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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Infusionen, kristalline vs. kolloidale



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MouseMan
06.01.2010, 12:52
In diversen Büchern die ich besitze gibt es ellenlange Abhandlungen über kristalline und kolloidale Infusionen, die aber aus meiner Sicht für Ärzte zu Beginn der Berufslaufbahn gänzlich ungeeignet sind. Nicht zuletzt weil sie oftmals schliessen mit der Aussage "Die Kontroverse kristalline versus kolloidale Lösungen besteht seit Jahrzehnten. Ein klinisch bedeutsamer Vorteil ... konnte bislang nicht aufgezeigt werden." (z.B. aus Karow, Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie).

Deshalb meine Frage: hat irgendjemand einen guten Link zu einer Art "Behandlungsleitfaden" in dem sich für Anfänger eine gute Übersicht zum Thema findet? Vor allem auch mit Rechnungen zu den Volumina. (Wieviel gleiche ich mit wieviel von was aus und wann?).

Meiner Meinung nach, genau wie die Thromboseprohylaxe, ein wirklich essentielles Thema für den klnischen Alltag eines angehenden Arztes. Leider im Studium ziemlich kurz gekommen. Für die Thromboseprophylaxe bin ich allerdings auf der Homepage der Uni Marburg fündig geworden und poste hier mal den Link. Vielleicht auch für andere eine ganz gute Übersicht. Außerdem zeigt es ganz gut was ich eigentlich (auch für die Infusionsfrage) suche.

http://www.med.uni-marburg.de/stpg/ukm/lb/nephrologie/images/Antikoagulation.pdf

Bin für jede Hilfe, vor allem von erfahrenen Kollegen aus der Klinik, dankbar! :-)

Gruß MouseMan

Evil
06.01.2010, 14:01
In kaum einem Bereich wirst Du so kontroverse Meinungen finden wie im Bereich Infusionstherapie, von daher gibt es auch nicht viele Ratschläge, die man erteilen kann.

Ich kann nur meine persönliche Erfahrung wiedergeben:
- von kolloidalen Lösungen halte ich nicht so sehr viel, weil die letztlich alle bloß einen kurzfristigen (mehrere Stunden) Volumeneffekt haben, dabei aber nicht zu unterschätzende UAW hervorrufen können (Allergien, Nephrotoxizität, Pruritus). Nichtsdestoweniger gibt es aber Indikationen, für die sie klar zu bevorzugen sind, z.B. akuter oder drohender starker kurzfristiger Volumenverlust
- damit bleiben abgesehen von Blutprodukten die kristalloiden Lösungen. Was man da jetzt im Einzelnen nimmt, ist oft egal und gelegentlich situationsabhängig (Elektrolytstatus,...); die Menge hingegen hängt sehr stark vom individuellen Patienten ab und bemißt sich aus dem Bedarf (Grad des Volumenmangels), aber auch aus der kardiovaskulären Leistungsfähigkeit des Patienten (beim alten Patienten mit Herzinsuffizienz sollten z.B. perioperative Druckabfälle nicht nur mit Volumen sondern teilweise auch mit Katecholaminen behandelt werden).
Und für bestimmte Bereiche gibt es Rechenschemata (z.B. Parkland-Formel bei Verbrennungskrankheit).

Leider gibt es in diesem Bereich kein Kochrezept, von daher wundert es auch nicht, daß über die Volumengabe am Intensivbett oft lange und ausführlich diskutiert wird... und von einer plötzlichen Befundänderung in nullkommanix wieder über den Haufen geschmissen wird.

WackenDoc
06.01.2010, 16:36
Hab das Thema gerade in der Vorbereitung auf meinen Notarzt-Refresher gehabt:
Also von den kolloidalen Infusionen kommt man zumindest präklinisch wieder eher weg. Offenbar gibt es Studien, die besagen, dass es da Nachteile gegenüber den Kristalloiden gibt.
Und man gibt anscheinend eher so Sachen wie Hyper-HAES als normales.

DAnn wird noch unterschieden zwischen kontrollierten und unkontrollierten BLutungen. Bei ersterem, sowie bei Verbrennungen ist mehr Flüssigkeit angesagt. Bei unkontrollierten Blutungen nimmt man eher einen niedrigeren BLtdruck in Kauf (Bei jungen, ansonsten gesunden PAtienten ca. 90mmHg systolisch).

Ich weiss nicht wie man das in der Klinik handhabt- aber präklinisch geht man eher nach dem Blutdruck als nach irgentwelchen Formeln.
Einzige wo ich das mit der Formel kenn sind die Verbrennungen.

Rico
06.01.2010, 17:00
Der einzige Anwendungbereich für Kolloide sind bei uns eigentlich nur Hypotonien bei Blutungen (z.B. GI) bis zum Eintreffen der Konserven.
Ansonsten bei den üblichen internistisch-intensivmedizinischen Erkrankungen kein Stellenwert...

