PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Was haltet ihr von der Kombination: Schulmedizin & Naturheilverfahren ?



Seiten : [1] 2 3 4 5

Exon
17.12.2009, 12:09
Hallo,
nachdem ich hier relativ "neu" bin... entschuldigt im voraus, falls es solch einen Thread schon gibt.

Meine Frage bezieht sich nicht nur auf die Wirksamkeit der Naturheilverfahren (z.B Akupunktur) sondern, ob es aus medizinischer Sicht Sinn macht die beiden Komponenten miteinander zu verbinden.

Grüße

Relaxometrie
17.12.2009, 12:27
Hi Exon,

früher habe ich über den Zusatz "Naturheilverfahren" auf einem Praxisschild nur müde gelächelt. Inzwischen finde ich es aber interessant und überlege selbst, mal diese Zusatzbezeichung zu machen. Allerdings stecke ich meine Energie jetzt erstmal in die Facharztweiterbildung (Allgemeinmedizin). In der nicht allzu lang dauernden Ausbildung für die "Zusatzbezeichung Naturheilverfahren" geht es zum Teil "nur" um gesunden Menschenverstand und gesunde Lebensführung. Aber in beiden Bereichen schadet ein wenig Nachhilfe ja nicht. Und mit diesem Wissen kann man dann hoffentlich dem ein oder anderen Patienten ein wenig auf die Sprünge helfen. Nicht mehr und nicht weniger verspreche ich mir von dem naturheilkundlichen Wissen. Ich wüsste noch nicht mal, ob ich diesen Zusatz auf mein Praxisschild schreiben würde. Ich würde das naturheilkundliche Wissen eher nebenbei in die Behandlung einfließen lassen wollen, als es ganz bewusst zu vermarkten.

Exon
17.12.2009, 12:50
Hallo Relaxometrie,

nun dies ist im Grunde auch meine Meinung.
Es sollte möglich und erstrebenswert sein, dass einerseits neueste schulmedizinische Erkenntnisse und andererseits "altes" Wissen eine Koexistenz bilden.

Ich selbst hinterfrage mein eigenes Wissen immer wieder zu dem Thema: "Weiß ich wirklichlich genug, um mir eine Meinung über das eine oder andere Therapieverfahren der Naturheilkunde zu bilden, oder gibt es doch Dinge, die die schuldmedizin noch nicht mit dem Mikroskop erfassen kann!?"
Die Macht der Psyche bei all dem mal ganz ausser acht gelassen.

Ich finde es überaus interessant wie "einfach" es sein kann alleine in der Anamnese durch Beobachtung bzw. Betrachtung (z.B. Gesicht) einen Hinweis auf Störungen zu bekommen, auch wenn es immer nur ein Hinweis sein sollte und eine parallele schuldmedizinische Abklärung folgen sollte.

Evil
17.12.2009, 16:24
Ich finde die Kombination sehr sinnvoll, denn es schadet nie, mal über den Tellerrand hinauszublicken. Das gilt für die engstirnigen Kollegen sowohl unter den reinen Schulmedizinern als auch unter den Alternativleuten.
Wobei ich mich persönlich eher für Akupunktur und TCM interessiere, die ja eigentlich nicht zu den Naturheilverfahren im engeren Sinn gehören. Aber zunächst mach ich mal meine Facharztausbildung fertig, dann schauen wir weiter.

BTW ich hab das Thema mal in ein passendes Forum verschoben :-)

John Silver
17.12.2009, 18:39
Hallo Relaxometrie,

nun dies ist im Grunde auch meine Meinung.
Es sollte möglich und erstrebenswert sein, dass einerseits neueste schulmedizinische Erkenntnisse und andererseits "altes" Wissen eine Koexistenz bilden.

Das ist im Grunde gar nicht nötig, denn "neues" Wissen baut immer auf dem "alten" auf. Man muss allerdings schon sehr streng zwischen Informationen, die durch valide wissenschaftliche Experimente erworben wurden, und solchen, die aufgrund sehr vager, unbestimmter und dadurch wesentlich stärker fehleranfälliger "Erfahrungen" als "Wissen" bezeichnet werden, unterscheiden. Dieser Unterschied ist vielen nicht klar, hauptsächlich weil die wissenschaftlichen Grundlagen nicht wirklich verstanden werden. Auch für viele Kollegen sind Mathematik, Physik und Chemie Bücher hinter Dutzenden von Siegeln. Das ist das Hauptproblem der "traditionellen" Medizin - die meisten Leute sind überhaupt nicht in der Lage, zwischen sinnvollen Ansätzen und Blödsinn zu unterscheiden; dann kommen immer Postulate wie "Es wirkt eben, das weiss ich aus Erfahrung" und ähnliche, die nichts beweisen, wodurch letztlich die (wenigen) sinnvollen Ansätze durch eine unüberschaubare Masse an Blödsinn kompomittiert werden.


Ich selbst hinterfrage mein eigenes Wissen immer wieder zu dem Thema: "Weiß ich wirklichlich genug, um mir eine Meinung über das eine oder andere Therapieverfahren der Naturheilkunde zu bilden, oder gibt es doch Dinge, die die schuldmedizin noch nicht mit dem Mikroskop erfassen kann!?"

