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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Das Gesundheitssystem



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Lava
02.02.2003, 18:13
Als ob ich davon Ahnung hätte! Aber Gedanken habe ich mir schon gemacht, nachdem ich einen Artikel in der Zeit gelesen habe: http://www.zeit.de/2003/06/Aerzte
Meine erste Frage: was sind Kassenärztliche Vereinigungen?? Beim Weiterlesen wurde mir das einigermaßen klar, aber wer hat die erfunden und wieso?

Na ja, seit ich den Artikel gelesen habe, habe ich etwas mehr Verständnis für Ulla Schmidt. Da steht zwar nicht drin, WIE sie etwas machen will, aber DASS sie die Kassenärztliche Vereinigung entmachten will. Und das klingt, wenn man dem Artikel glaubt, auch recht logisch. OK, wenn nicht die, wird halt jemand anders das Geld ungerecht verteilen, aber auf den Status Quo kann man doch nicht verweilen! Vor zwei Jahren hatte ich auch mal gelesen, dass es Vorschläge gibt, nach denen es Fachärzte nur noch in Krankenhäusern geben soll. Wenn ihr mich fragt, klingt das nach einer wirkungsvollen Methode, die Kosten des Gesundheitswesens zu reduzieren! Es ist radikal, aber warum nicht? Soll man doch die Polikliniken wieder einführen! Allerdings müsste man dazu die Infrastruktur wohl erheblich aufmöbeln, um allen Menschen einen leichten Zugang zur richtigen Behandlung zu ermöglichen. Schwer realisierbar, aber im Grunde doch keine schlechte Sache, oder? Was denkt ihr über die Idee?

Lion
02.02.2003, 20:42
Fachärzte nur noch in Krankenhäusern, jetzt ernsthaft?
Kann ich mir kaum vorstellen, daß man sowas rechtlich durchsetzen kann.
Also wenn mir jemand verbieten würde mich selbstständig zu machen.......etc. Na holla die Waldfee!!!

Alles wird gut
03.02.2003, 12:13
Ein wirklich guter Artikel- habe ich bisher noch nichts drüber gelesen...
Glaube auch, dass er eine Hauptproblematik des Gesundheitssystems beschreibt: Der Schwerpunkt auf der technischen Diagnostik und nicht auf einer guten Anamnese. Bei uns im U-Kurs haben die Leute auch schon nach Einweisung in die Ultraschallgeräte geschriehen, bevor sie auch nur mal ne Leber getastet haben, geschweige denn, mit den Informationen des Patienten eine Verdachtsdiagnose aufstellen konnten!


@Lion: Ich glaube, es geht weniger darum, Ärzten zu verbieten, sich selbstständig zu machen, als darum, dass man ihnen nicht mehr uneingeschränkt die Möglichkeit gibt, sich mit ihren teuren, modernen Geräten eine goldene Nase zu verdienen- zumindest nicht mit Kassengeldern!

Lion
03.02.2003, 16:08
@Awg:
Goldene Nase mit Kassengeldern? Hm, geht das echt noch?
Kann Deinen Ansatz gut verstehen. Ich frage mich nur ob es wirklich der Weg in die richtige Richtung ist, wenn man den Einsatz moderner Geräte einschränkt, oder eigentlich sogar verbietet??? Also optimale Leistungen a.g. der Kosten nicht einsetzen? Kommen wir da nicht wieder zum gehaßten Zwei-Klassen-System?
Natürlich sollte ein Arzt mehr auf dem Kasten haben als nur seine tollen Geräte piepen zu lassen zwecks Geräteauslastung. Keine Frage, darum geht es mir aber auch nicht.

Alles wird gut
03.02.2003, 16:24
Es geht hierbei meiner Meinung nach nicht um die Schaffung eines Gesundheitssystems, wo jeder "umsonst" mit dem Stethoskop abgehört wird aber eine Röntgenaufnahme erst gemacht wird, wenn ein Knochen aus der Haut ragt.

Uns hat ein Dozent am Anfang des Semesters in einer Vorlesung erzählt, wie ein Patient wegen eines schmerzenden Knies zu ihm kam. Der besagte Patient war bereits bei mehreren "Spezialisten" gewesen, hatte einige Röntgen-, CT-Aufnahmen und 2 oder 3 Kniespiegelungen bekommen aber alles ohne Ergebnis.....
Der besagte Dozent bat den Patienten denn mal die Hose auszuziehen, um sein Knie zu betrachten. Daraufhin erwähnte der Patient wiederum sehr verwundert, dass dies das erste Mal sei, dass sich jemand das Knie "anschaut", bzw. anfasst!!!

