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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Tag2 - A154/B44 - neosexuelle Revolution



Unregistriert
25.08.2010, 17:38
Hallo Zusammen, Hallo liebes Medilearn Experten-Team,

direkt zur Sache:
bei Frage 44gruppe B (Gruppe A154) habt ihr als Lösung B angegeben...diese Variante hat mich etwas verwundert.
ich habe B als richtig empfunden und würde euch mal bitten, das unten angegebene kurz durchzulesen. Evtl. könnte das eure Antwort ändern?!

Herzliche Grüsse

Bergen Pak


warum ich denke, dass B richtig ist:

Doch die Neosexuelle Revolution eröffnet nicht nur neue Freiräume, sie installiert zugleich neue Zwänge. Nach Sigusch waren die Freiräume noch nie so groß und vielgestaltig. Das Paradoxe daran aber sei: Je brutaler der Turbo- und Casino-Kapitalismus ökonomische Sicherheit und soziale Gerechtigkeit beseitige, also Unfreiheiten produziere, desto größer würden die sexuellen und geschlechtlichen Freiräume. Offensichtlich bleibe den Mechanismen der Profitwirtschaft vollkommen äußerlich, was die Individuen tun, solange sie nur ihre sexuellen Orientierungen, ihre geschlechtlichen Verhaltensweisen, überhaupt ihre kleinen Lebenswelten pluralisierten. Vor allem Personen, die selbst nach den sexuellen Revolutionen des 20. Jahrhunderts als abnorm, krank, pervers und moralisch verkommen angesehen worden seien, profitierten von dieser Freistellung.



Sigusch interessiert sich bei der Analyse des neosexuellen Prozesses weniger für klassische empirische Daten zu Koitusfrequenzen usw. Er stellt vielmehr die Frage, wie Begehren und Leidenschaft umkodiert und wohin sie verschoben werden – in tote Objekte wie bei der Objektophilie, in alte oder in neuartige sexuelle Selbstbezüglichkeiten zum Beispiel, in öffentliche sexuelle Inszenierungen, in heimliche Internetsex-Süchtigkeiten, in nonsexuelle Thrills oder in aggressive Aktionen, sodass sich möglicherweise Gewaltformen neben die Sexualformen stellen oder sie kulturell ablösen, weil die intendierte Erregung, die dann nicht mehr sexuell genannt werden könnte, von größer werdenden Menschengruppen nicht mittels Libido und Verliebung, sondern mittels Destrudo und Hass erreicht wird.

Als ganz besonders einschneidend beurteilt Sigusch die öffentliche Präsenz von Asexuellen. Zum ersten Mal in der überschaubaren Geschichte dürften heute heterosexuelle Männer wie Frauen ihr anhaltendes Desinteresse an den sexuellen Lüsten öffentlich bekunden, ohne verlacht oder gar verachtet zu werden. Auf dem Höhepunkt des „sexuellen Zeitalters“ sei dieser Befreiungsschlag undenkbar gewesen.




Literaturverzeichnis:

Volkmar Sigusch: Die neosexuelle Revolution. Über gesellschaftliche Transformationen der Sexualität in den letzten Jahrzehnten. In: Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse. 52, 1192-1234, 1998
Volkmar Sigusch: The neosexual revolution. In: Archives of Sexual Behavior. 27, 331-359, 1998
Volkmar Sigusch: Vom König Sex zum Selfsex. Über gegenwärtige Transformationen der kulturellen Geschlechts- und Sexualformen. In: Christiane Schmerl, Stefanie Soine, Marlene Stein-Hilbers und Birgitta Wrede (Hg.): Sexuelle Szenen. Inszenierungen von Geschlecht und Sexualität in modernen Gesellschaften. Opladen 2000; S. 227-249
Volkmar Sigusch: Lean sexuality: On cultural transformations of sexuality and gender in recent decades. In: Sexuality & Culture. 5, 23-56, 2001 (Nachdruck in: Zeitschrift für Sexualforschung. 15, 120-141, 2002)
Volkmar Sigusch: Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion. Frankfurt/M., New York: Campus 2005 – ISBN 3-593-37724-1
Volkmar Sigusch: Was heißt Neosexualitäten? In: Andreas Hill, Peer Briken und Wolfgang Berner (Hg.): Lust–voller Schmerz. Sadomasochistische Perspektiven.