Sein Wissen zu hinterfragen, ist immer gut, das ist klar. Aber der letzte Satz klingt eher nach Esoterik. Nur weil man etwas (im übertragenen Sinne) im Mikroskop nicht sehen kann, bedeutet es noch lange nicht, dass
a) die Schulmedizin dieses "etwas" nicht sieht/versteht/einbezieht, und
b) die "traditionelle" Medizin von diesem "etwas" auch nur einen Hauch mehr Ahnung hat als die Schulmedizin.
Natürlich gibt es noch massenweise Sachverhalte, die wir (noch) nicht oder zumindest nicht in ihrer Gänze verstehen. Dabei aber auf die Hilfe therapeutischer Verfahren zu hoffen, die vor Jahrhunderten, wenn nicht gar Jahrtausenden entwickelt wurden, ist m.E. nicht sinnvoll, denn diese Verfahren basieren auf wissenschaftlichen Vorstellungen, die weitaus primitiver waren als die heutigen, und deswegen nur zufallsbedingt (falls überhaupt) eine Wirksamkeit zeigen. Ein Zufallstreffer ist auch ein Treffer, und dessen Vorteile sollten nicht ungenutzt bleiben, aber man sollte die Sache nicht überbewerten.


Die Macht der Psyche bei all dem mal ganz ausser acht gelassen.

Das sollte man bei "alternativen" Verfahren auf keinen Fall tun, denn in keinem Bereich der Medizin spielt der Placeboeffekt eine so immense Rolle wie hier. Man sollte es m.E. bei keiner Therapie, wie modern und wissenschaftlich sie auch sein mag, tun. Die Psyche des Patienten sollte immer in die Therapie einbezogen werden, unabhängig von der Natur der Therapie.


Ich finde es überaus interessant wie "einfach" es sein kann alleine in der Anamnese durch Beobachtung bzw. Betrachtung (z.B. Gesicht) einen Hinweis auf Störungen zu bekommen, auch wenn es immer nur ein Hinweis sein sollte und eine parallele schuldmedizinische Abklärung folgen sollte.

Da musst Du mir mal erklären, inwiefern das ein Instrument der "traditionellen" Medizin sein soll. Der klinische Blick ist auch für einen Arzt, der mit "alternativen" Methoden nichts am Hut hat, eine sehr sinnvolle Eigenschaft. Eine gescheite Anamnese und eine anständige körperliche Untersuchung bilden auch in der Schulmedizin die mit Abstand wichtigste Grundlage der Diagnostik, auch wenn einige diese Sachen nicht draufhaben.

Ich kann sehr wohl verstehen, warum viele Allgemeinärzte sich Zusatzbezeichnungen wie "Naturheilverfahren" etc. holen. Man möchte die Leute nicht enttäuschen, wenn sie um Hilfe bitten, man möchte aber auch keinen Schaden anrichten. Ein sehr großer Prozentsatz der Patienten in einem allgemeinmedizinischen Wartezimmer besteht aus Menschen, die entweder an Kleinigkeiten laborieren, die eigentlich keiner Therapie bedürfen, oder an psychosomatischen Syndromen leiden. Beiden Gruppen ist mit "richtiger" konservativer oder operativer Medizin nicht zu helfen, man richtet eher Schaden an. Aber. Die Leute, die Lapallien haben, wollen oft nicht hören, was Sache ist, und bilden sich ein, abgewimmelt zu werden. Die psychosomatischen Patienten sind da noch schwieriger, drängen häufig auf "richtige" Therapie etc., und wollen nichts von psychosomatischen Therapieverfahren hören, sind dann beleidigt und glauben, man halte sie für Jammerlappen oder Simulanten. Und in solchen Fällen helfen die "alternativen" Verfahren bestens. Die Leute bekommen, was sie wollen, der therapeutische Placeboeffekt ist insbesondere bei psychosomatischen Erkrankungen bekannt hoch, das potentielle Risiko ist sehr begrenzt, die Kosten sind im Allgemeinen eher niedrig, und die Compliance ist ausgezeichnet. Das ist m.E. eine berechtigte Sichtweise, wenngleich die ethische Seite einen etwas faden Beigeschmack hinterlässt.

Wenn ein stationärer Patient über eine Einschlafstörung klagt und eine Schlaftablette will, bekommt er von mit Baldrian (heißt natürlich "Sedonium" etc., damit der Patient nicht mitkriegt, dass es Baldrian ist:-)) ). Und das, obwohl ich, wie man merkt, den "alternativen" Verfahren im Allgemeinen und dem ganzen pseudowissenschaftlichen Gefasel, welches drum gesponnen wird, im Speziellen sehr kritisch gegenüberstehe.

Exon
17.12.2009, 20:15
Was ich eigentlich mit meinen Worten sagen wollte ist:
Ich denke das eine wird ohne das andere nicht auskommen, da jeder Patient seine eigenen Bedürfnisse in Bezug auf medizinische Versorgung hat.

Meine Aussage auf das "Beobachten und Betrachten" war eher noch auf spezielle Untersuchungstechniken bezogen, die man z.b. in der TCM findet.
Nehmen wir hier nur mal die Zungendiagnose, die ja im gewissen Maße auch in der Schuldmedizin mehr oder weniger herangezogen wird.

Im Grunde würde ich mir nie Anmaßen zu behaupten, dass solche Werkzeuge zur Anamnese oder Behandlung unsinnig sind.
Die Schulmedizin lernt auch heute noch täglich hinzu oder es werden Dinge verworfen, die noch vor ein paar Jahren unumstößliches Wissen waren und somit bin ich nicht nur den alternativen Methoden gegenüber kritisch und hinterfrage, sondern gestehe mir auch ein, dass es mehr geben muss als das was wir bis zum heutigen Zeitpunkt entdeckt oder gelernt haben.

Wie man unschwer erkennt, bin ich gewissen Therapieverfahren der alternativen Medizin nicht abgeneigt, auch wenn sie auf "alten" Wissen basieren.

