PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Haiti: Ärzte fehlen, werden aber nicht gesucht



airmaria
17.01.2010, 15:31
wenn man sich vom medizinischen standpunkt aus mit der erdbebenkatastrophe in haiti befasst, stellt man schnell folgendes fest:

überall wird geschrieben, dass es vor allem an ärzten fehlt... aber es wird nirgendwo nach ärzten gesucht?!
o.k., die hilfsorganisationen (wie ärzte ohne grenzen etc.) haben ihre rekrutierungsprinzipien, man muss z.b. für 6 monate zur verfügung stehen, ausnahme chirurgen und anästhesisten, da können es mit entsprechender erfahrung auch 6 wochen sein. dennoch scheint diese regelung für solch akute superkatastrophen zu unflexibel zu sein, wie man aus entsprechenden berichten erahnen kann: "Innerhalb der nächsten 24 Stunden müssen etwa ein Drittel der Patienten hier unbedingt operiert werden, sonst sterben sie!"
aus http://www.zeit.de/newsticker/2010/1/17/GALERIE-DONNERSTAG-iptc-bdt-20100115-41-23549982xml?page=2

da fragt man sich, ob man als fa mit unfallchirurgieanteilen nicht dennoch nützlich sein könnte, wenn man sich morgen beim chef für 2 bis 4 wochen abmeldet... die frage braucht man aber erst gar nicht beantworten, weil solch ein profil scheinbar nicht gewünscht ist.
airmaria

Feuerblick
17.01.2010, 15:40
Tja, man fragt sich mal wieder, wie groß eine Krise sein muss, damit die Menschen von ihrer Paragraphenreiterei abrücken. Man möchte doch eigentlich meinen, dass im Moment JEDE helfende Hand aus egal welchem Fachgebiet hilfreich wäre. Aber anscheinend ist das nicht so...

Hellequin
17.01.2010, 15:54
Ich glaube nicht daß das Problem sich drauf beschränkt, das es an ärztlichen Personal fehlt. Das Problem besteht momentan ja vorallem darin das ärztliche Personal ins Land zu bekommen. Und das ist bei einer fast komplett zerstörten Infrastruktur das Hauptproblem.

pottmed
17.01.2010, 15:55
Tja, ist doch immer das selbe Spiel... und ihr werdet sehen, in 2 Wochen redet keiner mehr von Haiti.

Aber ich finde auch jedes Mal wieder faszinierend was die HiOrgs für Ansprüche haben, die verwalten lieber den Personalmangel, als Leute zu nehmen die vielleicht nicht 100%ig qualifiziert sind.

Relaxometrie
17.01.2010, 16:01
Ich habe auch ein wenig Ausschau danach gehalten, ob "ärztliche helfende Hände" gesucht werden. Denn ich schreibe derzeit ja "nur" meine Diss und wäre durchaus abkömmlich. Aber ich suche nicht hochaktiv nach einem Einsatz, denn mit knapp 2jähriger Psychiatrieerfahrung kann ich jetzt nicht unbedingt mit Katastrophenmanagement glänzen. Ich denke, daß das Hauptproblem für hilfswillige Leute bei einer Katastrophe von aktuellem Ausmaß die Organisation ist. Auf eigene Faust hinfliegen und "mal gucken, was zu tun ist", ist garantiert keine gute Idee.
Es gibt doch sogar ein Aufbaustudium "Katastrophenmanagement". Ich weiß gar nicht, wie es von der internationalen Gemeinschaft dann konkret gehandhabt wird. Es müsste ja eigentlich ein Team gegründet werden, welches die gesamte Hilfe organisiert und unter anderem den jeweils benötigten Nachschub an Helfern feststellt und das dann publik macht.

