Jens
29.12.2002, 22:13
Hallo,
Stilkunde im 20er-Pack: 20 Hinweise, 20 Regeln und 20 Ratschläge
oder: in jedem Text steckt unendlich viel Arbeit, wollte man den perfekten Text präsentieren. Nichtsdestotrotz kann eine stellenweise Überarbeitung anhand folgender Ratschläge den Text in einem neuen Gewand erscheinen lassen.
nach: Ludwig Reiners: Stilfibel, dtv (die Investition von 10 € lohnt wirklich)
Wir werden im Verlauf einige dieser Hinweise herausgreifen und Texte damit bearbeiten. Schaut euch einfach zur Einstimmung einmal die ersten 20 von insgesamt 60 Hinweisen (siehe weitere Beiträge in diesem Forum) an.
An einigen Stellen habe ich kleine Beispiele und Kommentare eingefügt, insgesamt ist dies aber nur eine Ausgangsversion, mit der wir von Zeit zu Zeit arbeiten werden (Beispielsätze finden usw.)
Ich selbst habe hier oftmals die Augen geöffnet bekommen, was ich bei meinen Texten so alles noch berücksichtigen könnte. Vielleicht ergeht es euch ähnlich.
Viel Spass!
Jens
I: 20 Allgemeine Hinweise (meist intuitiv beim Schreiben berücksichtigt, aber dennoch ggf. hilfreich und zum Warmlaufen gedacht)
1: Vermeide das Wort "derselbe"! Lasse es entweder ganz weg oder ersetze es durch ein Pronomen (er, sie, es) oder sinnverwandte Wörter. Bisweilen kann man das Ursprungswort auch wiederholen
2: Wiederhole ein Wort nicht innerhalb einiger Zeilen! Vermeide auch den zufälligen Gleichklang! Nur besonders betonte Worte dürfen - sparsam allerdings - wiederholt werden.
3: Verdoppele nie den schon durch ein Wort kräftigen Ausdruck ("kurzgefasstes Kompendium", "rote Tomaten"; "gelbe Zitronen"). Setze Dich nie auf weisse Schimmel;
4: Verdrehe nicht die Stellung nach "und": das Subjekt steht nach "und" VOR dem Prädikat ("Fleissiger Student gesucht und sollte die Akten sortieren")
5: Lass die Verben vorherhinken, nicht zu spät nachfolgen: Bei trennbaren Verben darf man die Vorsilbe nicht allzuweit von der Nachsilbe entfernen, sonst geht Verständnis verloren. Mache Nebensätze nicht zu lang, sonst hinkt das Verb zu weit nach. ("Plötzlich suchte ich wie von einem Ideenblitz getroffen und blind die Textstelle im Lehrbuch, das schon im Regal Staub angesetzt hatte und das ich dennoch gleich fand, zwischen zahlreichen Seiten, heraus." <--> " Ein Geistesblitz schien mich getroffen zu haben: ich suchte in einem längst vergessenen, verstaubten Lehrbuch mühelos eine passende Textstelle heraus.)
6: Hilf mit, den Genitiv zu retten und bilde keinen Genitiv mit "von"! ("Die Tabletten von Frau Meier" <--> "Frau Meiers Tabletten").
7: Vermeide sogenannte "Klemmkonstruktionen", bei denen zwischen Artikel und Hauptworte zahlreiche Wörter eingebaut werden: "Ich hatte in der in Hannover absolvierten, arbeitsreichen und manchmal auch angenehmen, wenn auch im Nachhinein wie im Fluge vergangenen Vorklinik viel Stress." <--> "Die Vorklinik habe ich in Hannover absolviert. Die Zeit verging im Nachhinein betrachtet wie im Fluge. Dort habe ich viel Angenehmes erlebt, kann mich aber auch an sehr stressige Zeiten erinnern."
8: Vermeide übermässigen Gebrauch der Passiv-Formen ("Leideform") und erzähle Handlungen mit einem Verb in "Tatform". Das Passiv hat seinen Sinn nur dort, wo etwas erlitten wird und der Täter/die Ursache undurchsichtig ist, nicht angegeben oder bewusst verschwiegen werden soll: "Anja wurde in der Famulatur von vielfältigen Eindrücken umgeben, Herr Dr. Müller wurde von ihr sehr bewundert. <--> "Anja wurde in der Famulatur von vielfältigen Eindrücken umgeben, sie bewunderte Herrn Dr. Müller."
9: Verwende Relativsätze nur dazu, Eigenschaften mitzuteilen, Dinge zu beschreiben, Sachen voneinander zu unterscheiden oder früher Gesagtes nochmals anzuführen.
Verwende sie nicht, um wichtige, vor allem zukünftige Geschehen oder Hauptgedanken anzubringen: Hauptsachen erfordern Hauptsätze.
10: Vermeide Ausdrücke aus dem Rechts- und Beamtenwesen ("Kanzleisprache")!
