katja82
22.12.2002, 19:17
Am Anfang steht der Weg
Der Werdegang eines Arztes in unserer westlichen Gesellschaft ist ein Kapitel für sich, ein anachronistisches, irgendwie bedenkliches.
Eigentlich beginnt der Weg zum Arzt in der Grundschule mit der Auswahl derjenigen Personen, welche überhaupt eine höhere Ausbildung absolvieren werden. Da ist etwa ein ehrgeiziges Elternhaus eine gute und oft vorgefundene Basis. Als Ausgangspunkt für die Laufbahn eines Arztes könnte man also formulieren: Kind ehrgeiziger Eltern.
Natürlich spielt auch heute noch die finanzielle Situation des Elternhauses eine wichtige Rolle. Auch wenn finanzschwache Eltern in vielen europäischen Ländern kein grundsätzlicher Ausschlussgrund für den Werdegang eines Arztes sind (eine grosse Opferbereitschaft der Eltern und eine nicht allzu grosse Geschwisterschar vorausgesetzt, die allenfalls auch studieren möchte), wird man in einer medizinischen Fakultät überproportional viele Kinder eines finanziell sorgenfreien Haushaltes antreffen. Den meisten Medizinern dürfte also die Gewöhnung an ausreichend materielle Güter mit auf den Weg gegeben sein.
Vor der Zulassung zur Hochschule steht heute immer öfter eine Form des Numerus Clausus, also einer Zulassungsbeschränkung zum Studium aufgrund eines Notendurchschnitts oder einer Aufnahmeprüfung, zusätzlich zur Matura. Wo nicht, wird in den ersten Studienjahren die Spreu vom Weizen getrennt. In beiden Fällen ist der Effekt derselbe: Ein minimaler Notendurchschnitt in überwiegend mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ist Bedingung für das Weiterkommen. Eine psychologische Eignungsbescheinigung oder Vorbereitung, wie sie in anderen Berufen des medizinisch - sozialen Bereichs durchgeführt wird, ist da nicht vorgesehen.
Es findet also zu Studienbeginn bereits eine Auslese nach Neigungen statt, welche bei der Ausübung des Arztberufs nicht unbedingt Garant für Mitmenschlichkeit sind.
Die Zeit des Heranwachsens ist eine, die einen Menschen enorm prägt. Da passiert in der Entwicklung zum Menschsein ausserordentlich viel. Wer verpasst, was da zwischenmenschlich, sozial, kulturell und politisch mit einem Menschen geschieht, wird das schwerlich irgendwann nachholen, schon gar nicht, wenn er die Laufbahn eines Mediziners einschlägt, wo bis auf weiteres, das heisst zum Alter von 40 bis 50 Jahren für solche Dinge keine Zeit zur Verfügung stehen wird. Es ist nahe liegend, dass gute Schulnoten und ein intensives Erkunden der Welt, wie sie sich wirklich darstellt, sich schlecht vertragen, von ein paar Ausnahmen abgesehen, die wie der Autor mit mehr Glück als Verstand durch die Ausbildung schlittern. Zusammenfassend kann man also sagen: Ein gewisses soziales, kulturelles und politisches Defizit trägt der spätere Arzt bereits zu Beginn seiner Ausbildung fast zwangsläufig in sich.
Bereits auf der Mittelschule, spätestens aber auf der Universität ist der Ausdruck Elite eines der am häufigsten gehörten Attribute, mit der die angehenden Ärzte erst von Lehrerseite bezeichnet werden, um anschliessend sich selbst immer häufiger so zu benennen. Ähnliche Bezeichnungen gesellen sich im Laufe der Zeit dazu, kurz die Studenten werden dazu erzogen, sich als etwas besseres zu fühlen, über denen stehend, die später einmal ihre Praxis aufsuchen werden. Unterstrichen wird das im Verlauf des Studiums mit Anlässen, an denen Anzug und Krawatte, klassische Musik und dergleichen üblich und die Auserkorenen ganz unter sich sind, allenfalls sind noch Angehörige und Studierende anderer Fakultäten geduldet. Und an der Uni werden bereits Zahlen über zu erwartende Einkommen herum geboten, ausserdem ist ja auch der eine oder andere Sprössling aus einem Ärztehaus dabei, der das Einkommen von Mutter oder Vater nicht gerade untertreibt. Zur Ausbildung eines Arztes gehört folglich auch das schrittweise vertraut machen mit einer elitären Selbsteinschätzung.
