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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fieber zulassen?



cymbal
18.09.2010, 21:47
Ich arbeite in der Kinderheilkunde, und schon lange ist mir das zwanghafte Fiebersenken ein Dorn im Auge. Kaum hat das Kind (HWI; Pneumonie, was auch immer...) die 38° überschritten, rennt die Schwester mit dem Nurofen. Auch die Eltern, die ich in der Ambulanz treffe senken meist sehr früh das Fieber, oft auch unabhängig vom Allgemeinzustand.

Jetzt bin ich durch diesen Artikel wieder auf das Thema gekommen:
http://news.doccheck.com/de/article/201084-fieber-finger-weg-vom-thermostat/?utm_source=DC-Newsletter&utm_medium=E-Mail&utm_campaign=Newsletter-DE-Arzt%20%284x%2FWoche%29-2010-09-07&mailing=34828&dc_user_id=ihym0a2r&cide=dce102115&t1=1283951920&t2=b3b47640671f64e83a95bf8cafee86ba24ed1367

Was habt ihr denn dazu für eine Meinung, bzw. wie wird das bei Euch gehandhabt? Und wie ist es in der Erwachsenenmedizin üblich? Wie macht ihr es bei Euren eigenen Kindern?

(Möchte noch kurz klarstellen, dass ich weit weg von jeglicher Heilpraktiker oder sonstewas Ideologie bin...)

lg cymbal

Sander
18.09.2010, 22:48
Da Fieber bei Infektionen ja grundsätzlich physiologisch ist und erst bei sehr hohen Temperaturen den eigenen Organsismus schädigen, habe ich als "cut-off"-Wert 40°C. Darunter gebe ich nur fiebersenkende Medis, wenn der Patient unter dem Fieber sehr unruhig und desorientiert ist.

Kackbratze
18.09.2010, 23:23
Es gibt Zustände, da ist Fieber normal, z.B. nach Fremdkörperimplantation (Aortenstent!), da wird frühzeitig gesenkt.

Bei fragl. Infektsituationen, auch beg. Wundinfekte, halte ich mich mit Fiebersenkung zurück um nicht ein wegweisendes Symptom zu kaschieren.
Lieber bei unklarem Fieber die Fokussuche durchführen, als mit PCM oder Ibu zu warten bis man wieder in den OP muss.

Aber sowas ist wirklich individuell (sogar von Arzt zu Arzt) und absolut Erfahrungsabhängig.

McBeal
19.09.2010, 11:27
Bei uns in der Klinik (auch Pädiatrie) wird bei "normalen" Patienten (d.h., keine Krampfanamnese) Antipyrese ab 39,0 °C verabreicht und so handhaben und empfehlen wir es auch in der Ambulanz. Unter 38,5 °C ist ja noch nicht mal Fieber, sondern nur erhöhte Temperatur (die Eltern schauen mich manchmal richtig böse an, wenn ich das erkläre). Kinder fiebern ja einfach viel schneller hoch als Erwachsene und Fieber ist ja auch einfach eine sinnvolle Abwehrmaßnahme, die man dem Körper eben in Maßen auch gönnen sollte. :-)

LG
Ally

Vesticochlea
19.09.2010, 15:42
Bei uns in der Klinik wird sogar erst ab 39,5°C gesenkt. Ich persönlich gebe aber auch lieber ab 39°C schon was, natürlich unter der Voraussetzung, dass das Kind auch beeinträchtigt ist. Gibt ja auch Kinder, die mit 39°C noch recht fit sind. Wird also meistens von Fall zu Fall entschieden. Die Krampfanamnese spielt da bei uns übrigens eher eine untergeordnete Rolle.

Sebastian1
19.09.2010, 17:45
In der operativen (Erwachsenen)medizin wird ja gern auch zB Novalgin als postoperative Basisschmerztherapie verwandt, gern auch mal 4*1g und nicht nur als BEdarf - da ist der antipyretische Effekt ja auch eine Mit-Wirkung, die so eigentlich erstmal gar nicht beabsichtig war. Kann natürlich mal was kaschieren.

WackenDoc
19.09.2010, 20:50
So ganz überzeugt haben mich die Studien in dem Bericht jetzt nicht wirklich.
Und die Zuschriften dazu sind ja ein ordentliches Sammelsurium wo auch gerne mal was durcheinandergeworfen wird.

Antipyretische Therapie hat nun mal nix mit Antibiose zu tun.
Und warum ist Antipyrese mit Wadenwickeln gut und mit Novalgin/PCM etc. schlecht?

Ich geb meinen Atemwegsinfekt/fieberhafter Infekt-Patienten ganz gerne mal PCM mit- auch wenn die kein so hohes Fieber haben. Zumindest hilft es ganz gut gegen Kopf- und Gliederschmerzen und die Patienten fühlen sich insgesamt besser.
Konnte bisher noch nicht beobachten, dass es den Heilungsverlauf behindert.
Mit Antibiose bin ich bei so was eh zurückhaltend und komm in ca. 85% der Fälle ohne aus.
Labor brauch ich bei denen auch nur in den seltensten Fällen.

