PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hochkompetenter Patient



Seiten : [1] 2 3

micale
02.07.2010, 14:56
Salù aus der Mittagshitze/pause!

Hatte gerade ein interessantes Patientengespräch und bin noch ein wenig geplättet (nicht nur vom Wetter). Stellt euch vor, Routineuntersuchung jährlicher Check zur Evalutaion chronische Mitralinsuffizienz II durch Prolaps ams & pms. Dann beim Echo, Patient schaut mit, meldet der sich mit den Worten "LA scheint mir vergößert, wie ist den mein LVEDD, EF noch i.O.?" Ich gebe Auskunft (er hat recht LA 48mm, LVEDD 59mm also beide leicht vergrößert) und dann die Frage ab wann ich denn LVEDD/LVESD/LA kritisch groß sehen würde um zu einer MKR/MKE zu raten, würde ja jeder Arzt anders beurteilen (ist ja auch nicht gerade einfach bei asymptomatischen Patienten). Auch noch ok, ich gebe da auch meine Meinung ab. Dann EKG, Patient schaut auf den Streifen (nur flüchtig) und sagt "was halten Sie von dem präterminal negativen T in III und dem RS-Block?"

Ich kam mir bisweilen vor als würde mein Chef mir gegenüber sitzen bei der Untersuchung - der Patient kannte so ziemlich alles zu seinem Krankheitsbild MI II bei MKP, alle Studien, alternative OP-Methoden, Statistiken etc. Da steht man ggf. seltsam da. Nebenbei bemerkt, es war kein Mediziner, sondern ein BWLer Mitte dreißig.

Hattet ihr auch schon solche "Fachleute" unter den Fingern, also nicht mit Pseudo-Halbwissen, sondern wirklichem Fachwissen ggf. zu dem Krankheitsbild mehr als ihr selbst?

Kühlende Grüße!
Mical

Stephan0815
02.07.2010, 15:20
Schlicht und einfach nö.
Mit Halbwissen allenfalls, aber jemand, der das sofort blickt und auch noch richtig liegt oder gar besser, als man selbst? Das ist wohl der eine Patient für die Statistik, den du da beschreibst. :-nix

Bille11
02.07.2010, 15:25
ich nehme mal an, dass dieser patient auf seine art und weise ein fachidiot ist. jemand, der mit viel liebe zum detail und viel einsatz, sowie (über)durchschnittlicher intelligenz und durchhaltevermögen, ausserordentlich viel interesse die aktuelle fachliteratur aufgearbeitet hat, sowie praktisch orientiertes in dem thema gelesen hat..

ich sage mir - wenn ich solchen begegne - dass ich 13 semester studiert habe & 3 berufsjahre hinter mir habe, eine breite basis und ein mehr oder minder gefächertes spezialwissen habe.. da kann der patient gerne mehr zu einer speziellen thematik wissen. NACHLESEN kann ich auch. stets korrekt reagieren und allgemein, sowie ausreichend speziell bescheid wissen ist die kunst, die du im studium und assistenzarztzeit erlernt hast/haben solltest.

micale
02.07.2010, 15:39
Ich hab' ihn natürlich gefragt wo er das EKG lesen gelernt hat, denn ich sehe nicht aus 1m Entfernung beim flüchtigen drüberschaun ob jemand ein terminales oder ein präterminales T hat. Beim Echo halte ich es auch nicht für sooo einfach zu erkennen ob jemand gerade noch im Normbereich ist also hier LVEDD <56mm, LA <40mm oder wie hier 3 bzw. 8mm drüber ohne es zu messen! Das mit dem EKG klärte sich schnell auf, er hat sich eins gekauft und sich das EKG lesen mit Fachliteratur und EKG Streifen aus der Praxis selbst beigebracht, einfach so, weil er es interessant fand. Beim Echo rätsel ich noch :-nix muss ich ihn nächstes Jahr mal fragen.

Insgesamt empfand ich das ja gar nicht unbedingt unangenehm in der Situation - nur befremdlich, wenn man sich dann mit einem nicht-Mediziner auf der gleichen Ebene unterhalten kann wie mit einem Kollegen bzw. noch Hinweise auf Studien bekommt, die vor einer Woche veröffentlicht wurden. Ist aber doch eher selten, dass sich jemand so mit seinem Befund auseinandersetzt - wenn es was existentielles wäre, könnte ich es ja noch nachvollziehen, aber die Diagnose ist ja nun nicht kritisch.

alex1
02.07.2010, 18:10
Hochkompetente ProstataCa-Patienten sind auch ein richtiger Spass.