„Objektiv“ nennt Sigusch eine gesellschaftliche Installation, in der sich materiell-diskursive Kulturtechniken, Symbole, Lebenspraktiken, Wirtschafts- und Wissensformen auf eine Weise vernetzen, die eine historisch neuartige Konstruktion von Wirklichkeit entstehen lässt. Da sich diese Installationen, einmal etabliert, aus sich selbst heraus generierten, imponierten sie in eher alltagssoziologischer Betrachtung als Sachzwänge, denen nichts Wirksames entgegengesetzt werden könne, und in eher alltagspsychologischer und ethisch-rechtlicher Betrachtung erschienen sie als Normalität und Normativität, die einzig in der Lage seien, Ordnung, Ruhe und Sicherheit zu garantieren.

Unregistriert
25.08.2010, 17:41
Sag bloß du hast das eben gerade rausgesucht?

MEDI-LEARN
25.08.2010, 17:56
Alle übrigen Anworten werden nahezu wörtlich in "Medizinische Psychologie und Soziologie" von Hermann Faller und Hermann Lang aufgezählt, s. hier:
http://books.google.de/books?id=LTCRZrqZSAAC&pg=PA235&lpg=PA235&dq=hermann+lang+neosexuelle+revolution&source=bl&ots=at-9d4-Vc8&sig=wwVVG7tKHbMh3dFKbHIHKYmld4Q&hl=de&ei=Vid1TNStCczLswaY9rjqBQ&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CBYQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false

Sexualität als gesellschaftliche Befreiung von Zwängen und Einschränkungen ist eher den Blumenkindern der 60er Jahren zuzuordnen...

Viele Grüße

Euer Medi-Learn Team

Sarah 260189
25.08.2010, 18:10
okay, das steht so im Faller&Lang (den ich nicht besitze und grade zum ersten Mal gelesen hab). Aber mal ehrlich: Das ist doch Unfug was da steht! Das hat sich irgendjemand mal ausgedacht, aber wo haben wir denn bitte heute wirklich eine "Ablösung von Sexualität und zwischenmenschlichen Kontakten"? Im Gegenteil, die ganzen Social Networks sprechen doch zumindest was die zwischenmenschlichen Kontakte betrifft total dagegen! Also was die Frage betrifft werde ich definitiv eine Kritik an das IMPP richten!

Danke aber ans Medilearn-Team für die Antwort. Aus dem Wikipedia-Artikel bin ich nämlich nicht schlau geworden! :)

Mbali
25.08.2010, 18:16
Ich denke mal es sind direkte zwischenmenschliche Kontakte gemeint.

Heutzutage gibt es einen Haufen Leute, die ohne jemals mit anderen Menschen zu reden ihre Sexualität ausleben (Pornos, StripShows im Netz,...)

Ohropax
27.08.2010, 09:48
Hallo,

ich hab mich bei dieser Frage für Antwort A entschieden. Der Grund dafür war die seltsame Formulierung des Satzes:

"Ablösung von Sexualität und direktem zwischenmenschlichen Kontakt."

Lösen sich die Menschen von Sexualität ab und von zwischenmenschlichem Kontakt?

Im Faller & Lang steht der Satz so formuliert.:

"Ablösung der Sexualität von zwischenmenschlichem Kontakt."

Für mich verschiebt sich in der IMPP Frage der Sinn des Lehrbuchsatzes.

Kann damit jemand was anfangen?

LG, Ohropax

Sarah 260189
28.08.2010, 11:06
hm, das sehe ich eigentlich auch so. "Ablösung von Sexualität" würde ja bedeuten, dass Sexualität nicht mehr so wichtig ist heutzutage. Das ist mit Sicherheit falsch (man schalte als Beweis um 17:00 Uhr taff ein :-) )

Okay, ich glaube, das macht auch diese (wohl be*** Frage ever) angreifbar. *freu*

Ohropax
28.08.2010, 17:24
Hallo Sarah,

da bin ich sehr froh, dass du meiner Meinung bist. Ich hab dein PDF auch schon gelesen und finde es wirklich super formuliert!!! Toll!!! Und danke, dass du die neosexuelle Revolution gleich mit aufgenommen hast. Ich werde mich jetzt dran setzen und ebenso eine Kritik schreiben.

