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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fremdfinanzierte Fortbildungen...



Hypnos
11.07.2010, 11:18
Ich oute mich...

Nach 10 Jahren Berufstätigkeit und eiserner Disziplin habe ich am vergangenen Wochenende mein Paradigma über Bord geworfen, und mich auf eine firmenfinanzierte Fortbildung eingelassen.

Bis dato habe ich ja artig meine Fortbildungen selbst bezahlt (oder eben vom AG), da ich stets die Meinung vertreten habe, daß man nunmal eben nicht auf der einen Seite ständig das marode Gesundheitssystem beklagen kann (incl. schlechter Bezahlung, mieser Finanzierung des Ganzen, etc., etc.), und andererseits durch die Nutzung eben solcher (fragwürdigen) Fortbildungsveranstaltungen u.a. auch die immensen Medikamentenkosten in D mitzuverursachen.

Als ich nun auf dieser Veranstaltung eintrudelte (der Ehren halber sei an dieser Stelle erwähnt, daß die Anreise und die Parkgebühr dann doch durch die Teilnehmer selbst zu finanzieren waren), - es war das teuerste Hotel in der 7.-grössten Stadt Deutschlands-, wurde ich von überaus freundlichen und gutaussehenden Damen empfangen, die in fast unerschöpflichen Worthülsen meine Anwesenheit lobten und priesen (ich wähnte mich zu dieser Zeit schon im Himmel (natürlich unter Umgehung des Fegefeuers)), und wurde in einen riesigen Konferenzraum geführt, in dem schon ziemlich genau 150 andere Kollegen den salbungsvollen Worten von Pharmazeuten des Unternehmens lauschten.
Mit dem Kopfmikro und dem Auftreten erinnerte mich der Dozent dann auch ein wenig an den berühmten Heizdeckenverkäufer auf ner Kaffeefahrt, allein das Fresspaket suchte ich vergebens. Meine Tischnachbarn, darauf hingewiesen, waren dann auch sehr erstaunt und meinten, daß sie das aus diesem Gesichtspunkt noch nie beleuchtet hätten, wohl aber meinen Eindruck bestätigen konnten.
Nun möchte ich nicht unfair sein. Im Laufe dieser 2-tägigen Veranstaltung wurde der behandelte Themenkomplex umfassend und nach dem neusten wissenschaftlichen Stand mehr oder weniger kurzweilig dargestellt allerdings mit sehr deutlichen Empfehlungen der Produkte des Veranstalters, (wenngleich die Gruppendynamik-Übungen mich durchaus an Morton Rhue's "The Wave" erinnerten)...
Hochgerechnet würde ich mal sagen, daß das veranstaltende Unternehmen sicherlich knapp 150.000 € für diese Veranstaltung hingeblättert hat. Und DA liegt auch mein eigentlicher Gewissenskonflikt. Mir ist es zutiefst zuwider, ein System zu unterstützen, was einen zugegebenen wissenschaftlichen Zweck erfüllt, welches aber unter anderem auch die Sozialkassen (über Umwege) immens belastet.
Ich habe diesbezüglich schon oft Streitgespräche mit Kollegen geführt, die dieses Verhalten als "völlig normal" bezeichneten oder mich als "Sozi" (MICH!!!!) mit einem verschobenen Sinn für Gerechtigkeit verunglimpften.
Tenor der meisten Kollegen: Wenn es das Angebot gibt, sollte man es auch nutzen - ansonsten nutzt es ein anderer...

Darum habe ich an diesen Thread mal eine Umfrage geknüpft, um ein Meinungsbild zu bekommen: wie steht Ihr zu firmenfinanzierten Fortbildungen?

Ich für meinen Teil werde wohl künftig wieder meine Fobi's selber bezahlen - alles andere hat für mich einen zu bitteren Beigeschmack.