Es gibt einige, die sich jahrelang mit Hormontherapie beschäftigt haben, alle möglichen Kombinationen kennen und von 3-facher Blockade schwärmen. Sie haben meistens Excel-Tabletten mit Diagrammen zum PSA-Verlauf, die sie regelmässig zu Hause pflegen und dokumentieren jeden Furz.
Dann gibt's noch die "Ingenieuren-Physiker-Fraktion", die alle technische Details von Bestrahlungsgeräten kennen und über Protonentherapie, IMRT, IGRT & Co Referate halten.
Abschliessend noch die "Ernährungs-Fraktion", die jedes Lebensmittel kennen was PSA senkt und vormittags den Leinsamen-Grapefruit-Granatapfel-Wundersaft trinken, damit der PSA im Keller bleibt.

Meine Meinung:
Je länger eine Erkrankung läuft, desto besser kennen sich die Leute damit aus.

Bensona!
02.07.2010, 18:19
Ich denke mal, du hast da einen sehr intelligenten Patienten vor Dir. Alle Achtung, sich so eingehend zu beschäftigen und aus ein Hobby und Interesse herraus, das EKG lesen zu lernen. Und dann auch in dieser scheinbaren tiefe.

Nicht schlecht =)

Skalpella
02.07.2010, 18:48
Ich glaube, Dein Patient hat sich sehr mit seiner Erkrankung beschäftigt und kennt sich ganz gut aus. Zusätzlich hat er sich in der letzten Zeit bereits eine Meinung eingeholt und Dir nun den Befund der gerade eben stattgehabten Funktionsdiagnostik unter die Nase gerieben :-))
Wenn man nicht merkt, dass er blufft, ist er aber auf jeden Fall ne coole Socke, Dein Patient. Und sicher auch sehr gut informiert :-) Wenns Dich nicht stört eigentlich klasse :-top

flok
02.07.2010, 20:08
Nicht ungewöhnlich, dass jemand mit Zeit und Leidensdruck sich so gut in die Materie einarbeitet, aber vielleicht war dein Patient auch kürzlich bei einem anderen Arzt und hat nur dessen Befunde 1:1 wiedergegeben? Hat er das verneint?

oops. sehe gerade, dass meine Vorrednerin schon die gleiche Theorie aufgestellt hat:)

haemo
02.07.2010, 22:23
Krasse Sache. Fände ich sicherlich nicht so nervig wie dieses ganze Halbwissen à la "Ich hab da aber mal bei Wikipedia gelesen ..."

Was mir bei Patienten, die auch nur halbwegs Bescheid wissen über ihre Krankheit, als Problem auffällt: Die stellen die Krankheit so dermaßen in den Mittelpunkt ihres Lebens udn beschäftigen sich nur noch damit und gar nicht mehr mit den schönen Dingen im Leben, die sie trotz Krankheit genießen können.

Keenacat
02.07.2010, 23:29
Das ist meiner Meinung nach ein Coping-Mechanismus. Nutzen offenbar grad Leute, die von vornherein hohe Bildung und Intelligenz mitbringen (ein Freund von mir ist auch son Kandidat). Kann anstrengend sein, aber letztendlich steht auch dahinter Leidensdruck. Ich würde mich daher nicht so stressen lassen.
:-meinung

Hypnos
03.07.2010, 08:02
Also ich habe es (fast) ohne Ausnahme mit hoch-inkompetenten Patienten zu tun:-))

Aber die schlafen ja eh alle:-))

micale
03.07.2010, 11:40
Meine sind immer wach, mehr oder weniger ;-)

Aber ein interessanter Aspekt ist natürlich die Idee, dass er sich das hat befunden lassen und nur den Befund auswendig gelernt hat um dann damit anzugeben...aber ich glaub´s eigentlich nicht, im Gespräch wirkte er schon sehr kompetent und ist alle 12 Monate hier zur Kontrolle.

Was ich auch für einen interssanten Ansatz halte wäre ein adaptives Coping wie Keenacat sagt. Die Sache ist nur die, bei der Diagnose gibt es eigentlich keinen Leidensdruck - ganz objektiv gesehen. Oder seht ihr das anders?

