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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Organe gegen Geld?



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airmaria
30.01.2003, 11:21
Natürlich hatten wir dieses Thema Organspende schon öfter, aber gestern lief ein sehr interessanter Beitrag hierzu auf dem Ersten, der mich zu dieser Umfrage bewogen hat.

Es ist hier vor allem in meinen Augen ein sehr interessanter neuer Vorschlag gemacht worden, den Prozentsatz der Organspender zu erhöhen:
Wenn man sich zu Lebzeiten zur Organspende bereiterklärt, so soll man dieses dann steuerlich zu einem festen Betrag (z.B. 10.000 EUR) geltend machen können, wie bei jeder anderen Spende auch.

Natürlich ist Geld immer eine zweischneidige Sache, aber immerhin spart ein toter Organspender ca. 300.000 EUR für das Gesundheitssystem!

So daß man schnell einen Schritt weiterdenken muß: was ist mit der Lebendorganspende gegen Geld? Eltern, Geschwister... spenden Organe für Ihre Angehörigen, dieses wird von der Masse im allgemeinen akzeptiert und eingesehen.
Warum lassen wir es zu, daß ein Mensch stirbt, der noch lange weiterleben würde, nur weil ein potentiell dazu bereiter Organspender sein überzäliges Organ gegen Geld nicht spenden darf?

"Mary" airmaria

Sebastian1
30.01.2003, 11:40
Weil wir dann direkt bei dem Problem wären, daß Leute, die z.B. verschuldet sind, nur aus dem finanziellen Motiv heraus handeln und nicht mehr aus freiem Willen (so sie denn als Spender in Betracht kämen). Meines Erachtens nach indiskutabel.
Die Widerspruchsregelung fände ich da schon eher okay, diese wird ja in anderen europäischen Ländern teilweise auch so praktiziert. Aber Geld für Organe, was meinst du, wie sich da der illegale Organhandel freuen wird und wie viele Leute sich unglücklich machen....

Gruß,
Sebastian

Pascal
30.01.2003, 12:11
Ich schließe mich Sebastian an.

Heinz Wäscher
30.01.2003, 12:16
Ich fänd es an sich ne gute Sache
Geld lockt die Massen -ist ja nun mal so

Was den Organhandel betrifft,der blüht auch ohne Geld

Finde es sehr gut,daß das Thema Organspende jetzt so häufig im TV thematisiert wird

June
30.01.2003, 12:27
Ich sehe das im Wesentlichen so wie Sebastian.
Den Bericht gestern abend habe ich auch gesehen, und ich fand es interessant, wie ständig wiederholt wurde, daß die Widerspruchsregelung in Deutschland politisch nicht durchsetzbar sei.
Ich glaube, das stimmt so nicht ganz! Natürlich ist es ein Thema, das zum Stimmenfang bestens geeignet wäre, und das keine ausreichend starke Opposition mit sich machen lassen würde.
Wenn man aber eine große Koalition hätte und nicht kurz vor einer Wahl stünde, dann glaub ich schon, daß das durchsetzbar wäre!
Womit ich jetzt nicht eine große Koalition herbeireden will! :-dagegen
Aber immerhin ist es in anderen Ländern ja auch durchgesetzt worden, und ich sehe nicht ein, warum die Österreicher und die Deutschen zum Beispiel so unterschiedlich sein sollten, daß es in Österreich okay ist und hier nicht! :-meinung
Die June :-music

Froschkönig
30.01.2003, 13:00
Original geschrieben von Sebastian1
Weil wir dann direkt bei dem Problem wären, daß Leute, die z.B. verschuldet sind, nur aus dem finanziellen Motiv heraus handeln und nicht mehr aus freiem Willen (so sie denn als Spender in Betracht kämen). Meines Erachtens nach indiskutabel.


Erklär mir mal, was es mir bei hoher Verschuldung hilft, wenn ich 10.000 € von der Steuer absetzen kann ?
Wenn ich so viel Steuern zahle, komme ich auch irgendwie aus meiner Verschuldung ohne Organspende raus. Und wenn nicht, helfen die 10.000€ auch nix mehr.

Abgesehen davon : Funktioniert eine aus finanziellen Gründen gespendete Niere später schlechter als eine "idealistische"?

Ich fände es eher bedenklich, wenn man Organspendern die Kohle bar auf die Kralle bezahlen würde ! Noch schlimmer wäre Bargeld für Lebendspende (Niere, etc...) :
Da wird´s richtig schlimm, wäre ja quasi ein Aufruf zur Selbstverstümmelung !

Heinz Wäscher
30.01.2003, 13:09
Was soll das überhaupt heißen "gesetzlich vorgeschrieben",
was ist mit geistig Behinderten,da kann dann mal eben ein gesetzlicher Vormund entscheiden,daß die Niere gefälligst gespendet wird,oder wie?

Pascal
30.01.2003, 13:13
Ich denke damit ist gemeint, das jeder Organspender ist, der keinen Widerspruch einlegt.

