Jens
09.02.2003, 20:31
<b>"Zeigen, nicht behaupten</b> - so lautet ein Grundsatz, um Texte und Geschichten anschaulicher und erfahrbarer zu machen.<br>
Die folgenden Ansätze können helfen, euren Texten an verschiedenen Stellen ein bisschen Leben einzuhauchen.
<br>
Damit ist auch die lose Folge von Beiträgen zum Thema <b> "Roman und Erzählung" </b> eröffnet. Ich werde hier nacheinander je nach Lust, Laune und Zeit einige technische Bausteine für´s Schreiben posten - verknüpft mit kleinen, wenig zeitintensiven Übungen. Das kleine Kapitel Zeigen, nicht behaupten ist hier der Anfang<br>
<br>
<b>Wie mache ich eine Geschichte sichtbar und erzähle und gebe nicht Urteile weiter über Personen weiter?</b><br>
Lesen soll ja nicht das Empfangen einer Predigt darstellen mit vorgefertigten Urteilen, Lesen ist aktive Erfahrung und Erlebnis. Beim Schreiben von Kurzgeschichten und längeren Erzählungen sollte man darauf achten, dass man nicht erzählt und vorgibt, was die Figuren tun, fühlen und meinen. Schöner ist es zu zeigen was mit der Figur geschieht, so dass es sich vor den Augen des Lesers abspielen kann.<br> <br>
3 Situationen, in denen man besonders dazu neigt, zu erzählen anstatt sichtbar zu machen<br>
(1): Man beschreibt, was geschehen ist, bevor die eigentliche Geschichte beginnt<br>
(2): Man beschreibt, wie eine Figur aussieht<br>
(3): Man beschreibt, was eine Figur denkt und empfindet<b><br><br>
Günstig ist:<br>
</b>Das, was eine Figur sieht, hört, riecht, spürt, schmeckt, fühlt etc., in der Handlung deutlich werden zu lassen. Die Gefühle einer Person kann man auch in ihrem Handeln abbilden und so vermehrt anschaulich machen.<br><br>
<b>Beispiel 1:</b><br>
<b>Erzählt und behauptet:<br>
</b>"Helen war eine wunderbare Frau, sie lebte in ständiger Sorge um ihre Kinder Rebecca und Maurice."<br>
<br>
Hier wird erzählt und behauptet, was für eine Figur Helen ist. Vom Lesegenuss eher statisch, man hört die urteilende Stimme des Autors, der eine Meinung ("Predigt") vorgefertigt an den Leser weitergibt. Es macht beim Lesen aber mehr Spass, wenn einem das Urteil, was jemand ist oder wie jemand denkt, als Leser überlassen bleibt.<br><br>
<b>Gezeigt und anschaulich erfahrbar gemacht</b><br>
"Wenn Helen ihre Kinder zur Grundschule fuhr, ließ sie Maurice und Rebecca nicht am Strassenrand im fahrenden<br>
Auto aussteigen, sondern parkte den Wagen und begleitete die beiden, jeden an einer Hand, bis zum Schultor."<br><br>
Hier wird eine visuell sichtbare Szene erkennbar, die sich wesentlich interessanter liest, da sie sich beim Lesen als Bild darstellt: wir sehen die handelnde Helen und erfahren über das Bild der Begleitung der Kinder zum Schultor, dass sie eine besorgte Mutter ist. Diese Schlußfolgerung bleibt aber dem Leser überlassen, sie wird nicht gepredigt, sondern szenisch vorgeführt.<br><br>
<br>
<b>Beispiel 2:</b><br>
<b>Erzählt und behauptet:</b><br>
Er war sehr nervös.<br>
<br>
<b>Gezeigt und anschaulich erfahrbar gemacht:</b><br>
Schweissperlen standen ihm auf der roten Stirn und er ging von einer Seite des Balkons zur nächsten. Kurz Halt machend, trommelte er mit den Fingern auf dem Geländer, den Blick zehn Stockwerke in die Tiefe auf die Alsterchaussee gerichtet.<br><br>
Seine Hände zitterten als er den Telefonhörer in die Hand nahm.<br>
<br>
<b>Beispiel 3:</b><br>
<b>Der Übergang von statischen Behauptungen zum sichtbarmachenden Stil</b><br>
