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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Tisch No. 6 und Präpkurs



Lava
12.12.2002, 18:45
Ich bin mir sicher, der ein oder andere von euch wird den Film "Tisch No. 6" kennen und vielleicht sogar gesehen haben. Ich war gestern bei einer Vorführung des Films im Anatomiehörsaal unserer Uni. Jetzt möchte ich mal ein paar Gedanken loswerden.

Für die, die den Film nicht kennen:
Es handelt sich um einen s/w Dokumentarfilm, der 1998 in Freiburg gedreht wurde. Ein Filmteam hat ein Semester lang ein paar Studenten (vom Tisch No. 6) beim Präparierkurs begleitet. Alles dreht sich darum, wie diese jungen Menschen mit dem Anatomiestudium an einer echten leiche umgehen und wie sie sich mit der Zeit verändern. Sie werden beim Präparieren gezeigt und regelmäßig zu ihren Erfahrungen und Gedanken interviewt. Dazu bekommt man einen Einblick, was vor und nach dem Kurs mit den Leichen geschieht (Vorbereitung, Bestattung, etc.) und eine Präparatorin wird interviewt. Der Film gliedert sich in Kapitel wie z.B. "Das erste Testat", "Tag 18" oder "Der letzte Tag". Für weitere Infos gebt einfach mal das Stichwort Tisch No. 6 bei google ein oder schaut mal bei http://www.tisch-no6.de vorbei, wenn die Seite fertig ist.

Also..... wie fandet ihr den Film? Ich war restlos begeistert! Sehr spannend, obwohl für eine Doku ungewöhnlich lang (83min). Da ich gerade selber mitten im Präpkurs in Freiburg stecke, war es so, als ob man in einen Spiegel guckt. Man sieht sich selbst: was man denkt, was man erlebt, wie man sich verändert. Die Zurückhaltung am Anfang, der Lernstress, das konzentrierte Arbeiten, das Herumalbern ab und zu. Ich muss zugeben, dass ich während des Präpkurses nie Ekel oder Skrupel empfunden habe. Durch den Film kamen mir jetzt aber schon ein paar Gedanken. Zum Beispiel sah "unsere" Leiche für mich nie wie ein Mensch aus. Klar: riecht anders, fühlt sich anders an. Im Film aber, wenn sie immer wieder das Gesicht oder die Hände zeigen, wurde mir plötzlich bewusst, dass so eine Leiche wirklich ein Mensch ist! Oder war. Ich kann mich zum jetzigen Zeitpunkt nichtmal mehr dran erinnnern, wie das Gesicht unserer Leiche aussah. Ist das nicht irgendwie respektlos? Bin ich eigentlich dankbar genug, dass ich die Gelegenheit habe, an einem menschlichen Körper Anatomie zu lernen? Bleibt bei dem ganzen Lerndruck überhaupt noch Zeit, über sowas nachzudenken? Im Film meinte eine Studentin, dass ihr das präppen Spaß macht. Das kann ich nicht leugnen. Aber darf sowas Spaß machen?
Faszinierend an dem Film fand ich auch, dass sie quasi auch die Leiche während des Kurses begelitet haben. Wie sie sich mit der Zeit verändert. Das in de Sarg packen am Ende fand ich regelrecht beruhigend, wie ein Happy End. So finden doch alle Teile wieder zusammen.
Übrigens hat der Film durchaus auch seine komischen Seiten. Natürlich sind alle Präparatoren und Dozenten in dem Film echt. Und wie! Dr. Flöel in Reinform.... (Mann, bin ich froh, dass ich den nicht als Prüfer habe! ;-) )

Ich kann dem Film nur jedem empfehlen und ich würde mich freuen, wenn noch jemand seine Gedanken dazu hier offenbaren würde. Oder zumindest, ob überhaupt noch jemand anders ihn gesehen hat.

hobbes
12.12.2002, 21:42
Ein sehr interessantes Thema. Ich habe den Film leider nicht gesehen.

Ich möchte nur noch meine Erinnerungen an den Präpkurs einbringen. Also ich weiss heute immer noch recht genau wie das Gesicht "meiner" Leiche ausschaute. Der ausgemergelte Körper, der Gesichtsausdruck.... . Ich kann mich auch noch sehr genau erinnern, wie sich die Leiche anfühlte, der Kopf, die Bartstoppeln . . . und ich gebe zu, der Umgang mit der Leiche war zu Beginn ein eigenartiges Gefühl.
Und es stimmt - dieses Gefühl verliert sich sehr rasch, die Leiche wird zerstückelt, sie ähnelt immer weniger einem Menschen und so wird der ganze Umgang erleichtert.

Ich denke der Präpkurs darf auch mit positiven Gefühlen verbunden sein (um das Wort Spass nicht zu verwenden); ja die Fertigkeit des Präparierens, die erhaltene Möglichkeit dies alles zu sehen und das steigende anatomische Wissen und Selbstbewusstsein sind durchwegs gute Seiten des Kurses. Doch dafür stellen diese Leute ja auch ihre sterblichen Überreste zur Verfügung.

