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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Interessantes Erzählen - ein Dreiakter



Jens
04.01.2003, 15:36
<html><div align="center"> <table border="0" cellpadding="2" width="410"> <tr> <td style="background-color: #FFFFFF"> <p><font face="Courier New" size="3"><b>Sol Stein – Kleines Regelwerk des interessanten Erzählens<br> </b></font><font size="2" face="Courier New"><br> <b>A: Einführung</b><br> Dies ist ein Text von Sol Stein (einer der Leitfiguren der creative writing-Bewegung in den USA, auf den wir ausführlich eingehen werden). Ich habe den Text an einigen Stellen etwas geändert, allerdings in der "Sie-Form" der Anrede belassen. Dieser Textauszug stammt aus einem Programm, das es als kostenlose Demo-Version auch im Internet gibt: WriteFictionPro. Wir werden auf Sol Stein und seinen schwungvollen und leicht umsetzbaren Ansatz weiter eingehen. Hier zunaechst zur Einstimmung dererste Teil von Regeln für das interessante Erzählen<br> <br> Zunaechst die <b> Regeln in der Uebersicht.</b> Sie werden in den 3 Beitraegen in diesem Forum weiter veranschaulicht und an einem konkreten Beispiel verdeutlicht.<br> <br> <b>Regel 1:</b> Irgendjemand muss irgendetwas unbedingt wollen.<br> <br> <b>Regel 2: </b> Diese Person sollte Ihre Hauptfigur sein<br> <br> <b>Regel 3:</b> Was die Hauptfigur will sollte wichtig sein<br> <br> <b>Regel 4: </b> Wenn Sie in Bezug auf Ihre Hauptfigur eine gute Wahl getroffen haben, dann hat sie eigene Wuensche und hat vielleicht ganz andere Sehnsuechte als Sie selbst.<br> <br> <b>Regel 5:</b> Entwerfen Sie zuerst Ihre Hauptfigur, danach erst die Handlung. Was die Hauptfigur antreibt, ist der Motor der Geschichte.<br> <br> <b>Regel 6:</b> Es ist leichter, eine Figur objektiv zu beschreiben, wenn sie einem selbst nicht zu sehr ähnelt.<br> <br> <b>Regel 7:</b> Schreiben heisst umschreiben und ueberarbeiten (in Maßen... ;-) )<br> <br> <b>Regel 8:</b> Jeder Held als Hauptfigur braucht einen Gegenspieler, um Spannung zu erzeugen.<br> <br> <b>Regel 9:</b> Ein Gegenspieler muss nicht unbedingt böse sein, er muss nur dasselbe wollen wie die Hauptfigur.<br> <br> <b>Regel 10:</b> Für einen Anfänger ist es am leichtesten, als Gegenspieler oder Hindernis einen Menschen zu nennen.<br> <br> <b>Regel 11:</b> Es ist öfters von Vorteil, den Gegenspieler und den Helden zusammentreffen zu lassen, SCHON BEVOR die eigentliche Geschichte beginnt.<br> <br> <b>Regel 12: </b> Wenn Sie unsicher sind, ob etwas auch wirklich beim Überarbeiten eine Verbesserung ist, sollten Sie nichts aendern (verbessern versus verschlimmbessern)<br> <br> <b>Regel 13: </b> Runde Charaktere erhalten Sie, indem Sie Ihre Figuren durch wenige, wichtige und konkrete Details beschreiben, die sie von "Alltagstypen" unterscheiden.<br> <br> <b>Regel 14:</b> Das "Handwerkszeug zu beherrschen", gibt Ihnen einen grösseren Spielraum, kreativ zu sein.[/COLOR][/FONT]<br> <br> <b>Woher stammen diese Regeln?</b><br> Wenn Sie einige Dutzend Romane der letzten zwei Jahrhunderte untersuchen würden - klassische und kommerzielle, hohe Literatur und Unterhaltungsromane, anspruchsvolle oder banalere Texte -, würde Ihnen auffallen, dass fast alle eines gemeinsam haben: Irgendjemand möchte unbedingt irgendetwas. Daraus ergeben sich bereits die ersten beiden Regeln:<br> <br> <b>Regel 1: Irgendjemand muss etwas unbedingt wollen.<br> Regel 2: Diese Person sollte Ihre Hauptfigur sein.