PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nobelpreis - Ritterschlag oder Schlag ins Wasser?



luckyblue
20.12.2002, 21:55
Jeder kennt ihn, jeder will ihn, doch kaum wer kriegt ihn: den Nobelpreis. Letzte Woche war es wieder so weit. Das Kommitee gab eine Party, und die Laureaten nahmen das Geld. Immerhin eine Million Euro pro Preis. Es sei ihnen gegönnt, sie haben es sich verdient.

Doch die Frage bohrt: Wer sind sie und womit haben sie sich den Nobelpreis verdient?
Klangvolle Namen von gestern säumen den Weg des Nobelpreises auf den Olymp der wissenschaftlichen Auszeichnungen. Einstein, Marie Curie, Heisenberg. Der Nobelpreis ist zu einer Institution geworden, in deren Schatten die Preisträger von heute verblassen. Sie sind die Stars, die keine sind, weil sie niemand kennt. Und es kennt sie niemand, weil sie nichts zu sagen, weil sie keine Botschaft haben. Hier und da ein Unkenruf aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, aber keine Message fürs nichteingeweihte Volk. Und das ist schade, denn das Renommee des Preises steht und fällt mit den Namen seiner Preisträger, über kurz oder lang.

Einen Craig Venter kennt jedes Kind. Er hat preisverdächtige Leistungen, er hat Visionen - und keinen Nobelpreis. Warum?
Wie aussagekräftig ist die Wahl der Laureaten wirklich? Was sind preiswürdige Leistungen? Warum gab es z. B. nie einen Nobelpreis für den Nachweis der semikonservativen Replikation der DNA?
Der typische Nobelpreisträger ist ein emeritierter Tattergreis mit akademischen Meriten und wird geehrt für eine Jugendsünde. Dabei steht in den Statuten des Nobelpreises: Auszuzeichnen sei eine Leistung aus dem zurückliegenden Jahr.
Warum versteift sich die Jury auf die Hochschulforschung, warum klammert sie die Wirtschaft aus?
Und warum tummeln sich die Deutschen heute meist nur auf der Zuschauertribüne in Stockholm und Oslo? Nichts mehr los im Vaterland der Dichter und Denker?
Ist der Nobelpreis überhaupt noch zeitgemäß - mit seiner Einteilung in Chemie, Physik, Medizin? Macht es noch Sinn, technische Brillanz in einem Fach auszuzeichnen? Preisverdächtige Leistungen manifestieren sich heute öfter in den Überschneidungsbereichen interdisziplinärer Kooperationen. Mit Ausnahme des Friedensnobelpreises darf ein Nobelpreis jedoch höchstens auf drei Forscher gesplittet werden. Ein Anachronismus - oder nicht?

cu
luckyblue

Froschkönig
21.12.2002, 00:10
1. Der Name Craig Venter sagt mir gar nix !
2. Watson und Crick erhielten den Nobelpreis für die darstellung der Doppelhelix, das sie semikonservativ repliziert wird, vermuteten die beiden auch bereits, hatten es nur noch nicht bewiesen....
3. Du neigst in letzter Zeit dazu, viele große institutionen bzw. wichtige Verhaltensweisen in Frage zu stellen, daß soll jetzt keine
Kritik sein, ich frage mich nur, warum ?
4. Der Nobelpreis ist in Deinen Augen evtl. nicht mehr Zeitgemäß, weil eben keiner die Preisträger mehr kennt. Ich höre auch einmal im Jahr, wer gewonnen hat und erinnere mich dennoch nur an Curie und Konsorten. Aber auch von den vergangenen kennt man längst nicht alle. Wer von Euch hat gewußt, daß Selma Lagerlöff doch glatt für "Die abenteuerliche Reise des Kleinen Nils Holggerson mit den Wildgänsen" den Literatur-Nobelpreis bekommen hat ????

Das führt schließlich zu der erkenntnis : Die Wissenschaft ist heute ein so weit bepflügtes gebiet, daß man wohl kaum den Anspruch erheben kann, da bescheid zu wissen. Wenn Sie Frage nach dem nächsten "Knaller" ist durchaus legitim, aber in einer Zeit, wo DNA sequenzierung und ähnliches normal sind, muß man schon wahnsinnig abgefahrenes erforscht haben, um der Geschichte eine Fußnote wert zu sein, bzw. zu erreichen, daß man sich noch vor dem jeweiligen Tod an den betreffenden erinnert....

maja
21.12.2002, 00:45
Hey cool,

dass ich mich nicht zuerst outen muss und jetzt zugeben kann, dass ich Craig Venter nich kenne. Dank google weiss ich aber jetzt, wer das is. Aber er kann echt nich sooo bekannt sein, dass ihn "jedes kind" kennt.