Ein Beispiel hierfür:
Phytotherapie hat auch heute noch seine Wirkung nicht verloren, nur weil es potentere Mittel der Pharmaindustrie gibt. Was eben nicht heißen soll, dass sie ebenbürtig sind, sondern einfach, dass hier kein Placebo vorliegt und manch ein "Cocktail" , wenn richtig eingesetzt, seine Wirkung hat.
Nehmen wir hier mal eine Pflanze wie den Fingerhut o.ä.

Leider treffen bei Diskussionen bezüglich Schulmedizin vs. alternative Medizin oft Fanatiker der einen wie der anderen Art aufeinander, was eine Koexistenz schwierig macht und sie sich doch eigentlich, wenn richtig eingesetzt, ergänzen würden.

John Silver
17.12.2009, 21:19
Was ich eigentlich mit meinen Worten sagen wollte ist:
Ich denke das eine wird ohne das andere nicht auskommen, da jeder Patient seine eigenen Bedürfnisse in Bezug auf medizinische Versorgung hat.

Dem zweiten Teil der Aussage kann man nur zustimmen, der erste folgt daraus aber nicht zwangsläufig. Es ist ethisch recht fragwürdig, Patienten Dinge zu "verkaufen", nur weil diese Dinge von den Patienten, die zwar immer öfter mündig, aber sehr selten kompetent sind, gewünscht werden.


Meine Aussage auf das "Beobachten und Betrachten" war eher noch auf spezielle Untersuchungstechniken bezogen, die man z.b. in der TCM findet.
Nehmen wir hier nur mal die Zungendiagnose, die ja im gewissen Maße auch in der Schuldmedizin mehr oder weniger herangezogen wird.
Im Grunde würde ich mir nie Anmaßen zu behaupten, dass solche Werkzeuge zur Anamnese oder Behandlung unsinnig sind.

Es geht nicht darum, sich irgendwelche Aussagen anzumaßen, nur weil man zufällig anderer Meinung ist. Es geht um die Sensitivität und die Spezifität einer bestimmten Diagnostik oder Therapie. Das muss man überprüfen, denn diesbezügliche Angaben betreffend Zungenbetrachtung etc. sind alles andere als zuverlässig. Unzuverlässige Untersuchungsmethoden sind nur sehr bedingt sinnvoll einsetzbar. Es gibt bestimmte Befunde an der Zunge, die mit einer ausreichend hohen Wahrscheinlichkeit auf bestimmte Diagnosen hinweisen (Soor, Eisenmangel etc.).


Die Schulmedizin lernt auch heute noch täglich hinzu oder es werden Dinge verworfen, die noch vor ein paar Jahren unumstößliches Wissen waren und somit bin ich nicht nur den alternativen Methoden gegenüber kritisch und hinterfrage, sondern gestehe mir auch ein, dass es mehr geben muss als das was wir bis zum heutigen Zeitpunkt entdeckt oder gelernt haben.


Wieder ist es eine Schlussfolgerung, die ich nicht nachvollziehen kann. Klar lernen wir jeden Tag dazu. Klar werden heute Theorien verworfen, die gestern noch gefeiert wurden. Natürlich gibt es jede Menge Sachen, die wir noch nicht verstehen. Aber was das mit alternativer Medizin zu tun hat, ist mir nicht klar. Willst Du ernsthaft behaupten, dass alternativen Methoden ein Wissen zugrunde liegt, welches dem Wissen, das wir durch wissenschaftliche Forschung erworben haben, in irgendeiner Hinsicht überlegen ist?


Wie man unschwer erkennt, bin ich gewissen Therapieverfahren der alternativen Medizin nicht abgeneigt, auch wenn sie auf "alten" Wissen basieren.

Es gibt kein altes und neues Wissen, das sind Worthülsen ohne jede Bedeutung. Es gibt Wissen. Das "alte", das Du meinst, ist kein Wissen, sondern ein Modell. Das ist ein riesiger Unterschied. Tatsächlich basieren alle alternativen "Medizinen" auf meist sehr alten Modellen, die das System "Mensch" beschreiben sollen. In den Zeiten, in denen diese Modelle entstanden und sich entwickelten, war zwar das Wissen um die menschliche Makroanatomie schon ganz gut (ist ja auch nicht allzu schwierig, diese zu erforschen); das Wissen um die Mikroanatomie, Biochemie und Physiologie war aber auf einem äußerst niedrigen Niveau, praktisch nicht vorhanden im Vergleich zum heutigen Wissensstand.
Die Menschen wurden aber schon immer krank, und fast alle Krankheiten gab es auch vor mehreren Jahrtausenden. Man wollte diese Krankheiten behandeln. Eine Behandlung ist ein Eingriff in das System "Mensch". Um die Eingriffe besser steuern und gezielter einsetzen zu können, muss man das System möglichst gut verstehen. Um die Wirkung einer Behandlung zu prognostizieren, muss man ein Modell des Systems haben, welches beobachtbare Phänomene erklärt und Prognosen möglich macht.
Also fing man an, Modelle des Menschen zu entwerfen. Da aber das Wissen um das System extrem begrenzt war, entstanden auch extrem begrenzte und primitive Modelle wie das Modell der Meridianen etc. Diese Modelle werden nicht mal im Ansatz der Kompexität des Menschen gerecht (und kompliziert heißt nicht komplex!), aber damals hatte man nichts besseres. Immerhin waren diese Modelle in der Lage, einige Behandlungserfolge zu liefern, und schöpften daraus zurecht ihre Existenzberechtigung.
Im Laufe der Zeit, insbesondere in den letzten ca. 150-200 Jahren, stieg die Menge unseres Wissens über uns immer steiler an. Wir wissen heute um Welten mehr über uns, als vor 3 Jahrtausenden, insbesondere bezüglich Mikroanatomie, Physiologie und Biochemie, sowie deren Pathologien. Dementsprechend ist das aktuelle Modell des Menschen, welches in der Schulmedizin verwendet wird, viel komplexer als die alten Modelle. Wie Du sehr richtig geschrieben hast, verwerfen wir heute oft schon Theorien, die noch vor 5 Jahren als richtig angesehen wurden. Und da liegen die Unterschiede in der Erkenntnismenge oft in einem sehr sehr kleinen Rahmen. Doch nach wie vor werden Modelle, deren Wissensgrundlage seit Jahrhunderten überholt ist, nicht nur nicht verworfen, sondern sogar als komplementär oder gar überlegen angesehen. Wo da die Logik zu suchen ist, muss mir mal jemand erklären.