</b><br> <br> Die <b> Hauptfigur</b> wird manchmal auch als Held bzw. Heldin bezeichnet oder als Protagonist. Alle drei Begriffe stehen für ein und dasselbe. Fangen wir an ... Nehmen wir an, dass unsere Hauptfigur eine ungefähr fünfunddreißigjährige Frau namens Andrea Reutter ist. <b>Beschreiben Sie diese Figur und schildern sie Ihren Hauptwunsch</b> sowie ggf. weitere, allerdings weniger wichtige Wünsche auf einem separaten Blatt Papier. Welche <b> Wünsche und Ziele</b> hat Andrea Reutter?<br> <br> <b>Regel 3: Was die Hauptfigur will, sollte wichtig sein.<br> </b><br> Nehmen Sie nun nochmals den Zettel zur Hand und lesen Sie durch, wie Sie Andrea Reutter und ihre Wünsche (Hauptwünsche und Nebenwünsche) beschrieben haben und widmen sich dann dieser Frage: <b>Ist Andrea Reutters Wunsch wichtig? Würden Leser das auch so sehen?</b> Denken Sie darüber nach. Möchten Sie noch einmal ändern, was Sie bisher geschrieben haben? Falls ja, haben Sie jetzt Gelegenheit dazu. <b>Welche Wünsche könnten die Figuren haben?</b><br> Bsp. 1: Ein junges Mädchen möchte sicher von der Schule nach Hause gelangen.<br> Bsp. 2: Ein alter Mann will verhindern, dass ihm sein nicht abbezahltes Auto weggenommen wird.<br> <br> Das sind negative Wünsche. Jemand möchte, dass etwas nicht passiert. Aber auch negative Wünsche eignen sich für eine Geschichte. Oft entwickelt sich die Spannung aus dem Wunsch der Leser, dass der Hauptfigur, die sie ins Herz geschlossen haben, nichts (Schlimmes) zustößt.<br> Aber sehen Sie sich die beiden Wünsche noch einmal an. Was haben sie noch gemeinsam? Beide Wünsche eignen sich für eine Kurzgeschichte, nicht für einen Roman, da sie nur etwas Punktuelles aufgreifen. Sehen wir uns im Folgenden ein paar komplexere Wünsche an, bevor Sie die Figur Andrea Reutter mit einer auch den Leser interessierenden Sehnsucht ausstatten.<br> <br> <b>Eine verheiratete Frau mittleren Alters möchte unbedingt aus ihrer Stadtwohnung in ein Haus am Stadtrand ziehen, da sie gerne einen Garten hätte, wie zu ihrer Kindheit.</b><br> <br> Dieser Wunsch könnte die Basis einer Kurzgeschichte, aber auch eines Romans bilden. <b> Stellen Sie sich vor, </b> dass ihr Ehemann nicht genug verdient, um ein Haus finanzieren zu können. Aus diesem Grund beschließt die Frau, sich Arbeit zu suchen und alles für das Haus auf die Seite zu legen. Stellen Sie sich nun vor, dass ihr spielsüchtiger Ehemann wegen der Wettschulden von seinem Buchmacher unter Druck gesetzt wird. Zu allem Unglück verursacht ihr jüngstes Kind auch noch einen schweren Unfall und die Haftpflichtversicherung will nicht zahlen, weil ihr Mann die Beiträge nicht überwiesen hat.<br> <br> Das ist ein Wunsch, der zu einer komplexen Geschichte führt, die man zu einem Roman ausspinnen könnte. <b> Überlegen Sie also, ob die Sehnsucht Ihrer Hauptfigur sich in einer einzigen kurzen Szene befriedigen lässt oder ob sie viele verschiedene Szenen trägt</b>.<br> <br> Nehmen Sie nun noch einmal den Zettel mit Ihrer Beschreibung von Andrea Reutter zur Hand. <b> Möchten Sie am Wunsch Ihrer Hauptfigur etwas verbessern?</b> Ändern, ergänzen oder kürzen Sie:<br> <b>Was wissen wir über unsere Hauptfigur?</b> Sie ist fünfunddreißig.<br> <b>Wissen wir, wer oder was in ihrem Leben eine entscheidende Rolle spielt?</b> Geht das aus Ihrer Beschreibung hervor? <b> Was wünscht sie sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem Leben mehr als alles andere auf der Welt?