Gleichzeitig mit dem Standesdünkel erfolgt die Ausbildung zu Obrigkeitsgläubigkeit, Gehorsam, Respekt und Widerspruchslosigkeit. (Vielleicht bedingt das eine das andere: Wer auf eine Masse von Tiefergestellten herabsehen darf, dem fällt es leichter, einigen Höhergestellten gegenüber den Buckel zu machen, das Prinzip kennen wir von militärischen Laufbahnen her.) Wer je seine Zeit an einer medizinischen Fakultät absass und gelegentlich eine Vorlesung an einer philosophischen Fakultät besuchte, wird verstehen, was ich meine. An letzterer wird diskutiert, widersprochen, in Frage gestellt, während dies bei Medizinstudenten in den seltensten Fällen günstig für das Fortkommen wirkt.
Wenn der Medizinstudent die Mühle der theoretischen Lehre durchlaufen hat, steht ihm die klinische Ausbildung in Kliniken und Spitälern bevor. Und hier können auch die Nichtmediziner unter uns oftmals aus Erfahrung mitreden, als Patient erlebt man da so einige aufschlussreiche Anschauungsbeispiele. Hier herrscht meist noch preussische Disziplin und Hierarchie. Die Krankenschwester oder der Pfleger, auch wenn sie 30 Jahre Erfahrung auf dem Buckel haben, werden in medizinische Entscheidungsprozesse kaum einbezogen, haben nicht viel zu melden, auch dem neuen Assistenzarzt gegenüber nicht. Doch vom sogenannten medizinischen Hilfspersonal wird an anderer Stelle die Rede sein. Betrachten wir uns deshalb mal eine typische Arztvisite. Es ist doch immer wieder köstlich mitanzusehen, in welcher Reihenfolge da grundsätzlich durch Gänge und Zimmer gehuscht wird und wer vor dem Patienten etwas sagen darf oder nicht. Und wenn einer die Regel des Schweigens aus niederen Rängen heraus durchbricht, sind die Gesichter und Reaktionen des „Kollegiums" ein Schauspiel für sich. Dieselben Szenen erlebt man natürlich auch an Orten, wo Patienten nichts zu suchen haben. Recht hat, wer im Rang höher steht. Und wer im Rang aufsteigen will, wozu sich Ärzte das Ganze unter anderem antun, der schweigt im richtigen Moment und lacht über die Uraltscherze des Chefarztes. Gehorsam, Selbstkontrolle (-zensur), Karrieredenken und Obrigkeitsgläubigkeit sind die nichtmedizinischen Lernfelder, mit denen sich ein Arzt während 20 bis 30 Jahren seiner Ausbildung herumschlägt. Wen wundert es, dass unsere Ärzteschaft davon geprägt ist. Wen wundert es, dass die Diagnose einer sogenannten Kapazität auch dann kaum je in Zweifel gezogen wird, wenn der Arzt längst selbständig sein Geld verdient, dass geltende Lehrmeinungen nur selten in Frage gestellt werden.
Wer sich heute in Entscheidungsgremien einer erfolgreichen Firma umschaut, wird verstehen, warum ich diese Ausbildung zu Beginn als nicht mehr zeitgemäss bezeichnet habe. Wenn wir eine moderne und humane Ärzteschaft fördern wollen, braucht es dringend andere Kriterien der Auswahl und der Ausbildung zukünftiger Mediziner. Auf der Basis mathematisch - naturwissenschaftlicher Auslese und ohne die Förderung kritischen Denkens in der Ausbildung werden wir weiterhin obrigkeitstreue Mediziningenieure an unsere Körper lassen.