Aber das mit der Selma Lagerlöff wusste ich ausnahmsweise mal :-)


Was ist eigentlich die Konsequenz? Ab in die Forschung? Oder wie jetzt!?

luckyblue
21.12.2002, 02:45
Eins vorweg: Ich stelle auf keinen Fall den Nobelpreis als solches in Frage, höchstens die aktuelle Tauglichkeit der Vergabekriterien. Das ist nicht dasselbe.

Dass ihr Venter nicht kennt, überrascht mich doch ein wenig. Seitdem er die Forscher des hoch dotierten HUGO-Projekts zur Aufklärung der Basensequenz des menschlichen Genoms auf der Überholspur ziemlich alt hat aussehen lassen - zumal seine winzige Firma ohne öffentliche Fördergelder und gegen den Widerstand namhafter Wissenschaftler arbeiten musste -, seitdem hat er schließlich eine Medienpräsenz wie kein zweiter Mediziner auf diesem Planeten. Und das nicht nur in den Printmedien, sondern auch in Talkshows, wo er, sofern ein Biochemiker oder Genetiker geladen ist, sofort mal thematisch kurz reinschaut. Wer ihn jetzt immer noch nicht kennt: Hier (http://www.rasscass.com/templ/te_bio.php?PID=533&RID=1) ist sein Lebenslauf, und dieser Link (http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,226069,00.html) erläutert sein aktuelles Projekt, mit genetisch manipulierten Mikroben der Erderwärmung Herr zu werden.

Was die semikonservative Replikation angeht. Ist mir klar, dass Watson und Crick den Nobelpreis eingefahren haben (übrigens auch reichlich spät). Den Beweis lieferte aber erst das Meselson-Stahl-Experiment 1958. Dafür gab's keinen Nobelpreis .

Dass der Nobelpreis ein Anachronismus sei, weil niemand die Preisträger kennt, habe ich nicht behauptet. Die Preiswürdigkeit der von den Preisträgern erbrachten Leistungen zu beurteilen, das werde ich mir hier nicht anmaßen. Obsolet sind nicht die Preisträger, sondern die Statuten , dass sich nicht mehr als drei Forscher einen Preis teilen dürfen. :-meinung

Was die Preisträger angeht: Ich habe lediglich bemängelt, dass der Glanz des Preises verblasst, wenn die Preisträger einer breiten Öffentlichkeit auf Dauer unbekannt bleiben . Unbekannt bleiben, weil sie zu wenig allgemein zugängliche Visionen entwickeln. Ein Phänomen, das man natürlich nicht den Wissenschaftlern alleine zum Vorwurf machen kann, sondern das erstens in der auf uns einstürzenden Informationsflut begründet ist und zweitens der hohen Spezialisierung der Forschung geschuldet ist. Die Komplexität der Wirklichkeit und die Vielfalt der Forschung erschweren das Verständnis von Forschungsergebnissen und die Profilierung einzelner Wissenschaftler in der Öffentlichkeit. Keine Frage. Es bleibt aber auch immer eine Sache der Vermittlung , sowohl der Medien als auch der Wissenschaftler, die sich oft lieber in einem Elfenbeinturm einigeln und sich hinter angehäuftem Expertenwissen verstecken, als dass sie ihre Forschungsergebnisse allgemein verständlich einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Dass Literatur-Nobelpreise für ein einziges Werk verliehen werden, ist keine Seltenheit (z. B. Böll für "Gruppenbild mit Dame" oder John Steinbeck (behaupte ich jetzt mal ganz kühn)). Finde ich auch legitim. Es gibt literarische Werke, die - für sich gesehen - von solch elementarer Gültigkeit sind, dass der Vergleich mit dem kompletten Oeuvre eines Autors sich erübrigt.

cu
luckyblue

rolexralf
21.12.2002, 08:38
Ich finde dieses Thema recht interessant, allerdings stimme ich mit einigen Dingen, die luckyblue vorbringt überhaupt nicht überein.

