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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber



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Muriel
26.09.2010, 18:34
Ich bin zwar derzeit Gott sei Dank nicht davon betroffen, mir diesbezüglich Gedanken machen zu müssen, da ich aber über ehemalige Kollegen immer wieder Dinge höre Abläufe in der Klinik betreffend bzw. diese auch durch überwiesene Patienten mitbekomme, stellt sich mir doch die Frage, wie man sich geschickterweise verhält, wenn die Philosophie des Arbeitgebers/die empfohlenen Therapien etc. nicht mit der eigenen Meinung in Einklang zu bringen sind.
Beispiel:
Ich stehe, wie ja schon des öfteren wohl zu lesen war, der refraktiven Chirurgie sehr kritisch gegenüber. Wenn mich ein Patient dazu befragte an meiner alten Kliniksstelle, habe ich zwar mitnichten ein "Tun Sie's nicht" herausgeschrieen, aber meine Bedenken doch sehr zum Ausdruck gebracht. Da wir dies zu der Zeit als Klinik nicht anboten, war das ja auch völlig problemlos. Kurz bevor ich dort wegging, schaffte sich mein alter Chef einen Excimerlaser an, um ins refraktive Geschäft einzusteigen. Den Patienten meine eher negative Einstellung dazu mitzuteilen, hatte ab dem Zeitpunkt also auch eine gewisse geschäftsschädigende Wirkung meinem Arbeitgeber gegenüber, was es für mich schwierig machte, eine vernünftige Basis zu finden, solch ein Aufklärungsgespräch zu führen.
Dies mag noch harmlos sein, aber es gibt ja immer wieder Situationen, in denen Patienten von höherer Stelle z.B. zu einer OP geraten wird, deren Indikation man selber so nicht oder zumindest nicht so zwingend sieht oder wo man weiß, dass der zur Verfügung stehende Operateur besser nicht operieren sollte. Was sagt/macht man da? Heikle Situationen musste ich glücklicherweise nie bestehen, aber auch jetzt kommen teilweise von uns überwiesene Patienten nach der Kliniksvorstellung wieder, wo ich mich frage, was die da gemacht haben. In der Praxis habe ich es ja noch in der Hand, den Patienten zu leiten, aber die Kollegen in der Klinik stehen deutlich dümmer da. Welcher Assistent maßt sich schon an, erst Recht, wenn der nicht am Ende der Weiterbildung steht, OA oder Chef zu widersprechen, auch wenn er weiß/meint, dass das Wohl des Patienten womöglich dies erforderte.

Wie geht Ihr mit diesen Situationen um?

Kackbratze
26.09.2010, 19:22
Da es um eine ganze "Art" der operativen Maßnahme geht, ist das ganze schwierig zu beurteilen.

Gewissen OP-Indikationen stehe ich auch skeptisch gegenüber, die diskutiere ich dann aber mit dem zuständigen OA bzw. CA um den genauen Weg der Indikationsstellung zu verstehen, bzw. wenn es eine eminenzbasierte Entscheidung ist, muss ich mich dem (leider) beugen, aber ich wehre mich trotzdem mit Händen und Füssen um zumindest meinen Standpunkt klar zu machen.

Ich persönlich würde in einer Klinik, die ein gesamtes Verfahren, welches meinen Überzeugungen entgegen steht, nicht arbeiten wollen.
Aber um ehrlich zu bleiben, ich befinde mich glücklicherweise nicht in so einer Situation.
Hypothetisch gesehen würde ich die Klinik verlassen.

Sebastian1
26.09.2010, 19:30
Das ist die ehrlichste Art, damit umzugehen, Bratze.
Dummerweise wird es oft genug Situationen geben, die nicht so schwarzweiss sind (ansonsten super Arbeitsstelle, nur mit dieser Indikationsstellung Probleme) oder einfach durch Ortsbindung nicht so ohne weiteres einen Stellenwechsel zulassen (nicht überall ist man in der Großstadt und kann sich seine Stelle quasi frei wählen).

Finde ich Übrigens manchmal (selten zum Glück) auf der anderen Seite des Tuches auch schwierig, damit konfrontiert zu sein. Es steht mir nicht zu, eine Indikationsstellung oder eine Methode zu kritisieren, das ist nicht meine Aufgabe und nicht mein Fachgebiet. Aber natürlich ist es schon so, dass man sich seinen Teil denkt, und manchmal beinhaltet dieser Teil, dass man eben nicht hinter dieser Methode steht. Macht man dann aber nicht wirklich was dran.