Ich glaube es geht einfach um genau diese Fälle, wo ein DinA4 Kreuz auf dem Laborzettel gemacht wird (kreuzen lernt nun wirklich jedeR Mediziner) und ein ganz-Körper-CT bevor überhaupt nach dem Namen gefragt wurde, um's mal überzogen auszudrücken.

Jynie
03.02.2003, 18:23
Meiner Meinung nach ist es in der Realität nicht umsetzbar, alle Fachärzte nur noch in Krankenhäusern einzuquatieren??
Es ist aber meiner Ansicht nach nicht richtig es überhaupt zu tun, da so nur schwer Alternativmeinungen beschafft werden können und dadurch wird der Patient eingeengt. Ich finde es ist leichter zu sagen ich möchte mir noch eine Diagnose von einem Ihren Kollegen anhören, als zu sagen, ich möchte das demnächst das Dr. .... aus diesem Krankenhaus mich untersucht, dass wird nie jemand machen der Höflichkeit halber schon. Daraus resultiert dann das viele gar nicht erst zum Arzt gehen .............
Dadurch werden die Patienten, dass wegen der Medizin für Privatpatienten und Kassenpatienten gebrochene Vertrauen nicht wiedergewinnen und fühlen sich höchstens noch bevormundet.
Noch ein wichtiger Punkt ist, dass in vielen Kleinstädten kein Krankenhaus vorhanden ist, was für alte Menschen die auf Ihren Orthopäden am Ort angewiesen sind ein Problem darstellen würde?! :-meinung

Lava
03.02.2003, 19:39
Die Idee dahinter ist u.a., den Allgemeinärzten wieder mehr "Macht" zu geben. Die sind nämlich mittlerweile total auf dem Rückzug bei zunehmender Spezialisierung und "Doktorhopping". Man will quasi jemanden haben, der sich die Leute erstmal anschaut und dann entscheidet, ob und an wen ein Patient überwiesen wird.
Klar bedeutet das irgendwo Zwang und weniger Freiheit. Aber man würde vielleicht doppelte Untersuchungen verhindern und die mangelnde Kommuniaktion zwischen den Ärzten (man denke nur mal an Hausarzt - Krankenhaus - Hausarzt und die Missverständnisse, die da immer entstehen!). Außerdem könnte das kontrolliertere Ansiedeln von Praxen (oder Polikliniken) ja auch zu einer Verbesserung der Arbeitsverhältnisse führen. Vernünftige Arbeitszeiten, gerechter verteilte Gehälter.... kein Ärztemangel?

Alles wird gut
03.02.2003, 19:52
Original geschrieben von Jynie

ich möchte mir noch eine Diagnose von einem Ihren Kollegen anhören, als zu sagen, ich möchte das demnächst das Dr. .... aus diesem Krankenhaus mich untersucht, dass wird nie jemand machen der Höflichkeit halber schon. Daraus resultiert dann das viele gar nicht erst zum Arzt gehen .............


Ich befürchte es viele Leute gibt, die solange von Arzt zu Arzt laufen, bis sie eine Diagnose bekommen, die ihnen gefällt! Wenn die das dann aus "Höflichkeit" unterlassen, ist dem Gesundheitssystem sicher geholfen.
Dank Internet und Gesundheits-Shows im privaten Fernsehen hält sich doch mittlerweile jeder halbwegs Gesunde für einen professionellen Kranken! ... und wenn man schon krank ist, dann hat man genau diese seltene, schleichende Krankheit, die bei dem im Fernsehen gestern von 5 Ärzten übersehen wurde...

Jugulum
03.02.2003, 22:16
Mal abgesehen vom finanziellen Aspekt, jede invasive diagnostische Maßnahme hat auch immer Nebenwirkungen und Risiken. Da ist es schon erschreckend, dass es niemandem auffallen würde, ließe ich mir einmal pro Woche den Thorax röntgen. Dazu müßte ich nur hinreichend oft den Arzt wechseln.
Von den Risiken bei einer Kniespiegelung gar nicht zu reden.

Und das sind nur die Patienten. Die (Fach-)Ärzte sind auch nicht besser. Wie war das mit den Herzkathederuntersuchungen in Deutschland? Doppelt so viele pro Tausend Einwohner wie in England bei gleicher Sterblichkeit? Irgendwie so. Jedenfalls ein gute Beispiel für die Sinnlosigkeit eines überdimensíonierten Geräteapparates.

Ich hätte nichts dagegen, später als Hausarzt meine Patienten optimal durch die Versorgung zu "lotsen". Genauso wie sich jeder Facharzt über eine größere Selektion bei seinen Patienten freuen würde. In einem anderen Gesundheitssystem könnte er sich dann für die wirklich Kranken so viel Zeit nehmen wie er braucht.
Oder ist das nur ein dämliches Klischee, das vom Fließbanddoktor?

Lion
04.02.2003, 10:38
Lotsenfunktion gut und schön, aber wären die meisten damit nicht hoffnungslos überfordert?