Grüße, Ohropax.

wub28
28.08.2010, 17:48
HALT! In der neosexuellen Revolution ging es tatsächlich um die Ablösung von der Sexualität von zwischenmenschlichen Kontakten. Bevor also voreilige Schlüsse gezogen und schlecht begründete Einwände ans IMPP geschickt werden, noch einmal der Tip: Beschäftigt euch erst einmal wirklich mit der neosexuellen Revolution!

Es heißt im Faller und Lang tatsächlich:

"Sexualität wird entmystifiziert, gilt nicht mehr als Weg der gesellschaftlichen Befreiung. Sexuelle Leistungsanforderungen werden wieder zurückgenommen (die Hälfte der Befragten hat seltener als einmal pro Woche Geschlechtsverkehr). Werte wie Treue und Abstinenz gewinnen - auch unter dem Eindruck der AIDS Epidemie - wieder an Bedeutung. Beziehung wird wichtiger als Sexualität. [...] Weitere Merkmale dieser Transformation sind die Ablösung der Sexualität von zwischenmenschlichem Kontakt (z.B. Telefonsex) und die Verschiebung der Grenze zwischen normal und pathologisch [...]"

Das Falsche an dieser Frage ist also vielmehr die Formulierung, in der man die Ablösung von der Sexualität und von zwischenmenschlichen Kontakten inhaltlich voneinander trennt. Treue und Abstinenz, die in der neosexuellen Revolution an Bedeutung gewinnen, können dies meiner Meinung nach nicht OHNE zwischenmenschliche Kontakte, worunter man eben nicht immer ein Geschlechtsakt verstehen muss.

Wir Ohropax also richtig festgestellt hat, ist Antwortmöglichkeit A falsch aus dem Psychologiebuch übernommen worden und erfuhr daher einen Bedeutungswandel. Aus diesem Grund werde auch ich mich ans IMPP wenden und hoffe, dass sich noch andere dieser Sache annehmen, denn nur durch viele viele Einwände kann das IMPP vielleicht davon überzeugt werden, diese Frage aus der Wertung zu nehmen! Aber bitte Leute nicht mit FALSCHEN Begründungen!!!

Ohropax
28.08.2010, 19:08
Hallo wub,

gut dass du den Einwand noch einbringst, ich bin gerade dabei meine Kritik zu schreiben und habe genau darüber auch nachgedacht, ob nicht die Ablösung von der Sexualität richtig ist. Nachdem ich allerdings den sehr ausführlichen Text auf Wikipedia über die neosexuelle Revolution gelesen habe, würde ich nicht meinen dass tatsächlich eine Ablösung von Sexualität beschrieben wird. Das wäre definitiv zu eindimensional. Ich finde auch nicht, dass diese Aussage tatsächlich aus dem Lang Faller hervorgeht.

Dass Beziehung wichtiger wird als Sexualität heißt nicht, dass eine Ablösung von Sexualität stattfindet. Sexualität wird verlagert, so wie ich das verstehe.

Ich hoffe auch, dass sich hier noch mehr Leute zu diesem Thema äußern und werde auch noch bis morgen warten, bis ich den Brief ans impp abschicke. Eine falsche Argumentation wäre tatsächlich nicht förderlich.

Grüße, Ohropax.

Ohropax
28.08.2010, 19:41
Es gibt ein Buch von Volkmar Sigusch:

"Neosexualitäten: Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion"

Ist ganz interessant mal die Rezensionen auf amazon dazu zu lesen.

Hört sich gar nicht nach Ablösung von Sexualität an...

wub28
28.08.2010, 19:46
Also ich halte die Formulierung "Sexualität wird entmystifiziert" von Faller und Lang für sehr eindeutig. In der neosexuellen Revolution fand in der Tat ein Wandel der Sexualität statt. Man löste eben die Sexualität von zwischenmenschlichen Kontakten (anstattdessen werden Pornos geguckt, telefonhotlines in anspruch genommen...) und das ist der einzig angreifbare Punkt in dieser Aufgabenstellung bzw Antwortmöglichkeit.