</b><br> Was möchte Andrea Reutter in diesem Moment? Wird in der Beschreibung deutlich, wie stark ihr Wunsch ist?<br> Wonach könnte sich Andrea Reutter noch sehnen? Ist Ihre neue Idee tatsächlich besser als die ursprüngliche? Ändern Sie nichts, um des Änderns willen, sondern nur wenn Ihnen etwas Besseres eingefallen ist! (PS: Ein Wunsch, den sie nicht haben sollte: aus der Stadt in ein Häuschen im Grünen zu ziehen. Das wäre die Geschichte von jemand anderem. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf.)<br> <br> <b>Regel 4: Wenn Sie in Bezug auf Ihre Hauptfigur eine gute Wahl getroffen haben, dann hat sie eigene Wünsche und hat vielleicht ganz andere Sehnsüchte als Sie. Vergessen Sie nicht: Sie sind keine Figur, Sie sind Autor.</b><br> <br> Ist Andrea Reutters Wunsch möglicherweise Ihr eigener? Denken Sie immer daran: Sie schreiben über die Wünsche von Andrea, nicht über Ihre eigenen. Es ist Andreas Geschichte. Wenn Sie jung sind, kann die Figur dennoch alt sein. Sind Sie eine Frau, kann die Figur gleichwohl ein Mann sein. Ein Schriftsteller muss in der Lage sein, Figuren verschiedener Altersstufen, Lebensumstände und beiderlei Geschlechts zu entwickeln.<br> <br> <b>Regel 5: Entwerfen Sie zuerst Ihre Hauptfigur - danach erst die Handlung. Was die Hauptfigur antreibt, ist der Motor der Geschichte.</b><br> <br> Denken Sie daran: Der Wunsch Ihrer Hauptfigur ist Ausgangspunkt der Geschichte. Vermeiden Sie es, zuerst eine Handlung zu konstruieren, die Sie dann mit Figuren bevölkern. Wenn Sie als Erstes die Handlung entwerfen, werden die Figuren schnell klischeehaft. &lt;&lt;>> Wenn Sie als Erstes die Figuren entwerfen, entwickelt sich die Handlung ganz natürlich aus deren Wünschen.<br> <br> <br> <b>Regel 6: Es ist leichter eine Figur objektiv zu beschreiben, wenn sie einem selbst nicht zu sehr ähnelt.</b><br> <br> Bestimmt haben Sie schon einmal den Rat bekommen, über das zu schreiben, was Sie aus eigener Beobachtung kennen. Da ist etwas dran, aber es deckt nicht alles ab. Aber wenn Sie schriftstellerisch arbeiten wollen, dann <b> ist die menschliche Natur Ihr Thema,</b> und die ändert sich nicht je nach Zeit oder Schauplatz. Natürlich sollten Sie nicht gerade über einen vergleichsweise unbekannten Völkerstamm wie die Inuit schreiben, wenn Sie noch nie einen getroffen haben - zumindest nicht, bevor Sie ein Meister Ihres Handwerks sind. Sie sollten sich Ihnen <b> vertraute Menschen als Inspiration suchen, und das können Menschen beiderlei Geschlechts oder verschiedenen Alters sein</b>.<br> <br> <br> ##############<br> Fortsetzung mit Teil 2 und 3 ebenfalls in diesem Forum</font> </td> </tr> </table></div></html>

Jens
04.01.2003, 15:44
weiter geht´s:
<html><div align="left"> <table border="0" cellpadding="2" width="400"> <tr> <td style="background-color: #FFFFFF"> <p><font face="Courier New" size="3"><b>Sol Stein – Kleines Regelwerk des interessanten Erzählens (II)<br> </b></font><font size="2" face="Courier New"><br> weiter geht es mit Teil II:<br> <br><b>Regel 7: Schreiben heisst umschreiben.</b><br> <br> Und jetzt zurück zu Andrea Reutter. Sie haben sich Andrea Reutter nicht ausgesucht, das habe ich getan. Aber ich habe Ihnen nur den Namen und ein ungefähres Alter vorgegeben - alles Weitere stammt von Ihnen: Sehen Sie sich Ihren Text genau an: <b> Lässt er sich kürzen?- Wollen Sie etwas ergänzen?- Möchten Sie etwas ändern? Warum sollen Sie Ihren Text immer wieder ändern?