Gruß,
Hypnos

dreamchaser
11.07.2010, 11:54
Ich selbst war einmal auf einem Schrittmacherkurs von St.Jude (nur ein Tag, Anreise selbst finanziert), und fand das so ganz gut. Der Firmenname stand nur auf dem Ordner, den wir mit dem Vortragsmaterial bekommen haben, ansonsten fand er keine Erwähnung. Und bei uns in der Klinik verbauen wir meistens Medtronic - aber soweit war ich zu der Zeit noch lange nicht. Da das nicht so aufdringlich war, hatte ich damals auch kein schlechtes Gewissen. War aber bisher die einzige Veranstaltung dieser Sorte. Ich würde prinzipiell wieder eine gesponsorte Fortbildung besuchen, aber nur nach genauem Abwägen.

pottmed
11.07.2010, 12:40
Ich weiß ja nicht was normal ist, aber ich kenne es vielfach, dass vor allem der Besuch von Kongressen durch Unternehmen finanziert wird.

Natürlich inkl. Entertaiment und Werbung. Wenn das nicht so wäre, sähe es auf den internationalen Kongressen wohl ganz schön leer aus :-nix

dreamchaser
11.07.2010, 12:54
Ich glaube, es geht Hypnos eher noch um die Fortbildungen, die komplett gesponsort werden, wobei er das Gefühl hat, gekauft worden zu sein (oder nicht??). Bei Kongressen zahlt man ja auch noch einen zumeist nicht gerade günstigen Teilnehmerbeitrag, ist also nur teilweise gesponsort - es gibt eine Industrieausstellung, aber die Pharmafirmen halten keine Vorträge über ihre Produkte.

pottmed
11.07.2010, 13:01
Ich glaube, es geht Hypnos eher noch um die Fortbildungen, die komplett gesponsort werden, wobei er das Gefühl hat, gekauft worden zu sein (oder nicht??). Bei Kongressen zahlt man ja auch noch einen zumeist nicht gerade günstigen Teilnehmerbeitrag, ist also nur teilweise gesponsort - es gibt eine Industrieausstellung, aber die Pharmafirmen halten keine Vorträge über ihre Produkte.

Bei den Kongresseinladungen die ich kenne wird alles gezahlt :-nix, auch der Beitrag.

dreamchaser
11.07.2010, 13:04
Ok, ich hab immer nur welche gesehen, wo man noch einiges zahlen muss. Ermässigungen gabs eben nur, wenn man Mitglied der jeweiligen Gesellschaft ist.

Hypnos
11.07.2010, 13:06
, wobei er das Gefühl hat, gekauft worden zu sein (oder nicht??).

MICH kann sich KEIN Pharmaunternehmen leisten:-))

Aber Du hast schon recht. Mir geht es um "Fortbildungen", die komplett (wohlmöglich noch mit Anreise) fremdfinanziert sind. Wie objektiv diese sind, kann sich ja jeder selbst überlegen.
Erstaunlicher Weise kam übrigens bei dieser Veranstaltung das "Arzneimittel-Telegramm" gar nicht gut weg, sondern wurde öffentlich als unseriös diskreditiert...:-oopss

dreamchaser
11.07.2010, 13:22
Erstaunlicher Weise kam übrigens bei dieser Veranstaltung das "Arzneimittel-Telegramm" gar nicht gut weg, sondern wurde öffentlich als unseriös diskreditiert...:-oopss

Seltsam, seltsam...die eigene Werbebroschüre war doch bestimmt viiiel seriöser!!!! :-))

Feuerblick
11.07.2010, 13:32
Die Frage ist doch immer, wieviel man sich bei solchen Veranstaltungen einreden lässt. Ich kann es prima mit meinem Gewissen vereinbaren, eine firmenfinanzierte Fortbildung zu besuchen, an Wissen (kritisch überprüft natürlich) mitzunehmen, was geboten wird und trotzdem Verschreibungen etc. so zu machen, wie ich es rein fachlich für geboten halte. :-)) Wobei ich nicht so wichtig und interessant für Pharmafirmen bin... Hotel etc. hat mir noch niemand gezahlt. Nur Futter und Werbegeschenke :-D

medmaster
11.07.2010, 13:39
Wie wärs mit einer Unterstützung von mezis... http://www.mezis.de/

sdae
11.07.2010, 14:28
Da muss man sich dann entscheiden was schlimmer ist: Binnen-I oder von Big Pharma geschmiert.

Hypnos
11.07.2010, 15:59
Die Frage ist doch immer, wieviel man sich bei solchen Veranstaltungen einreden lässt.

