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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zweitstudium und Umfeld



KlausS
10.10.2009, 12:08
Hallo alle zusammen,

ich wollte mal wissen, wie euer Umfeld (Familie, Freunde) auf euer Zweitstudium mit >30 reagiert bzw. reagiert hat.
Gibt es hier jemand der darüber berichten kann/möchte. Würde mich sehr interessieren.
War euer Umfeld eher erstaunt, überrascht, geschockt, entsetzt oder aber auch vollkommen begeistert ?

Also ich bin jetzt 34 und fange jetzt endlich mein Medizin-Zweitstudium an.
Mein Umfeld hat vorallem entsetzt und enttäuscht reagiert...

tortet
11.10.2009, 00:25
Hallo Klaus,

das ist sehr schade - gibt es in Deinem Umfeld keine Ausnahme? Wenigstens eine oder zwei Personen, die Dich stärken können und in stressigen Phasen aufbauen?

Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht, vor allem wäre an meiner Entscheidung beinahe meine Beziehung kaputtgegangen. Meine Familie war dagegen zunächst geschockt, es gibt aber Personen, die mir Rückhalt geben.
Meistens treffe ich jedoch auf Unverständnis und auch Desinteresse......

Ich wünsche Dir, dass Deine Situation sich bessert.... Laß Deinem Umfeld etwas Zeit.

LG
die Torte

KlausS
11.10.2009, 11:04
Eigentlich hatte ich meinen Wunsch Medizin zu Studieren schon während meines ersten Studiums geäussert, alle hatten es aber verdrängt und für nur einen schlechten Witz gehalten.
Nachdem ich aber diesen Sonmmer tatsächlich einen Studienplatz bekommen habe und alle damit konfrontieren musste wurde es richtig ungemütlich. Meine Schwiegereltern wollten, dass sich meine Frau von mir trennt. Das Verhältnis zu der Familie meiner Schwiegereltern ist gestört.
Meine Frau steht aber zu mir!

airmaria
11.10.2009, 11:25
na, dann schlägste doch gleich zwei fliegen mit einer klappe:

du studierst das, was du immer wolltest...
und schiesst die ollen schwiegereltern in die wüste :-))

maschbau und medizin ist übrigens ne coole kombi ;-)
natürlich erklären einen zunächst mal alle für bekloppt, insbesondere dann, wenn man einen sicheren, geregelten job mit gutem einklommen für ein relativ langes studium mit fraglichen ausgang aufgibt.
hier liegt auch der knackpunkt bzw. das hauptrisiko für eine solche entscheidung im fortgeschrittenen alter: man hat eigentlich keine echte wahl, wenn man sich dafür entscheidet: man muss es schaffen.
wenn es dann geschafft ist, haben einen plötzlich alle wieder lieb... wie bei jeder anderen verückten sache auch, wenn sie denn geklappt hat.
airmaria

tortet
11.10.2009, 16:03
Eigentlich hatte ich meinen Wunsch Medizin zu Studieren schon während meines ersten Studiums geäussert, alle hatten es aber verdrängt und für nur einen schlechten Witz gehalten.
Nachdem ich aber diesen Sonmmer tatsächlich einen Studienplatz bekommen habe und alle damit konfrontieren musste wurde es richtig ungemütlich. Meine Schwiegereltern wollten, dass sich meine Frau von mir trennt. Das Verhältnis zu der Familie meiner Schwiegereltern ist gestört.
Meine Frau steht aber zu mir!

Solange Deine Frau zu Dir hält, ist doch alles in Ordnung. Deine Schwiegereltern machen sich offenbar Sorgen, dass Deine Frau unter Deiner Entscheidung leiden könnte - was zwar schade ist, aber auch zu einem Teil nachvollziehbar. Ich hoffe, dass Deine Frau nicht zu sehr "zwischen die Fronten" gerät.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass alles ein wenig Zeit braucht (bei mir etwa ein halbes Jahr), bis sich alle an die veränderte Situation gewöhnt haben und die Ernsthaftigkeit des Wunsches, Medizin zu studieren, akzeptieren.

Wenn ich das richtig verstehe, steht Deine Familie hinter Dir? "Nur" das Verhältnis zu den Schwiegereltern ist derzeit gestört?

Nina_O
11.10.2009, 20:34
Eine gute Frage! Da mir dieses Forum sehr viel Mut gegeben hat, meinen Zweitstudienwunsch in die Tat umzusetzen, möchte ich an dieser Stelle gerne auch etwas dazu beitragen.

Ich habe meinen Wunsch lange in mir herumgetragen, und als ich mich "outete", fielen die Reaktionen in meinem Freundes- und Familienkreis sehr unterschiedlich aus. Erwartet hatte ich primär Unverständnis. Es gab aber stattdessen positive Überraschungen.