Fino
26.09.2010, 19:48
Sehr schwierig. Ich war frueher viel eher bereit Fragen zu stellen oder nach Evidenz zu fragen. Bis ich an einer Stelle an eine Gruppe von Leuten geriet, fuer die das Haeresie pur war. Anstatt aber dann zu sagen, dass ich Fragen stelle und nach Evidenzen schauen wuerde, hiess es dann in meinem Zeugnis, dass ich "schwierig" sei und meine Kollegen "nicht respektiere und sie unterminiere"...
Mir konnte zwar kein Mensch schildern, wann ich mich derart aufgefuehrt haben soll, aber der Schaden war angerichtet und ich hatte ihn!

Seitdem halte ich die Klappe. Egal wie sehr von flachen Hierarchien und dem Wohl des Patienten als hoechstes Gut geredet wird, dem ist nicht so und Du geraetst in Teufels Kueche, wenn Du aufmuckst. Ach ja, dem Patienten nutzt Deine Ehrlichkeit auch nichts, denn Deine Vorgesetzten ziehen sowieso ihr Ding durch.
Ich habe mir vorgenommen, moeglichst reibungslos durch die Weiterbildung zu kommen und nur noch dann was zu sagen, wenn eine Entscheidung akut das Leben des Patienten gefaehrdet.

Wenn ich dann fertig bin, kann ich praktizieren, wie ich es fuer richtig halte.

Traurig, aber wahr.:-keks

stennadolny
26.09.2010, 20:34
Bis ich an einer Stelle an eine Gruppe von Leuten geriet, fuer die das Haeresie pur war. Anstatt aber dann zu sagen, dass ich Fragen stelle und nach Evidenzen schauen wuerde, hiess es dann in meinem Zeugnis, dass ich "schwierig" sei und meine Kollegen "nicht respektiere und sie unterminiere"...
Mir konnte zwar kein Mensch schildern, wann ich mich derart aufgefuehrt haben soll, aber der Schaden war angerichtet und ich hatte ihn!

Seit dem halte ich die Klappe. Egal wie sehr von flachen Hierarchien und dem Wohl des Patienten als hoechstes Gut geredet wird, dem ist nicht so und Du geraetst in Teufels Kueche, wenn Du aufmuckst. Ach ja, dem Patienten nutzt Deine Ehrlichkeit auch nichts, denn Deine Vorgesetzten ziehen sowieso ihr Ding durch.
Ich habe mir vorgenommen, moeglichst reibungslos durch die Weiterbildung zu kommen und nur noch dann was zu sagen, wenn eine Entscheidung akut das Leben des Patienten gefaehrdet.

Wenn ich dann fertig bin, kann ich praktizieren, wie ich es fuer richtig halte.

Traurig, aber wahr.:-keks

Hängt damit zusammen, daß klinische Medizin in Deutschland weitgehend mit primitiven Stammesstrukturen vergleichbarer ist als mit "1.Welt". Habe mal mit einem Medizinrechtler und Rechtsmedizinern gesprochen und die meinten, daß Schadensprozesse gegen Kliniken und Mediziner häufig deshalb so einfach zu gewinnen wären, weil man schlicht - abgesehen von den üblichen Dokumentations"fehlern" und Aufklärungstrotteleien - Küchenmedizin à la Omi betreibt. "Sei hier so üblich". Und ? Interessiert`s die Gutachter und Richter, was "HIER üblich sei" ? Eher weniger....

Allerdings muß man sich in Arbeitszeugnissen wirklich nicht alles gefallen lassen- Arbeitsrechtler genügt und die Sache ist im Zeugnis draußen.

Ditto Ärztekammer: Gerade mit einer entsprechend gezimmerten Beschwerde über die WB gerät der jeweilige Chefarzt in Zugzwang, muß sich jedenfalls schriftlich gegenüber der ÄK äußern, was schon allein eine Superbeleidigung darstellt.

In der Psychiatrie wird die ganze Sache noch häufig durch groteske Anwendung von Freiheitsentziehungen getoppt, die jeder Vierteljurist als absurd erkennt: Viel zu späte Anhörungen, teils überhaupt fehlende Rechtsgrundlage für eine Unterbringung, völlig unzulässige ärztliche/polizeiliche Zeugnisse und Dokumentation.

