergiss Medizin. Ehrlich. Wenn du glaubst, du schaffst nur noch Lehrer zu werden, dann vergiss Mathematik. Dann bleiben Kombiberufe übrig, oder Medizin.

Da steckt auf jeden Fall viel Wahres dahinter. Ich wünschte, ich wüsste, ob das mit einem naturwissenschaftlichen Studium so einfach hinhauen würde! Ob nun Mathematik oder Physik... an manchen Tagen fühl ich mich, als könnte ich in den Fächer absolut alles bezwingen, an anderen kommen mir wieder Zweifel. Besonders dann, wenn wirklich Fach-Begeisterte mit Ambitionen auftrumpfen, die ich dafür dann doch wieder nicht (jahrelang) aufbringen könnte. Die Uni-Karriere scheint also unrealistisch. Gerade heute hatte ich mit einem Freund über einen Bekannten gesprochen, der bei Jugend forscht im Regionalwettbewerb Physik einen zweiten Preis gewonnen hat. Naja, das sind für mich wirklich technisch interessierte Leute, wo ich aber von meinen Fähigkeiten her nichts verloren habe. Zur Zeit tendiere ich deshalb eindeutig zu Medizin...


Aber wenn dir Naturwissenschaftliches taugt, dann solltest du halt überlegen ob du motivation genug hast, was total uninteressantes 5-6 Jahre lang zu Studieren.

Schade, dass die Naturwissenschaften in der Medizin eher untergehen :\ Eigentlich sollte man annehmen, das Fach sei höchst darauf ausgerichtet... Das Studium würde ich deshalb nicht unbedingt als völlig uninteressant betrachten, wobei mir zugegeben definitiv auch etwas fehlen würde. Aber stimmt schon, letzendlich muss man sich wohl für etwas entscheiden.



Nicht nur auf künstlerische Arbeit beschränkt, sondern müsst ihr euch bei "Problemlösungen" aller Art auch mal Neues einfallen lassen, bzw. alte Konventionen ablegen?
Nein. Und wenn du es machst, kriegst du neidische feinde.

Hast du da mal eine negative Erfahrung gemacht? Würde mich doch sehr interessieren :-)


Werde nie Künstler. Nie. Niemals.
:-((

@Harvey: Wow, vielen Dank für den Link! Klingt für mich nach einer sehr interessanten Person. Und naja, ist irgendwie motivierend zu sehen, dass sich manchmal auch Interessen verbinden lassen.

@John Silver: Zu folgendem


Es bezieht sich darauf, daß Klagen gegen Ärzte und Krankenhäuser im Amiland zum Volkssport gehören. Deswegen sind viele amerikanische Ärzte sehr defensiv in ihrer Vorgehensweise, um im Falle einer Klage möglichst gut dazustehen. Dazu zählt auch ein oft geradezu sklavisches Befolgen von Standardprozeduren und -abläufen.

hätte ich noch eine Frage, sofern sie dir nicht zu persönlich sein sollte: Soweit ich weiß, hattest du Versuche unternommen, eine Fachausbildung in den USA zu bekommen? Würdest du den Beruf in Amerika aber allgemein als stark eingeschränkt bezeichnen, wenn Amis so gerne ihre Ärzte verklagen? Ich meine, wäre das ein entscheidender Grund, bloß nicht nach Amerika auszuwandern oder unterstelle ich dir hier irrtümlicherweise einen Widerspruch?

John Silver
16.06.2009, 20:46
@John Silver: Zu folgendem hätte ich noch eine Frage, sofern sie dir nicht zu persönlich sein sollte: Soweit ich weiß, hattest du Versuche unternommen, eine Fachausbildung in den USA zu bekommen? Würdest du den Beruf in Amerika aber allgemein als stark eingeschränkt bezeichnen, wenn Amis so gerne ihre Ärzte verklagen? Ich meine, wäre das ein entscheidender Grund, bloß nicht nach Amerika auszuwandern oder unterstelle ich dir hier irrtümlicherweise einen Widerspruch?

Ich hatte ja nie vor, für immer ins Amiland zu gehen. Wenn ich das wollte, hätte ich die (wenigen, aber immerhin) Einladungen zu Vorstellungsgesprächen wahrgenommen, die ich bekommen habe - aber die haben mir nicht sonderlich gefallen. Deswegen habe ich meine Pläne geändert.