Alles wird gut
04.02.2003, 11:48
Berechtiger Einwand, aber wenn's nicht die Allgemeinmediziner tun, wer dann!?

Jynie
04.02.2003, 15:25
Original geschrieben von Janine
Klar bedeutet das irgendwo Zwang und weniger Freiheit. Aber man würde vielleicht doppelte Untersuchungen verhindern und die mangelnde Kommuniaktion zwischen den Ärzten (man denke nur mal an Hausarzt - Krankenhaus - Hausarzt und die Missverständnisse, die da immer entstehen!).

Wieso würde das doppelte Untersuchungen verhindern, bevor der Allgemeinmediziner einen Patieten zum Spezialisten überweist muss er selbst auch wissen, mit welcher Indikation. Deshalb muss er doch die Untersuchung trotzdem durchführen. Beim Facharzt werden diese dann auch wiederholt schon alleine um die Fehler des anderen nicht auszubauen.
Das mit den Kommnikationsproblemen sehe ich genau so wie du, da es manchmal der Patient selbst nicht verstanden hat warum er eigentlich überwiesen wurde.

Lion
04.02.2003, 15:38
Guter Konter Awg. Darauf weiß ich leider auch keine Antwort. Aber bislang habe ich noch keinen Allgemeinmed. kennen gelernt, der so ein breitgefechertes Wissen hat, daß er diese Funktion übernehmen könnte.

Jynie's Einwand ist meiner Meinung nach voll berechtigt. Wenn der Allgm.med. auch noch vorher ein paar Laboruntersuchungen macht (kann ja nie schaden?!) dauert es noch länger. Zumal gibt es doch mittlerweile selbst innerhalb der Fachbereiche wieder einige Spezifikationen, daß es vermutlich auch wieder einige Stationen dauert bis der Patient beim "richtigen" Facharzt angekommen ist.

hobbes
04.02.2003, 21:57
Eigentlich kommen mir die Tränen, wenn ich diesen thread lese. Aber mal der Reihe nach.....

Der Ansatz "alle Macht dem Allgemeinarzt zurückgeben" ist ein heute häufig gehörter. Es ist ein Ansatz, der auf den ersten Blick berechtigt erscheint. Der Hausarzt kennt seine Patienten, er betreibt eine einfache und somit vermeintlich günstige Medizin und er ist per defitionem einer, der helfen will, kein böser technokratischer Facharzt. Also kommt doch so alles gut.

Dem ist nicht so. Die Medizin hat sich mit vielen verschiedenen Facharzttiteln spezialisiert, dies nicht deswegen, weil dadurch mehr Geld zu verdienen ist, sondern weil das medizinische Wissen und die Möglichkeiten exponentiell gestiegen sind. Hausärzte sind, es tut mir leid, in sehr vielen Bereichen schlicht nicht mehr kompetent, können angesichts der Wissenfülle nicht mehr sein.
Je länger, je mehr, gibt es für jede Krankheit "den Fachmann" und für jeden Eingriff auch. Und diese haben ihr Fach gut im Griff; sie bringen die beste Medizin. Und die beste Medizin ist mangels Komplikationen meist auch die günstigste. Wobei die Priorität bei gut vor günstig zu setzen ist. Alles andere ist zynisch.

Die Problematik ist nun dahingehend, dass Fachärzte nicht kompetent sind auch anderen Fachgebieten; oft haben dabei nicht den Anschein einer Ahnung - im Gegensatz zum Hausarzt.

Fazit: der unabgeklärte Patient, der keine Ahnung hat, was er hat, bzw. wohin er gehört, der gehört zum Hausarzt. Derjenige mit fertiger Diagnose, der gehört zum Fachmann. Und dies auch oder gerade wenn es sich um einen chronisch Kranken handelt. Diese werden leider oft, auch bei banalem Diabetes, vom Hausarzt falsch und schlecht behandelt.

Man muss sich genau überlegen, wann Facharzt und wann der Hausarzt gefragt sind. Aber den einen gegen den anderen ausspielen, das ist nur dumm!

Gibt es Facharzte nur noch am Krankenhaus ist das System defekt. Der Patient darf sich für seinen Schnupfen, dann einen Hausarzt unter 2000 und mehr auswählen; beim Kardiologen, Neurologen oder Handchirurgen aber hat er keine Auswahl mehr. Er wird ins Krankenhaus überwiesen und muss praktisch mit dem Arzt vorlieb nehmen, der im vorgesetzt wird. Ok, das ist günstiger, das gebe ich ganz offen zu. Es ist das britische NHS System. Und geregelte Arbeitszeiten gibt's dort auch. Aber eben auch lange Operationswartelisten und die wohl schlechteste medizinische Versorgung in Westeuropa überhaupt. Ich will das nicht. Vor so einer Medizin graut mir.