Craig Venter in allen Ehren. Dieser Mann hat sicherlich beachtliches geleistet, allerdings sind die Meinungen über ihn reichlich kontrovers. Dass er das Projekt HUGO habe alt aussehen lassen, ist vermutlich die Meinung eines Venter-Anhängers. Ein Gegner würde einwenden, dass die von Venter und Celera durchgeführten Sequenzierungen in hohem Masse fehlerhaft sind, da sie so schnell wie möglich durchgeführt wurden (der methodische Ansatz von Celera ist höchst umstritten). Das sind jedoch Details, die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen möchte. Festzuhalten bleibt, dass Craig Venter keinesfalls der ungekrönte Sonnenkönig der modernen Medizin ist, sondern sein Werk sicherlich erst in mehreren Jahren abschliessend zu beurteilen sein wird.

Einer der Gründe, warum soviele alte Herren (selten auch Damen) ausgezeichnet werden, ist sicherlich der, dass sich in der Wissenschaft oftmals erst nach vielen Jahren und Jahrzehnten, die Wertigkeit und Bedeutung einer Arbeit bewerten lässt. Fälle wie Stanley Prusiner, der den Nobelpreis schon sehr schnell erhalten hat, wurden teilweise massiv kritisiert, weil noch keine definitiven Beweise für bestimmte Thesen vorliegen.

Und sooo schlecht steht die deutsche Wissenschaft nun auch nicht da (übrigens typisch deutsch, sich selbst und die Gegebenheiten möglichst pessimistisch zu sehen). Zumindest in der Medizin fallen mir spontan Namen wie Blobel, Nüsslein-Volhart, Neher und Sakman ein - alles Medizin-Nobelpreisträger der letzten 10 Jahre.

So - das soll`s für den Augenblick mal gewesen sein, könnte aber eine interessante Diskussion werden.

Feuerblick
21.12.2002, 09:51
Ich habe leider immer noch keine Ahnung, wer dieser Craig Venter nun ist....aber ich habe lang genug ganz gut mit meiner unverzeihlichen Wissenslücke gelebt. :-)

Sicher, man kennt sie in den wenigsten Fällen, die Herrschaften, die den Preis mit nach Hause nehmen. Ich wüßte nicht einmal, was genau dieses Jahr geehrt wurde. Aber ich kann mich auch nicht erinnern, dass die Medien darüber mehr als ein oder zwei Sätze verloren hätten. Vielleicht sind die Forschungen heute derart speziell, dass sich kein Mensch merken kann, worum es eigentlich geht. Deshalb bleibt es einfach nicht mehr hängen und erscheint uns, als gäbe es keine "Knaller" mehr.....

Feuerblick
*noch nicht ganz wach*

luckyblue
21.12.2002, 09:57
Ich habe leider immer noch keine Ahnung, wer dieser Craig Venter nun ist....

Also, meine Links funzen. Daran kann es also nicht harpern ...;-)

cu
luckyblue

Feuerblick
21.12.2002, 10:35
Mir ist heute nicht nach Weiterbildung :-)

Rugger
21.12.2002, 12:31
Hm, interessante Diskussion.
Kurz auch von mir eine Anmerkung zu Venter: auch ich halte ihn und seine Errungenschaften für zumindestens umstritten. Er ist aber in Sachen Selbstmarketing kaum erreicht... Auch das ist sicherlich ein Grund, warum er bislang keinen Preis erreicht hat. Außerdem muß man doch als Einziger (oder in einer Arbeistgruppe) wesentliche Errungenschaften auf seinem Gebiet erreicht haben, um für die naturwissenschaftlichen Nobelpreise vorgeschlagen zu werden. Und er war nunmal nicht der Einzigste, sondern vor allem der Schnellste.
Was die mangelnde Aufmerksamkeit angeht: ich glaube, daß ist ein Zeichen der Zeit. Zum einen ist die Öffentlichkeit einfach nicht mehr mit der drögen Wissenschaft fasziniert (eher mit dem Literaten Dieter Bohlen). Zum anderen ist die Zeit der wirklich bahnbrechenden Errungenschaften vorbei. (Übrigens findet ihr hier (http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/wissenschaft/nobelpreis/) eine gute Übersicht zum Thema, vor allem zu allen bislang verliehenden Preisen) Eine Entdeckung, die deratig revolutionär war, wie die einer Marie Curie zum Beispiel, hat es in meinen Augen schon lange nicht mehr gegeben. Natürlich haben die Ausgezeichneten in ihren Bereichen Großes erlangt, aber nichts, was unser Leben von Grund auf verändern würde. Der nächste Superstar der Wissenschaft wird wohl derjenige sein, der ein wirksames Mittel gegen Krebs findet oder einen Impfstoff gegen AIDS. Darüber hinaus hat ein Einstein auch einen Teil seiner Berühmtheit dadurch erlangt, daß er sich auch gesellschaftlich engagiert hat, was ich in diesem Ausmaß heute auch nicht mehr sehe.
Was die Begrenzung auf maximal drei Preisträger angeht: ich halte das auch für einen Anachronismus, in der Zeit der immer umfangreicheren Forschung und der AGs wäre es mal Zeit für eine Überarbeitung der Regularien.

