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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Stimmung nach 1 Woche Beatmung



SteffiH
28.06.2010, 18:30
Hallo zusammen,

ich hätte da mal eine Frage an die Intensiv-erfahrenen unter euch ;-)
Ein Bekannter war jetzt nach einer starken Pneumonie im Rahmen eines STEMIS für eine Woche intubiert und beatmet auf der Intensivstation gelegen wg. resp. Globalinsuff.. Sedierung während dieser Zeit mit Piritramid und dazu im Wechsel Propofol/Midazolam. Am Freitag wurde er extubiert, wurde jedoch noch mit ner Minidosis Propofol weiter sediert bis Sonntag früh. Anfangs war er recht ausgeglichen von der Stimmung her, natürlich noch recht verwirrt was überhaupt war, und hat teilweise komisches Zeug zusammenfantasiert. Mittlerweile ists aber eher so dass er schon ziemlich klar ist, aber zunehmend eine total negative Grundstimmung entwickelt, obwohl er eigentlich ein ganz positives Gemüt ist. Jetzt mäkelt er an allem rum und empfindet alles als extrem negativ, ist eigentlich "ein ganz anderer Mensch"...
Mich würde jetzt interessieren, steht ihm das denn zu nach der Vorgeschichte und wird das von Tag zu Tag besser, oder muss man sich Sorgen machen, dass irgendwas dauerhaft "kaputt" ist da oben? Was habt ihr denn für Erfahrungen mit solchen Patienten?
Würde mich sehr über Antworten freuen, da ich selbst damit kaum erfahrungen habe und natürlich alle eher beunruhigt sind im Moment...
DAnke im Voraus :-)
Steffi

Ach ja vielleicht noch ganz interessant als Nachtrag, Patient ist 63 Jahre alt und bisher topfit...

Coxy-Baby
28.06.2010, 18:50
Durchgangssyndrom?

ehemalige Userin 24092013
28.06.2010, 18:52
*hmmm* ....viele Patienten, die Beatmung und Sedation erfahren haben (oder auch eine gewisse Nahtoderfahrung erleben (schwere Sepsis mit Beatmung, Z.n Reanimation und Beatmung) haben eine Menge wirrer Albträume, in denen man ihnen mit wilden med. Experimenten an die Wäsche will z.B....(hab einige Briefe von Patienten in meiner IPS Zeit gelesen, die ich selbst betreut habe).

Das könnte zum Beispiel ein Grund für die schlechte Stimmung sein.
Oder einfach nur die "relativ" lange Gabe von Sedationsmitteln - man weiss ja nie genau, was das alles so mit den Emotionen usw. anstellt.
Zumindest von einigen planmässig narkotisierten Patienten wurde eine "leichte" Wesensveränderung über einen bestimmten Zeitraum beschrieben.

Vielleicht kann hier jemand von den Gasfrauen / -männern mehr drüber sagen? :-nix


Sollte aber auf keinen Fall ein Dauerzustand bleiben.

SarahT.
28.06.2010, 18:55
Oder es liegt an der Grunderkrankung und der damit verbundenen psychischen Belastung...

DeKl
28.06.2010, 19:16
Gibt es da nicht gewisse Häufungen von Depressionen bei Patienten mit stattgehabtem Herzinfarkt?

LieberInvasiv
28.06.2010, 20:46
Gibt es da nicht gewisse Häufungen von Depressionen bei Patienten mit stattgehabtem Herzinfarkt?

Ja, schon. Nur normalerweise entwickeln sich Depressionen über einen etwas längeren Zeitraum.... oder habe ich das falsch in Erinnerung?
Hm.. gut das die Psychoklausur erst in drei Wochen ansteht ;-)
Durchgangssyndrom wäre je eher zeitlich limitiert und würde auch anders aussehen.
Denke aber je nach Person könnte eine gewisse negative "Verstimmung", bis hin zur depressiven Episode nach so einer Tortur normal sein.
Muss man halt gucken, dass das nicht zu lange anhält. Evtl. einfach mal beim behandelnden Arzt ansprechen.. könnte ja auch an der momentanen Medikantion liegen.
Ggf. funktioniert/hilft auch einfach mal mit dem Patienten drüber reden.
Und wenn alles nicht mehr hilft professionelle Unterstützung hinzuziehen, damit es nichts Chronisches wird...

Mich würde aber auch interessieren was die Intensivlinge da so für Erfahrungen zu haben... :-stud

Coxy-Baby
28.06.2010, 21:07
Durchgangssyndrom wäre je eher zeitlich limitiert und würde auch anders aussehen

Da du es ja gerade so schön lernst....
Wie würde das denn aussehen, wenn es ein Durchgangssyndrom wäre?
Seit Freitag extubiert, bis Sonntag sediert, dann ein "anderer Mensch".
Heute ist Montag.

papiertiger
28.06.2010, 22:49
Da du es ja gerade so schön lernst....
Wie würde das denn aussehen, wenn es ein Durchgangssyndrom wäre?
Seit Freitag extubiert, bis Sonntag sediert, dann ein "anderer Mensch".
Heute ist Montag.

Könnte man auch etwas netter rüberbringen.