LieberInvasiv
07.01.2010, 09:18
Also zumindest präklinisch haben Studien gezeigt das kolloidale im vergleich mit kristalloiden Lösungen keinen Vorteil bzgl. kurzfristiges Überleben/Outcome haben.
Dafür haben sie allerdings folgende Nachteile die Kristalloide so nicht haben:
- Allergien, Nephrotoxizität, Pruritus, etc. (wie schon gesagt)
- RR-Anstieg schneller und stärker --> nicht so gut zu kontrolieren
(damit werden unstillbare Blutungen u.U. wieder eröffnet/verstärkt)
- teurer

Z.B. die Niederländer haben Kolloidale daher komplett aus der präklinischen Versorgung genommen. In D sind ähnliche Tendenzen zu spüren.
(Dauert hier ja immer was länger)

Strodti
07.01.2010, 09:22
Habt ihr da zufällig Studien an der Hand? In meinem Heimatrettungsdienstkreis sind HyperHAES und HAES noch fleißig in gebrauch.

Relaxometrie
07.01.2010, 09:42
Und für bestimmte Bereiche gibt es Rechenschemata (z.B. Parkland-Formel bei Verbrennungskrankheit).
Das ist doch die gleiche Formel, wie die Baxter-Formel, oder?
Beim Googlen habe ich eine gute Verbrennugnsseite gefunden, auf der zwar stand, daß die Parkland-Formel eine nach Baxter modifizierte Formel ist, aber ich habe keinen Unterschied gesehen :-wow

MouseMan
07.01.2010, 10:44
Habe mittlerweile im "Leitfaden Rettungsdienst" fürs Thema Exsikkose was gefunden:

Schwere Exsikkose: 30ml/kg KG Ringer i.v. + 10ml/kg KG HAES Steril 6% i.v.

Mittlere Exsikkose: 20-30ml/kg KG Ringer i.v. + 5ml/kg KG HAES Steril 6% i.v.

Leichte Exsikkose: trinken lassen. :-D



Natürlich immer KIs bedenken (z.B. Herzinsuffizienz/HAES). Aber sonst? Wie findet ihr das zur Orientierung?

LieberInvasiv
07.01.2010, 13:52
Studien colloidal vs. kristalloid:
zB SAFE Study Investigators: A comparison of albumin and saline for fluid ressusitation in the intensive care unit, N Engl J Med 350:2247,2004
oder
Rizoli SB: Crystalloids and colloids in trauma ressusitation, J Trauma 54:S82, 2003

Bei mir zu Hause wid allerdings auch noch mit HAES/HyperHAES gefahren (und gearbeitet)... liegt aber auch daran das unser ÄLRD nicht so ganz aktuell/fortschrittlich ist :-(
Wwenn ich, bzw. mein NA (präklinisch) mit kolloidalen Lösungen gearbeitet habe hat das entweder nichts oder nur schlechtes (RR schießt beim BAA plötzlich in die Höhe, Pat fängt trotz Druckverband wieder an zu bluten, etc) gebracht...

Mal ne dumme Anmerkung..
selbst wenn ich bei Exsikkose die Kombi Kristalloid+Kolloidal gebe: Flüssigkeit aus dem intravasalraum ziehen kann das Kolloid ja nicht wirklich (da ist ja nichts). Wäre es da nicht sinvoller erst kolloidale Lösung zu geben wenn der patient "aufgefüllt" ist um zu verhindern das die "ganze" infundierte Flüssigkeit nach intravasal geht? Wenn man das gleichzeitig (oder sogar erst/nur kolloidal) gibt denke ich mir, dass die Kreislaufbelastung schon ziemlich hoch ist.. und das beim durchschnittlichen Exsikkosepatient :-nix

Lizard
07.01.2010, 14:24
Mal ne dumme Anmerkung..
selbst wenn ich bei Exsikkose die Kombi Kristalloid+Kolloidal gebe: Flüssigkeit aus dem intravasalraum ziehen kann das Kolloid ja nicht wirklich (da ist ja nichts). Wäre es da nicht sinvoller erst kolloidale Lösung zu geben wenn der patient "aufgefüllt" ist um zu verhindern das die "ganze" infundierte Flüssigkeit nach intravasal geht? Wenn man das gleichzeitig (oder sogar erst/nur kolloidal) gibt denke ich mir, dass die Kreislaufbelastung schon ziemlich hoch ist.. und das beim durchschnittlichen Exsikkosepatient :-nix

Du meinst bestimmt extravasal oder ?:-nix

LieberInvasiv
07.01.2010, 14:31
Du meinst bestimmt extravasal oder ?:-nix

Ja, natürlich (würde sonst ja auch keinen Sinn ergeben) *g*
Danke für den Hinweis ;-)

Evil
07.01.2010, 17:53
Das ist doch die gleiche Formel, wie die Baxter-Formel, oder?
Beim Googlen habe ich eine gute Verbrennugnsseite gefunden, auf der zwar stand, daß die Parkland-Formel eine nach Baxter modifizierte Formel ist, aber ich habe keinen Unterschied gesehen :-wow
Die genaue Formel hab ich nicht im Kopf, dazu brauch ich sie zu selten.
Wichtig ist zu wissen, wo man die nachschlagen kann :-D

@ LieberInvasiv: bei Exsikkose überhaupt Kolloide zu geben halte ich für Unsinn, denn es besteht ja ein komplett extrazellulärer Flüssigkeitsmangel, warum soll man dann nur intravasal ausgleichen?