Insofern habe ich mich heut nachmittag falsch ausgedrückt bzw mich zu sehr von Sarahs EIntrag leiten lassen. Man kann nicht damit argumentieren, dass keine ABlösung von der Sexualität stattfand, weil man schließlich nachmittags nur mal den Fernseher anmachen muss und es dann auf dem Tablett serviert bekommt. In der neosexuellen Revolution geht es aber um etwas anderes. Ich empfinde sie vielmehr als eine Kritik an dem Wandel der Bedeutung der Sexualität. Man löst die Sexualität von zwischenmenschlichen Kontakten und fängt eben an stattdessen Pornos zu gucken, narzisstische Motive rücken in den Vordergrund und die Gefühle oder Bedürfnisse des Partners rücken in den Hintergrund, unterschiedliche sexuelle Orientierungen werden akzeptiert (was nicht als negativ zu bewerten ist) usw usw. Niemand hat behauptet, dass Sexualität nicht mehr stattfindet, sie erfährt nur einen Wandel mit einem Tick ins negative.

Wir können jedenfalls im IMPP nicht damit auflaufen und die neosexuelle Revolution in Frage stellen, das würdet ihr meiner Meinung nach machen, so wie bisher argumentiert wurde. Daher äußert nur Kritik an der Formulierung! Durch die Zweiteilung der Antwort A ändert die ursprüngliche AUssage von Faller und Lang ihren Inhalt.

Ohropax
28.08.2010, 20:24
Also wub, ich verstehs irgendwie nicht. Wieso kann ich nicht damit argumentieren, dass es falsch ist zu sagen es findet eine Ablösung von Sexualität statt. Wo oder wodurch findet diese ABlösung denn statt?

Ohropax
28.08.2010, 20:27
Hier mal mein (vorläufiger) Text fürs impp:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit möchte ich Sie auf folgende Frage aus dem ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung Herbst 2010 aufmerksam machen:

Frage A154 bzw. B 44 zum Thema neosexuelle Revolution.

In Antwortmöglichkeit A dieser Frage heißt es:
„Ablösung von Sexualität und direktem zwischenmenschlichen Kontakt“

Laut dieser Aussage würde eine Ablösung von Sexualität stattfinden, sowie eine Ablösung von direktem zwischenmenschlichen Kontakt.

Dies meint nicht die im Lehrbuch „Medizinische Psychologie und Soziologie“ von Faller und Lang (2. Auflage) beschriebene Aussage von Sigusch zum Thema neosexuelle Revolution, laut der eine „... Ablösung der Sexualität von zwischenmenschlichem Kontakt (z.B. Telefonsex, Internetsex)...“ (Faller/Lang 2006, S. 235) stattfindet.

Demnach ist Antwortmöglichkeit A meines Erachtens als falsch zu bewerten,
ebenso wie Antwortmöglichkeit B, die sich mit der Aussage laut Sigusch im Lehrbuch deckt, in der es heißt
„Sexualität wird entmystifiziert, gilt nicht mehr als Weg der gesellschaftlichen Befreiung.“ (Faller/Lang 2006, S. 235).

Insofern ergeben sich für diese Frage in der ja eine Falschaussage zum Thema neosexuelle Revolution gesucht wurde, zwei richtige Antworten: A und B.


Mit freundlichen Grüßen

wub28
28.08.2010, 20:27
DOCH, argumentiere damit, aber füge den Einwand hinzu, dass lediglich eine ablösung der sexualität von zwischenmenschlichen Kontakten stattfand! Sie müssen sehen, dass wir der Meinung sind, dass die Formulierung irreführend war und so wie sie gestellt wurde auch falsch! :)

wub28
28.08.2010, 20:29
:-dafür JA genau so!


So und da sich hiermit allein zwei mit derselben Kritik und deckungsgleicher Argumentation an das IMPP wenden, MUSS die frage raus! ;)

Ohropax
28.08.2010, 20:37
Gut, danke, dann schick ich das so ab :-)

Sarah 260189
30.08.2010, 11:14
ich hab's auch so begründet, dass die Aussage durch die Umformulierung einem Bedeutungswandel unterzogen wurde. Das war auch meine ursprüngliche Intention. Mit dem Verweis auf's Fernsehen wollte ich nur unterstreichen, dass die dadurch entstandene Aussage eher nicht korrekt ist. Dass ich aber das Beispiel nicht für meine IMPP-Argumentation nutze, war jedenfalls mir klar. Sorry, falls das jemand auf ne "falsche Fährte" gebracht hat. Meine Argumentation könnt ihr auch im Thread "Fragen rügen" nachlesen, hab meine Kritik als pdf hochgeladen. Damit sollte das dann klar sein. :-)

Ich glaube im Übrigen ziemlich sicher, dass die Frage aus der Wertung fliegen dürfte. Und zwar genau wegen diesem Fehler. :-)