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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bürokratiewahnsinn



Relaxometrie
13.11.2009, 14:30
Die SChweinegrippe ist jetzt auch bei uns angekommen:-dagegen. Hatte heute den ersten dringenden Verdachtsfall. Außer, dass es nen Haufen Papierkram war, war das aber total unsprektakulär..
Obiges Zitat habe ich aus einem anderen Thread genommen (aus welchem wohl :-D), weil ich dort nicht zu sehr offtopic gehen wollte.
Aber es hat mir spontan nochmal den Bürokratiewahnsinn gezeigt. Im Falle einer echten Riesenpandemie würden so manche Politiker, Qualitätssicherer und Chefs wohl immer noch Wert auf den ausufernden Papierkram legen, anstatt mit intelligentem Kopf zu überlegen, wieviel Dokumentation wichtig und sinnvoll ist, und was überflüssig ist.
Meine Frage/Bedenken bezüglich der Bürokratie beziehen sich aber nicht vornehmlich auf eine Pandemiesituation, sondern auf den normalen Stationsalltag.
Meine ganz konkrete Frage an WackenDoc: wieviele Zettel musstest Du für einen Schweinegrippeverdachtsfall ausfüllen, wie lange hat das gedauert, und wieviele der gemachten Angaben hälst Du für medizinisch notwendig?

WackenDoc
13.11.2009, 15:17
Ich bin aufgrund meiner "Firma" ja in einer besonderen Situation.

Insesamt beschäftigt war ich dem ganzen "Arbeitstag" bis das letzte Fax raus war. Von den Papieren an sich ging´s eigentlich. War nur einiges an Organisation, bis ich raus gefunden hab, wer alles informiert werden muss.

Also der Fall war eigentlich ganz einfach. Den Patienten hab ich Anfang der Woche schon gesehen, weil seine Frau und Kinder schon positiv getestet waren, aber der Patient selber hatte keinerlei Symptome. Hab ihn trotzdem zur Sicherheit diese Woche krank geschrieben.
Heute war er halt da mit allen Symptomen, außer Fieber. Allgemeinzustand war zwar reduziert, aber noch so, dass er nach Hause konnte.

Also mit Tamiflu behandelt und zusätzlich noch symtomatisch. Das doofe ist halt, dass wir wenn wir schon Tamiflu rausgeben, an sich auch Abstriche machen müssen- das Ergebnis haben wir voraussichtlich Montag- hat eh keine Konsequenzen für den Patienten.

Also Patient in unser Extra-Zimmer gesetzt (das nutzen wir unter anderem für solche Fälle, weil die Kollegin nicht da ist und wir in dem Zimmer keine anderen PAtienten behandeln), untersucht und Abstriche nehmen lassen. Patient wieder heim geschickt und für Montag wieder einbestellt.

DAnn ging´s los. Wir müssen die Abstiche per Kurier nach Hamburg schicken- das sind so ca. 2 1/2- 3 Stunden Fahrt. Also erstmal beim Bernhard-Nocht-Institut anrufen und Bescheid sagen, dass wir die Probe schicken. Dann Fahrer organisieren (das war an sich das größte Problem. Da wir Freitags schon zu Mittag Schluss haben und absehbar war,dass der Fahrer erst später ins Wochenende kann.). Dann Wegbeschreibung nach Hamburg organisiert, noch nen Begleitschreiben mit den klinischen Angaben fertig gemacht.

Dann Meldeformular ausgefüllt und an unsere vorgesetzte Dienststelle gefaxt. Den zuständigen da noch versucht zu erreichen, um rauszufinden, ob wir direkt ohne Nachweis ans Gesundheitsamt melden müssen. Der hat dann eine Stunde vor Feierabend noch angerufen und ja wir müssen dahin melden. Also Azubi beauftragt, die Fax-Nummer vom Gesundheitsamt rauszufinden und das gleiche Formular dahin gefaxt. Dann noch rausgefunden, dass wir die Ausgabe von Tamiflu doch nicht melden müssen.

Die Angaben auf dem Meldeformular sind schon ok. War ne Arbeit von 5 min. An sich sind nur die Patientendaten drauf, dann die klinischen Symptome zum ankreuzen, der epidemiologische Zusammenhang und das war´s an sich.

Den Abstrich hät ich mir an sich sparen können, weil der Patient eh mit Tamiflu behandelt wird- somit hat das Ergebnis keine Auswirkungen für ihn. Für uns als Personal auch nicht. Bei Verdacht gibt´s halt Mundschutz und Handschuhe.

