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surfsmurf
29.11.2009, 21:20
Überraschende Entscheidung: Eine Mehrheit der Schweizer hat sich in einem Referendum gegen den Bau neuer Minarette ausgesprochen. Islamwissenschaftler bezeichnen das Votum als Katastrophe, die Regierung befürchtet Folgen für das Verhältnis zur arabischen Welt. Quelle (http://www.sueddeutsche.de/,tt3l1/politik/653/495973/text/)

Was haben die Eidgenossen denn da gemacht? Ein SZ-Kommentator wertet es als "Wut-und-Frust"-Entscheidung und als Denkzettel an die politische Elite eines Landes, das im vergangenen Jahr viel Prügel hat einstecken müssen. Wie seht ihr das? Können sich diejenigen, die schon länger in der Schweiz sind (oder mal länger da waren), das irgendwie erklären?

Ich persönlich fands schon schlimm genug, dass Pro Köln hier in den Stadtrat eingezogen ist, aber das ist echt nochmal ein anderes Kaliber....

Kackbratze
30.11.2009, 09:11
Willkommen in der Demokratie, wo der Wille der Regierenden, die das Volk vertreten, manchmal nicht mit dem Wille des Volkes übereinstimmt.

Linda.1001
30.11.2009, 10:38
also bei mir hats Gänsehaut ausgelöst. :-nix

Kackbratze
30.11.2009, 15:21
Warum? An anderer Stelle wird immer die Einführung solcher Volksbefragungen auch für Deutschland gefordert (Stichwort "Basisdemokratie") und jetzt gibt es eine Entscheidung die man vielleicht nicht nachvollziehen kann, die aber der Mehrheit entspricht und schon ist alles schlecht.

Wenn Volkes Wille nunmal so gelagert ist, kann man zwar darüber lamentieren, aber eine gewisse Akzeptanz sollte man der Entscheidung entgegenbringen, schließlich hat die Mehrheit so entschieden und die beteiligten Parteien, die unterlegen sind, konnten ihren Standpunkt nicht überzeugend vertreten.

:-meinung

pottmed
30.11.2009, 15:40
Sehe ich auch so, Mehrheitsentscheidungen sind nicht nur dann gut, wenn sie der eigenen Meinung entsprechen :-meinung

Die Schweizer wollen offensichtlich keine Minarette.... ob man das nun verstehen kann oder nicht, die Entscheidung ist zu respektieren.

surfsmurf
30.11.2009, 17:13
Sehe ich auch so, Mehrheitsentscheidungen sind nicht nur dann gut, wenn sie der eigenen Meinung entsprechen. Die Schweizer wollen offensichtlich keine Minarette.... ob man das nun verstehen kann oder nicht, die Entscheidung ist zu respektieren.

Über Respektieren reden wir ja gar nicht, das tun ja alle, oder? Mir ging es auch eher um die Frage, ob die Schweizer tatsächlich über Minarette oder über Islamismus, Parallelgesellschaften und ihre eigene Regierung abgestimmt haben. Nach letzterem sah jedenfalls der Wahlkampf aus der Ferne aus (was in meinen Augen nur die Bestätigung für meine Meinung ist, dass Volksabstimmungen in einem nationalen Rahmen absolut unbrauchbar sind, aber das ist ein anderes Thema).

Gersig
30.11.2009, 19:47
Ich glaube nicht, dass es ausschließlich um die Minarette geht. Über Wochen hinweg wurde da eine Vermischung betrieben, an deren Ende eine diffuse Angst vor Zwangsbeschneidung von Frauen und Ehrenmorden stand. Warten wir erstmal das Urteil vom Europäischen Gerichtshof für Völkerrecht ab. Denn inwieweit das Verbot überhaupt konform mit geltendem Recht (insbesondere der Religionsfreiheit ist), steht auf einem anderen Blatt Papier. Kurzum: Der Entscheid ist zu respektieren, außer Frage. Die SVP hat wieder erfolgreich am rechten Rand gefischt, diffuse Ängste geschürt und langfristig die gestärkt, die sich jetzt in Hinterhöfe zurückziehen und dort ihr eigenes Süppchen brauen :-meinung

Hoppla-Daisy
30.11.2009, 20:04
Ich finde die Entscheidung bedenklich. Ich wüsste nicht, was gegen die eigene Religionsausübung sprechen sollte, wenn man die Verfassung eines Landes respektiert und nicht verletzt. Und zu einer Moschee gehört nun mal ein Minarett. Über die Höhe kann man sich ja streiten (aber bitte nicht so wie in Köln!), aber nicht über die Erbauung.