Wie das dann in so einem Fall wie bei geistiger Behinderung ist, weiß ich nicht so genau. Wäre mal interessant zu wissen wie das in Ländern wo die Wiederspruchsregelung gilt läuft.

hobbes
30.01.2003, 13:36
Ich habe bereits an anderer Stelle kundgetan, dass ich sehr für die Widerspruchsregelung einstehe - mit Ergänzung, dass jeder sehr einfach seinen Widerspruch einlegen kann, indem er mindestens einmal dazu schriftlich befragt wird und nicht irgendwo theoretisch seinen Widerspruch deponieren könnte, wenn er nur wüsste wie das geht. Die Widerspruchseinlage müsste einfach sein. Nicht Zurechnungsfähige wären dann einfach generell keine Organspender.

Das mit der Steuervergünstigung ist für mich inakzeptabel. Es ist jeden Bürgers gutes Recht aus religiösen Gründen, aus Angst oder auch aus anderen Gründen, nicht Organspender zu sein. Er soll dafür nicht mit Steuern bestraft werden (es ist nämlich eine steuerliche Bestrafung, wenn sich alle Organspender eine Vergünstigung rausnehmen - = Ungleichbehandlung).
Ob jemand Organspender ist oder nicht, darf nicht offiziell gewürdigt werden, der Nichtspender soll nicht gebrandmarkt werden. Denn dadurch nehmen wir ihm den freien Willen. Auch sollten Nichtspender nicht öffentlich angeprangert werden, bzw. deren Einstellung ins Lächerliche gezogen werden.
Die Organspende und -transplantation ist eine wunderbare Sache, die Spende aber ist v.a. das wohl grösste Geschenk dass ein Mensch für seine Mitmenschen machen kann - wenn's aber nicht wirklich freiwillig ist - ist es kein Geschenk mehr und somit anrüchig.

Sanje
30.01.2003, 13:36
Erklär mir mal, was es mir bei hoher Verschuldung hilft, wenn ich 10.000 € von der Steuer absetzen kann ?
Wenn ich so viel Steuern zahle, komme ich auch irgendwie aus meiner Verschuldung ohne Organspende raus. Und wenn nicht, helfen die 10.000€ auch nix mehr.

(...)
Ich fände es eher bedenklich, wenn man Organspendern die Kohle bar auf die Kralle bezahlen würde ! Noch schlimmer wäre Bargeld für Lebendspende (Niere, etc...) :
Da wird´s richtig schlimm, wäre ja quasi ein Aufruf zur Selbstverstümmelung !

Soweit ich weiß, will Broelsch keinen Betrag, den man von der Steuer absetzen kann, sondern einen steuerfreien Betrag -und zwar auch bei Lebendspenden. Sozusagen als "Aufwandsentschädigung" z.B. bei Verdienstausfall. Jedenfalls hat er das in einer Vorlesung gesagt, wenn ich mich richtig erinnere.

Froschkönig
30.01.2003, 13:55
Original geschrieben von Sanje


Soweit ich weiß, will Broelsch keinen Betrag, den man von der Steuer absetzen kann, sondern einen steuerfreien Betrag -und zwar auch bei Lebendspenden. Sozusagen als "Aufwandsentschädigung" z.B. bei Verdienstausfall. Jedenfalls hat er das in einer Vorlesung gesagt, wenn ich mich richtig erinnere.

Tja, ich weiß nicht, was da geplant ist oder nicht. Ich bin eben nur mal von Mary´s anfgangsposting ausgegangen und da ging es noch um Handhabung als "Spende", das ist für mich aber nur ein Absetzungsbetrag und keine Aufwandsentschädigung.

Zu Bargeld und Lebendspende siehe meinen Beitrag oben.

Sanje
30.01.2003, 14:05
Ja, klar, Mary Posting bezog sich auf den TV-Bericht von gestern. Da war wohl auch nur von einem "steuerlich absetzbaren Betrag" die Rede. Ob ich mich jetzt in Bezug auf die Vorlesung noch richtig erinnere, kann ich leider nicht sagen. Mein Gedächnis ist leider nicht das beste. :-))

airmaria
30.01.2003, 14:19
Original geschrieben von hobbes
Die Organspende und -transplantation ist eine wunderbare Sache, die Spende aber ist v.a. das wohl grösste Geschenk dass ein Mensch für seine Mitmenschen machen kann - wenn's aber nicht wirklich freiwillig ist - ist es kein Geschenk mehr und somit anrüchig.

Was ist freiwilliger?
Wenn der Arzt zur Mutter sagt: "Ihr Kind wird nur weiterleben, wenn sie ein Teil Ihrer Leber spenden..."
oder
Wenn jemand, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Entschädigung dazu bereit wäre, ein Organ zu spenden?

"Mary" airmaria

June
30.01.2003, 14:33
Guter Einwand, aber ich denke:
Der Mensch, der Teile von sich verkauft, hat die Möglichkeit, die Augen vor dem Risiko zu verschließen, das er eingeht, weil er glaubt, aus seiner Notlage anders eh nicht rauszukommen. Da kann man Zwangsaufklärung vorschalten, soviel man will, er kann es dennoch verdrängen.
Die Mutter hingegen sieht an ihrem Kind, was für eine Beeinträchtigung es ist, wenn das Organ nicht so funktioniert, wie es soll. Sie kann der Abwägung nicht ausweichen.
...auch wenn ich eine moralische Verpflichtung in dem Fall kaum leugnen kann.