Ein Richter meinte mal (gilt für Bayern): Die GUT anwaltlich bestrittene Unterbringung (warum auch immer) durch einen Nicht-Facharzt dürfte praktisch immer auf höher instanzlicher Ebene kassiert werden. Passiert nur leider zu wenig oft. Und trägt bei Gesetzgeber auch nicht zur Änderung der Gesetzeslage bei.

Da kann man schon Aussagen hören wie: Telephonische Anweisungen des Hintergrunds einem Assi gegenüber im Vordergrunddienst sind bei Unterbringungen bindend, ohne daß der Hintergrund den Klienten persönlich jemals zu Gesicht bekommen hat.

Ersa
26.09.2010, 20:39
In solchen Situationen betone ich für den Patienten bzw. in meinem Fall die Eltern, dass es natürlich immer ihre Entscheidung ist und sie sich gern eine zweite Meinung holen können, wenn sie irgendwie unsicher sind.

Muriel
26.09.2010, 20:45
Hängt damit zusammen, daß klinische Medizin in Deutschland weitgehend mit primitiven Stammesstrukturen vergleichbarer ist

Fino arbeitet in Großbritannien...

@Ersa: Ja, manchmal ist es wahrscheinlich am geschicktesten, etwas durch die Blume zu sagen.

Leelaacoo
26.09.2010, 20:46
Ich verstehe die Problematik schon...nur ist es oft eben keine kontraindizierte Therapie, die mir Unmut bereitet, sondern eine Therapie, die ich PERSÖNLICH für den jeweiligen Patienten nicht für indiziert halte...bestes Beispiel demletzt: Privatpatient, 78 Jahre, schlechter AZ, beginnende Demenz, Lymphom...kriegt ne Hochdosis, wobei er schon in der Vorphase in eine intensivpflichtige Sepsis rutscht...nach Überstehen derselben plant man brav weiter die Hochdosis mit Mobilisierung...Patient inzwischen total durch...
Wenn man nach meiner Meinung gefragt hätte..ich hätte abgeraten...ein paar Monate mit ner palliativen Therapie zu Hause hätte ich ihm eher gegönnt...aber man hat nicht gefragt und ich würde den Teufel tun, mich in die CA-OA-Entscheidungsfindung einzumischen..bin eben Assi und auch keine Kompetenz darin...aber das blöde Gefühl bleibt doch...
Oder auf ITS, absolut hoffnungslose Fälle, fünfte Antibiose, seit Wochen nicht zu weanen, desolate Prognose und 2 Seiten an Vorerkrankungen...und dann aber doch den einen oder anderen Eingriff...:-nix Bin inzwischen desillusioniert.

LG Lee

Kackbratze
26.09.2010, 22:55
Hmm. Das tut schon beim lesen weh.

Da bin ich echt in einer "guten" Klinik gelandet, dass solche Fälle entweder direkt interdisziplinär oder tatsächlich mit gesundem Menschenverstand (zumindest chirurgisch) behandelt werden.
Das treibt einem ja fast die Tränen in die Augen.

Wenn bei uns ein Patient nicht die entsprechende Gesundheit ausweist, wird er, natürlich in Absprache mit dem Patienten, Tumor- und ASA-gerecht behandelt.

John Silver
26.09.2010, 23:38
Ob es lohnt, etwas zu sagen, hängt hauptsächlich davon ab, wie der jeweilige Vorgesetzte drauf ist. Es gibt welche, mit denen man diskutieren kann, weil sie nicht beleidigt sind, wenn man ihre Entscheidung hinterfragt. Natürlich sollte man es mit Fingerspitzengefühl machen. Wenn man es zu plump macht, reagiert jeder OA oder CA negativ - ist ja auch beim Unterschied in klinischer Erfahrung durchaus verständlich. Aber wenn man es höflich macht und dabei vernünftige Argumente anbringt, funktioniert es ganz gut. Leider trifft man immer wieder Exemplare, die einerseits stets den großen fehlerfreien Macker markieren wollen, andererseits aber wissen, dass sie dafür nicht genug Autorität besitzen. Mit diesen Menschen kann man nicht reden, weil sie jedes Wort, das auch nur ansatzweise nach Kritik oder Hinterfragen klingt, als eine persönliche Beleidigung aufnehmen und entsprechend reagieren. Bei solchen Zeitgenossen ist es besser, die Klappe zu halten, weil man ansonsten nur sich selbst schadet und keinem hilft.
Ich meine, seien wir doch mal ehrlich: die meisten Kollegen, mit denen man es zu tun hat, sind nur eingeschränkt oder gar nicht kritikfähig. Da braucht man nicht in die Ferne zu schweifen, es lohnt schon, in den Spiegel zu schauen. Kritikfähigkeit zeigt sich nicht dann, wenn man von einem Vorgesetzten kritisiert wird. Da zeigen sich die meisten "kritikfähig", weil der Vorgesetzte einfach am längeren Hebel sitzt und der Kritik entsprechend Nachdruck verleihen kann. Wahre Kritikfähigkeit zeigt sich erst dann, wenn man von Gleichgestellten oder sogar Untergeordneten kritisiert wird (ich meine vernünftige konstruktive Kritik). Da reagieren die meisten Leute, die ich kenne, eher ablehnend, eher getreu dem Motto "Was kann der/die mir schon erzählen?". Wenn man aus den hier diskutierten Situationen eine Lehre ziehen sollte, dann die, dass man höllisch aufpassen muss, sonst wacht man eines schönen Tages auf und macht genau das, was man bei anderen kritisiert.