<br> </b><br> Die besten Autoren haben seit jeher ihre Texte immer wieder redigiert und umgeschrieben. In der Regel sind es Anfänger, die mit der ersten oder zweiten Fassung gleich zufrieden sind und meinen, die erste Fassung könne nicht perfekt genug sein. <b>Hemingway hat einmal gesagt, die erste Fassung sei meist Mist. </b> Man schreibt sie zu schnell und zu spontan hin, ohne durchdacht zu haben, wie etwas auf den Leser wirkt, und ohne sich die Bedeutung einzelner Wörter bewusst zu machen. Wenn Sie es nicht gewohnt sind, Ihre Arbeit ausgiebig zu überarbeiten, sollten Sie jetzt damit anfangen. <br> <br> <b>Regel 8 bis 10: Wie bringen Sie ein wenig Spannung und Dramatik in Ihre Geschichte? Für einen Anfänger ist es am leichtesten, als Gegenspieler oder Hindernis einen Menschen zu wählen. Das Gegenspiel zwischen dem „Helden“ der Geschichte und dem „Anti-Helden“ bestimmt die Handlung</b><br> <br> Jeder Protagonist (Held oder Heldin) braucht einen Antagonisten, der sich ihm entgegenstellt. Ein Antagonist muss nicht notwendigerweise ein Bösewicht sein, er kann auch ein patenter Kerl oder eine nette Frau sein, die dasselbe Ziel wie die Hauptfigur haben. Am einfachsten ist es allerdings, wenn der dramatische Konflikt aus der Konfrontation des Helden mit seinem Gegenspieler erwächst. <b>Regel 8: Jeder Held braucht einen Gegenspieler.</b> Denken Sie daran: Dramatik entsteht aus dem Konflikt zwischen dem Helden und der Figur, die sich ihm in den Weg stellt - dem Gegenspieler: <b>Regel 9: Ein Gegenspieler muss nicht unbedingt "böse" sein.</b>Ihre Hauptfigur Andrea Reutter wird von einer unerfüllten Sehnsucht getrieben. Irgendetwas oder irgendjemand stellt sich dem entgegen. Das Hindernis muss aber nichts Böses sein. Zum Beispiel: Der Held muss dringend irgendwohin fahren, aber sein Wagen geht kaputt. Das Auto ist nicht "böse", es ist aber zum Hindernis geworden. <b>Regel 10: Es ist zunächst am einfachsten, sich als Gegenspieler eine menschliche Figur auszudenken.</b><br> <br> <b>Was Andrea an der Umsetzung ihres Wunsches hindert, was könnte das sein?<br> </b>Eine andere Person? Ein Gegenstand? Ein Mann oder eine Frau? Ein unerwartetes Ereignis? Ein vorhersehbares Ereignis? Eine Charaktereigenschaft von Andrea? Ob Mann oder Frau, ob jung oder alt, ob gut oder böse, der Gegenspieler muss nur eines: <b> </b>Andreas Wunsch im Wege stehen. Was im Wege steht, muss noch nicht einmal eine Person sein.<br> <br> <b>Regel 11: Es ist öfters von Vorteil, den Gegenspieler und den Protagonisten zusammentreffen zu lassen, schon bevor die eigentliche Geschichte beginnt.</b><br> Wer also hält Andrea Reutter von der Umsetzung ihres Wunsches ab? Nehmen Sie sich ein weiteres leeres Blatt Papier und beschreiben hier den „Gegenspieler“ von Andrea!<br> <br> <b>Sehen wir uns noch einmal das Hindernis (den „Gegenspieler“ oder Antagonisten) an.</b>Wenn Sie - wie vorgeschlagen - einen Menschen zum Gegenspieler gemacht haben, haben Sie ihm dann auch einen mehrschichtigen Charakter gegeben? Wenn Sie Ihre Beschreibung des Hindernisses noch einmal überarbeiten möchten, tun Sie das bitte jetzt!<b><br> <br> Elia Kazan sagte einmal, eine dramatische Handlung sei wie zwei Hunde, die sich um einen Knochen balgen.<br> <br> </b>Das meinte er natürlich im übertragenen Sinne: <b>Für eine dramatische Handlung braucht man einen Streit um irgendetwas. </b> Stellen Sie sich also vor: Andrea Reutter verfolgt ihr Ziel so vehement, wie ein Hund hinter seinem Knochen her ist, den ihm ein anderer abjagen will. Der "Knochen" ist das Ziel, das Andrea Reutter anstrebt und an dessen Erreichen sie gehindert wird. <b>Was haben Sie sich bisher unter dem "Knochen" vorgestellt? Was ist das, was Andrea Reutter möchte, aber nicht bekommt?