Meine beste Freundin hat mich regelrecht in die Mangel genommen und als Teufels Advokat sehr fiese Fragen gestellt. Im Nachhinein hat mir dies aber geholfen, da ich trotz des Kontra entdeckt habe, dass mein Wunsch weiterhin besteht. Und auch auf schwierige Fragen oder auf solche, an die man selbst noch nicht gedacht hat, sollte man eine Antwort finden. Es ist eine gute Übung, um den eigenen Willen zu testen.

Meine Eltern waren zwar besorgt, aber unerwartet sehr aufgeschlossen. Mein sonst recht wortkarger Vater vertraute mir an, wie auch er mal eine Lebenskrise überwältigt und beruflich umgesattelt hat. Das hat neues Verständnis geschaffen und war eine sehr schöne Erfahrung.

Meine Kollegen - ich muss dazu sagen, dass ich bis vor Kurzem in England arbeitete - haben sich richtig für mich gefreut und fanden es aufregend. Es kam zu vielen Küchengesprächen, was für Wünsche sie denn beruflich hatten und welche sie noch gerne verwirklichen würden. Auch schöne Momente also. Die Trennung fiel dann dementsprechend schwer.

Dazu muss allerdings abschwächend gesagt werden, dass ein großer Unterschied zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland besteht. Im UK ist die Job-Mobilität höher, und auch Quereinsteiger haben größere Chancen als in Deutschland. Dazu kommt, dass Medizin als Prestige-Studium gilt. Man muss dort die Weichen schon früh stellen - als Kind auf die besten Schulen gehen - um für das Studium in Betracht zu kommen. Das erklärt wohl auch die überwiegend positiven Reaktionen.

In Deutschland dagegen kamen mir verstärkt zweifelnde Meinungen entgegen. Hier denkt man noch sehr konservativ, was den Lebenslauf angeht. Einige Bekannte betrachten meine Entscheidung mit Skepsis. Aber letztendlich zählt ja, was man selbst möchte. Und ich suche mir lieber einen Job, der mich erfüllt, als mich nachher finanziell sicherer zu fühlen und zu fragen, was wäre wenn. Und das haben auch meine Freunde akzeptiert. Die haben sich letztendlich mehrheitlich gefreut zu sehen, wie glücklich ich mit der Entscheidung bin. (Das heißt, mit der Entscheidung, mich zu trauen. Noch ist ja alles reine Theorie...) Und viele haben mich auch bestärkt.

Das hört sich jetzt alles leichter an, als es war. Ich habe selbstverständlich extrem mit mir gehadert. Aber es war dann alles gar nicht so "schlimm", wie ich es mir ausgemalt hatte. Das Drama war größtenteils in meinem Kopf.

Übrigens: Ich bin 31 und fange morgen im 1. Semester in Köln an. :-peng Wir werden sehen, wie es weiter geht!

Spark
11.10.2009, 20:47
Die Erfahrung habe ich auch gemacht, daß Deutschland da ganz besonders ängstlich ist.

Natürlich kann man auch irgendwie verstehen daß sich heute jeder an seinen Job klammert, so vorhanden.

Bei mir war´s jedenfalls auch sehr gemischt. Vor allem haben manche nicht verstanden, wieso ich das was ich bis dahin erreicht hatte aufgegeben habe. Nicht daß das so viel war, aber ich hatte bis dahin auch viel zu kämpfen gehabt (nichts zugefallen, viele Widerstände), und dann nochmal zu sagen: so jetzt hab ichs geschafft und schmeiß es gleich weg um noch mal jahrelang auf schmalem Fuß zu leben, das fanden zumindest 3 Leute die mir wichtig sind erstmal völlig unverständlich.

tortet
11.10.2009, 20:49
Dazu muss allerdings abschwächend gesagt werden, dass ein großer Unterschied zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland besteht.
Übrigens: Ich bin 31 und fange morgen im 1. Semester in Köln an. :-peng Wir werden sehen, wie es weiter geht!

Dann gratuliere ich Dir herzlich und wünsche Dir viel Spass im 1. Semester. Ich habe den Schritt niemals bereut, "alles hingeschmissen zu haben" um nochmal zu studieren. Würde es jederzeit wieder machen, auch wenn man finanzielle und soziale Sicherheit dafür riskiert.

Was Du über den UK berichtest, finde ich sehr interessant. Ich habe gehört, dass in vielen Ländern die Zahl derer, die mit 30 oder älter nochmals oder erstmals studieren, recht hoch ist (USA z. B.). Auch in Holland scheint man dazu eine eher pragmatische Einstellung zu haben.