Evil
27.09.2010, 19:11
Diesbezüglich habe ich derzeit gottseidank keine Probleme, weil meine aktuellen Vorgesetzten eigentlich immer sehr vernünftige Therapieentscheidungen treffen.

Allerdings haben wir zusätzlich eine Onko im Hause mit einem eigenständigen Chef, dessen Entscheidungen ich manchmal nicht so toll finde.

bestes Beispiel demletzt: Privatpatient, 78 Jahre, schlechter AZ, beginnende Demenz, Lymphom...kriegt ne Hochdosis
Sowas kommt bei uns auch immer mal wieder vor, allerdings lehnen solche Patienten dann die Chemo meist doch ab... weil ich derjenige bin, der die Aufklärung macht.
Und neulich haben sich die Onkos tatsächlich über mich beschwert, weil ich einen Palliativpatienten im Dienst nicht reanimiert habe (Non-Hodgkin, Aortenstenose, Diabetiker, Nierenversagen, 76 Jahre alt,...).

Relaxometrie
27.09.2010, 19:46
Und neulich haben sich die Onkos tatsächlich über mich beschwert, weil ich einen Palliativpatienten im Dienst nicht reanimiert habe (Non-Hodgkin, Aortenstenose, Diabetiker, Nierenversagen, 76 Jahre alt,...).
Stand denn DNR oder Entsprechendes in der Kurve, oder gab es eine Patientenverfügung?

Evil
27.09.2010, 19:52
Weder noch. Aber 1. kannte ich den Patienten und 2. brauchen wir über die Erfolgsaussichten einer Rea in dieser Situation, bzw. die Prognose selbst bei primär erfolgreicher Rea nicht zu diskutieren, oder?

Kackbratze
27.09.2010, 20:00
Manchmal ist es schon krass, wie sehr Realität und Arztwille auseinanderreichen.

Relaxometrie
27.09.2010, 20:22
Aber 1. kannte ich den Patienten
Ich bin fern davon, jeden Patienten zwanghaft am Leben halten zu wollen. Aber "ich kannte den Patienten" kann ganz furchtbar in die Hose gehen, wenn man bei fehlender Patientenverfügung keine Rückendeckung durch die Oberärzte/den Chefarzt hat, und man die Meinung der Hinterbliebenen nicht wirklich sicher einschätzen kann.


über die Erfolgsaussichten einer Rea in dieser Situation, bzw. die Prognose selbst bei primär erfolgreicher Rea nicht zu diskutieren, oder?
Das kann ich mangels Berufserfahrung im internistischen Bereich nicht kompetent einschätzen. Selbstverständlich ist mir klar, daß eine erfolgreiche Reanimation im vorliegenden Fall nur zu einer kurzen weiteren Lebensdauer geführt hätte. Aber es gibt Fälle, da hätte ich Dir sofort zugestimmt, daß eine Reanimation nicht sinnvoll gewesen wäre. Dieser Fall gehört nicht dazu.
Wie sehen die internistisch Erfahrenen das?

stennadolny
27.09.2010, 21:02
Nun, die triste Outcome-Situation nach (erfolgreicher) Wiederbelebung+Intensiv ab etwa 80 (selbst OHNE nennenswerte Grunderkrankungen außer: Alter) sollte eigentlich in der Zwischenzeit Gemeingut sein.