Strodti
17.01.2010, 16:05
Das ist nicht so einfach... Ich wollte mal in der DRK Katastrophenhilfe als Pfleger mitarbeiten. Die suchen halt vor allem erfahrenes Personal (Pfleger mit Berufserfahrung und Fachärzte), dann müssen diese Teams für das Land entsprechend aufgeimpft werden und den Impfstatus halten und zumindest eine grundsätzliche Schulung für das Verhalten in Katastrophen- und Krisengebieten erhalten. Die HiOrgs sind auch für die Sicherheit ihrer Helfer verantwortlich und können an diesen Stellen schlecht Abstriche machen.

airmaria
17.01.2010, 20:12
diese generellen voraussetzungen sind sicherlich sinnvoll und nötig... nur was, wenn man damit nicht ausreichend leute rekrutieren kann?
airmaria

Spark
17.01.2010, 21:34
Naja, solche Organisationen haben ja nicht nur Katastropheneinsätze, sondern auch einen "Krisenalltag" in unstabilen Ländern, und die Abläufe sind intern vermutlich auf letzteren angelegt, wo man mit festen Belegschaften in verkorksten Bürokratien reell funktionieren muss.

Um mal schnell 500 neue Kurzzeitfreiwillige aus 37 Ländern sinnvoll zu integrieren brauchst Du eigene Struktur und Prozedere, das kann nicht jeder vorhalten. Ganz so einfach stelle ich mir das also nicht vor.

Verstehe aber auch dass sich manche sehr wundern. Berühmtes Beispiel sind ja auch diese Freiwilligeneinsätze die viele junge Leute gerne mal mitmachen würden und die teilweise ähnlich teuer sind wie ne lange Rucksackreise ohne Arbeiten.

Am besten wären vielleicht entsprechende Prozeduren für Koordinierungsstäbe grosser nationaler Organisationen wie DRK oder THW, mit denen nach Bedarf auch kurzfristige Freiwillige in anlaufende Einsätze eingebunden werden können.

LieberInvasiv
18.01.2010, 11:21
Grundsätzlich ist so etwas mit sicherheit sinnvoll. Nur sind da neben den medizinischen Fähigkeiten noch andere Dinge gefragt.
Und neben solchen Alltäglichkeiten wie Impfschutz und Hygienestandarts werden dann schlagartig nicht nur eine unter umständen völlig fremde Kultur, sondern eben auch eine Katastrophensituation auf die "Freiwilligen" treffen.
Und was bewirkt das bei denen?
Das ist nicht nur eine nicht-alltägliche Situation, das ist Chaos, Elend und Verzweiflung. Äußerst belastend also....
Ich glaube nicht das da alle mit klar kommen würden. Nicht nur medizinisch, sonder auch menschlich/psychisch..
Und was dann? Dann muss man sich plötzlich auch noch um die kümmern - von den individuellen Spätfolgen (PTSD unc Co) mal ganz abgesehen.
Ich kenne mitlerweile einige Menschen die in Health Care Projekten, bzw mit Ärzte ohne Grenzen unterwegs waren - und die bestätigen alle das Vorbereitung und Planen das A und O ist. Improvisieren muss man vor Ort nämlich noch genug. Und was sie auch gesagt haben ist, dass man mit einem kleinen aber stabilen und erfahrenen Team mehr ausrichten kann als mit vielen Leuten, die aber unkoordieniert versuchen zu helfen - auch wenn sie dabei sicherlich nur das Beste wollen.
Gut gemeint ist also nicht immer gut gemacht.
(Musste ich auch einsehen und meinen Ich-rette-die-Welt-Einsatz auf irgendwann verschieben..wenn ich mal mit dem Studium fertig bin und Berufserfahrung gesammelt habe ;-) )

gnuff
18.01.2010, 12:22
diese generellen voraussetzungen sind sicherlich sinnvoll und nötig... nur was, wenn man damit nicht ausreichend leute rekrutieren kann?

Mit den Leuten, die man unvorbereitet in eine Katastrophen-Region schickt kann man vor Ort nichts anfangen. Das sprengt die Möglichkeiten jeder Organisationsstruktur. Da an diesen Orten in der Regel keine Infrastruktur mehr existiert, muss die jeweilige Organisation ihre eigene mitbringen, die kann man aber nur sinnvoll nutzen, wenn alle wissen wie es geht und ihren Organisationapparat und das Team gut kennen. Das aufzubauen geht nicht innerhalb weniger Stunden. Daher muss man wohl akzeptieren, dass man weniger Personal hat, dieses dafuer aber richtig einsetzen kann.
Ich denke nicht, dass überzogene Paragrafenreiterei hier der Grund für die Ablehnung von Freiwilligen ist. Es gilt die wenigen Ressourcen optimal zu nutzen und nicht unnötig Personal als "Babysitter" oder zum Anlernen zu opfern.