Der Werdegang eines Arztes in unserer westlichen Gesellschaft ist ein Kapitel für sich, ein anachronistisches, irgendwie bedenkliches.
Eigentlich beginnt der Weg zum Arzt in der Grundschule mit der Auswahl derjenigen Personen, welche überhaupt eine höhere Ausbildung absolvieren werden. Da ist etwa ein ehrgeiziges Elternhaus eine gute und oft vorgefundene Basis. Als Ausgangspunkt für die Laufbahn eines Arztes könnte man also formulieren: Kind ehrgeiziger Eltern.
Natürlich spielt auch heute noch die finanzielle Situation des Elternhauses eine wichtige Rolle. Auch wenn finanzschwache Eltern in vielen europäischen Ländern kein grundsätzlicher Ausschlussgrund für den Werdegang eines Arztes sind (eine grosse Opferbereitschaft der Eltern und eine nicht allzu grosse Geschwisterschar vorausgesetzt, die allenfalls auch studieren möchte), wird man in einer medizinischen Fakultät überproportional viele Kinder eines finanziell sorgenfreien Haushaltes antreffen. Den meisten Medizinern dürfte also die Gewöhnung an ausreichend materielle Güter mit auf den Weg gegeben sein.
Vor der Zulassung zur Hochschule steht heute immer öfter eine Form des Numerus Clausus, also einer Zulassungsbeschränkung zum Studium aufgrund eines Notendurchschnitts oder einer Aufnahmeprüfung, zusätzlich zur Matura. Wo nicht, wird in den ersten Studienjahren die Spreu vom Weizen getrennt. In beiden Fällen ist der Effekt derselbe: Ein minimaler Notendurchschnitt in überwiegend mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ist Bedingung für das Weiterkommen. Eine psychologische Eignungsbescheinigung oder Vorbereitung, wie sie in anderen Berufen des medizinisch - sozialen Bereichs durchgeführt wird, ist da nicht vorgesehen.
Es findet also zu Studienbeginn bereits eine Auslese nach Neigungen statt, welche bei der Ausübung des Arztberufs nicht unbedingt Garant für Mitmenschlichkeit sind.
Die Zeit des Heranwachsens ist eine, die einen Menschen enorm prägt. Da passiert in der Entwicklung zum Menschsein ausserordentlich viel. Wer verpasst, was da zwischenmenschlich, sozial, kulturell und politisch mit einem Menschen geschieht, wird das schwerlich irgendwann nachholen, schon gar nicht, wenn er die Laufbahn eines Mediziners einschlägt, wo bis auf weiteres, das heisst zum Alter von 40 bis 50 Jahren für solche Dinge keine Zeit zur Verfügung stehen wird. Es ist nahe liegend, dass gute Schulnoten und ein intensives Erkunden der Welt, wie sie sich wirklich darstellt, sich schlecht vertragen, von ein paar Ausnahmen abgesehen, die wie der Autor mit mehr Glück als Verstand durch die Ausbildung schlittern. Zusammenfassend kann man also sagen: Ein gewisses soziales, kulturelles und politisches Defizit trägt der spätere Arzt bereits zu Beginn seiner Ausbildung fast zwangsläufig in sich.
Bereits auf der Mittelschule, spätestens aber auf der Universität ist der Ausdruck Elite eines der am häufigsten gehörten Attribute, mit der die angehenden Ärzte erst von Lehrerseite bezeichnet werden, um anschliessend sich selbst immer häufiger so zu benennen. Ähnliche Bezeichnungen gesellen sich im Laufe der Zeit dazu, kurz die Studenten werden dazu erzogen, sich als etwas besseres zu fühlen, über denen stehend, die später einmal ihre Praxis aufsuchen werden. Unterstrichen wird das im Verlauf des Studiums mit Anlässen, an denen Anzug und Krawatte, klassische Musik und dergleichen üblich und die Auserkorenen ganz unter sich sind, allenfalls sind noch Angehörige und Studierende anderer Fakultäten geduldet. Und an der Uni werden bereits Zahlen über zu erwartende Einkommen herum geboten, ausserdem ist ja auch der eine oder andere Sprössling aus einem Ärztehaus dabei, der das Einkommen von Mutter oder Vater nicht gerade untertreibt. Zur Ausbildung eines Arztes gehört folglich auch das schrittweise vertraut machen mit einer elitären Selbsteinschätzung.