Im übrigen möchte ich mal in den Raum werfen, dass wenn es in Deutschland ein Referendum gegen das sonntägliche Glockengeläut geben würde, höchstwahrscheinlich mit einem Votum GEGEN Glockengeläut zu rechnen sein dürfte, so traurig das klingt.

Ich verstehe einfach nicht die Bedrohung, die vom Islam ausgehen soll. Nur weil so'n paar Idioten ihre Religion als Vorwand für terroristische Aktionen oder fanatische Politik missbrauchen, kann man doch nicht alles über einen Kamm scheren.

Klar ist es traurig, wenn immer mehr christliche Kirchen verkauft werden müssen, weil die Kirchen deren Unterhalt einfach nicht mehr aufbringen können. Aber komischerweise klappt es in anderen Religionen sehr gut, dass die Mitglieder für den Unterhalt der Gemeinde aufkommen :-nix. Und man kann gegen den Islam sagen, was man will, aber eines kann man ihm gewiss nicht nachsagen: Mangelnden Glauben bzw. Frömmigkeit. Die Konsequenz, mit der viele Moslems ihren Glauben praktizieren, sei es nun Fastenzeit oder tägliches Gebet, verdient jedenfalls meinen vollen Respekt. Welcher Christ zieht das denn mit solcher Kraft durch?

Mein Fazit: Zu einer christlichen Kirche gehört ein Glockenturm. Zu einer Moschee gehört ein Minarett.

Und das Referendumergebnis in der Schweiz ist das Ergebnis einer angstschürenden Kampagne, mehr nicht. :-meinung

Linda.1001
30.11.2009, 20:19
Hi,

natürlich ist die "Meinung" der Schweizer zu akzeptieren. Unbestritten ist ein Volksentscheid gelebte Demokratie.

Nur wenn eine Partei wie die SVP daher kommt und solche propagandistischen Plakate aufhängt und die Islamophobie schürt, die eh seit 2001 allgegenwärtig ist (verständlicher Weise, aber dennoch schade), kann ich das nicht gutheissen.
:-dagegen
Ich bezog mich mit der Gänsehaut eher darauf, dass die Angst oder auch die Abneigung meiner Religion gegenüber zugenommen hat.
Ich habe einfach Angst, dass das zunimmt. :-nix

wanci
30.11.2009, 20:35
Das ist doch so ein klassischer Punkt, der die Schwierigkeit einer Basisdemokratie offenbart:

Was, wenn die Mehrheit einer Minderheit bestimmte elementare Rechte abspricht? Soll das möglich sein, oder muss man bestimmte Menschenrechtsstandards von Mehrheitsentscheidungen unabhängig machen? Schwierige Frage.

Linda.1001
30.11.2009, 20:47
Das ist doch so ein klassischer Punkt, der die Schwierigkeit einer Basisdemokratie offenbart:

Was, wenn die Mehrheit einer Minderheit bestimmte elementare Rechte abspricht? Soll das möglich sein, oder muss man bestimmte Menschenrechtsstandards von Mehrheitsentscheidungen unabhängig machen? Schwierige Frage.


Diese Frage bzw. die Reaktion darauf ist eben das, was mich zum grübeln bringt.

Ich hatte bisher die Antwort auf diese Frage als durch Art.4 Abs. II GG immer als beantwortet gesehen.

Dessen bin ich mir aber nicht mehr sicher.

Evil
30.11.2009, 21:29
Vox populi, vox rindvieh

Mitosch
30.11.2009, 22:15
Ach Gott, ich könnt eine ruhige Kugel schieben und sagen ich bin für Toleranz, Religionsfreiheit usw. usf.
Aber ehrlich gesagt find ichs thematisch interessanter und erschreckender wie ignorant sich ein Großteil der Politik und medialen Öffentlichkeit als weiterhin gibt und das nach diesem Votum.

