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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Raum des Abschieds (von Uta)



Jens
09.02.2003, 12:40
Eine nachdenkliche Kurzgeschichte von Uta mit dem Titel:

"Raum des Abschieds"

Es hieß, ein Polytrauma kommt. LKW gegen Zug. Der Hubi ist unterwegs. Nun machte sich angespanntes Warten in der Notfallaufnahme breit. Einer meinte:“ na da ist wohl der Zug schon abgefahren, da bleibt nicht mehr viel übrig zum Retten…“

Plötzlich hört man das Knattern von Rotorblättern. Es wird immer lauter. Dann ist Stille. Nur für einem Moment. Die Glastüren öffnen sich und der Schwerverletzte wird von zwei Rettungssanis und einem Notarzt auf einer Trage liegend herein geschoben. Er ist blutüberströmt. Der Monitor piepst leise, aber es macht sich schon der nahende Tod bemerkbar. Der Verletzte wird nicht in den Schockraum geschoben, sondern ins Patientenbad. Der Monitor verstummt. Der Tod streift uns alle, lässt sich aber bei dem jungen Mann nieder und bleibt.

Es heißt, die Verletzungen waren zu schwer. Offenes SHT, Thorax- und Bauchtrauma, der linke Fuß ist abnorm gebogen. Ein kompletter offener Unterschenkelbruch. Auch der rechte Arm ist gebrochen. Das Gesicht ist mit zahlreichen tiefen Schnittwunden übersäht, Blut tropft aus Nase, Mund und Ohren. Noch sitzt der Tubus, aber als er gezogen wird, folgt ihm ein Schwall dunkelroten Blutes. Vermutlich Bronchusabriß. Es will gar nicht aufhören zu bluten. Aber er ist doch tot, fragt eine Schwester. Wie kann er da noch so bluten? Das macht der Schock, komplette Hämolyse.

Nun gehen die Ärzte, ihre Arbeit ist getan. Die Schwestern kümmern sich um die Versorgung des Toten. Fast liebevoll wird er entkleidet. Die Sachen zerschnitten. Alles ist von Blut durchtränkt. Sein Haar ist rot von Blut. Es ist frisch geschnitten. Ich sehe in sein Gesicht. Er muss sich morgens rasiert haben. Ob er sich von seiner Frau verabschieden konnte? Wo wird sie jetzt sein? Er trägt keinen Ring, wahrscheinlich muß er ihn zur Arbeit abnehmen.
Wasser wäscht ihm das Blut aus dem Gesicht, den Ohren und der Nase. Die tiefen Schnittwunden werden mit Steristrips versorgt. Damit sich die Frau nicht noch mehr erschrickt, heißt es. Sie wird ihren Mann zum letzten Mal sehen, da soll er so gut wie möglich aussehen. Denn das Bild wird sie in ihrem Herzen tragen, ein Leben lang. Ich auch.
Die Knochen reiben aneinander, als ich den Arm halte, damit auch er verbunden werden kann.
In der linken Schulter klafft ein Loch, Pfählungsverletzung. Da bohrte sich etwas in sein Fleisch während des Aufpralls.
Sein Kopf ist ganz weich, blutunterlaufen, abgewetzt. Es ist alles kaputt, auch im Kopf.

Er war 37 Jahre alt. Verheiratet. Einen 16jährigen Sohn. Vielleicht war er einen Moment unaufmerksam, während er den unbeschrankten Bahnübergang überquerte, vielleicht blendete ihn die Sonne, die an diesem Tag so schön warm schien, vielleicht kam sonst dort nie ein Zug vorbei und er fühlte sich zu sicher. Wer weiß.

Nun liegt er hier, aufgebahrt für seine Frau. Die Wunden so gut es ging verdeckt. Noch warm, aber auch das wird nicht mehr lange anhalten. Bleich. Tot.

Ich sehe die Frau. Sie weiß noch nicht, daß er tot ist. Man sagte ihr nur, er wäre nach einem Unfall hier eingeliefert worden. Sie ist nervös. Ihre Hände sind ruhelos. Stumm folgt sie dem Arzt in ein Zimmer. Nun ist die Luft rein, wir schieben den Toten in den Keller, in den Raum des Abschieds, so steht es geschrieben an der Tür. Das Zimmer ist spärlich möbliert, nur ein Tisch und 4 Stühle, eine Grünpflanze. Am Waschbecken steht eine Flasche mit Wasser. Was braucht es auch mehr zum Abschied nehmen. Das Licht ist gedämpft, vielleicht soll es auch das Grauen etwas mindern. Ich weiß es nicht. Wie viele Schreie hörte dieser Raum schon? Wie viele Tränen wollten nicht versiegen? Wie viele Träume zerplatzen hier, an der Schwelle des Todes? Nun steht der Tote in diesem Raum. Seinem letzten Raum. Im Raum des Abschieds. Eine Schwester überprüft noch einmal die Verbände, dringt auch kein Blut hindurch? Er scheint friedlich zu schlafen. Nur wir wissen, wie er noch vor einer Stunde aussah. Ich bin froh, daß man es ihm nicht mehr ansieht. Wie genau wird sie ihn ansehen?

Wir gehen schweigend zurück in die Notaufnahme, der Betrieb muß weiter laufen. Die Patienten warten. Dann höre ich Schreie. Sie weiß es. Eine Schwester bringt ihr ein Beruhigungsmittel.

Mein Dienst ist vorbei. Ich flüchte. Ich kann ihre Schreie nicht ertragen. Ich will nach Hause, zu meinem Mann. Will sehen, daß er lebt. Tränen brennen hinter meinen Augen. Noch kann ich sie zurückhalten. Wie lange noch? Zu Hause dringen die Bilder immer wieder durch. Ich kann sie nicht ausblenden. Ich sehe die blutigen Haare, rieche das Blut, höre die Schreie der Frau. Mein Mann kommt, endlich kann ich weinen.

Der Alltag geht weiter. Auch für mich. Morgen in der Notaufnahme.

(c) Uta Thielbein

Feuerblick
09.02.2003, 14:58
Hallo Uta!

Ich kämpfe gerade noch mit Gänsehaut und Tränen. Diese Story wäre toll für eine Internetseite für Rettungsdienstangehörige, die Beerin und ich in naher Zukunft wiederbeleben wollen. Wärest Du evtl. damit einverstanden, daß wir die Geschichte dort veröffentlichen?
Setz Dich doch bitte per PM mit mir in Verbindung, ja?

Liebe Grüße
Feuerblick