Jens
04.12.2002, 19:45
Hallo zusammen,
Uta hat mir ein Bild samt schoener Geschichte dazu geschickt, die ich euch hier vorstellen moechte. Schaut euch VOR dem Lesen der Kurzgeschichte vielleicht zunaechst das eindrueckliche Bild an und achtet darauf, was ihr - OHNE die Geschichte zunaechst zu lesen - dabei denkt, was fuer Assoziationen und Gefuehle wie auch Erinnerungen euch kommen. Vielleicht mag der ein oder andere ja auch den Versuch wagen, zu dem Bild eine kurze bzw. seine kurze Geschichte zu schreiben.
Was meint ihr zu der Geschichte und inwiefern unterschied sich die Geschichte von Uta zu Euren Gedanken, die beim Betrachten des Bildes auftraten?
Viel Spass mit der Geschichte von Uta, die hier folgt:
Die Alte
Sie hat schneeweißes Haar und lächelt aus jetzt müden, früher sicher sehr wachen Augen in die Linse des Fotografen, die wahrscheinlich klarer ist als ihre eigenen, die, umringt vom Arcus senilis, trüb und trocken sind. Ihre Falten ziehen wie Wegesfurchen durch ihr Gesicht. Tief eingekerbte Erinnerungen an ein längst vergangenes Leben. Ihre Lippen sind schmal. Aus ihrer Nase ragen einzelne Haare. Die Augenbrauen sind licht, aber dafür sprießen an ihrem Kinn einzelne Barthaare, die weiblichen Hormone haben sich schon vor längerer Zeit verabschiedet.
Sie wirkt zerbrechlich und liebenswert in ihrem weißen OP-Hemd, von dem Insider wissen, das es hinten offen ist. Über ihrer Schulter hängt lässig ihr bunter Morgenrock aus längst vergangener Zeit. In ihrer Hand hält sie einen Obstgartenbecher.
Wer mag sie sein? Ob sie Besuch bekommt, dort wo sie jetzt verwahrt ist? Lebt sie glücklich in ihrer Erinnerung an früher, oder weiß sie nicht einmal mehr ihren Namen? Wurde sie schon oft entwürdigt, gedemütigt oder verletzt von Menschen, die viel jünger sind als sie und die sie nicht verstehen wollen? Die ihr das Gebiß am Abend aus dem Mund zerren und die für sie bestimmen wann sie schlafen soll und wann erwachen.
Vielleicht denkt sie oft daran, wie ihre Haare sich im Wind um ihr glattes, junges Gesicht legten. Wie man ihr hinterher gekuckt hat, als sie sich früher zum Tanz begab. An ihren ersten Kuß, der sich so weich und neu anfühlte auf ihren vollen und sanften Lippen und der verboten aber doch so schön war. Vielleicht ist sie aber auch traurig, wenn sie an ihren ersten Verlust denkt, wie sich ihre schönen Augen mit Tränen füllten und sie diesen unsagbaren Schmerz fühlte zum ersten Mal und danach so oft in ihrem Leben. Vielleicht denkt sie an die Freundin, die letzte die sie verlor. Nun ist nur noch sie zurückgeblieben. Zurückgeblieben in einer Welt, die viel zu schnell, viel zu laut für sie ist.
Vielleicht sollten wir uns öfter fragen wie sich der Wind auf ihrer Haut anfühlte, bevor wir ihr eine Nadel in den dünnen Arm jagen und zusehen, wie die Vene platzt, wie das Blut unter die Haut sickert. Vielleicht sollten wir ihr in die trüben Augen sehen und dahinter die leuchtenden erkennen.
Vielleicht werden auch wir alt.
###########
Uta Thielbein
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Uta hat mir ein Bild samt schoener Geschichte dazu geschickt, die ich euch hier vorstellen moechte. Schaut euch VOR dem Lesen der Kurzgeschichte vielleicht zunaechst das eindrueckliche Bild an und achtet darauf, was ihr - OHNE die Geschichte zunaechst zu lesen - dabei denkt, was fuer Assoziationen und Gefuehle wie auch Erinnerungen euch kommen. Vielleicht mag der ein oder andere ja auch den Versuch wagen, zu dem Bild eine kurze bzw. seine kurze Geschichte zu schreiben.
Was meint ihr zu der Geschichte und inwiefern unterschied sich die Geschichte von Uta zu Euren Gedanken, die beim Betrachten des Bildes auftraten?
Viel Spass mit der Geschichte von Uta, die hier folgt:
Die Alte
Sie hat schneeweißes Haar und lächelt aus jetzt müden, früher sicher sehr wachen Augen in die Linse des Fotografen, die wahrscheinlich klarer ist als ihre eigenen, die, umringt vom Arcus senilis, trüb und trocken sind. Ihre Falten ziehen wie Wegesfurchen durch ihr Gesicht. Tief eingekerbte Erinnerungen an ein längst vergangenes Leben. Ihre Lippen sind schmal. Aus ihrer Nase ragen einzelne Haare. Die Augenbrauen sind licht, aber dafür sprießen an ihrem Kinn einzelne Barthaare, die weiblichen Hormone haben sich schon vor längerer Zeit verabschiedet.
Sie wirkt zerbrechlich und liebenswert in ihrem weißen OP-Hemd, von dem Insider wissen, das es hinten offen ist. Über ihrer Schulter hängt lässig ihr bunter Morgenrock aus längst vergangener Zeit. In ihrer Hand hält sie einen Obstgartenbecher.
Wer mag sie sein? Ob sie Besuch bekommt, dort wo sie jetzt verwahrt ist? Lebt sie glücklich in ihrer Erinnerung an früher, oder weiß sie nicht einmal mehr ihren Namen? Wurde sie schon oft entwürdigt, gedemütigt oder verletzt von Menschen, die viel jünger sind als sie und die sie nicht verstehen wollen? Die ihr das Gebiß am Abend aus dem Mund zerren und die für sie bestimmen wann sie schlafen soll und wann erwachen.
Vielleicht denkt sie oft daran, wie ihre Haare sich im Wind um ihr glattes, junges Gesicht legten. Wie man ihr hinterher gekuckt hat, als sie sich früher zum Tanz begab. An ihren ersten Kuß, der sich so weich und neu anfühlte auf ihren vollen und sanften Lippen und der verboten aber doch so schön war. Vielleicht ist sie aber auch traurig, wenn sie an ihren ersten Verlust denkt, wie sich ihre schönen Augen mit Tränen füllten und sie diesen unsagbaren Schmerz fühlte zum ersten Mal und danach so oft in ihrem Leben. Vielleicht denkt sie an die Freundin, die letzte die sie verlor. Nun ist nur noch sie zurückgeblieben. Zurückgeblieben in einer Welt, die viel zu schnell, viel zu laut für sie ist.
Vielleicht sollten wir uns öfter fragen wie sich der Wind auf ihrer Haut anfühlte, bevor wir ihr eine Nadel in den dünnen Arm jagen und zusehen, wie die Vene platzt, wie das Blut unter die Haut sickert. Vielleicht sollten wir ihr in die trüben Augen sehen und dahinter die leuchtenden erkennen.
Vielleicht werden auch wir alt.
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Uta Thielbein
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