Ontopic: Tät mir da auch noch keine Gedanken machen, dass da was langfristig "kaputtgegangen" ist im Kopf.. klingt für mich ziemlich typisch. Allein die Gesamtsituation auf der einen Seite sorgt sicherlich nicht für eine entspannte, unbeschwerte Stimmungslage und reicht womöglich schon aus, um eine solche Veränderung hervorzurufen, und andererseits ist es auch gut möglich das da einiges von den gegebenen Medikamenten noch nicht hundertprozentig "raus" ist und die Biochemie noch ein wenig durcheinanderbringt. Abwarten. :-meinung

Coxy-Baby
28.06.2010, 23:34
Könnte man auch etwas netter rüberbringen.


..war NICHT böse gemeint nur nochmal zusammengefasst und da er ja schrieb, dass er demnächst Psycho hat, dachte ich ich kann noch n bissel Wissen für lau abfassen ;-)

LieberInvasiv
29.06.2010, 06:03
..war NICHT böse gemeint nur nochmal zusammengefasst und da er ja schrieb, dass er demnächst Psycho hat, dachte ich ich kann noch n bissel Wissen für lau abfassen ;-)

Keine Sorge, ich habs nicht negativ aufgefasst
(vllt. muss er ja wirklich noch was lernen :-D )
War das Durchgangssyndrom nicht eine zeitlich begrenzte und immer reversible Psychose? Hab ich zumindest auch immer so erlebt...

So.. muss RIchtung Uni.. schönen Tag noch :-stud

lottisworld
29.06.2010, 07:23
Hallo,
ich will mal einen Ansatz wagen, Deine Frage zu beantworten:
Dein Bekannter hat ein extremes Streßereignis durchlebt, in dem schon jeder Faktor an sich von schwerwiegender Bedeutung ist:

-der Herzinfarkt, verbunden mit Todesangst, Schmerzen und gewaltiger Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit

- die Pneumonie mit Beatmungspflichtigkeit
-die Therapie mit Sedativa und hochpotenten Opiaten
-und nicht zu vergessen, die Konfrontation mit der Prognose

Aus meiner Erfahrung in der Arbeit mit Intensivpatienten und auch aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass seine Reaktion völlig normal ist.
Intensivmedizinische Maßnahmen sind ein absolutes Streß- und Schockereignis für einen Patienten und die Mechanismen zur Verarbeitung sind so individuell wie der Mensch an sich.
Dazu kommt auch noch, das so hochpotente Opioide wie Dipidolor leider auch ein gewaltiges Abhängigkeitspotential erzeugen und Dein Bekannter mit Sicherheit auch zusätzlich noch so eine Art Entzug durchmacht.
Vergessen sollte man auch nicht, das eine Krankenhausbehandlung an sich Streß für den Patienten bedeutet:
-der Verlust der Privatsphäre, der Verlust des gewohnten Tagesablaufes, und so nicht Privatpatient mit Einzelzimmer, die erzwungene "Wohngemeinschaft" mit anderen kranken Menschen,
...und und und
Also, was jetzt mein Rat wäre:
-Geduld und Einfühlungsvermögen zeigen
-Signalisiert ihm, dass er sich auf Euch verlassen kann
-Nachsicht üben, aber immer wieder sanft aber konsquent in die richtige
Richtung leiten

Wenn die Symptomatik über längere Zeit anhält, um ein psychologisches Konsil bitten.
LG

EKT
30.06.2010, 15:33
Wenn die Symptomatik über längere Zeit anhält, um ein psychologisches Konsil bitten.
LG

Psychologen können da leider wenig ausrichten. Es gibt schon lange die gesicherte Erkenntnis, daß es enge Zusammenhänge zwischen Herzinfarkt und Depression gibt - und zwar weit über die erwartete Korrelation zwischen schwerer Erkrankung allgemein und Depression. Es handelt sich also überwiegend um ein Geschehen auf biochemischer Ebene. Also sollte schnellstens und in erster Linie, vor allem auch im Sinne einer guten "Herzprognose" eine pharmakologische antidepressive Therapie eingeleitet werden.

SteffiH
01.07.2010, 15:37
Hallo zusammen,

zuerst mal Danke für die zahlreichen Antworten!
So wie es aussieht, geht das ganze bereits aufwärts, er hatte zumindest auch schon einen äußerst gut gelaunten Tag, auch wenn die Stimmung halt täglich wächst. Ich habe ihn direkt angesprochen, warum er denn so schlecht drauf ist, und er meinte auch, dass er einfach erst langsam begreift und rückwirkend erfährt, was überhaupt alles war die ganze Zeit, und das zu verarbeiten braucht einfach Zeit. Zudem hatte er wohl tatsächlich Alpträume und hat sich in der Zeit, als er noch sehr hilfsbedürftig war, von der Pflege nicht adäquat betreut gefühlt und kam sich hilflos vor. Ein Antidepressivum hat er bereits vor der ganzen Sache genommen und nimmt es auch weiter.
Ich denke, wie die meisten von euch auch, dass das nach alledem ihm wirklich zusteht und man ihm da einfach Zeit geben muss...