Die June :-music

hobbes
30.01.2003, 15:38
Das sehe ich auch so. Der Mutter können wir nicht aus der Patsche helfen. Tatsächlich befindet sie sich in einer Situation wieder, in der Sie die Frage der Organspende mit allen Konsequenzen für sich selbst und ihr Kind beantworten MUSS. Dies können wir nicht ändern.

Die Frage der anonymen Totenspende hingegen muss so nicht gestellt werden, bzw. nicht zu einer existenziellen Frage werden, bei der eine Zwangs bzw: Notlage entstehen kann. Das können wir uns ersparen. Also tun wir es.


Wenn der Arzt zur Mutter sagt: "Ihr Kind wird nur weiterleben, wenn sie ein Teil Ihrer Leber spenden..."

Der Arzt, der das in diesem Wortlaut sagt ist zudem recht taktlos! Diese Aussage würde das Verschulden des Totes direkt auf die Mutter abschieben, was so nicht sein darf. Sie würde ja nie mit diesen Schuldgefühlen zurecht kommen.
Viel mehr muss in einem Gespräch, bei dem nur Arzt und Mutter anwesend sind, von der Möglichkeit der Organspende gesprochen werden, als Therapieoption. Auch hier muss die Freiwilligkeit der Spende, aber auch deren Wichtigkeit, betont werden.
Ist die Mutter nicht zur Spende zu bewegen, sagt man den anderen Angehörigen, dass ihre Organe nicht mit dem Kind kompatibel sind, und eine Spende TECHNISCH nicht möglich ist. Diese Lüge ist hier angebracht.

airmaria
30.01.2003, 16:25
Ne Hobbes: denn es gibt meist zwei Elternteile, die das Problem normalerweise auch, wenn es denn eine halbwegsvernünftige Beziehung ist, miteinander ausdiskutieren.

Da ist solch eine Lüge wohl nicht der richtige Weg, aber die "Freiwilligkeit" noch schwieriger!

"Mary" airmaria

hobbes
31.01.2003, 16:53
wird aber so gemacht.


Mann airmaria: müssen wir uns eigentlich IMMER widersprechen!?

airmaria
31.01.2003, 17:38
Nee Hobbes, nicht immer, aber oft... :-))

Ich stelle mir gerade übrigens diese wunderbare harmonische und verständnisvolle Beziehung vor, in welcher der Lebenspartner dem anderen vorgaukelt, er käme als Spender nicht in Frage...

Sowas habe ich schon immer gesucht!
:-)) :-)) :-))


"Mary" airmaria

Captain Cosmotic
31.01.2003, 20:15
Ich sag nur Prof. Broelsch! C4-Chef der Allgemeinchirurgie am Essener Uniklinikum und Verfechter der Kommerzialisierung in der Organspende. (Siehe diverse Artikel in der "Zeit")
Nachdem ich die ein- oder andere Äusserung in der Vorlesung ertragen musste, ermöglichte mir mein PJ-Tertial in der AC tiefe Einblicke in die "übliche Praxis" am Essener Uniklinikum. Inzwischen kursieren schon makaber-böse Witze über die enorme Anzahl schwerreicher (aber organinsuffizienter) Israelis mit verarmten (aber halbwegs gesunden) "Verwandten" aus Moldawien und anderen Bananenrepubliken...
Traurig aber wahr...

Gruss,
der ausnahmsweise mal nicht konkret werdende Captain.

:-notify

Alles wird gut
01.02.2003, 13:24
Original geschrieben von hobbes

Das mit der Steuervergünstigung ist für mich inakzeptabel. Es ist jeden Bürgers gutes Recht aus religiösen Gründen, aus Angst oder auch aus anderen Gründen, nicht Organspender zu sein. Er soll dafür nicht mit Steuern bestraft werden (es ist nämlich eine steuerliche Bestrafung, wenn sich alle Organspender eine Vergünstigung rausnehmen - = Ungleichbehandlung).
Ob jemand Organspender ist oder nicht, darf nicht offiziell gewürdigt werden, der Nichtspender soll nicht gebrandmarkt werden. Denn dadurch nehmen wir ihm den freien Willen.
Auch mir kannst Du vorwerfen, dass wir uns immer widersprechen, aber... :-)
Ich würde es nicht als (ungerechtfertigt) ungleich behandelt bezeichnen, wenn jemand der/die auf seine/ihre körperliche Unversehrtheit nach dem Tod verzichtet, damit vielleicht 3-4 Leuten das Leben rettet, dafür ein paar Euro mehr von der Steuer absetzen kann!
Mit dieser Bereitschaft hat er/sie ja auch schließlich was für das "Wohl der Gesellschaft" getan- auf jeden Fall mehr als jemand, der/die sich mit einem Blumenstrauß verscharren lässt!?

Die, die nicht spenden werden doch auch nicht automatisch gebrandmarkt- die wenigsten Menschen tragen ihre Steuererklärung sichtbar mit sich rum...