Ein Beispiel hierfür:
Phytotherapie hat auch heute noch seine Wirkung nicht verloren, nur weil es potentere Mittel der Pharmaindustrie gibt. Was eben nicht heißen soll, dass sie ebenbürtig sind, sondern einfach, dass hier kein Placebo vorliegt und manch ein "Cocktail" , wenn richtig eingesetzt, seine Wirkung hat.
Nehmen wir hier mal eine Pflanze wie den Fingerhut o.ä.

Bei weitem nicht jedes Phytotherapeutikum ist kein Placebo. Aber allein die Tatsache, dass ein Phytotherapeutikum kein Placebo ist, ist noch kein Grund, diese Medikamente zu verwenden. Wichtig ist die klinische Relevanz, und die ist nur für sehr wenige Phytotherapeutika gesichert. Ferner ist das Profil an unerwünschten Wirkungen bei wirklich wirksamen Phytotherapeutika nicht kürzer oder harmloser als bei "synthetischen" Medis, obwohl gern das Gegenteil behauptet wird. Mit Fingerhutextrakt kann man einen Patienten schneller in die ewigen Jagdgründe befördern, als einem lieb ist (was auch in der Hochzeit der Phytotherapeutika regelmäßig geschah, nebenbei erwähnt).


Leider treffen bei Diskussionen bezüglich Schulmedizin vs. alternative Medizin oft Fanatiker der einen wie der anderen Art aufeinander, was eine Koexistenz schwierig macht und sie sich doch eigentlich, wenn richtig eingesetzt, ergänzen würden.

Das ist wahr, seien wir da doch mal eine wohltuende Ausnahme :-top

milz
17.12.2009, 22:27
Danke John Silver für das ausführliche Statement, ganz meiner Meinung.

Ich erlebe es im Privatleben, ob Kinderarzt, Hebamme oder Freundin der Frau, alle stehen auf Glaubuli. Grausam!

Relaxometrie
17.12.2009, 23:01
Bei weitem nicht jedes Phytotherapeutikum ist kein Placebo.
Ich glaube, Du wolltest sagen:"...ist ein Placebo", oder?

Jugtail
17.12.2009, 23:57
Ich kann mir nicht helfen, aber sobald jemand alternative Heilverfahren als "altes Wissen" bezeichnet, klingt das für mich gleich ziemlich esoterisch-verklärt :-nix

anba
18.12.2009, 05:51
Danke John Silver für das ausführliche Statement, ganz meine Meinung.

Dem schließe ich mich an.


Ich glaube, Du wolltest sagen:"...ist ein Placebo", oder?

Das dachte ich beim Lesen zuerst auch, aber im Kontext mit dieser Aussage Exons


Phytotherapie hat auch heute noch ihre Wirkung nicht verloren, nur weil es potentere Mittel der Pharmaindustrie gibt. Was eben nicht heißen soll, dass sie ebenbürtig sind, sondern einfach, dass hier kein Placebo vorliegt

passt es schon, denn nicht jedes pflanzliche "Therapeutikum" hat eine Wirkung, die über einen Placeboeffekt hinausgeht und ist somit kein Placebo.



Leider treffen bei Diskussionen bezüglich Schulmedizin vs. alternative Medizin oft Fanatiker der einen wie der anderen Art aufeinander, was eine Koexistenz schwierig macht und sie sich doch eigentlich, wenn richtig eingesetzt, ergänzen würden.

Ich finde, John Silber hat hier sehr schön gezeigt, wie ein solcher Einsatz alternativer Verfahren aussehen könnte, auch wenn er ethisch bedenklich ist:


Ich kann sehr wohl verstehen, warum viele Allgemeinärzte sich Zusatzbezeichnungen wie "Naturheilverfahren" etc. holen. Man möchte die Leute nicht enttäuschen, wenn sie um Hilfe bitten, man möchte aber auch keinen Schaden anrichten. Ein sehr großer Prozentsatz der Patienten in einem allgemeinmedizinischen Wartezimmer besteht aus Menschen, die entweder an Kleinigkeiten laborieren, die eigentlich keiner Therapie bedürfen, oder an psychosomatischen Syndromen leiden. Beiden Gruppen ist mit "richtiger" konservativer oder operativer Medizin nicht zu helfen, man richtet eher Schaden an. Aber. Die Leute, die Lappalien haben, wollen oft nicht hören, was Sache ist, und bilden sich ein, abgewimmelt zu werden. Die psychosomatischen Patienten sind da noch schwieriger, drängen häufig auf "richtige" Therapie etc., und wollen nichts von psychosomatischen Therapieverfahren hören, sind dann beleidigt und glauben, man halte sie für Jammerlappen oder Simulanten. Und in solchen Fällen helfen die "alternativen" Verfahren bestens. Die Leute bekommen, was sie wollen, der therapeutische Placeboeffekt ist insbesondere bei psychosomatischen Erkrankungen bekannt hoch, das potentielle Risiko ist sehr begrenzt, die Kosten sind im Allgemeinen eher niedrig, und die Compliance ist ausgezeichnet. Das ist m.E. eine berechtigte Sichtweise, wenngleich die ethische Seite einen etwas faden Beigeschmack hinterlässt.