Gleichzeitig mit dem Standesdünkel erfolgt die Ausbildung zu Obrigkeitsgläubigkeit, Gehorsam, Respekt und Widerspruchslosigkeit. (Vielleicht bedingt das eine das andere: Wer auf eine Masse von Tiefergestellten herabsehen darf, dem fällt es leichter, einigen Höhergestellten gegenüber den Buckel zu machen, das Prinzip kennen wir von militärischen Laufbahnen her.) Wer je seine Zeit an einer medizinischen Fakultät absass und gelegentlich eine Vorlesung an einer philosophischen Fakultät besuchte, wird verstehen, was ich meine. An letzterer wird diskutiert, widersprochen, in Frage gestellt, während dies bei Medizinstudenten in den seltensten Fällen günstig für das Fortkommen wirkt.
Wenn der Medizinstudent die Mühle der theoretischen Lehre durchlaufen hat, steht ihm die klinische Ausbildung in Kliniken und Spitälern bevor. Und hier können auch die Nichtmediziner unter uns oftmals aus Erfahrung mitreden, als Patient erlebt man da so einige aufschlussreiche Anschauungsbeispiele. Hier herrscht meist noch preussische Disziplin und Hierarchie. Die Krankenschwester oder der Pfleger, auch wenn sie 30 Jahre Erfahrung auf dem Buckel haben, werden in medizinische Entscheidungsprozesse kaum einbezogen, haben nicht viel zu melden, auch dem neuen Assistenzarzt gegenüber nicht. Doch vom sogenannten medizinischen Hilfspersonal wird an anderer Stelle die Rede sein. Betrachten wir uns deshalb mal eine typische Arztvisite. Es ist doch immer wieder köstlich mitanzusehen, in welcher Reihenfolge da grundsätzlich durch Gänge und Zimmer gehuscht wird und wer vor dem Patienten etwas sagen darf oder nicht. Und wenn einer die Regel des Schweigens aus niederen Rängen heraus durchbricht, sind die Gesichter und Reaktionen des „Kollegiums" ein Schauspiel für sich. Dieselben Szenen erlebt man natürlich auch an Orten, wo Patienten nichts zu suchen haben. Recht hat, wer im Rang höher steht. Und wer im Rang aufsteigen will, wozu sich Ärzte das Ganze unter anderem antun, der schweigt im richtigen Moment und lacht über die Uraltscherze des Chefarztes. Gehorsam, Selbstkontrolle (-zensur), Karrieredenken und Obrigkeitsgläubigkeit sind die nichtmedizinischen Lernfelder, mit denen sich ein Arzt während 20 bis 30 Jahren seiner Ausbildung herumschlägt. Wen wundert es, dass unsere Ärzteschaft davon geprägt ist. Wen wundert es, dass die Diagnose einer sogenannten Kapazität auch dann kaum je in Zweifel gezogen wird, wenn der Arzt längst selbständig sein Geld verdient, dass geltende Lehrmeinungen nur selten in Frage gestellt werden.
Wer sich heute in Entscheidungsgremien einer erfolgreichen Firma umschaut, wird verstehen, warum ich diese Ausbildung zu Beginn als nicht mehr zeitgemäss bezeichnet habe. Wenn wir eine moderne und humane Ärzteschaft fördern wollen, braucht es dringend andere Kriterien der Auswahl und der Ausbildung zukünftiger Mediziner. Auf der Basis mathematisch - naturwissenschaftlicher Auslese und ohne die Förderung kritischen Denkens in der Ausbildung werden wir weiterhin obrigkeitstreue Mediziningenieure an unsere Körper lassen.