Zur Beurteilung vielleicht noch die Daten im Überblick:

- Pat. M, 35J. guter, schlanker EZ
- Pulmo unauffällig, keine Ödeme
- RR 130/80, Puls 65
- EKG: Sinus, RS-Block, präterminales negatives T in III, formal positiver Sokolow-Lyon Index, bei Belastung (180W) keine signifikanten Endteilveränderungen, keine APectoris, adäquate Erschöpfung, adäquate Dyspnoe, sehr gut belastbar, normale Druckwerte. Im LZ EKG alles unauffällig, 6 SVES in 22 Stunden
- Echo/Doppler: LVEDD 59mm, LVESD 35mm, LA 48mm, EF ~70%, sehr gute LV-Pumpfunktion, keine Hypertrophie, deutlicher Prolaps ams & pms mit Jet über 50% der Fläche, Spitze bis Vorhofdach, vena contracta 6mm. Keine weiteren Vitien, rV unauffällig

Alles in allem (wie in den Vorjahreskontrollen auch) asymptomatische MI II, Leichte Vergrößerung Linksherzhöhlen, global sehr gute Herzfunktion/Belastbarkeit

Aus meiner Sicht keine bedrohliche Diagnose - wenn das sehr langsam voran geht, oder gar nicht, kann er damit problemlos alt werden bei etwas Sport nebenbei. Vielleicht wird es auch schlechter, dann könnte man ja irgendwann operieren oder diese neue MitraClip Technik anwenden, wenn sich das durchsetzt. Ich sehe die OP noch nicht und würde mich bei den Werten auch nicht operieren lassen - obwohl ja theoretisch möglich, würdet ihr etwa, oder ihm gar zuraten? Der Patient beschäftigt sich permanent mit der OP-Option, daher auch das große Interesse nehme ich an, denn die OP wäre ja schon was großes.

snowfairy
03.07.2010, 12:08
Naja, vielleicht ist er auch so ein zwanghafter Patient, der seine Krankheit zum Lebensmittelpunkt macht? Wenn er noch eine gute Herzfunktion und Belastbarkeit hat, hat er doch wohl physisch keinen Leidensdruck? Und psychisch wohl nur dann, wenn er die entsprechende Primärpersönlichkeit dazu hat.... Also vielleicht doch einer, der leicht zwanghaft ist und deswegen alles zu seiner Krankheit weiß?:-nix

Keenacat
03.07.2010, 13:20
Was ich auch für einen interssanten Ansatz halte wäre ein adaptives Coping wie Keenacat sagt. Die Sache ist nur die, bei der Diagnose gibt es eigentlich keinen Leidensdruck - ganz objektiv gesehen. Oder seht ihr das anders?
!
Interessantes Faktum: Für die subjektive Belastung des Patienten spielt der objektive Befund nur eine sehr untergeordnete Rolle. Patienten mit lebenslimitierenden Erkrankungen können weniger belastet sein als Patienten mit an sich harmlosen Erkrankungen. Es kommt eben ganz auf den subjektiven Standpunkt des Betroffenen an.
Edit: Zudem ist da ja noch die Komponente, dass der Zustand sich in Zukunft verschlechtern kann. Das ist auch "objektiv" ein nicht zu vernachlässigender Belastungsfaktor.


Der Patient beschäftigt sich permanent mit der OP-Option, daher auch das große Interesse nehme ich an, denn die OP wäre ja schon was großes.
Spricht m.E. ebenfalls dafür, dass er stark durch seine Erkrankung belastet ist und das Verhalten v.a. Coping darstellt.

snowfairy
03.07.2010, 16:57
Aber warum ist er denn so stark durch seine Krankheit belastet, wenn er sie im Alltag nicht so extrem zu spüren bekommt?

Bille11
03.07.2010, 17:42
weil diese leute sowas von psycho sind, dasse sich maximal da hineinsteigern. schlaue leute gerne auch auf diese art und weise. denk an psycho-kurs. krankheitsverarbeitung 4 stadien.

Bensona!
03.07.2010, 18:17
Darf ein Patient nicht mit Fachwissen glänzen? Ich verstehe nicht, was sich hier die meisten Mediziner einbilden. Aber wenn ein aufmerksamer Patient wirklich die Fachliteratur studiert, ist er sicherlich kompetent genug, um nicht als Wikipedia-Netdoktor-Blödmann abgestempelt zu werden.

Und dann werden von den selbsternannten Fachidioten irgendwelche Psychologischen Verhaltensmodelle aus den Finger gezogen, die den Patienten schön kleinhalten sollen.

Nein, auch 6 Jahre Studium und 5 Jahre Facharzt, machen einen nicht zum Halbgott. Aber genau führen sich hier einige auf, mit sogar weniger als 11 Jahren Ausbildung auf dem petto.

Aufgabe des Arztes ist es nicht, diese bestimmten Patienten arrogant abzutun, sondern als Partner mit Ihnen deren Krankheitssituation fachlich zu erörtern.

Und ich spreche hier explizit von diesem Fall und nicht von den üblichen Verdächtigen.