Zum letzten Satz aus diesem Zitat:

Ich kann zwar verstehen, wenn aus den Gründen, die Du genannt hast, zu aus wissenschaftlicher Sicht äußerst zweifelhaften Verfahren gegriffen wird, aber die ethische Seite eines solchen Vorgehens erzeugt bei mir nicht nur einen faden Beigeschmack, sondern heftige Übelkeit und Bauchschmerzen.

Exon
18.12.2009, 11:34
Ich denke es gibt sowohl in der Schulmedizin Dinge, die man als ethisch nicht vertretbar halten kann, gleichwohl auch auf der anderen Seite.
Im Grunde liegt es am Ermessen, der Erfahrung und der Sinnigkeit eines Verfahrens.
Addieren wir hier noch die Kosten für das eine oder andere Vorgehen hinzu, dann wäre ein Konsens sicherlich möglich.

Um es aber etwas einzuschränken bzw. zu relativieren:
Ich spreche hier nicht von alternativen Methoden, die darauf basieren, dass ein Behandler einen Gegenstand des Patienten beschwört oder jemanden ein Wasser verkauft wird in dem höchstens das eine oder andere natürlich vorkommende Elektrolyt nachgewiesen werden kann.

Sinnig finde ich allerdings Erfahrungswerte aus der alternativen Medizin, die nachweislich einen Effekt erzielen.
Nachweislich wäre hier z.B. eine Schröpftherapie, Kneipsche Güsse, aber wie ich finde auch das Akupunktieren, auch wenn hier die Meridianlehre eher angezweifelt wird.

Ich denke somit auch, dass der Heilpraktiker als solcher im relativ gesehen werden sollte, denn es gibt durchaus auch in diesem Berufsstand den einen oder anderen, der sich seiner Grenzen und Verantwortung bewusst ist und somit sein Handlungsspielraum eher in der Prävention sieht (z.B. Ernährung, Lebensführung) und somit eigentlich nur unterstützend tätig wird.
Deshalb auch mein Thread, ob eine solche Koexistenz für Möglich und Sinnvoll gehalten werden kann.
Ausschließen möchte ich natürlich wie oben erwähnt Therapien und Behandler, die offensichtlich mehr als fragwürdig sind.

John Silver
18.12.2009, 19:07
Ich denke es gibt sowohl in der Schulmedizin Dinge, die man als ethisch nicht vertretbar halten kann, gleichwohl auch auf der anderen Seite.

Sorry, aber das ist Demagogie. Es geht nicht um bedauerliche Einzelfälle, sondern um die Sache an sich. Das Verschreiben einer Placebo-Therapie ist aus ethischer Sicht an sich fragwürdig und kann nur im Einzelfall gerechtfertigt sein; Du kannst nicht mit fragwürdigen Einzelfällen aus der Schulmedizin dagegenhalten, es sei denn, Du hältst die Schulmedizin an sich für fragwürdig.


Sinnig finde ich allerdings Erfahrungswerte aus der alternativen Medizin, die nachweislich einen Effekt erzielen.

Toll. Allerdings bist Du Dir offenbar nicht der Tatsache bewusst, dass ein nachweislicher Effekt an sich noch lange kein Grund ist, eine Therapie zu verwenden, denn nicht der nachweisliche Effekt ist wichtig, sondern die klinische Relevanz.


Nachweislich wäre hier z.B. eine Schröpftherapie, Kneipsche Güsse, aber wie ich finde auch das Akupunktieren, auch wenn hier die Meridianlehre eher angezweifelt wird.

Und schon bestätigst Du meine Vermutung. Du schmeisst alles auf einen Haufen, was auch nur irgendwie "alternativ" klingt.
Kneipp-Therapie ist eine Therapie, die keineswegs alternativ ist. Sie wird auch in der Schulmedizin empfohlen, allerdings mit der Einschränkung, dass eine solche Therapie höchstens zur Prävention bestimmter Erkrankungen sinnvoll ist. Man nimmt morgens eine Dusche, und duscht sich dabei abwechselnd heiss und kalt ab. Das ist sinnvoll. Die ganzen Einrichtungen, die mit "Kneipp-Therapie" Geld verdienen, sind Abzocker.
Schröpfen ist keineswegs eine alternative Methode. Es ist einfach nur eine sehr alte Methode, die vor sehr vielen Jahren zum Effektivsten gehörte, was die Medizin zu bieten hatte, und deswegen breit verwendet wurde. Heutzutage gibt es für jede Erkrankung, die damit behandelt wurde, deutlich effektivere Therapien, die weitaus einfacher in der Durchführung sind und ein weitaus günstigeres Risikoprofil aufweisen. Klar kann man dem Schröpfen eine Wirkung zuweisen; zeige mir aber bitte auch nur eine einzige, auch nur einigermassen akzeptable Studie, die eine klinische Relevanz der Schröpftherapie belegt. Ich wette, es gibt keine; diese Therapie ist nämlich aus sehr guten Gründen schon vor vielen Jahren als obsolet eingestuft worden.
Was die Akupunktur betrifft, so gilt hier Ähnliches. Zwar ist ein bestimmter Effekt nachweisbar; es gibt aber keine glaubwürdige Studie, die einen klinischen Nutzen belegt.


Ich denke somit auch, dass der Heilpraktiker als solcher im relativ gesehen werden sollte, denn es gibt durchaus auch in diesem Berufsstand den einen oder anderen, der sich seiner Grenzen und Verantwortung bewusst ist und somit sein Handlungsspielraum eher in der Prävention sieht (z.B. Ernährung, Lebensführung) und somit eigentlich nur unterstützend tätig wird.