Jene, die Spezialuntersuchungen ohne Indikation oder unter Auslassung prioritärer Untersuchungsschritte anwenden, die sollen dafür bestraft werden. Kontrollmöglichkeiten dazu bestehen bereits heute. Aber dafür muss am System nicht alles umgebaut werden.

Moderne Medizin ist teuer und sie wird es bleiben. Die Gesellschaft muss sich entscheiden, ob sie sich eine solche leisten will oder nicht. Ob sie eine soziale Medizin oder eine private Medizin will.

Alles wird gut
05.02.2003, 14:05
Original geschrieben von hobbes
Eigentlich kommen mir die Tränen, wenn ich diesen thread lese. Aber mal der Reihe nach.....


Also ich finde es ja eigentlich immer ganz nett, dass man mit Dir so schön kontrovers diskutieren kann, aber an Stellen wie diesen finde ich Deine Überheblichkeit einfach zum Kotzen!!!

Auch wenn es bisher nicht so direkt zur Sprache kam, finde ich auch, dass an der Ausbildung der deutschen Ärzteschaft einiges verbessert werden kann! Da sind wir uns ja einig!

Aber mit der höheren Gewichtung des Hausarztes ist ja nicht gemeint, dass der plötzlich irgendwelche Bypass-Operationen machen soll!
Es muss auch nicht gleich jeder Facharzt in irgendein Krankenhaus gesteckt werden, es gibt doch auch jetzt schon ambulante Kliniken, die sich Fachärzte aus einem Einzugsgebiet teilen. Oder man könnte vermehrt Gemeinschaftspraxen einrichten, z.B. ein Orthopäde und ein Röngenologe zusammen würden sich prima ergänzen (evtl. plus Physiotherapeut und Krankengymnastik...). Momentan hat fast jeder Orthopäde
sein eigenes Röntgengerät und schiebt jeden Patienten sicherheitshalber mal drunter und rechnet's hinterher natürlich auch ab. Zumindest waren das bisher meine eigenen Erfahrungen damit.

hobbes
05.02.2003, 15:25
Deine Erfahrung decken sich nicht mit meinen. Es gibt heute viele private Röntgeninstitute wo man Patienten hin schicken kann und sich so eine eigene Maschinerie ersparen kann.

Über die Organisation der privaten Ärzte brauchen wir doch nicht zu streiten. Es ist deren Angelegenheit, ob sie sich zusammenschliessen wollen oder nicht. Ich bin nur dagegen, ihnen dies aufzuzwingen oder vorzuschreiben. Dies wäre eine massive Beeinträchtigung der freien Arbeitsgestaltung aller Spezialisten (wenn wir auf das Ursprungsposting zurückgehen)! Daher kommen mir die Tränen.

Sorry AWG wenn's überheblich wirkt - ich meine es NIE so. Nie - das kann ich dir versichern.

Lava
05.02.2003, 19:05
Ist es eigentlich richtig, dass es immer noch keinen Facharzt für Allgemeinmedizin gibt bzw. nicht mehr? Soll man sowas doch einführen die Leute drauf trainieren, den Menschen ganzheitlich zu sehen und spezifischere Probleme zu erkennen und den Patienten dann an die richtige Adresse zu schicken. Und warum soll man dann keine Auswahl mehr haben? Nur weil sich Fachärzte in bestimmten Einrichtungen befinden, sind es doch nicht weniger. Da kann ich mir doch aussuchen, ob ich zum Othopäden im zweiten, dritten oder vierten Stock gehe!

Froschkönig
05.02.2003, 19:14
@Janine :
Den FA Allgemeinmedizin gibt´s schon ewig, neu ist seit ca. 2 Jahren, daß die FA-Ausbildung von 3 auf 5 Jahre angehoben wurde. Allerdings erstaunt mich Dein nicht-Wissen betreffend der FA-AllgMed-Existenz doch schon ziemlich :-?

Lava
05.02.2003, 19:51
Hey, wer kann sich schon alle 40+x Fachärzte merken... :-blush und das im dritten Semester!

Froschkönig
05.02.2003, 19:58
Original geschrieben von Janine
Hey, wer kann sich schon alle 40+x Fachärzte merken... :-blush und das im dritten Semester!

Das verlangt ja keiner, könnte ja heute noch nicht alle Aufzählen. Aber der "Allgemeinmediziner" steht auf sooo vielen Praxischildern, den kannte ich schon vor dem Studium und die FA-Ausbildungsverlängerung auf 5 Jahre hat damals bis heute auch etliche Diskussionen verursacht. Aber ist egal. Sollte kein wirklicher Vorwurf sein. Gab mit Sicherheit genug Dinge, die ich in dem Studium auch später als andere Erfahren habe....