<b>(vom Allgemeinen zum Bild)</b><br>
* Rosa machte Wasser heiss<br>
* Rosa setzte den Wasserkessel auf den Herd (ansatzweise wird mehr sichtbar)<br>
* Rosa liess Wasser aus dem Hahn in den Kessel laufen und summte vor sich hin, bis das Pfeifen des Kessels ihre Melodien unterbrach. (läßt schon ein kleines Bild entstehen)<br>
* Rosa machte Wasser in einem kupfernen Topf ohne Deckel heiss, so dass sie zusehen konnte, wie die Blasen aufsprudelten und tanzten. (da ist mehr zu sehen und Bewegung)<br><br>
Ginge man noch etwas ausführlicher auf konkrete Einzelheiten ein, verbessert sich der Lesefluss:<br>
- Im blauen Sommerkleid machte Rosa in einem kupfernen Topf Wasser auf ihrem Kohleherd - ein Erbstück von Oma aus Düsseldorf - heiss. Sie genoss es, dem wirbelnden Spiel der Blasen, die wie Tänzer in den Fluten dahinschwammen, zuzusehen.<br><br>
<b>Beispiel 4:<br>
</b> Vom Allgemeinen zum Bild<br>
* Gabriel machte einen Spaziergang<br>
* Gabriel legte vier Häuserblöcke zu Fuss zurück.<br>
* Gabriel legte gemächlich vier Häuserblöcke zurück.<br>
* Gabriel legte vier Hauserblöcke zurück, als wäre es seine letzte Meile<br>
* Gabriel ging durch das abendliche Kreuzberg, als müsste er gegen einen starken Wind ankämpfen, und hoffte, irgendjemand würde ihn aufhalten.<br><br>
<b>Wie prüft man nun, ob sich eine Szene oder Erzählpassage eher als Bild oder als Behauptung beim Lesen darstellt?<br>
Folgende Fragen können helfen:</b><br>
1: Ermöglicht der Text dem Leser zu <u>sehen</u>, was passiert?<br>
2: Spricht an irgendeiner Stelle der predigende Autor, der Weisheiten, <u>vorgefertigte
Urteile an den Leser weitergibt</u>?<br>
3: Kann man in der Passage dem Leser <u> durch Handlungen der Personen eine Ahnung</u> davon vermitteln, was in ihnen vorgeht?<br>
4: Beschreibt man Gefühle, anstatt sie ggf. durch Handlungen zu verdeutlichen?<br>
5: Kann man die Textpassage prinzipiell mit einer <u>Kamera filmen</u>?<br><br>
<b>Was kann man damit anfangen?<br>
</b>Prinzipiell fängt jeder von uns auf der Stufe an, zu behaupten, was eine Figur denkt, fühlt, wie sie aussieht etc. Im Ausbauschritt (nachdem ich also beispielsweise geschrieben habe Maria war eine Streberin) kann man dann darangehen, diese Behauptungen in den Texten von uns im Sinne der obigen Beispiele abzuwandeln, so dass Handeln sichtbar und auch erfahrbar beim Lesen wird (also: Maria setzte sich in die erste Reihe des Hörsaals und stellte in zahlreichen Augenblicken, den Professor charmant anlächelnd, Fragen, deren Antwort sie sich selbst gab.)<br><br>
<b>Kleiner Tipp/Bitte/Möglichkeit:</b><br>
Diejenigen von euch, die viel und gerne in Romanen lesen, können gerne einmal ein paar Textbeispiele im obigen Sinne anführen und beim nächsten Buch/Roman darauf achten: wo wird ein Bild vermittelt von einer Person und ihren Eigenarten, Gedanken und dies bildlich dargestellt. Da gibt es sicher einige Textstellen, die hier anführbar sind und vielleicht das o.a. noch besser hinterlegen als diese kurzen Beispiele. Also, achtet mal beim nächsten Lesen darauf, wo der Autor etwas über die Personen zeigt und nicht predigend behauptet. Ihr könnt die Textstelle gerne kurz hier als Antwort eintragen.<br><br>
<b>DIE GESCHICHTE ZEIGEN NICHT BEHAUPTEN - können wir uns mal für unsere Texte merken.</b>So long<br>Cu<br>Jens
Die folgenden Ansätze können helfen, euren Texten an verschiedenen Stellen ein bisschen Leben einzuhauchen.