Heilpraktiker werden auf Gebieten unterstützend tätig, auf denen die Menschen eigentlich keine Unterstützung brauchen. Deshalb ist es ethisch sehr fragwürdig, unabhängig vom Verantwortungsbewusstsein eines bestimmten Heilpraktikers.

Grundsätzlich möchte ich anmerken, dass Heilpraktiker und Konsorten im Grunde bloss einen Markt aufgetan haben und am Leben erhalten, der an sich ethisch sehr fragwürdig ist. Man schreibt Therapien Wirkungen zu, die so niemals nachgewiesen wurden; es findet keinerlei wissenschaftliche Überprüfung der Methoden statt; niemand rechnet nach, wieviel Geld den Menschen damit aus der Tasche gezogen wird, und niemand setzt es zum Nutzen in Relation. Im Grunde wird nicht ein einziges Kontrollinstrument aus der Fülle, die der Schulmedizin aufgedrückt wird, verwendet. Stattdessen hört man nur das Gerede vom "alten Wissen", "Dingen, die die Wissenschaft nicht begreifen / nicht durch das Mikroskop sehen / erklären kann", der "ganzheitlichen Betrachtung des Menschen", "jahrtausende alten Erfahrungen" etc. Das ist alles Gefasel. Mit diesem Gefasel kann man jeden Blödsinn "beweisen" oder "widerlegen". Letztlich muss jeder einigermassen klar und logisch denkende Mensch feststellen, dass die sog. "alternative" Medizin ausschliesslich auf religionsähnlichen Grundsätzen basiert, nämlich auf Aussagen, deren Richtigkeit feststeht, ohne eines Beweises zu bedürfen. Wenn man daran glauben will, steht es einem frei; wenn man aber anfängt, das ganze als eine auch nur komplementäre Alternative zur Schulmedizin darzustellen, begibt man sich auf sehr dünnes ethisches Eis.


Deshalb auch mein Thread, ob eine solche Koexistenz für Möglich und Sinnvoll gehalten werden kann.

Wie ich schon sagte, kann man alternative Verfahren mit der Schulmedizin sehr wohl kombinieren, aber man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass man dabei den Patienten bestenfalls schwach wirksame Therapien ohne klinischen Nutzen offeriert; deshalb muss man in jedem Einzelfall sehr sorgfältig abwägen, ob es vor allem ethisch gerechtfertigt erscheint, den Patienten derart zu belügen.

hennessy
18.12.2009, 20:47
.....
Wie ich schon sagte, kann man alternative Verfahren mit der Schulmedizin sehr wohl kombinieren, aber man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass man dabei den Patienten bestenfalls schwach wirksame Therapien ohne klinischen Nutzen offeriert; deshalb muss man in jedem Einzelfall sehr sorgfältig abwägen, ob es vor allem ethisch gerechtfertigt erscheint, den Patienten derart zu belügen.
wenn ich ein Behandlungsregime zum Einsatz bringe, das sich als "schwach wirksam" darstellt, dann ist meiner Meinung nach der klinische Nutzen bereits evident.
Weshalb ich dabei den Patienten anlügen muss, verwehrt sich mir. :-nix

anba
18.12.2009, 21:40
Weshalb ich dabei den Patienten anlügen muss, verwehrt sich mir. :-nix


Hennessy, das was Johnny hier in diesem Thread als mögliche, aber ethisch bedenkliche Indikation für alternative Verfahren genannt hat, hast Du vor einiger Zeit mal mit anderen Worten, aber auch sehr schön beschrieben: ;-)

http://www.medi-learn.de/medizinstudium/foren/showpost.php?p=606259&postcount=5


jeder Niedergelassene kennt es und auch jeder, der mal in der Ambulanz tätig war: Manche "Patienten" betreiben einfach Ärzte-hopping, weil ihnen langweilig ist oder weil sie anderweitig keine Ansprache haben. Ich versuche zwar schon, auch diese Spezies ernst zu nehmen, aber manchmal fällt es schon ganz schön schwer. Sie erwarten ja auch die vollkommene Konzentration des gesamten Teams auf ihre Wehwehchen. Und genauso erwarten sie eine Therapie. Also gebe ich schlaue, übel riechende Salben, gepaart mit einem Kubik Zuspruch und tröstenden Worten. Und ganz wichtig: Der körperliche Kontakt! Die Leute wollen an den Händen genommen werden oder erwarten gelegentlich auch mal einen Klaps auf die Schulter. (Bin ich jetzt ein Patientenschänder oder ein potentieller Schlägertyp?)
All das fällt dann in die Rubrik: ut aliquid fiat. Manchmal einfach nur schön und zum Lächeln, manchmal absolut nervtötend.

Für mich fallen einige alternative Methoden in die Kategorie "ut aliquid fiat".

Dass auch solche Verfahren bei psychosomatischen Beschwerden etwas bewirken können, hat ja hier niemand bestritten, aber es ist dann sehr wahrscheinlich keine direkte stoffliche/physikalisch-chemische Wirkung (z. B. der Globuli oder vielleicht auch der Akupunkturnadeln), sondern eine Placebowirkung.

Ob das Arbeiten mit solchen Verfahren ein Belügen des Patienten ist, hängt für mich davon ab, wie man dem Patienten die Therapie "verkauft". Wer zwar von einer sehr wahrscheinlichen Placebowirkung des angewandten Verfahrens ausgeht, seinem Patienten aber im Gegensatz dazu z. B. die Hahnemannschen Hypothesen oder die Meridianhypothese der Akupunktur als Wissenschaft "verkauft", belügt meiner Meinung nach den Patienten. Ob so etwas dann eine ethisch vertretbare Notlüge ist, muss der, der damit arbeitet, mit sich selbst ausmachen.