Da aber die nächste Katastrophe bestimmt kommt, macht es doch Sinn sich jetzt mit einer HiOrg. seiner Wahl in Verbindung zu setzen und mit der Ausbildung zu beginnen. Dann kann man beim nächsten Mal, das leider aber sicher kommen wird, richtig helfen.

airmaria
18.01.2010, 13:05
Ich glaube nicht das da alle mit klar kommen würden. Nicht nur medizinisch, sonder auch menschlich/psychisch..

das trifft auf diverse extremsituationen zu, jedoch lässt sich die individuelle verarbeitungspotenz nur schlecht voraussagen und für extremsituationen auch wenig antrainieren... (ich habe z.b. fast ein jahrzehnt krieg trainiert, bin aber nie in einem richtigen gewesen)


Mit den Leuten, die man unvorbereitet in eine Katastrophen-Region schickt kann man vor Ort nichts anfangen. Das sprengt die Möglichkeiten jeder Organisationsstruktur. Da an diesen Orten in der Regel keine Infrastruktur mehr existiert, muss die jeweilige Organisation ihre eigene mitbringen, die kann man aber nur sinnvoll nutzen, wenn alle wissen wie es geht und ihren Organisationapparat und das Team gut kennen. Das aufzubauen geht nicht innerhalb weniger Stunden. Daher muss man wohl akzeptieren, dass man weniger Personal hat, dieses dafuer aber richtig einsetzen kann.
das trifft sicherlich für die meisten einsätze und katastrophen zu... aber mal ganz praktisch betrachtet: wenn massiv leute zum operieren fehlen, können zusätzliche unfallchirurgen im team durchaus nützlich sein:
man kann einen doch in die ecke stellen und sagen: da vorn links ist dein "arbeitsplatz" du krichst alle offenen frakturen untere extremität und versorgst die, platten gibt es nicht, fix-ex auch nicht... je nach befund entweder debridieren, richten und anderweitig stabilisieren, oder ab...
airmaria

EzRyder
19.01.2010, 00:22
Also weltweit wird auf höchster Ebene für Hilfe in finanzieller und materieller Hinsicht gearbeitet. Zaubern kann keiner und erst handeln und dann denken ist unklug.
Da aber nicht mal genug Trinkwasser und Lebensmittel derzeit im Land sind kann man auch nicht von heut auf morgen Feldlazarette aus dem Boden stampfen.

Eine Hilfsorganisation ist für ihre Leute verantwortlich. Einsätze, besonders von Personal müssen gewisse Aussichten auf Erfolg haben. Derzeit ist Haiti nicht in der Lage aus eigener Kraft für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Die Staatsführung bittet die USA um Polizei/Militärschutz zur Aufrechthaltung einer gewissen Ordnung.
Im übrigen, was hindert ein jeden der fähig(!) und willig ist daran morgen früh mit Ärzte ohne Grenzen Kontakt aufzunehmen?
(Ich wäre dafür die Bundeswehr komplett aus Afganistan nach Haiti zu verlegen. Mann würde einen ganzen Schwarm Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Soldaten und fähigen Ärzte wären 1. erwünscht und 2. dringend gebraucht. Die Frage nach dem Sinn stellte sich erst gar nicht.
Die politische Elite setzt aber andere Prioritäten statt solch Personal für zu erwartende humanitäre Einsätze vorzuhalten.)
Hoffentlich kommt das Nötige bald bei allen dort an.

airmaria
01.01.2014, 21:39
...ist schon irgendwie interessant, hat eine "weile" gedauert, aber jetzt gehe ich tatsächlich hin: http://ortho-haiti.blogspot.com
airmaria