Sicher wurde hier doch nicht über Bauvorschriften und über bloße Fragen der Statik von solchen Türmen abgestimmt, sondern der Volksentscheid zeigt sich als Ausdruck von Ängsten (egal wie real oder irreal die auch sein mögen), Befürchtungen, schlechten Erfahrungen und ja, auch Vorurteilen der Bevölkerung "dem" Islam gegenüber. Und wenn man die ersten Reaktionen aus Europa so hört, wird vermutlich auch das wenig zu einer ehrlichen Diskussion beitragen.
Der Karren wird gegen die Wand gefahren von den selben Politikern (und Parteien), die jetzt in Europa lauthals aufschreiend mit ihrem Toleranzfähnchen wedeln und sich in die Hosen machen, was das für Nachteile für die Wirtschaft haben könnte und sich doch viel mehr fragen müssten, was sie für das Zusammenleben der Menschen und für die Verbesserung der Integration getan haben und tun und v.a. wie ernst sie die Stimmung nehmen, die sich in diesem Votum ausdrückt.

Und diese Integration ist auch nichts abstraktes. Es geht um Arbeit, Schule, Sprachförderung, gescheite Wohnungen, gegen eine Gettoisierung, gegen eine Abschottung, um Frauenrechte, um Kriminalität usw. usf. und nicht um das Eröffnen von Nebenschauplätzen, wie etwa, ob man das Schächten von Tieren in größerem Umfang erlaubt, getrenntem Sportunterricht, Gebetsräumen in Schulen, Kopftüchern in staatlichen Einrichtungen, Minarettbau ja/nein usw. usf. - alles schön und gut und ausgesprochen tolerant ;) ...aber als ob das die brennendsten Fragen wären.
Wobei man fairerweise sagen muss, dass sich diese Verbesserung der Integration mittlerweile nicht mehr nur auf Zuwanderer beschränkt oder eine Frage des Islams ist.

Aber leider wird das Feld entweder den Rechtspopulisten überlassen, wie hier der Entscheid oder bspw. dem Reden eines Herrn Sarrazin oder auf der anderen Seite gutmenschelnden Ströbeles, die alles toll finden.

Autolyse
01.12.2009, 00:17
Thilo Sarrazin mit den Herren der SVP zu vergleichen ist in etwa so wie Georg Klein mit Hans Frank.

Kackbratze
01.12.2009, 00:19
Eine reale Auseinandersetzung mit dem Thema hat ja auchnicht stattgefunden.
Ein ähnliches Referendum in Deutschland hätte ein ähnliches Ergebnis, schließlich sind die letzten Gesetze und Verordungen im Bereich "innere Sicherheit" alle auf Grund des Terrorismus nach dem 11. September geschaffen worden.
Einerseits wird ein Feindbild aufgebaut, andererseits soll man tolerant sein.
Ab einem gewissen Bildungsniveau und Interesse an der Thematik klappt das vielleicht, aber das gros der Bevölkerung ist erst durch die "Gefahrenandrohung" durch Politik und Presse sensibilisiert und sieht dann parallel nicht ein, dass man auf Grund von "Nächstenliebe" sich für eine freie Glaubensausübung einsetzen soll.

PhineasGage
05.12.2009, 22:24
In Deutschland würde aber so ein Ergebnis sofort bom BGH kassiert werden, weil damit die Grundrechte (hier: Ausübung der Religionsfreiheit) beschnitten würden......
Das ist m.E. eigentlich das Krasse an dem Ergebnis; die Schweizer bewegen sich mit dem Ergebnis -vermutlich weil die Befürworter nicht ausreichend denken können - ganz schön weit von den Grundrechten der Demokratie weg.

Die Niere
06.12.2009, 09:17
Da ich meine IB-Visite überaschenderweise schon durch hab, wollte ich mich auch kurz dazu äussern.

Zuerst war ich auch recht negativ geschockt (obwohl geschockt ein zu emotionaler Ausdruck dafür ist), muss aber sagen, dass dieses Ergebnisse viel bessere Reaktionen hervorgerufen hat als ein negatives Votum ergeben hätte.

Da ich schon viele Jahre in der Schweiz lebe, sehr integriert bin, ist es einfach sehr interessant, was um einen herum so passiert. Witzigerweise wird es sogar häufig auf Weihnachtsfeiern angesprochen, in denen z.B. die Chefs öffentlich darlegen, wie beschämend sie das Ergebnis für ihr eigenes Volk finden. In den Zeitungen und Medien wird gross und breit diskutiert, wie man ausländische Minderheiten besser integrieren kann und warum es zu diesem Wahlergebnis gekommen ist.