Keenacat
03.07.2010, 18:41
Aber warum ist er denn so stark durch seine Krankheit belastet, wenn er sie im Alltag nicht so extrem zu spüren bekommt?

Ich kenn den Patienten natürlich nicht, aber ich werf mal n paar Ideen in den Raum. :-) Immer dran denken: Ob sowas rational begründbar ist, ist völlig unerheblich! Irrationale Ängste können sogar noch stärker belasten als rationale, weil sie oft keine rationale Verarbeitung erlauben.
Zukunftsängste halt ich für ein häufiges Problem, Angst vor plötzlicher Verschlechterung, Todesangst, der gefühlte Kontrollverlust, der häufig bei reinem Zuwarten entsteht, Abhängigkeit von ärztlicher Zuwendung (und nicht selten auch von ärztlichem Wohlwollen!), das Gefühl, "nie wieder gesund" werden zu können und so weiter... Dazu kommt, dass gerade das Herz für viele Menschen ein extrem angstbesetztes und als zentral wichtig empfundenes Organ ist.
Außerdem sind Faktoren in der Persönlichkeit des Patienten wichtig: individuelle Vulnerabilität, externe vs. interne Kontrollüberzeugungen, Anpassungsstörungen, Depressivität oder Dysthymia...

Vielleicht kann jemand mal Lesestoff empfehlen, mir fällt grad nix gutes ein. Ich find es total wichtig, diese Faktoren zu kennen und ihren Einfluss zu berücksichtigen (Palliativtante hier :-D). Erleichtert den Umgang mit aberrantem Patientenverhalten erheblich und verbessert die Betreuung enorm.

Letztendlich kann ich da auch aus eigener Erfahrung jammern. ;-) Ich hab "nur" eine Hypothyreose und Depressionen (rezidivierend, evtl. inzwischen chronisch). Beides ist medikamentös momentan wunderbar kontrolliert, trotzdem zieht mich der Gedanke, beides nie mehr loszuwerden, manchmal hardcore runter.
Den Rest meines Lebens Tabletten nehmen und regelmäßig in ärztlicher Kontrolle sein zu müssen sind nicht die geilsten Zukunftsaussichten. Und was ist, wenn ich mal schwanger werd? Was, wenn ich meine Antidepressiva dann nicht absetzen kann? Was, wenn ich als vorbelastete Person wochenbettpsychotisch werde? Was, was, was? Es gefällt mir nicht, ständig zu Ärzten rennen zu müssen, weil meine Blutwerte überprüft werden müssen und meine Psychiaterin wissen will, wie meine Stimmung ist. Ich schlepp überall meine Tablettenbox mit hin, wie ne Omi. etc, etc. [/rant]
Und selbst wenn ich die Depressionen loswerde: Regelmäßige Thyroxinkontrollen, der Hänger, wenn die Dosis nicht gut eingestellt ist, Schwangerschaftgenerve, vererb ich das mal.... blah, blah, blah.
Auch im täglichen Leben nicht wahrnehmbare und "objektiv" nicht belastende Diagnosen machen subjektive Einschränkungen. Tut den Patienten den Gefallen, das ernst zu nehmen.
:-meinung

Keenacat
03.07.2010, 18:44
Und dann werden von den selbsternannten Fachidioten irgendwelche Psychologischen Verhaltensmodelle aus den Finger gezogen, die den Patienten schön kleinhalten sollen.

Alter... :-keks
Sowohl die Medizinerin als auch die Patientin in mir fragen sich gerade, wer hier den Tatsachen ausweicht. Tipp: Die "selbsternannten Fachidioten" sinds nicht.

happyfrog
03.07.2010, 21:26
Hallo,

ich (Nichtmediziner, promoviert) würde den Patienten einfach fragen, ob die Medizin seine geheime Leidenschaft ist, und ich würde mich anerkennend zeigen. Und dann einfach partnerschaftlich (nicht hierarchisch!) mit ihm zusammenarbeiten. Es ist halt intelligent und vielseitig interessiert und sehr fleißig, ist doch toll, lauter gute Eigenschaften! Ich glaube nicht, dass er ein psychisches Problem hat, und wenn ja, ist ihm nicht damit geholfen, da stark drauf einzugehen. Ich würde das einfach ganz locker nehmen und mich über den intelligenten Patienten/Kunden freuen. Intelligente Leute können anstrengend sein, aber es macht Spaß, mit ihnen zusammen zu arbeiten und man entwickelt sich dadurch weiter. Man wird gefordert. Das ist meine Erfahrung, in einem anderen Beruf.