Das stimmt natürlich. Aber es gibt einen interessanten Artikel aus Deutschland

(Lieb K, Brandtönies S: A survey of German physicians in private practice about contacts with pharmaceutical sales representatives [Eine Befragung niedergelassener Fachärzte zum Umgang mit Pharmavertretern]. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(22): 392–8.)

, daß die Selbsteinschätzung, was das differenzierte Verordnen NACH einem solchen Besuch angeht, deutlich eingeschränkter ist, als wir es uns vorstellen - oder eben abstrahieren können.
Der zugegeben etwas einfache Argumentationspfad lautet ja daher auch: Die Unternehmen würden nicht einen solch immensen Aufwand betreiben, wenn es sich für sie nicht lohnen würde...

Zum Stöbern habe ich mal zwei (unseriöse:-))) Links mit angehängt...
http://www.der-arzneimittelbrief.de/_anfang/Artikel.aspx?J=2005&S=65
http://www.arznei-telegramm.de/html/2003_10/0310089_01.html

...und hier noch eine zweifelhaft seriösere Quelle:-)):
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=76323

Feuerblick
11.07.2010, 16:13
Naja, vielleicht isses bei uns etwas anders. Die großen Pharmafirmen, die immer schöne FoBis und ähnliches anbieten, sind in der Regel mit ihren Produkten sowieso marktbeherrschend, weil es keine Alternative/Generika gibt, die auch von den Krankenkassen finanziert werden.
Was Augentropfen etc. angeht verschreibe ich das, was bisher gute Erfahrungen für mich eingebracht hat. Da können mich die Firmen noch so oft zu Essen und Co. einladen. :-D

Thomas24
13.07.2010, 21:59
Och, ich wäre schon käuflich- nur leider will mich keiner kaufen *g*

heart
13.07.2010, 22:26
Ich brauche dringend eine Pharmanutt... äh, kritisch-intellektuelle und unabhängige PharmainformationspersonIn ... mein EKG-Lineal ist mittlerweile fast unleserlich, mein Zirkel unauffindbar und KOLLEGE B., DEM ICH VOR KURZEM MEINEN REFLEXHAMMER GELIEHEN HATTE, HAT DENSELBEN VERMUTLICH MITTLERWEILE NACH (*politischunkorrektmodusan*) POLEN... PFUI! :-( ;-)

HERR, SCHICK MIR EINE PHARMANU... ÄH, SIEHE OBEN, ICH BIN FAST ARBEITSUNFÄHIG! :-)

On topic: Kleinere gimmicks (s.o.) find ich okay. Aber ein zweitägiger von einem Pharmaunternehmen bezahlter Aufenthalt in einem Luxushotel würde bei mir ein echt ungutes Gefühl hinterlassen...

Hypnos
24.07.2010, 11:49
Ich bin, was obige Veranstaltung angeht, im Übrigen geläutert - weil, es war doch nicht kostenlos...

Gestern kam noch eine Knolle der Landeshauptstadt in meinen Briefkasten geflattert:-))

Ergo: weiße Weste - nur in Flensburg jetzt nicht mehr...:-P

Michael72
24.07.2010, 14:24
Ich bin, was obige Veranstaltung angeht, im Übrigen geläutert - weil, es war doch nicht kostenlos...

Gestern kam noch eine Knolle der Landeshauptstadt in meinen Briefkasten geflattert:-))

Ergo: weiße Weste - nur in Flensburg jetzt nicht mehr...:-P

Wow, es gibt Menschen, die sich, situationsbedingt, über ein Knöllchen freuen können. Das ist wirklich mal was Neues! :-)

Pherenike
24.07.2010, 18:05
Ich war neulich auf einer Fortbildung(sreihe), die auch von einer Pharmafirma gesponsort wurde und die ich aber als sehr gut empfunden habe. Es waren 3 Abende jeweils mit 3h und es gab leckeres Essen.
Die Referenten waren vorher bekannt und machten einen unabhängigen Eindruck. Die einzige Werbung waren der Kuli und Schreibblock mit Firmen - bzw. Produktaufdruck.

Zu dieser Fortbildung würde ich sofort wieder gehen. Das kann ich auch mit meinem Gewissen vereinbaren, aber ich bin ja auch Apothekerin und es ging um Rx-Artikel.

Worauf ich verzichten kann, ist wenn Fortbildungen offensichtlich produktbezogen sind, das ist dann Zeitvergeudung.