11: Benutze "ALS" nach: Komparativ und nach "anders"
Benutze "WIE" nach: "SO" und nach Vergleichen ähnlicher Dinge
12: Beachte die richtige Wahl der Zeitform in den Texten (Tempus): lebhafte Erzählungen in der Gegenwartsform, gewöhnliche Erzählungen in der Vergangenheit (sowie in beiden Erzähltypen bei Berichten aus der Vergangenheit: das Perfekt, wenn die Gegenwartsform bestimmend ist, das Plusquamperfekt, wenn Vergangenheitsform bestimmend ist.
13: Nutze nie zwei Wörter, wo auch eines reicht: "Der Wahn ist ein kurzer und die Reue eine lange." <--> "Der Wahn ist kurz und die Reue lang." (Schiller)
14: Setze nie das Wörtchen "was" als Bezugswort hinter ein Hauptwort. Setze "was" nie hinter einen ganzen Satz. Das Wörtchen "was" kann hingegen hinter einer unbestimmten Sache oder hinter einem Eigenschaftswort stehen.
15: Benutze die Worte "um zu" nur in Sätzen, die eine Absicht des Subjektes ausdrücken und die nicht von einem Hauptwort anhängen: "Claudia studierte in Berlin Medizin, um dort das Völkerkundemuseum zauberhaft zu finden." <--> "Claudia studierte in Berlin Medizin und empfand das Völkerkundemuseum als traumhaft ."
16: Hüte Dich davor, in "wenn"-Sätzen das Wörtchen "würde" zu benutzen: "Wenn ich poltern würde,..." <--> "Wenn ich polterte,...."
17: Verwende Eigenschaftswörter (Adjektive) vor zusammengesetzten Hauptwörtern nie mit Bezug auf den ersten, sondern immer auf den zweiten Teil des Hauptwortes: "reitende Artilleriekaserne"<-->"reitende Artillerie in einer Kaserne"; "kleinem Kindergeschrei" <--> "Geschrei kleiner Kinder"
18: Verwechsele die Wörtchen "hin" und "her" nicht in ihrer Bedeutung: "hin" = "von mir weg"; "her" = zu mir: "Isolde kam zu mir hin" <---> "Isolde kam zu mir her."; "Da stand es gut um unser Haus, nur viel herein und nichts hinaus (Goethe).
19: Gebrauche kein Partizip im Passiv bei Verben, die keine Passivform besitzen! " Bei dem gestern stattgefundenen Testat...." <---> "Bei dem gestern abgelegten Testat."
20: Sieh diese ersten Regeln nicht allzu eng, sondern eher als erste kleine Hilfe und Anregung: vieles beim Schreiben wird schon intuitiv richtig gehandhabt.
Stilkunde im 20er-Pack: 20 Hinweise, 20 Regeln und 20 Ratschläge
oder: in jedem Text steckt unendlich viel Arbeit, wollte man den perfekten Text präsentieren. Nichtsdestotrotz kann eine stellenweise Überarbeitung anhand folgender Ratschläge den Text in einem neuen Gewand erscheinen lassen.
nach: Ludwig Reiners: Stilfibel, dtv (die Investition von 10 € lohnt wirklich)
Wir werden im Verlauf einige dieser Hinweise herausgreifen und Texte damit bearbeiten. Schaut euch einfach zur Einstimmung einmal die ersten 20 von insgesamt 60 Hinweisen (siehe weitere Beiträge in diesem Forum) an.
An einigen Stellen habe ich kleine Beispiele und Kommentare eingefügt, insgesamt ist dies aber nur eine Ausgangsversion, mit der wir von Zeit zu Zeit arbeiten werden (Beispielsätze finden usw.)
Ich selbst habe hier oftmals die Augen geöffnet bekommen, was ich bei meinen Texten so alles noch berücksichtigen könnte. Vielleicht ergeht es euch ähnlich.
Viel Spass!
Jens
I: 20 Allgemeine Hinweise (meist intuitiv beim Schreiben berücksichtigt, aber dennoch ggf. hilfreich und zum Warmlaufen gedacht)
1: Vermeide das Wort "derselbe"! Lasse es entweder ganz weg oder ersetze es durch ein Pronomen (er, sie, es) oder sinnverwandte Wörter. Bisweilen kann man das Ursprungswort auch wiederholen
2: Wiederhole ein Wort nicht innerhalb einiger Zeilen! Vermeide auch den zufälligen Gleichklang! Nur besonders betonte Worte dürfen - sparsam allerdings - wiederholt werden.
3: Verdoppele nie den schon durch ein Wort kräftigen Ausdruck ("kurzgefasstes Kompendium", "rote Tomaten"; "gelbe Zitronen"). Setze Dich nie auf weisse Schimmel;
4: Verdrehe nicht die Stellung nach "und": das Subjekt steht nach "und" VOR dem Prädikat ("Fleissiger Student gesucht und sollte die Akten sortieren")
5: Lass die Verben vorherhinken, nicht zu spät nachfolgen: Bei trennbaren Verben darf man die Vorsilbe nicht allzuweit von der Nachsilbe entfernen, sonst geht Verständnis verloren. Mache Nebensätze nicht zu lang, sonst hinkt das Verb zu weit nach. ("Plötzlich suchte ich wie von einem Ideenblitz getroffen und blind die Textstelle im Lehrbuch, das schon im Regal Staub angesetzt hatte und das ich dennoch gleich fand, zwischen zahlreichen Seiten, heraus." <--> " Ein Geistesblitz schien mich getroffen zu haben: ich suchte in einem längst vergessenen, verstaubten Lehrbuch mühelos eine passende Textstelle heraus.)