</b><br> <br> Nehmen Sie sich jetzt wiederum den „Steckbrief-Zettel“ von Andrea Reutter, der „Heldin“ (=Protagonist) zur Hand: Wollen Sie Ihren Text ändern? Eine Verbesserung einfügen? Sie müssen nicht um jeden Preis etwas ändern. Es passiert nämlich schnell, dass man beim Überarbeiten etwas verschlimmbessert.:<br> <br> <b>Regel 12: Wenn Sie unsicher sind, ob etwas auch wirklich eine Verbesserung ist, sollten Sie nichts ändern.</b><br> <br> Legen Sie nun den Zettel mit dem Steckbrief und der Beschreibung von Andrea Reutter zur Seite und machen ggf. eine kleine Pause.<br> <br> <b>Jetzt kommen wir zu einem ganz besonders wichtigen Schritt:</b> Ein dritter leerer Zettel wird nun benötigt: Ich möchte nun, dass Sie mir <b>in einem zweiten Anlauf aus dem Gedächtnis (!!!) Andrea Reutter beschreiben.</b> Wie ist sie? Woran würde man sie wiedererkennen? Woran denken Sie als zuallererst? Welches Bild taucht spontan auf? <b>Ich bitte Sie, wirklich ehrlich mit sich und mir zu sein und den „Steckbrief-Zettel“ NICHT zur Hand zu nehmen.</b> Schummeln Sie hier bitte in Ihrem eigenen Interesse nicht. Ich werde später darauf zurückkommen, warum dies so wichtig ist. Also: ehrlich sein, bitte! <b>Also, los geht es mit einer Gedächtnisskizze Ihrer Hauptfigur!</b><br> <br> Nun haben Sie sicherlich nicht alles, was zuvor auf dem Zettel über Andrea Reutter stand, auf dieser Gedächtnisskizze wiederaufführen können.<br> <b><br> ABER: das, was Sie erinnert haben, ist charakteristisch für Andrea Reutter, so wie Sie sie bislang entworfen haben.</b> <b> Es kommt nicht auf sämtliche Einzelheiten einer Person und Situation an, sondern AUF DIE ENTSCHEIDENDEN, einen Unterschied zum Alltagsmenschen ausmachenden, denn nur dies interessiert den Leser.<br> <br> </b> Alltag haben die Leser genug um die Ohren, sie sehnen sich nach charakteristischen Menschen mit entscheidenden Wesenszügen. Diese Wesenszüge können zwar auch alltäglich sein, sollten aber nicht gleichzeitig von 35 weiteren menschlichen Alltagswesenheiten überlagert werden. Daher hatte ich Sie gebeten, wirklich ehrlich mit sich und mir zu sein und sich selbst zu prüfen, was das Charakteristische an Andrea Reutter ist.<br> <br> Nun können Sie sich denken, was als nächsten folgt – oder? Was wichtig für die Hauptfigur ist – sich der zentralen Eigenschaften durch ein Gedächtnisprotokoll zu erinnern, kann für den Gegenspieler der Hauptfigur in Ihrer Geschichte, also den Antagonisten, sicher nicht verkehrt sein.<br> <br> Auf geht es also in die zweite Runde:<br> <br> <b>Ein vierter Zettel wird notwendig: Beschreiben Sie jetzt das Hindernis oder den Gegenspieler. Auch hier ohne Ihre vorherigen Notizen, aus dem Gedächtnis., Sie wissen nun, warum.</b><br> <b>Was ist auffällig, woran ist der Antagonist wiederzuerkennen?<br> </b><br> Auch hier werden Sie feststellen, dass Ihnen nicht alles, was Sie zuvor über den Gegenspieler aufschrieben, sich sofort dem Gedächtnis präsentiert, sondern nur einige, dafür aber wichtige Eigenschaften. Das Gehirn hat glücklicherweise die Fähigkeit, wichtiges und unwichtiges zu trennen, sonst gingen wir in Reizüberflutung zugrunde. Um auch Ihren Leser nicht in Reizüberflutung schwimmen zu lassen, sondern in wiedererkennbaren Gewässern, konzentrieren Sie sich immer auf einige Eigenarten, auf diese aber ausführlicher und besonders! <b><br> <br> Zurück zu Andrea Reutter. Nehmen Sie nun den ersten ausführlicheren Steckbrief-Zettel zur Hand. Stellen wir uns ein paar Fragen.