In Deutschland herrscht dagegen eine sehr sicherheitsorientierte Einstellung.... bloss nicht anecken, nichts riskieren.... wenn man sich dann aber umhört, haben viele den Wunsch, ein Studium mit 30 oder fast 40 zu beginnen. Ich frage mich, woran das liegt, dass in Deutschland viele eher vorsichtig sind und sich für sie dieser Traum niemals erfüllen wird.

Spark
11.10.2009, 21:00
Ich frage mich, woran das liegt, dass in Deutschland viele eher vorsichtig sind und sich für sie dieser Traum niemals erfüllen wird.

Ich mich auch.

Eine abendfüllende Antwort habe ich noch nicht gefunden, nur Einzelaspekte wie Mentalität, ungesunde Demut, die Ausrichtung der Gesellschaft auf langfristige Einverdiener-Erwerbsbiographien...

Nina_O
11.10.2009, 21:47
Ich habe gehört, dass in vielen Ländern die Zahl derer, die mit 30 oder älter nochmals oder erstmals studieren, recht hoch ist (USA z. B.). In Deutschland herrscht dagegen eine sehr sicherheitsorientierte Einstellung.... bloss nicht anecken, nichts riskieren....

Da sagst du viel Wahres. Ich glaube, hätte ich nicht ein Jahr in den USA gelebt (jo, meine Selbstfindung ;-) umspannte Kontinente), ich hätte meinen Wunsch nie Ernst genommen. Die Demographie der Studenten dort ist, sowohl was soziale Herkunft, als auch Alter angeht, viel weiter gestreut. Wenn man bedenkt, dass ein soziales Netz dort so gut wie nicht existiert, und dazu noch die hohen Studienkosten bedenkt, ist das ja eigentlich verwunderlich, wieso wir uns so schwer tun...

Kennt jemand die IBM-Studie von Geert Hofstede? Die wird in solchen Kultur- und Mentalitätsvergleichen ja gerne zitiert. Hier gibt es einen (englischen) Link, mit der man Länder nach seinen Kriterien vergleichen kann:

http://www.geert-hofstede.com/hofstede_dimensions.php

Dort sieht man zum Beispiel, dass in den UK "Individualität" stärker ausgeprägt ist, während dazu die "Unsicherheitstoleranz" in Deutschland sehr gering ist. Das passt ja zu unseren Beobachtungen.

Ich hoffe ja, mein "Re-entry Schock" in Dland fällt nicht zu schwer aus.

tortet
11.10.2009, 22:01
http://www.geert-hofstede.com/hofstede_dimensions.php



Vielen Dank für den Link! Man vergleiche mal D mit den Niederlanden (Gleichberechtigung) und China (Langzeitorientierung).....

Schade nur, daß sich offenbar in Deutschland während der letzten 140 Jahre nicht viel an der Mentalität geändert hat. Wir sind einfach zu brav.... ;-)

Nina_O
11.10.2009, 23:04
Vielen Dank für den Link! Man vergleiche mal D mit den Niederlanden (Gleichberechtigung) und China (Langzeitorientierung)....

Nur eine kleine Bemerkung - ein niedriger Wert bei "Maskulinität" bedeutet nicht zwangsläufig Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. Indien, Ostafrika und die Türkei haben zum Beispiel einen geringeren Maskulinitätswert als Deutschland, und die Situation von Frauen ist dort nicht unbedingt rosiger.

Corny
12.10.2009, 21:30
Hallo Klaus!

Lass dich nicht entmutigen und vor allem, lass dich nicht in deinem Tun beirren - jeder muss selbst wissen, was er will - und diejenigen, die das dann tatsächlich durchziehen, sind doch eigentlich eher zu bewundern als wegen ihres "Alters" zu verurteilen. Also, denk dir nichts wenn ein paar Abiabgänger dumm daherlabern - sowas gibts immer - ob du nun zu alt, zu groß, zu klein, zu dick zu dünn oder was auch immer bist - egal in welchem Studium, Job oder in welcher Branche.