Bei stationären Patienten senken wir in der Regel ab 38,5°- wobei wir da auch gerne mehr Flüssigkeit geben- alleine das senkt die Temperatur oft schon.

Wenn ich so gar nicht weiss, was die Ursache eines Fiebers sein könnte, warte ich auch schon mal ab, wie es sich entwickelt- genau das gibt ja hin und wieder schon mal nen Hinweis darauf, was es sein könnte.

Bei Erwachsenen habe ich allerdings beobachtet, dass die in der Regel durch das Fieber ne ordentliche AZ-Verschlechterung haben und ich bin kein Freund davon, Patienten unnötig leiden zu lassen. Allein mal nachts durchschlafen zu können ist für viele schon eine Erleichterung.

WalterSobchak
20.09.2010, 15:57
Hmm... Fieber und Therapie ja/nein ist ja momentan offensichtlich viel diskutiert.

Ich persönlich finde, dass im KH eine adäquate Antipyrese ab 38,5°C sinnvoll ist, auch unter dem Gesichtspunkt der insgesamten AZ-Besserung bei Entfieberung.
Häufig kommen die Eltern und meinen, ihr Kind würde ihnen keine Nahrung und nichts zu trinken mehr abnehmen; sobald die Temperatur runter ist, fangen die Kleinen auch wieder an, zumindest zu trinken.
Zudem - wenn sich die Kinder besser fühlen, sind sie irgendwie auch "complianter" was Therapien, sprich Inhalationen etc. anbelangt.

Bei uns wird ab 38,5°C was gegeben.
Find ich persönlich auch gut, einfach auch, damit man nen Standard hat.

Bei seinem eigenen Kind kann man das Ganze sicher etwas lockerer sehen und bei Fieber einfach erstmal warten, regelmäßig messen und gucken, was passiert.

Aber nichts fände ich schlimmer, als dass ein Kind unter stationären Bedingungen seinen ersten Fieberkrampf mit 39°C durchmacht, da es nichts gekriegt hat, weil "es ja noch munter war" :-meinung

Probatorische Antipyretikagabe ab 38°C bei Fieberkrampf in der Anamnese soll ja angeblich auch nichts bringen (also nicht weniger Fieberkrämpfe), wird jedoch an allen Häusern, die ich kenne so gemacht...

Doc Oli
25.09.2010, 00:29
Hier muss man meiner Meinung nach je nach Auslöser differenzieren (Auch nach vorerkrankungen), immerhin ist Fieber nicht nur ein symptom sondern auch eine sinnvolle Abwehrreaktion des Körpers. Wobei man bei Kindern natürlich gerne etwas vorsichtiger Reagiert als bei einem Erwachsenen. Ab 39,5-40 sollte die Temperatur aber natürlich auf jedenfall gesenkt werden, versteht sich ja von selbst

Leelaacoo
26.09.2010, 20:06
Zumal die unreflektierte Antipyretikagabe auch eine Gefahr birgt...ich bin großer Metamizol-Fan (Innere, nicht Päd), nehme es selbst und finde es vielen anderen peripheren Medis überlegen...aber: habe 2x eine Agranulozytose gesehen (allerdings nach i.v.-Gabe)...war nicht feierlich, bin seitdem deutlich vorsichtiger und wenn möglich oral. Die chirugische ITS, die uns häufiger Patienten zum Weaning zuverlegt läßt bei allen(!) einen Metamizol-Perfusor laufen...kommen die zu uns, kriegen sie erst mal keinen...und fiebern mit schöner Regelmäßigkeit nach ca. 6 Stunden auf (das Fieber hat sogar einen Namen bei uns, schweige mich darüber aber mal aus....). Wie sinnvoll das ist kann man sich ja herleiten.
Und ich senke nach Klinik. Alles andere scheint für mich ein subcortikaler reflex zu sein, weil die Schwester mal wieder "der Pat. hat 38,3°C, was soll ich machen?" ruft...anschauen, fragen, entscheiden...und Ursache suchen...:-meinung
Und aus persönlicher Erfahrung (Mutter Kinderärztin, niedergelassen) finde ich, dass die Nurofen-Hysterie ein wenig überhand nimmt...da rufen Eltern an und sagen, das Kind hätte seit 15 Minuten Fieber...38,1°C...ob sie ein Zäpchen geben sollen:-nix Wie hat die menschheit nur überlebt bisher???

LG Lee

Doc Oli
26.09.2010, 22:32
AUf jeden Fall sollte man bei Metamizol aber streng den Schaden (-} Agranulozytose, wie schon erwähnt)/Nutzen kalkulieren, es hat nämlich seinen Grund warum das in vielen Ländern keine zulassung hat. Zudem es ja nicht das einzige Mittel dieser art ist.