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Damit ist auch die lose Folge von Beiträgen zum Thema <b> "Roman und Erzählung" </b> eröffnet. Ich werde hier nacheinander je nach Lust, Laune und Zeit einige technische Bausteine für´s Schreiben posten - verknüpft mit kleinen, wenig zeitintensiven Übungen. Das kleine Kapitel Zeigen, nicht behaupten ist hier der Anfang<br>
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<b>Wie mache ich eine Geschichte sichtbar und erzähle und gebe nicht Urteile weiter über Personen weiter?</b><br>
Lesen soll ja nicht das Empfangen einer Predigt darstellen mit vorgefertigten Urteilen, Lesen ist aktive Erfahrung und Erlebnis. Beim Schreiben von Kurzgeschichten und längeren Erzählungen sollte man darauf achten, dass man nicht erzählt und vorgibt, was die Figuren tun, fühlen und meinen. Schöner ist es zu zeigen was mit der Figur geschieht, so dass es sich vor den Augen des Lesers abspielen kann.<br> <br>
3 Situationen, in denen man besonders dazu neigt, zu erzählen anstatt sichtbar zu machen<br>
(1): Man beschreibt, was geschehen ist, bevor die eigentliche Geschichte beginnt<br>
(2): Man beschreibt, wie eine Figur aussieht<br>
(3): Man beschreibt, was eine Figur denkt und empfindet<b><br><br>
Günstig ist:<br>
</b>Das, was eine Figur sieht, hört, riecht, spürt, schmeckt, fühlt etc., in der Handlung deutlich werden zu lassen. Die Gefühle einer Person kann man auch in ihrem Handeln abbilden und so vermehrt anschaulich machen.<br><br>
<b>Beispiel 1:</b><br>
<b>Erzählt und behauptet:<br>
</b>"Helen war eine wunderbare Frau, sie lebte in ständiger Sorge um ihre Kinder Rebecca und Maurice."<br>
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Hier wird erzählt und behauptet, was für eine Figur Helen ist. Vom Lesegenuss eher statisch, man hört die urteilende Stimme des Autors, der eine Meinung ("Predigt") vorgefertigt an den Leser weitergibt. Es macht beim Lesen aber mehr Spass, wenn einem das Urteil, was jemand ist oder wie jemand denkt, als Leser überlassen bleibt.<br><br>
<b>Gezeigt und anschaulich erfahrbar gemacht</b><br>
"Wenn Helen ihre Kinder zur Grundschule fuhr, ließ sie Maurice und Rebecca nicht am Strassenrand im fahrenden<br>
Auto aussteigen, sondern parkte den Wagen und begleitete die beiden, jeden an einer Hand, bis zum Schultor."<br><br>
Hier wird eine visuell sichtbare Szene erkennbar, die sich wesentlich interessanter liest, da sie sich beim Lesen als Bild darstellt: wir sehen die handelnde Helen und erfahren über das Bild der Begleitung der Kinder zum Schultor, dass sie eine besorgte Mutter ist. Diese Schlußfolgerung bleibt aber dem Leser überlassen, sie wird nicht gepredigt, sondern szenisch vorgeführt.<br><br>
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<b>Beispiel 2:</b><br>
<b>Erzählt und behauptet:</b><br>
Er war sehr nervös.<br>
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<b>Gezeigt und anschaulich erfahrbar gemacht:</b><br>
Schweissperlen standen ihm auf der roten Stirn und er ging von einer Seite des Balkons zur nächsten. Kurz Halt machend, trommelte er mit den Fingern auf dem Geländer, den Blick zehn Stockwerke in die Tiefe auf die Alsterchaussee gerichtet.<br><br>
Seine Hände zitterten als er den Telefonhörer in die Hand nahm.<br>
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<b>Beispiel 3:</b><br>