</b><br> <b>- Hat Andrea Reutter nach Ihrer Beschreibung auch Fehler?<br> </b><br> Wenn sie fehlerfrei ist, ist sie ein Engel, kein Mensch. Sie müssen vielschichtige Charaktere entwickeln, damit Ihre Figuren lebendige Menschen werden. Es bedarf nur weniger Worte, um eine Charakterschwäche anzudeuten.<br> <br> <b>Zur Verdeutlichung der Bedeutung kleiner menschlicher Schwächen für Ihren Text, sehen Sie sich Folgendes zu Andrea Reutter an ...</b> Sie war die beste Sekretärin der Firma und doch stand sie immer um eine Minute nach fünf am Aufzug. Eine Minute nach Dienstschluss bereits auf dem Weg nach Hause zu sein wird nicht unbedingt positiv bewertet.<br> <br> Möglicherweise ist es für Andrea unerlässlich, pünktlich zu gehen, damit sie ihre Besorgungen erledigen kann. Vielleicht kniet sie sich den ganzen Tag in die Arbeit, geht dann aber aus gutem Grund pünktlich, etwa um ihr Kind abzuholen. Wir haben für sie Verständnis, wissen aber, dass einige ihrer Kollegen, die sie nicht so gut kennen wie wir, sie nur als die Frau sehen, die sich jeden Nachmittag um Punkt fünf auf den Weg nach Hause macht.<br> <br> </font> </td> </tr> </table> </div> </html>

Jens
04.01.2003, 15:45
<html><div align="left"> <table border="0" cellpadding="2" width="400"> <tr> <td style="background-color: #FFFFFF"> <p><font face="Courier New" size="3"><b>Sol Stein – Kleines Regelwerk des interessanten Erzählens (III)<br> </b></font><font size="2" face="Courier New"><br> weiter geht es mit Teil III:<br> ###################<br><br> <b>Versuchen Sie auf der nächsten Seite eine Charakterschwäche zu entwerfen. Das kann<br> (1) eine tatsächliche Schwäche sein<br> <b>oder<br> (2) etwas, was als Schwäche wahrgenommen wird.<br> <br> </b></b>Überarbeiten Sie Ihre Beschreibung und <b> fügen Sie Andrea Reutters Charakter eine Schwäche</b> hinzu. Ändern Sie, was Sie für nötig halten. Fahren Sie fort, wenn Sie davon überzeugt sind, für den Moment das Beste erreicht zu haben. Ihr Bestes wird im Laufe dieses Übungsprogramms immer besser werden.<br> <br> <b>Inwiefern ist Andrea verletzlich?</b><br> Jeder Mensch ist irgendwo verletzlich und hat einen schwachen Punkt, seine Archillesferse. Als Schwäche der Heldin weckt Andreas Verletzlichkeit einen Beschützerinstinkt beim Leser.<br> Sollte Ihnen jetzt dazu nichts einfallen, macht das nichts. Sie erhalten immer wieder die Möglichkeit, Ihre Texte später noch einmal zu verbessern. <b>Haben Sie ihr Äußeres so beschrieben, dass Sie Andrea unter zehn Frauen sofort wiedererkennen würden? Haben Sie den Leser schon sehen lassen, wie sich Andrea kleidet? Wie sie läuft oder sitzt? </b> Wenn einer der angesprochenen Punkte in Ihrer Beschreibung fehlt, haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu, Ihren Text zu ergänzen <br> <br> <b>Regel 13: Runde Charaktere erhalten Sie, indem Sie Ihre Figuren durch konkrete Details beschreiben.