6: Hilf mit, den Genitiv zu retten und bilde keinen Genitiv mit "von"! ("Die Tabletten von Frau Meier" <--> "Frau Meiers Tabletten").
7: Vermeide sogenannte "Klemmkonstruktionen", bei denen zwischen Artikel und Hauptworte zahlreiche Wörter eingebaut werden: "Ich hatte in der in Hannover absolvierten, arbeitsreichen und manchmal auch angenehmen, wenn auch im Nachhinein wie im Fluge vergangenen Vorklinik viel Stress." <--> "Die Vorklinik habe ich in Hannover absolviert. Die Zeit verging im Nachhinein betrachtet wie im Fluge. Dort habe ich viel Angenehmes erlebt, kann mich aber auch an sehr stressige Zeiten erinnern."
8: Vermeide übermässigen Gebrauch der Passiv-Formen ("Leideform") und erzähle Handlungen mit einem Verb in "Tatform". Das Passiv hat seinen Sinn nur dort, wo etwas erlitten wird und der Täter/die Ursache undurchsichtig ist, nicht angegeben oder bewusst verschwiegen werden soll: "Anja wurde in der Famulatur von vielfältigen Eindrücken umgeben, Herr Dr. Müller wurde von ihr sehr bewundert. <--> "Anja wurde in der Famulatur von vielfältigen Eindrücken umgeben, sie bewunderte Herrn Dr. Müller."
9: Verwende Relativsätze nur dazu, Eigenschaften mitzuteilen, Dinge zu beschreiben, Sachen voneinander zu unterscheiden oder früher Gesagtes nochmals anzuführen.
Verwende sie nicht, um wichtige, vor allem zukünftige Geschehen oder Hauptgedanken anzubringen: Hauptsachen erfordern Hauptsätze.
10: Vermeide Ausdrücke aus dem Rechts- und Beamtenwesen ("Kanzleisprache")!
11: Benutze "ALS" nach: Komparativ und nach "anders"
Benutze "WIE" nach: "SO" und nach Vergleichen ähnlicher Dinge
12: Beachte die richtige Wahl der Zeitform in den Texten (Tempus): lebhafte Erzählungen in der Gegenwartsform, gewöhnliche Erzählungen in der Vergangenheit (sowie in beiden Erzähltypen bei Berichten aus der Vergangenheit: das Perfekt, wenn die Gegenwartsform bestimmend ist, das Plusquamperfekt, wenn Vergangenheitsform bestimmend ist.
13: Nutze nie zwei Wörter, wo auch eines reicht: "Der Wahn ist ein kurzer und die Reue eine lange." <--> "Der Wahn ist kurz und die Reue lang." (Schiller)
14: Setze nie das Wörtchen "was" als Bezugswort hinter ein Hauptwort. Setze "was" nie hinter einen ganzen Satz. Das Wörtchen "was" kann hingegen hinter einer unbestimmten Sache oder hinter einem Eigenschaftswort stehen.
15: Benutze die Worte "um zu" nur in Sätzen, die eine Absicht des Subjektes ausdrücken und die nicht von einem Hauptwort anhängen: "Claudia studierte in Berlin Medizin, um dort das Völkerkundemuseum zauberhaft zu finden." <--> "Claudia studierte in Berlin Medizin und empfand das Völkerkundemuseum als traumhaft ."
16: Hüte Dich davor, in "wenn"-Sätzen das Wörtchen "würde" zu benutzen: "Wenn ich poltern würde,..." <--> "Wenn ich polterte,...."
17: Verwende Eigenschaftswörter (Adjektive) vor zusammengesetzten Hauptwörtern nie mit Bezug auf den ersten, sondern immer auf den zweiten Teil des Hauptwortes: "reitende Artilleriekaserne"<-->"reitende Artillerie in einer Kaserne"; "kleinem Kindergeschrei" <--> "Geschrei kleiner Kinder"
18: Verwechsele die Wörtchen "hin" und "her" nicht in ihrer Bedeutung: "hin" = "von mir weg"; "her" = zu mir: "Isolde kam zu mir hin" <---> "Isolde kam zu mir her."; "Da stand es gut um unser Haus, nur viel herein und nichts hinaus (Goethe).
19: Gebrauche kein Partizip im Passiv bei Verben, die keine Passivform besitzen! " Bei dem gestern stattgefundenen Testat...." <---> "Bei dem gestern abgelegten Testat."
20: Sieh diese ersten Regeln nicht allzu eng, sondern eher als erste kleine Hilfe und Anregung: vieles beim Schreiben wird schon intuitiv richtig gehandhabt.