<b>Der Übergang von statischen Behauptungen zum sichtbarmachenden Stil</b><br>
<b>(vom Allgemeinen zum Bild)</b><br>
* Rosa machte Wasser heiss<br>
* Rosa setzte den Wasserkessel auf den Herd (ansatzweise wird mehr sichtbar)<br>
* Rosa liess Wasser aus dem Hahn in den Kessel laufen und summte vor sich hin, bis das Pfeifen des Kessels ihre Melodien unterbrach. (läßt schon ein kleines Bild entstehen)<br>
* Rosa machte Wasser in einem kupfernen Topf ohne Deckel heiss, so dass sie zusehen konnte, wie die Blasen aufsprudelten und tanzten. (da ist mehr zu sehen und Bewegung)<br><br>
Ginge man noch etwas ausführlicher auf konkrete Einzelheiten ein, verbessert sich der Lesefluss:<br>
- Im blauen Sommerkleid machte Rosa in einem kupfernen Topf Wasser auf ihrem Kohleherd - ein Erbstück von Oma aus Düsseldorf - heiss. Sie genoss es, dem wirbelnden Spiel der Blasen, die wie Tänzer in den Fluten dahinschwammen, zuzusehen.<br><br>
<b>Beispiel 4:<br>
</b> Vom Allgemeinen zum Bild<br>
* Gabriel machte einen Spaziergang<br>
* Gabriel legte vier Häuserblöcke zu Fuss zurück.<br>
* Gabriel legte gemächlich vier Häuserblöcke zurück.<br>
* Gabriel legte vier Hauserblöcke zurück, als wäre es seine letzte Meile<br>
* Gabriel ging durch das abendliche Kreuzberg, als müsste er gegen einen starken Wind ankämpfen, und hoffte, irgendjemand würde ihn aufhalten.<br><br>
<b>Wie prüft man nun, ob sich eine Szene oder Erzählpassage eher als Bild oder als Behauptung beim Lesen darstellt?<br>
Folgende Fragen können helfen:</b><br>
1: Ermöglicht der Text dem Leser zu <u>sehen</u>, was passiert?<br>
2: Spricht an irgendeiner Stelle der predigende Autor, der Weisheiten, <u>vorgefertigte
Urteile an den Leser weitergibt</u>?<br>
3: Kann man in der Passage dem Leser <u> durch Handlungen der Personen eine Ahnung</u> davon vermitteln, was in ihnen vorgeht?<br>
4: Beschreibt man Gefühle, anstatt sie ggf. durch Handlungen zu verdeutlichen?<br>
5: Kann man die Textpassage prinzipiell mit einer <u>Kamera filmen</u>?<br><br>
<b>Was kann man damit anfangen?<br>
</b>Prinzipiell fängt jeder von uns auf der Stufe an, zu behaupten, was eine Figur denkt, fühlt, wie sie aussieht etc. Im Ausbauschritt (nachdem ich also beispielsweise geschrieben habe Maria war eine Streberin) kann man dann darangehen, diese Behauptungen in den Texten von uns im Sinne der obigen Beispiele abzuwandeln, so dass Handeln sichtbar und auch erfahrbar beim Lesen wird (also: Maria setzte sich in die erste Reihe des Hörsaals und stellte in zahlreichen Augenblicken, den Professor charmant anlächelnd, Fragen, deren Antwort sie sich selbst gab.)<br><br>
<b>Kleiner Tipp/Bitte/Möglichkeit:</b><br>
Diejenigen von euch, die viel und gerne in Romanen lesen, können gerne einmal ein paar Textbeispiele im obigen Sinne anführen und beim nächsten Buch/Roman darauf achten: wo wird ein Bild vermittelt von einer Person und ihren Eigenarten, Gedanken und dies bildlich dargestellt. Da gibt es sicher einige Textstellen, die hier anführbar sind und vielleicht das o.a. noch besser hinterlegen als diese kurzen Beispiele. Also, achtet mal beim nächsten Lesen darauf, wo der Autor etwas über die Personen zeigt und nicht predigend behauptet. Ihr könnt die Textstelle gerne kurz hier als Antwort eintragen.<br><br>
<b>DIE GESCHICHTE ZEIGEN NICHT BEHAUPTEN - können wir uns mal für unsere Texte merken.</b>So long<br>Cu<br>Jens