WackenDoc
07.01.2010, 18:08
Exsikkose ist ja noch mal anders als ne unkontrollierte Blutung. Wenn man bei ner Exsikkose Flüssigkeit reinlaufen lässt, hat man ja nicht die Probleme wie bei ner Blutung: Also Aufgehen einer evtl. spontan sistierten Blutung, die Koagulopathie sollte auch erstmal nicht das große Problem darstellen.

Aber wie viel man gibt, würd ich -glaub ich- vom Blutdruck, dem AZ und den Nierenwerten abhängig machen. Bei ner Exsikkose würd ich aber eher mehr Flüssigkeit geben-vor allem wenn keine Herzinsuffizienz vorliegt. Aber das sollte doch mit Kristalloiden gehen. Seh da jetzt nich wirklich nen Grund für Kolloide.
30ml/kgKG wären dann so gut 2 Liter für nen 75kg schweren Patienten. Also 2 1/2-3l sollten schon passen. So schwere Eksikkosen hab ich aber noch nicht gesehen. Selbst die Patienten, die mehrere Tage hilflos in der Wohnung lagen, waren zwar exsikkiert, waren nach 2-3 Beuteln Ringer wieder ziemlich fit.

@evil: Also ne Studie hab ich nicht direkt. Aber meine Infos stammen aus der Notfall und Rettungsmedizin, Ausgabe 05/2006. Gibt da aber auch nen aktuelleren Artikel aus dem letzten Jahr in der gleichen Zeitschrift- weiss aber nicht mehr die Ausgabe.

Evil
07.01.2010, 18:15
Also 2 1/2-3l sollten schon passen.
Vorsicht! Alte Leutchen mit Herzinsuffizienz hast Du dann schon ins Lungenödem geschossen, dann kannste gleich wieder den Lasix-Perfusor anhängen ;-)

Je nach kardialer Situation würd ich pro Tag nicht mehr als 1l geben, ich fülle lieber langsam auf.

WackenDoc
07.01.2010, 18:22
Hab´s vielleicht etwas ungenau ausgedrückt: Das war eher für die nicht-herzinsuffizienten.

Leelaacoo
07.01.2010, 19:47
Aus internistsicher Sicht betrachtet sind starre Formeln eh für den Papierkorb...da hat man alles zwischen "mit 500 ml Ringer fluid-lung produziert" bis zu "15 Litern Flüssigkeitsdefizit bei schwerer Ketoazidose". Patient anschauen, Hautfalten? Krea? VCI-Weite? Mit kristalloiden auffüllen, klinisches Bild kritisch kontrollieren. (Bin ja ein PiCCO-Liebhaber...und dat Ding will auch dann immer noch mehr Wasser, wenn man das Gefühl hat, schon ein Michelin-Männchen produziert zu haben:-) ...aber die Druckverhältnisse und das Sepsisüberleben sind dann einfach besser...kann man natürlich nur auf ITS).

Kolloide gibts nur bei verzweifelten Situationen, wobei SVR eher im Kommen sind, glaub ich (HyperHAES u.ä.), aber nicht bei Exsikkose.

Beliebte chirurgische Infusion: 1000 ml Ringer mit 40 mg Lasix...:-nix Krea muss halt runter:-wow Ok, manchmal ists auch ok, aber meist würd auch nur das Volumen reichen.

(wie war das---der Chirurg bestimmt das Krea, um zu sehen, ob das Voltaren schon wirkt:-love)

LG Lee (in love with PiCCO)

Relaxometrie
07.01.2010, 21:54
VCI-Weite?
Vena cava inferior?

Leelaacoo
08.01.2010, 09:22
Jep, gibt den intravasalen Füllungszustand gut wieder und ist einfach zu erheben!

LG Lee

Relaxometrie
08.01.2010, 09:26
Jep, gibt den intravasalen Füllungszustand gut wieder und ist einfach zu erheben!
Ich war mir nur nicht sicher, ob wirklich die Vena Cava gemeint war.
Der internistische Konsilarzt in der psychiatrischen Klinik, in der ich gearbeitet habe, hat bei nahezu jedem Ultraschall, den er gemacht hat, eine "schlitzförmige Vena Cava" festgestellt und eine erhöhte Trinkmenge angeordnet.

Rico
08.01.2010, 18:01
war vielleicht ne Gerontopsychiatrie? :-D
Ich würde mal wetten, dass im Sommer in einem beliebigen deutschen Altersheim 80% der Bewohner eine platte Cava haben...