Muriel
18.12.2009, 21:46
Das Problem ist, dass ich, selbst wenn ich von einer Placebowirkung ausgehe, ja schlecht dem Patienten dies auch genauso mitteilen kann, denn dadurch hätte ich die Chancen auf einen Therapieerfolg doch mal direkt um etliches gemindert. Wenn eine erwünschte Wirkung eintritt, die Wissenschaft aber eigentlich deren Eintreten aufgrund objektivierbarer Wirksamkeit verneint, dann muss es ja auf einer suggerierten Basis sein, die ich dem Patienten aber nähme, klärte ich ihn genau darüber auf. Somit ist das "Belügen" hier ein sehr ambivalenter Begriff.

anba
18.12.2009, 21:48
Das Problem ist, dass ich, selbst wenn ich von einer Placebowirkung ausgehe, ja schlecht dem Patienten dies auch genauso mitteilen kann, denn dadurch hätte ich die Chancen auf einen Therapieerfolg doch mal direkt um etliches gemindert.

Eben. Das ist ja das Dilemma.

Man könnte sich das Belügen des Patienten vielleicht ersparen, wenn man ihm einfach sagte, er solle das mal ausprobieren, aber sich nicht zum vermuteten Wirkungsmechanismus äußerte. :-nix


Wenn eine erwünschte Wirkung eintritt, die Wissenschaft aber eigentlich deren Eintreten aufgrund objektivierbarer Wirksamkeit verneint, dann muss es ja auf einer suggerierten Basis sein, die ich dem Patienten aber nähme, klärte ich ihn genau darüber auf. Somit ist das "Belügen" hier ein sehr ambivalenter Begriff.

hennessy
18.12.2009, 21:59
@anba: wenns ein Patient ist, der einen IQ größer als ne Milchtüte hat, dann kann ich mit ihm reden und er wird mich verstehen.
Diejenigen (wenigen) Patienten, die eine uaf-Therapie erwarten, sind jedoch oft Hypochonder und wollen lediglich unterhalten werden. Genau, wie ich es in dem von Dir zitierten Thread beschrieben habe. Dabei verstehe ich mich jedoch keinesfalls als Arzt für naturheilkundliche Verfahren oder als alternativer Heiler, sondern mehr als Langeweile-Vertreiber. Ich erwarte dabei keinerlei Therapie-Erfolg. Und dies macht meiner Meinung nach den großen Unterschied aus.

Exon
18.12.2009, 22:13
Sorry, aber das ist Demagogie. Es geht nicht um bedauerliche Einzelfälle, sondern um die Sache an sich. Das Verschreiben einer Placebo-Therapie ist aus ethischer Sicht an sich fragwürdig und kann nur im Einzelfall gerechtfertigt sein; Du kannst nicht mit fragwürdigen Einzelfällen aus der Schulmedizin dagegenhalten, es sei denn, Du hältst die Schulmedizin an sich für fragwürdig.

Ich denke die Sache mit Placebo hatten wir geklärt und dass nicht alle alternativen Methoden als Placebo zu bezeichnen sind.
Du differenzierst gerade selbst indem du sagst, dass du einen Teil aus manch einer alternativen Methode nimmst und es in der schulmedizin verwendest und automatisch ist es nun keine alternative Methode mehr sondern jahrhunderte altes Wissen.
Wenn ich die Schulmedizin als fragwürdig ansehen würde, dann wäre ich in diesem Bereich fehl am Platz bzw. würde dort nicht arbeiten.
Aber auch hier unterstreiche ich nicht alles was getan oder gesagt wird.


Ich denke hier auch sicherlich nicht nur an Einzelbeispiele oder betreibe (so deine Aussage) Hetze gegen irgendjemanden oder gar gegen die nicht wegzudenkende Schulmedizin.

Streitthema wäre hier z.B. , ob es moralisch oder ethisch korrekt ist, wenn med. Studenten in Entwicklungsländern Dienst tun (wenn im Grunde auch löblich) und dabei chirurgische Eingriffe oder sonstige Therapien anwenden, die sie im bisherigen Studium weder erlernt oder geübt haben.
Ich sehe täglich sog. Einzelbeispiele, die in der Summe aber nicht vorkommen sollten, z.b. wenn Kollegen die Verlegung eines Patienten auf eine Stroke Unit ablehnen nur weil sie auf dem Notfallprotokoll 88 Jahre lesen ohne den vorherigen Zustand zu berücksichtigen.
Nicht falsch verstehen! Ich will damit nur darlegen, dass nicht nur die Heilpraktiker an der Grenze des Ethischen und Moralischen stehen, sondern auch und das wie gesagt nicht selten die Schulmedizin, somit kann ich deine Ausführung nicht gelten lassen.


Toll. Allerdings bist Du Dir offenbar nicht der Tatsache bewusst, dass ein nachweislicher Effekt an sich noch lange kein Grund ist, eine Therapie zu verwenden, denn nicht der nachweisliche Effekt ist wichtig, sondern die klinische Relevanz.


Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass auch die klinische Relevanz zugegen sein muss, deshalb schrieb ich auch Koexistenz und nicht: "Wirf die Schulmedizin über Bord, es lebe die Naturheilkunde!"
Genauso würde ich nicht behaupten, dass Kneipsche Güsse zur Therapie von koronaren Herzkrankheiten oder ähnlichem taugen.
Allerdings wo bitte ziehst du die Grenze zwischen alternativen Methoden und der Schulmedizin, wenn du sagst, dass Kneipsche Güsse in welcher Form auch immer, der Schulmedizin angehören?