</b><br> <br> Stereotype Figuren sind flach, ihr Charakter wird nicht rund und plastisch. <b>Deshalb sind Sie Schritt für Schritt aufgefordert worden, dem Charakter von Andrea immer wieder ganz konkrete Eigenschaften hinzuzufügen. Sie sollten es sich angewöhnen, sich beim Entwickeln Ihrer Figuren diese Fragen zur Charakterisierung selbst zu stellen. </b> Der nächste Schritt besteht darin, Ihre Beschreibung von Andrea Reutter mit Ihrer zweiten, aus dem Gedächtnis erstellten Beschreibung zusammenzubringen. <b> </b> Legen Sie dazu die erste Version mit der ausführlichen Beschreibung sowie die Gedächtnisskizze von Andrea untereinander auf den Tisch vor Ihnen, also oben die erste Version, darunter die Gedächtnisversion. Welche Fassung gefällt Ihnen besser? Warum gefällt sie Ihnen besser? Vielleicht finden Sie in der einen Beschreibung noch etwas, das Sie der anderen hinzufügen möchten, natürlich können Sie einen der Texte bearbeiten.<br> <br> <b>“Die letzte Version“ von Andrea Reutter liegt als Zettel oberhalb des Zettels mit der Gedächtnisversion von Andrea Reutter: Arbeiten Sie in die Fassung, die Ihnen im Ganzen besser gefällt, alle brauchbaren Details aus der anderen Fassung ein. </b>Mit dieser zusammengemischten Version werden Sie künftig weiterarbeiten, wir bezeichnen sie fortan als „Arbeitsversion“: Betrachten Sie die Arbeitsversion: Möchten Sie etwas glätten? Hinzufügen? Streichen?<br> <br> Sie hatten ja ebenfalls einen Antagonisten oder Gegenspieler von Andrea entworfen. Legen wir daher die Zettel mit Beschreibungen von Andrea zur Seite und sehen wir uns jetzt den Antagonisten oder Gegenspieler an. Nehmen Sie sich dazu ebenfallls wieder die ausführliche Erstversion sowie die Gedächtnisskizze des Gegenspielers von Andrea Reutter zur Hand und legen beide Zettel untereinander vor sich auf den Tisch. Stellen Sie sich folgende Frage:Hat diese Figur des Gegenspielers auch gute Seiten? (Wie Andrea Schwächen braucht, um menschlich zu wirken, sollte auch der Antagonist wenigstens eine gute Eigenschaft haben, um keine Schablone zu werden.) Wenn Sie die Beschreibung des Gegenspielers bearbeiten möchten, haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu. Wenn Sie nichts ändern möchten, fahren Sie bitte fort.<br> <br> <b>Haben Sie den Gegenspielers so prägnant und anschaulich beschrieben, dass man ihn unter zehn Personen wieder erkennen würde? Wichtig: Zeichnen Sie keine Karikatur. </b> Ein Bösewicht, der mit den gewichsten Schnurrbartenden spielt, ist eine Karikatur. Eine Karikatur ist unglaubwürdig. Ist Ihr Bösewicht nicht glaubwürdig, wird niemand davon überzeugt sein, dass Andrea Reutter wirklich in Gefahr ist, und Ihre ganze Geschichte fällt auseinander. Unter Bösewicht werden hier auch keine Schurken oder finstere Westernhelden verstanden. Der Gegenspieler verfolgt halt andere Interessen und muss dabei nicht immer fair oder ehrlich mit Andrea umgehen, ohne sie gleich zu einem Duell um 12:00 Uhr mittags mit Säbel oder Pistole aufzufordern. Lösen Sie sich etwas von den spontanen Gedanken, die ihnen bei dem Begriff „Bösewicht“ oder „Gegenspieler“ vielleicht einstellen mögen. Bearbeiten Sie – dies beruecksichtigend - gegebenenfalls Ihre Beschreibung des Gegenspielers.<br> <br> <b>Haben Sie schon beschrieben.....- woran Sie das Gesicht des Bösewichts erinnert? - Wie geht er? - Ist er sehr groß? Oder sehr klein? - Hat er eine auffällige Körperhaltung?</b> - Oder eine eigene Art die Hände zu halten, oder kratzt er sich beispielsweise ständig am Ohr? Versuchen Sie, den Bösewicht mit einer Eigenart auszustatten. Fügen Sie Ihrem Text hinzu, was Ihnen geeignet erscheint.