Ich selbst kann dir nur sagen, dass ich es nicht bereut habe. Ich war zwar noch nicht über Dreißig, als ich mit meinem Zweitstudium angefangen habe, 26, um genau zu sein - dennoch musste ich des öfteren feststellen, dass man sich ab und zu doch etwas älter als die vielen "Neuankömmlinge", die direkt aus der Schule kommen - fühlt. Nichtsdestotrotz aber auch ein wenig erfahrener in Sachen Lernstress und Selbsteinschätzung nach so einem Erststudium :-) Ich will dich hiermit echt aufbauen und motivieren - die Abgängerquote der "Jungen" ist deutlich höher als die der Spätberufenen - insbesondere vielleicht auch, weil sich letztere diesen Schritt doch ziemlich genau überlegt haben. Außerdem ist der Ehrgeiz größer - ich habe viele kennengelernt, die noch älter waren - zum teil über 40 - sie sind ausnahmslos ziemlich zielstrebig, dementsprechend gut und vor allem: und jetzt kommt's: mittlerweile auch echt beliebt!! Auch wenn sie anfangs Startschwierigkeiten aufgrund ihres Alters hatten. Ich selbst konnte das nie feststellen - ich denke, man sollte sich so jung oder alt geben wie man sich fühlt! Und als Student fühlt man sich doch auch nicht unbedingt alt, oder :-)? Also, wie gesagt - Medizin ist aufgrund der langen Wartezeiten ohnehin ein sehr "altes" Studienfach - und nach einigen Semestern wirst du feststellen, dass das für dich und alle anderen ganz normal ist. Wir sind inzwischen im 10. Semester und alles läuft doch ziemlich harmonisch ab!!

Viel Glück und Erfolg auf deinem Weg!
Conny

Corny
12.10.2009, 21:34
Ach so - ich nochmal - du sprichst eher vom allgemeinen Umfeld? Na, da kann ich dir auch nur sagen, die werden nach kurzer Zeit den Hut vor dir ziehen :-) Mach dir nicht so viele Gedanken - es ist DEIN Leben und deine berufliche Zukunft. (Und irgendwann kommen sie dann mit Fragen, ob du ihnen nicht bei ihren Wehwehchen weiterhelfen könntest :-))

Aber ich kenne die Problematik - ziehs durch - die gewöhnen sich alle dran! Was bleibt ihnen auch anderes?

Alles Gute!

Unbekannter
19.10.2009, 15:58
Ich kenne das Problem auch. Ich habe nur mal anklingen lassen, dass ich darüber nachdenke, meinen (sicheren) Job aufzugeben und ein Medizinstudium anfangen will und schon kamen die negativen Reaktionen. Denk an die Familienplanung, denk an die Rente, willst du nicht auch mal mehr als ein Studentenleben, du bist zu alt, du gibst das auf was andere so gerne hätten, du solltest lieber Geld verdienen, denk an die Zukunft, etc. etc. etc.... Das sind die Sätze, die ich so und in diversen Abwandlungen tausendmal gehört habe.

tortet
25.10.2009, 08:57
Auch wenn es vielleicht nicht so ganz hier in den Thread passt, möchte ich mal das Beispiel "sabbatical" anführen.
Das ist in Ländern wie Holland und den USA ganz normal und akzeptiert, daß man sich mal ein Jahr Auszeit vom Job nimmt. Hier in Deutschland scheint es dafür kein Verständnis zu geben, obwohl ein Sabbatical vermutlich wirtschaftlicher ist als irgendwann wegen Burnout bereits mit Anfang/Mitte 50 in Frührente zu gehen.

Einen sicheren, gutbezahlten Job für eine ungewisse Zukunft aufzugeben, ist natürlich ein Risiko. Ich finde es aber auch wichtig, im Job und im Leben Zufriedenheit zu finden, wenn das fehlt, kann der Job noch so gut bezahlt werden, auf Dauer macht so etwas unglücklich oder sogar krank.

Meiner Meinung nach trifft das auf viele Menschen im mittleren Alter zu. Sie interpretieren dann vermutlich den Wunsch, Medizin zu studieren, als eine Art Fluchtreaktion (was möglicherweise auch zu einem gewissen Teil der Fall ist) und empfinden es als ungerecht, dass sie selbst diesen Schritt nicht wagen wollen oder können.

bremer
26.10.2009, 18:22
Ich kenne das Problem auch. Ich habe nur mal anklingen lassen, dass ich darüber nachdenke, meinen (sicheren) Job aufzugeben und ein Medizinstudium anfangen will und schon kamen die negativen Reaktionen. Denk an die Familienplanung, denk an die Rente, willst du nicht auch mal mehr als ein Studentenleben, du bist zu alt, du gibst das auf was andere so gerne hätten, du solltest lieber Geld verdienen, denk an die Zukunft, etc. etc. etc.... Das sind die Sätze, die ich so und in diversen Abwandlungen tausendmal gehört habe.

Es ist auch wichtig, auf die Schattenseiten hinzuweisen.

Unbekannter
27.10.2009, 09:16
Das stimmt wohl, wobei es fast nur Schattenseiten waren auf die hingewiesen wurde. Es ging quasi nur um das Risiko, nicht um die Rendite...