Ich hoffe bei all der Diskussion wird trotzdem deutlich, dass ich aus den Reihen der Schulmedizin komme, aber auch nicht allen naturheilkundlichen oder alternativen Methoden abgeneigt bin.

Im Grunde muss nur überprüft werden welch Therapie im Einzelfall nötig ist bzw. zur Unterstützung Sinn macht.
Man muss schließlich nicht immer mit Kanonen auf Spatzen schießen oder anders gesagt nicht jede kleine Erkältung bedarf eines Antibiotikums (es gibt hier auch Zahlen, die besagen, dass Ärzte bei 70 % der Patienten falsche Antibiotika verschreiben).
Und wenn hier die Riege der Heilpraktiker angesprochen wird, dann sag ich nur, wenn die Grenzen klar sind und einer von diesen Herren oder Damen sinnige und unterstützende Therapien anbieten bzw. empfehlen, dann bitteschön.
Aber ich würde nicht soweit gehen, dass ich den ganzen Berufsstand über einen Kamm scheren würde und als Scharlatane oder Abzocker bezeichnen würde.

John Silver
18.12.2009, 22:42
Das Problem ist, dass ich, selbst wenn ich von einer Placebowirkung ausgehe, ja schlecht dem Patienten dies auch genauso mitteilen kann, denn dadurch hätte ich die Chancen auf einen Therapieerfolg doch mal direkt um etliches gemindert. Wenn eine erwünschte Wirkung eintritt, die Wissenschaft aber eigentlich deren Eintreten aufgrund objektivierbarer Wirksamkeit verneint, dann muss es ja auf einer suggerierten Basis sein, die ich dem Patienten aber nähme, klärte ich ihn genau darüber auf. Somit ist das "Belügen" hier ein sehr ambivalenter Begriff.

"Belügen" ist in diesem Fall keineswegs ambivalent, sondern sehr eindeutig. Du belügst den Patienten, und Du meinst, dass es in seinem Sinne sei. Genau das ist das Problem an der Sache, und deswegen ist es m.E. sehr wichtig, dass man gut darüber nachdenkt, wann eine solche Handlung gerechtfertigt ist, und wann nicht. Ich mache solche Sachen ja auch ab und an. Mir geht es nicht um die Ablehnung solcher Methoden, sondern um deren kritische Anwendung. Die Anwendung ist zumeist eben zu unkritisch, und das ist dann nur noch eine Lüge.

@exon:

Du verstehst immer noch nicht, was ich Dir zu vermitteln versuche. Ich formuliere es anders: Schulmedizin ist nicht das, was ab sagenwirmal 1950 mit klinischen Studien etc. etabliert wurde. Kneippsche Güsse, Phytotherapeutika, Homöopathie etc. waren zunächst Teil der Schulmedizin. Nach einiger Zeit wurden die meisten Methoden und Therapien durch bessere abgelöst, bzw. wurde deren Wirkungslosigkeit durch objektive Untersuchungen demonstriert, und diese Therapien wurden als obsolet eingestuft. Das war ein Segen für alle möglichen Scharlatane, die diese obsoleten Methoden mit esoterischem Gefasel zum mythischen "alten Wissen" verklärten und anfingen, den Menschen diesen Kram für teilweise echt viel Geld zu verkaufen. Doch es gibt (fast) immer gute Gründe, warum bestimmte Therapien als obsolet eingestuft werden. Diese Gründe werden nur zu gern verschwiegen.

Was die Wirksamkeit bestimmter Therapien angeht, sieht die Sache genauso aus. Ob man eine Therapie als "wissenschaftlich", "alternativ" oder sonstwie bezeichnet, ist egal. Es hat einfach keine Bedeutung, das alles sind Worthülsen, die von Scharlatanen erfunden wurden, um Mist für Gold zu verkaufen. Es gibt wirksame und unwirksame Therapien (als Wirksamkeit wird ein signifikanter Vorteil gegenüber einer Kontrolle definiert), und wirksame unterteilen sich in klinisch relevante und irrelevante. Alle Therapien, die als "alternativ" bezeichnet werden, setzen sich zusammen aus 3 Gruppen:

1. Therapien, die nachweislich unwirksam sind.
2. Therapien, die zwar eine bestimmte Wirksamkeit haben, aber durch effektivere/nebenwirkungsärmere/besser steuerbare etc. Therapien abgelöst und für obsolet erklärt wurden.
3. Therapien, die überhaupt nicht wissenschaftlich evaluiert sind, und sehr wahrscheinlich entweder der ersten oder der zweiten Gruppe angehören.

Das sind Sackgassen und Dinosaurier der Medizinentwicklung. Früher hat man Chinabaumrinde genommen, bis man herausfand, dass die Wirksubstanz Salizylsäure ist. Diese wurde leicht modifiziert, und ASS wurde entwickelt. Man kann Chinabaumrinde verwenden, aber man kann auch ASS nehmen, und ASS ist in jeder Hinsicht besser. Salizylsäure war obsolet - und wurde "wiederentdeckt", und wird viel teurer verkauft als ASS. Das ist der typische Werdegang einer "alternativen" Therapie, des "alten" Wissens. Der Begriff "Recycling" ist allerdings etwas anders gemeint.

Was "Erkältungen" und Antibiotika betrifft, so ist eine Antibiose in den allermeisten Fällen tatsächlich nicht erforderlich - ebensowenig wie andere Medikamente, wie Umkaloabo und ähnlicher Müll. Die Menschen brauchen nur etwas symptomatische Therapie und Bettruhe. Aber das will ja keiner hören. Es muss gegen alle Krankheiten eine Pille geben, und wenn die Schulmedizin da "versagt", besorgt man sich "alternative" Methoden. Das hat mit Medizin nichts mehr zu tun.