Rugger

luckyblue
21.12.2002, 13:01
Bahnbrechende Errungenschaften sind ja gerade deshalb bahnbrechend, weil sie unvorhersehbar sind, insofern düfte ihr Verfallsdatum noch nicht erreicht sein.

Darüber hinaus hat ein Einstein auch einen Teil seiner Berühmtheit dadurch erlangt, daß er sich auch gesellschaftlich engagiert hat, was ich in diesem Ausmaß heute auch nicht mehr sehe.
Absolut richtig! Darum geht es schließlich auch: Visionen entwickeln und öffentlich vermarkten.

Noch was zu der Preisverleihung an "junge" Wissenschaftler: Kann eine kontrovers diskutierte Preisverleihung - gerade vor dem Hintergrund des enormen Renommees des Nobelpreises - nicht den wissenschaftlichen Forscherdrang beflügeln und den Fortschritt beschleunigen? Das schon erwähnte Beispiel Prusiner dokumentiert das doch. Zwar ist die Prionen-Hypothese immer noch nicht endgültig bewiesen, aber die Forschung auf diesem Gebiet wurde nach der vehement kritisierten Verleihung an Prusiner in 1997 massiv intensiviert. (Auch der diesjährige Chemie-Preis gilt der Prionen-Forschung.) Die Intensität der Prionen-Forschung ging sogar am IMPP nicht spurlos vorbei, wie die Neuauflage des GK1 manifestiert;-)

Wer Stanley Prusiner ist und was er macht: Hier (http://www.m-ww.de/persoenlichkeiten/prusiner.html)
Gegenstand der Diskussion um Prionen vor dem Hintergrund von CFJ und BSE: Hier (http://www.zeit.de/2001/01/Wissen/200101_bse-diringer.html)


cu
luckyblue

Lava
22.12.2002, 13:12
Also ich hätte da vielleicht folgende Idee. Wie hier schon angemerkt wurde hat sich die Wissenschaft so verändert, dass man kaum EIn Projekt oder gar EINEN Forscher ganz allein mit allen Ehren überhäufen und hunderte andere leer ausgehen lassen kann. So wie ich die Sache sehe, ist Forschung heute viel spezialisierter als früher und es forschen ja oft dutzende oder gar hunderte (?) von Arbeitsgruppen an einem Thema. Soll man nur den ehren, der zuerst den doppelten Strich unter das Endergebnis gezogen hat?
In der Welt der Wissenschaft gibt es inzwischen auch sicher sehr viele Preise und Ehrungen, die der Öffentlichkeit nur nicht so sehr bekannt sind. Deshalb könnte man doch den Nobelpreis eher als eine Art Auszeichung fürs Lebenswerk ansehen. Dann bekommen ihn halt wirklich nur noch emeritierte Greise. Aber eben solche, die nicht nur eine Eintagsfliege waren! Ich könnte mir denken, dass man manchmal den Wert einer Entdeckung auch erst nach Jahren richtig einschätzen kann...
:-meinung

hobbes
22.12.2002, 15:33
ausnahmsweise nur ein einziger Gedanke von mir zu diesem Thema (vorerst):

Die Aufsplitterung von Nobelpreisen auf mehrere Preisträger führt gerade dazu, dass niemand mehr die Preisträger kennt, weil es zuviele werden.

Die Frage ist allerdings wirklich, ob es heute noch Einzelleistungen gibt, die auszeichnungswürdig sind. Sind es nicht viel mehr Teamleistungen? Müsste man vielleicht eher Institute oder Firmen auszeichnen?