June
12.12.2002, 22:28
Ich denke, es ist schon wichtig, daß man im Laufe des Präpkurses einen "professionellen" Umgang mit der Leiche entwickelt... Es wäre kontraproduktiv, wenn man ständig mit dem Gedanken "Oh Gott, ich schnippele an einem toten Menschen rum!" arbeitet, man wäre weniger konzentriert und hätte sicher auch Verarbeitungsprobleme. Das gilt ja so auch für die spätere Arbeit: Natürlich will man menschlich bleiben und den Blick nicht versperren für die Person hinter dem Patienten, aber wenn man das exzessiv bei jedem Patienten durchführt und in Mitleid zergeht, hat man nicht nur ein Zeitproblem, sondern ist auch psychisch überfordert und wird früher oder später nicht mehr so gute Arbeit verrichten.
Allerdings habe ich im Präpkurs in manchen Augenblicken die Verdrängung dessen, was man da tut, als zu stark empfunden, manche Witze waren unter der Gürtellinie und der Situation einfach nicht angemessen. Gut, das ist ein Weg, mit dem Arbeiten an einem toten Menschen umzugehen, meiner ist es halt nicht.
In Göttingen gab es da von den Psychologen ein interessantes Angebot: Eine Präpkurs-Balintgruppe für Studenten. (Klickt hier (http://www.balintgesellschaft.de/balintarbeit.htm) , falls euch "Balintgruppe" nichts sagt.)
Nun gut, die Präpleiche ist vielleicht nicht der klassische "Problempatient", aber darüber zu reden, warum man während des Präpsemesters einen anderen Umgang mit der Leiche annimmt und was für Mechanismen der Verdrängung (die überhaupt nicht negativ sein muß!!!) dahinterstecken, fand ich schon ganz spannend. Bin allerdings erst sehr spät auf dieses Angebot gestoßen, trotzdem fand ich es sehr bereichernd. Aber ich kann mir auch gut vorstellen, daß das nicht jedermanns Sache ist...
Die June :-music

Vystup
12.12.2002, 23:50
mein präpkurs liegt inzwischen 3 semester hinter mir, ich habe inzwischen hin und wieder den weg in die pathologie machen dürfen, wo die leichen doch noch deutlich mehr einem menschen ähneln, als das im präpkurs der fall war - und wo sie deutlich schneller systematisch zerstückelt werden. ein wirkliches problem hatte ich mit den toten nie. da stört mich viel mehr die behandlung der noch lebenden in diversen altenheimen. wenn wir nicht mal diese vor sich hin siechenden menschen menschlich behandeln können, wie soll das mit den toten möglich sein?
präpkurs, das war für mich beim ersten mal ein bißchen komisch. die gewöhnung war schnell da, natürlich auch die ersten blöden scherze, die aber doch recht effektiv den lernstreß verdrängten. überhaupt war der präpkurs wechselnd eine woche lernen, testat, eine woche feiern (und mit entsprechender fahne morgens am präptisch stehen) in einem mehrfach wiederkehrenden zyklus.
viel über die leichen nachgedacht habe ich wohl nicht, allerdings war die entsprechende atmosphäre auch einfach nicht gegeben. die ständigen testate setzten einen derart unter leistungsdruck, das freie momente auf keinen fall dazu genutzt wurden, noch mehr über den präpkurs nachzudenken. ob das gut ist weiß ich nicht.
nur an eine situation kann ich mich erinnern, an der die erlernte gleichgültigkeit gegenüber dem tod wirklich ungünstig war: ich war zu einer leichenschau in einem altenheim, der arzt und ich (fahrer und schreibkraft) machten irgendeinen blöden witz und waren überhaupt nicht gross traurig oder feierlich gestimmt, es war schließlich nicht die erste leiche dieser nacht. die schwester im heim war aber scheinbar diesem umgang mit dem tod nicht gewöhnt, sie war sichtlich schockiert über unsere art und weise. dabei hatten wir nichts anderes gesagt oder getan, als das in jedem präpkurs hundertfach geschieht.
vielleicht sind wir alle ein bißchen krank im kopf - andererseits gibt es wohl keine möglichkeit, den ständigen umgang mit dem tod zu verkraften.

hobbes
13.12.2002, 16:31
Diese lockere Haltung ist ja in Anbetracht des beruflichen Backgrounds in der Medizin einsichtig. Aber wir sollten uns doch bewusst sein, dass man damit Angehörigen von Toten traumatisch verletzen kann! Die erzählen dass noch Jahrzehnte und schänden den Ruf der ganzen Medizin, die sie in vereinfachender Weise in einen Topf werfen. Sowas zerstört Vertrauen nachhaltig. Daher: aufgepasst!