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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kurzgeschichten - kurzer Theorieteil (1)



Jens
10.12.2002, 22:03
Wir sind zwar nicht im Deutschunterricht, dennoch kann ein grober, erster Überblick über das wie und wovon einer Kurzgeschichte nicht schaden.

Hier findet ihr einen ersten Ueberblick zu den wesentlichen Kennzeichen einer Kurzgeschichte, die wir in Folge mit ein wenig mehr Beispielen anfuellen und weiter komplettieren werden. Dieser erste Text dient dem Einstieg und der Information.

Kurz muss sie sein
- in einem Zug zu lesen und meist leicht ueberschaubar
- meist 1 bis 5 Seiten DIN-A-4

Auch inhaltlich kurz und reduziert
- spielen meist an einem Ort ohne grossen Wechsel der Schauplätze (Bsp.: Im Aufzug, im Krankenzimmer, in der Bahnhofsvorhalle, in der S-Bahn)
- wenige Akteure: meist 1 Haupt- und wenige Nebenpersonen

GEWICHT LIEGT AUF 1 ENTSCHEIDENDEN EREIGNIS IM LEBEN DER HAUPTFIGUR
- Hauptfigur hat gr. Problem/Konflikt/Emotion
- "Schicksalsschlag"
- Angst, Panik, Schrecken, Schock
- Euphorie, Glück, Erleichterung
- tiefe Zweifel an Leben, Gesellschaft und System
- ABER: auch Alltag kann beschrieben werden

Die Personen in einer Kurzgeschichte
- werden nicht grossartig beschrieben, sondern nur ansatzweise ("gezeigt, nicht entwickelt")
- unmittelbarer Einsatz ins Geschehen, keine Einführung oder Erläuterung wo und wie das ganze sich zuvor ereignet und entwickelt hat ("Blitzlichtartiger Schnappschuss der persönlichen Szenerie"
- neutraler Erzähler, der nicht deutet, sondern sich zurueckhaelt und das Urteil ueber die Person und Handlung dem Leser ueberlaesst

Einen Kurzgeschichte ist offen
- sofortiger Einsatz im Geschehen ohne erläuternde Vorgeschichte (DIE kann sich der Leser nach dem Lesen dann selber zusammenreimen)
- sie bricht am Ende ebenso plötzlich ab, wie sie anfangs einsetzte
- Informationen zu Ort, Zeit, Personen werden nur vereinzelt aufgeführt und knapp angedeutet
- KEINE KLÄRUNG DES PROBLEMS/KONFLIKTES DER HAUPTFIGUR: der Leser mag sich selbst ausmalen, wie es nach der Geschichte weitergehen koennte
- offener Schluss: Handlung bricht jäh ab
- Wende am Schluss: überraschende Wende am Schluss in (nur angedeutete) neue Richtung, deren weitere Deutung aber wieder dem Leser ueberlassen bleibt

Eine Kurzgeschichte soll auffordern
- und zwar den Leser: ueber die Hauptfigur der Kurzgeschichte wird meist ein allgemeines Problem/Konflikt transportiert: der Leser denke zunaechst natuerlich, wie es der Hauptfigur wohl weiter ergangen sein koennte,
- der Leser erkennt aber vielleicht auch, dass er diese oder aehnliche Probleme auch hat und gelangt uber die Kurzgeschichte zu sich selbst und seinen Konflikten

Eine Kurzgeschichte ist (oftmals) am Schluss am spannendsten
- den hier wird zum einen die Spannung erzeugt, aber der Leser wird mit dieser aufgebauten Spannung "entlassen" (auch um weiter selbst darueber nachzudenken)

Welche FIGUREN ?
- meistens Alltagsmenschen wie Du und ich
- keine übermenschlichen Helden, Fähigkeiten
- ebenso alltäglich wie die Menschen sind uebrigens auch die Handlungen
- zwar alltaegliches, das aber die Person in einer Ausnahmesituation "erwischt" und

Wie ist die Sprache ?
- umgangssprachlich und einfach, Alltagssprache , kein theoretischer Text oder Beamtendeutsch
- Verben stehen im Vordergrund
- kurze Sätze
- nüchtern und klare Sprache

Warum und inwiefern ist die Kurzgeschichte BEGRENZT?
- ZEIT: keine grosser Abschnitt, sondern nur ein Ausschnitt aus dem Leben - Minuten bis einige Stunden
- ORT: an einem "Fleck" und nicht an vielen Orten
- PERSONEN: meist nur 1 Haupt- und wenige Nebenfiguren
- HANDLUNG: die Handlungen, die angefuehrt werden, sind sparsam und sorgsam fuer die Geschichte ausgewaehlt, kaum abweichende Nebenhandlungen


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Dies soll als erste kurze Info mal genuegen.

Wie man die Hauptfiguren und moegliche Situationen, Charaktere und Haupthemen findet und sprachlich in eine Kurzgeschichte integriert UND weitere, anschauliche Regeln als Ergaenzung zum obigen recht abstrakten Text folgen in den naechsten Wochen.

Eine Kurzgeschichte ist - um mal zwei Zitate anzufuehren:

"Die Kurzgeschichte ist weiter nichts als die Spiegelung der Sekunde in der das Eisen der Falle zuschnappt. Das Ablösen und der Abtransport der Beute werden dem Leser überlassen." (Siegfried Lenz)
oder
"Die Kurzgeschichte beleuchtet ein Geschehen nur blitzlichtartig." (Ludwig Rohner)
Anmerkung: die Entwicklung des Filmes und das Sichtbarwerden der Konturen des Fotos wird also dem Leser ueberlassen.

Soviel fuers erste.