Ein Problem hat sich dann noch ergeben: In unserer Leistungserfassung gibt´s H1N1- Infektionen nicht.

Bin nur froh ,dass ich mit dem ganzen Impfen nix zu tun hab- da kümmert sich ne Kollegin drum. Das ist nämlich nen Riesen-Aufwand.

Ich seh halt, dass sich die Verläufe von normalen grippalen Infekten nicht unterscheiden. Von dem her testen wir nur wenn´s nicht anders geht. Wenn wir mehr testen würden, hätten wir wahrscheinlich mehr gesicherte Fälle- aber außer mehr Aufwand hätte das erstmal keine Konsequenzen.
Zum Glück sieht unser Chef das ganz entspannt.

Evil
13.11.2009, 17:42
Wir testen nur noch in Einzelfällen, z.B. bei Intensivpatienten, wo das einen Einfluß auf die Therapie hat.

Derzeit kann man bei grippetypischer Klinik ziemlich sicher sein, daß es Schweinegrippe ist, die saisonale Influenza findet man momentan praktisch gar nicht.

Zur Bürokratie: ich sag nur QS-Bögen, so ein Schwachsinn!
Beispiel Pneumonie: von der Letalität her schneidet unser Haus überdurschnittlich gut ab, trotzdem wurden wir gerügt, weil wir nicht innerhalb der ersten 4 Stunden nach Aufnahme eine BGA oder Pulsoxymetrie durchführen.
Seitdem hat unser Chef eine neue Dienstanweisung herausgegeben und jetzt bekommt jeder Patient erstmal eine Sättigung gemessen, wenn er in der Ambulanz hereinkommt, egal was er hat :-D

Autolyse
13.11.2009, 21:50
[...]Bürokratie[...]
Ist der Schweinegrippenachweis ein BV?

WackenDoc
14.11.2009, 10:39
Zum Glück nicht. Der Aufwand ist aber vergleichbar.

Relaxometrie
14.11.2009, 10:48
Was ist BV? Das gleiche, wie bei uns in der Psychiatrie, nämlich ein "Besonderes Vorkommnis"?

WackenDoc
14.11.2009, 10:50
Genau. Nur die Definition wird etwas anders sein als bei euch.

Relaxometrie
14.11.2009, 11:05
Ich arbeite nicht mehr in der Psychiatrie. Hätte also nicht sagen sollen "wie bei uns", sondern "wie an meiner alten Klinik".
Dort war ein BV aber auch nicht ganz klar definiert (wie viele Dinge in diesem Laden, weswegen ich das riesengroße Chaos auch verlassen musste). Es konnte sein, daß man von sich aus ein BV geschrieben hätte, aber den Oberarzt nochmal gefragt hat und dieser dann sagte, daß das nun wirklich kein BV sei. Andere Dinge wiederum, die ich als Lappalie eingeordnet hätte, waren dann ein BV.
Einmal hat es eine Patientin mit einem ehemaligen Mitpatienten, der zu Besuch auf der geschlossenen Station war, getrieben. Die beiden sind dummerweise von einem Pfleger in flagranti erwischt worden. Der hat es mir gesagt, so daß es also leider offiziell wurde und ich handeln musste. Lästig!!!
1)
Infektionsserologie der beiden in den Akten nachgesehen (es gab zum Glück sehr aktuelle HIV- und Hep B/C-Tests)
2)
Zyklus abgefragt. Volltreffer. Nach Gespräch mit der Patientin "Pille danach" verschrieben.
3)
BV geschrieben
4)
Kurz danach vorsichtshalber Schwangerschaftstest gemacht

Ein anderes BV:
Eine Patientin hat auf einer geschlossenen Station den Feueralarm ausgelöst, indem sie diese Glasscheibe mit Feueralarmknopf eingeschlagen und den Knopf betätigt hat. Daraufhin öffneten sich die Türen und die Patientin ist abgehauen. Zum Glück ist kein anderer Patient weggelaufen. War aber saulästig, zumal es in meinem Spätdienst war, wo man ja für das gesamte Haus zuständig war und ich die abhanden gekommene Patientin nicht kannte.

WackenDoc
19.11.2009, 16:57
Übrigens: Derjenige welcher war doch tatsächlich negativ. Jetzt weiss ich auch, warum es ihm nach Tamiflu eher schlechter als besser ging.