<br> <br> Es ist unsere Aufgabe, einen <b> glaubhaften Bösewicht zu schaffen</b>, auf Einzelheiten einzugehen. Wenn er Andrea in der Geschichte bedrohen soll, sollte schon von seinem Aussehen oder seiner Handlungsweise etwas Unheilvolles ausgehen. Oder das Gegenteil: Man kann sehr überzeugende Bösewichter schaffen, die unschuldig aussehen, von denen die Leser allerdings wissen (durch einen Hinweis von Ihnen), dass sie nicht sind, was sie zu sein scheinen. Anmerkung JP: Ich persoenlich wuerde das mit dem „Boesewicht nicht allzu dramatisch sehen und zeichnen (siehe auch die Duell-Bemerkung weiter oben.).<br> <br> <b>Regel 14: Das Handwerkszeug zu beherrschen gibt Ihnen einen größeren Spielraum, kreativ zu sein.<br> </b> <br> Denken Sie daran: Auch wenn Sie gelegentlich das Gegenteil hören: handwerkliche Regeln zu kennen wird Ihrer Kreativität keine Fesseln anlegen. Nur damit lernen Sie das Handwerkszeug zu beherrschen und Geschichten zu schreiben, die Ihren Lesern etwas bedeuten und die sie genießen können.<br> <br> Der nächste Schritt besteht darin, Ihre <b> Beschreibung des Bösewichts mit Ihrer zweiten, aus dem Gedächtnis erstellten Beschreibung zusammenzubringen</b>. Legen Sie sich dazu die beiden Zettel vor sich untereinander auf den Tisch. Welche Version gefällt Ihnen besser? Vielleicht finden Sie in der einen Beschreibung etwas, mit der sie die andere verdichten können.<br> <br> Die letzte Version des Antagonisten/Gegenspielers/Bösewicht (ausführlicher Steckbrief, mit dem Sie begonnen hatten, den Bösewicht zu beschreiben) wird nun ruhig mit der Gedächtnisversion, die sie zwischenzeitlich aus dem Kopf vom Bösewicht erstellt haben, verglichen und wechselweise verbessert, so dass Sie auch vom Gegenspieler zu Andrea eine sog. „Arbeitsversion“ besitzen. Arbeiten Sie in die Version, die Ihnen im Ganzen besser gefällt, alle brauchbaren Details aus der anderen Version ein. Mit dieser Arbeitsversion werden Sie künftig fortfahren zu arbeiten. Wollen Sie an der nun fertigen Arbeitsversion des Gegenspielers noch etwas ändern? Schreiben heißt umschreiben. Es ist ja gerade das Schöne: so lange an einer Figur zu feilen und zu ändern, bis sie lebendig vor einem steht und zu einem Individuum wird.<br> <br> <b> Sehen wir uns nun an, welche Fortschritte Sie gemacht haben:</b> wenn Sie einige der Ratschläge befolgt haben, sollte die letzte Version um einiges besser sein als die erste. Und dies sowohl für Andrea Reutter als auch ihren Gegenspieler. Herzlichen Glückwunsch! Schon haben Sie einiges gelernt: Vor allem, was es heißt, einen Text zu überarbeiten. Überarbeiten ist das A und O des Schreibens. Sind Sie erst einmal mit den Regeln vertraut, werden Sie beim Überarbeiten immer sicherer. Da die Handlung aus den Charakteren hervorgeht, werden Sie bemerken, dass Sie einen wichtigen Grundstein gelegt haben. Natürlich kann es nicht schaden, diese Regeln und Lerneinheiten mehrmals durchzuarbeiten, um die zugrundeliegenden Regeln mehr und mehr zu verinnerlichen. <br> ############<br> <br> Sodele, ich denke hier verbergen sich trotz der Länge des Textes zahlreiche Hinweise, wie man die Wahl von Thema und Charakter ein wenig interessanter gestalten kann.<br> <br> Ich gebe diesen wie auch weitere Texte zunaechst einfach zur Info an euch weiter.<br> <br> Das Demo-PC-Programm (ACHTUNG: über 7 Megabyte gross!) , das ohne Zettel arbeitet, findet sich als zip-komprimierte Version im Internet: &lt;&lt;&lt;&lt;--- hier klicken zum download --->>>> (http://www.zweitausendeins.de/WritePro/WPFDemo_Win.zip)<br> <br> Was haltet ihr von dem Text und seinen Regeln?<br> <br> So long<br> Cu<br> Jens</font> </td> </tr> </table> </div> </html>