Im Grunde ist der Arztberuf im Amiland nicht wesentlich stärker eingeschränkt als in Deutschland. Die Amis haben teilweise andere Probleme, weil dort das Gesundheitswesen anders ist als hierzulande. Aber in vielerlei Hinsicht gleichen sich die Systeme an. Es ist sicherlich so, daß im Allgemeinen die Amis defensiver agieren als wir, aber die Deutschen entdecken das Verklagen der Ärzte und Kliniken immer mehr als trendigen Zeitvertreib. Heutzutage wird auch in Deutschland häufiger von rechtlicher Absicherung als von Vorteilen für den Patienten gesprochen. Ferner haben wir zwar nicht das Problem, mit vielen Patienten arbeiten zu müssen, die überhaupt keine oder nur eine unzureichende Krankenversicherung haben; dennoch dominiert das Monetäre immer mehr den Alltag.

Flemingulus
16.06.2009, 21:55
@Harvey: Wow, vielen Dank für den Link! Klingt für mich nach einer sehr interessanten Person. Und naja, ist irgendwie motivierend zu sehen, dass sich manchmal auch Interessen verbinden lassen.


Dann gehört aus Gründen der Ausgewogenheit natürlich auch noch ein Link hierher über jemandem, der die Interessen letztlich NICHT verbunden hat :-) Dr. G. Ringsgwandl (http://www.youtube.com/watch?v=LJVuqEH6a_o)

John Silver
16.06.2009, 23:40
Und wenn's um die Literatur geht, fallen mir da so einige Klassiker ein, die Ärzte waren: Schiller, Bulgakov und viele andere.

annekii
17.06.2009, 11:52
Hallo,

ich habe mich zwischen Medizin/Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft/Politik entschieden. Ein für mich wichtiges Argument für Medizin war dann, wie oben schon mal aufgeführt, dass ich das nicht neben anderer Arbeit als Hobby machen würde, wobei ich Literatur, Politik, usw. weiterhin, nur halt nicht so tiefgehend wie im Studium, auch neben der Medizin machen kann. Andersrum hätte mir sicher was gefehlt.
Kreativ nenne ich das nicht, was ich arbeite, aber auswendig gelernte Schemata sind es nun wirklich auch nicht. In der Vorklinik ist es viel Auswendiglernen, aber danach wird es doch mehr Verstehen und Kombinieren, finde ich.
Ich lebe meine Kreativität in den Hobbys. Mir reicht das. Aber ob Dir das reicht?

LG
Annekii

phil1234
08.07.2009, 20:52
Hallo

Ich hab jetzt nicht alles gelesen aber ich glaube es geht hier darum:

"Ich hab eigentlich auch andere Interessen und weiß nicht ob Medizin das richtige ist."

Mir ging/geht es jeden Tag genauso. Bei mir ist Medizin auch eher aus der Not geboren. Ich bin aber jetzt sehr sehr froh Med zu studieren.

Eigentlich interessiert mich alles andere außer Medizin. Ich will nicht angeben aber ich glaube ich habe deutlich mehr Ahnung von Politik und Geschichte als mancher Politik/Geschichte Student einfach weil es mich interessiert.

Ich hätte das wohl sogar studiert wenn ich damit aussicht auf einen Job gehabt hätte. Ich haber mich aber für die "sicherheit" entschieden die ein Medstudium bietet.

Ich denke, dass man neben der (wohlgemerkt doch sehr interessanten Arbeit) im Krankenhaus JEDES Hobby ausüben kann.

Was man zudem nicht unterschätzen sollte: Mit Medizin kann man mehr machen als Arzt werden. Ich habe zB dieses Jahr bei der FAZ (Im Politikteil) hospitiert. Die Hospitanz habe ich unter über 400 Bewerbern bekommen.

Ich war/bin ( hetzt "Freier Mitarbeiter) im ganzen Haus der einzige Mediziner. Es bewerben sich immer nur Geisteswissenschaftler aber davon gibt es leider genug...

Letztes Jahr habe ich mich bei der Unternehmensberatung (Boston Consulting) beworben. Auch da LIEBT man Ärzte. Ich habe das Praktikum aber wegen der FAZ Hospitanz nicht angetreten.


Was ich dir sagen will: Es gibt langweiligere/unsicherere Berufe in denen du weniger Verdienst als Medizin. Ich bin niemand der jetzt voll in seinem Arztberuf aufgehen wird aber wie du siehst es gibt TAUSEND Sachen die man machen kann ...

Ich studiere zB nebenbei noch Jura:

http://www.medi-learn.de/medizinstudium/foren/showthread.php?p=697865#post697865