Auch wenn ich das Ergebnis schade finde, hat es doch eine Diskussion und einen Denkprozess in den Köpfen ausgelöst, der mit Sicherheit sehr fruchtbar sein kann in den nächsten Jahren. Ob wirklich Ergebnisse folgen, ist natürlich noch nicht abzusehen.

gruesse, die niere

Autolyse
06.12.2009, 19:20
In Deutschland würde aber so ein Ergebnis sofort bom BGH kassiert werden, weil damit die Grundrechte (hier: Ausübung der Religionsfreiheit) beschnitten würden......
Das ist m.E. eigentlich das Krasse an dem Ergebnis; die Schweizer bewegen sich mit dem Ergebnis -vermutlich weil die Befürworter nicht ausreichend denken können - ganz schön weit von den Grundrechten der Demokratie weg.
Welcher Kaffeesatz hat dir das verraten?
Dazu müsste man zunächst die Frage beantworten, ob das Minarett zur Religionsausübung zwingend notwendig ist und zum anderen, ob das Minarett am betreffenden Standort überhaupt baurechtlich genehmigungsfähig ist.

Schimmelschaf
06.12.2009, 20:35
Die meisten Bürger die hier für ein NEIN gestimmt haben, waren junge Leute.
Eines der Probleme: wenn sich in deren Umfeld weitere junge Menschen muslimischen Glaubens befinden und diese sich gleichzeitig so dermassen asozial verhalten, dass man sie am liebsten ausschafffen würde, ist es für mich ein Stück weit verständlich, dass man diese Menschen nicht unterstützen will, seis in der Ausübung ihrer Religion, bei finanziellen Problemen etc. Es gibt 3 oder 4 Minarette in der schweiz, diese sind von der Initiative nicht betroffen.
Was ich eine Frechheit finde, ist, dass geplant wird / wurde, einen Muezzin pro Minarett einzustellen. In Indoniesien kommen sie doch auch mit Kirchenglocken aus, warum sollte mans in der Schweiz also anders machen?

Seit über einem Jahr hält Gaddafi zwei Schweizer als "Geiseln" fest. Als der Entscheid der Minarettinitiative bei ihm ankam, wurden sie gleich verurteilt (glücklicherweise halten sich die beiden in der schweizer Botschaft auf). Ich glaube, dass der Entscheid auch viel mit der absurden Machtspielerei Gadaffis zu tun hat. Dazu kommt die vermehrte Angst vor dem Islamismus (grad mit der Grenzöffnung gen Osten). Ganz ehrlich: wer würde die Scharia schon unterstützen? Umso mehr sich eine Religionsgruppe in einem Land zu Hause fühlt, umso eher setzen sie auch ihre Regeln um.

Andersrum gedacht: es gibt auch Länder, bzw. Regionen in denen man als Christ Angst haben muss, wenn man sich auf die Strasse wagt. also: entweder überall das gleiche Recht für alle oder eben nicht. Aber dann sollte man auch mal aufhören rumzumotzen, dass es hier und dort nicht gut ist. Wer noch nichtmal das Kopftuch ablegen und sich nicht anpassen will, sollte nicht unterstützt werden. Das sind die Regeln der schweizer Gesetze und an diese sollte man sich halten, genauso wie wir uns an die Gesetze deren Länder halten müssen. Punkt.

Es wird NICHT der Glaube verboten, sondern lediglich der Bau eines Minaretts.

Btw: Der Bundesrat war gegen die Initiative. Das Volk hat entschieden.

wanci
07.12.2009, 01:04
Andersrum gedacht: es gibt auch Länder, bzw. Regionen in denen man als Christ Angst haben muss, wenn man sich auf die Strasse wagt. also: entweder überall das gleiche Recht für alle oder eben nicht.

Das finde ich ehrlich gesagt echt ziemlich daneben argumentiert. Wenn es hier Religionsfreiheit gibt, gehört auch dazu, Menschen aus Ländern in denen soetwas nicht existiert die verdammt nochmal gleiche Freiheit hier einzuräumen. Alles andere ist einfach heuchlerisch und hat nicht ansatzweise was mit Freiheit zu tun. Was bringt es sich denn, in Fragen von Grundrechten an Dikaturen zu orientieren? Das ist paradox.

Außerdem ein schönes Beispiel für die Absurdidäten der Religionen. Den das ganze hat schon mit etwas Abstand betrachtet etwas sehr infantiles.