Ob irgendwelche Oberen Zehntausend hinter einem stehen oder nicht, ist weitgehend egal: Meist sind die Anverwandten sogar vernünftiger als der Chefarzt; sollte es mal ernsthafte Diskussionen geben (etwa bei nichterfolgter Wiederbelebung einer 90jährigen Pat. in der Gerontopsychiatrie, die zuvor noch einigermaßen rüstig gewesen war bis auf einen "nihilistischen Wahn" vulgo schwere Altersdepression....), kann man gerne anbieten, die Staatsanwaltschaft selbst einzuschalten. :-D

Man wird Chef- und OÄ erbleichen sehen und der Fall ist geritzt.

Mit einem Non-Hodgkin und Nierenversagen braucht man nicht zu diskutieren- und gerade die Onkos sind die Allerletzten, die sich aufregen sollen. Wen die mit ihren Chemos und hochaggressiven multimodalen Therapien gerade in jungen Jahren ins Grab schießen (von den Geronto-Onkos garnicht zu reden), ist auch nicht von Pappe.

Bei Tumoren mit ohnehin übler Prognose (etwa einem Nasopharynxkarzinom) werden die Leutchens auch noch nach Strich und Faden radiochemotherapiert bis die Niere versagt und dann bricht man plötzlich ab, weil man kalte Füße bekommt. Bei einem ehemaligen Spitzensportler, dem keiner sagt, daß die Wahrscheinlichekit für eine Heilung praktisch Null ist.

Rico
27.09.2010, 23:02
Das kann ich mangels Berufserfahrung im internistischen Bereich nicht kompetent einschätzen. Selbstverständlich ist mir klar, daß eine erfolgreiche Reanimation im vorliegenden Fall nur zu einer kurzen weiteren Lebensdauer geführt hätte. Aber es gibt Fälle, da hätte ich Dir sofort zugestimmt, daß eine Reanimation nicht sinnvoll gewesen wäre. Dieser Fall gehört nicht dazu.
Wie sehen die internistisch Erfahrenen das?Ne höhergradige Aortenstenose reanimieren ist quasi aussichtslos, hab da noch nie eine wiedergekriegt, da ist es ganz schwer, einen suffizinten Druck hinzubekommen :-nix
Und ANV schon vor Rea ist natürlich auch suboptimal, die Grunderkrankung sowieso. V.a. wenn der Patient schon als "pallitiv" geführt wird, dann hätt ich den vermutlich auch nicht mehr reanimiert, was sollte das Ziel der Rea denn da sein? Fortführung der sterbebegleitenden Maßnahmen?
In der Praxis hätte ich wahrscheinlich mal angefangen bis ich ein Bild der Lage hab und dann wohl rasch aufgehört. :-meinung

Relaxometrie
27.09.2010, 23:59
Danke für Deine Einschätzung, Rico.
In Evils Fall stand allerdings nicht, wieviel-gradig die Aortenstenose war. Und 76 Jahre ist für einen internistischen Patieten ja auch nicht uralt. Mir erschien der Fall nicht so glasklar, wie beispielsweise ein viel älterer Patient, der schon lange dement ist und außerdem noch eine Vielzahl an Nebenerkrankungen hat.

Wenn der Patient palliativ geführt wird und sich alle (Patient, Angehörige, Chef) einig sind, daß "nur" palliativ behandelt wird, ist es natürlich optimal, und das halte ich auch für das menschenwürdigste.
Trotzdem muß man vermeiden, sich als "Gott und Entscheider über lebenswert/nicht mehr lebenswert" angreif- und anklagbar zu machen. Deswegen würde ich auch gegen meine innere Überzeugung lieber einmal zu viel, als zu wenig reanimieren.

Sebastian1
28.09.2010, 11:33
Prinzipell schon, grade wenn man diensthabender für mehrere Bereiche oder Rea-Dienst ist und auf Fremdstationen zugerufen wird. Aber da würd ich es wie Rico halten: anfangen, Überblick verschaffen über Erkrankungssituation/Grunderkrankungen, DNR? (ja, es gibt Leute, die trotz vorher besprochenem DNR den Reafunk auslösen), Patientenverfügung, Angehörige?
Bei der Situation, wie Evil sie beschrieben hat - ich denke Mal, ich hätte es ebenso getan.

Evil
28.09.2010, 18:18
Trotzdem muß man vermeiden, sich als "Gott und Entscheider über lebenswert/nicht mehr lebenswert" angreif- und anklagbar zu machen.
Das hat damit rein gar nix zu tun. Wenn ein Patient von einer Behandlung nicht profitiert im Sinne von Erfolgsaussichten oder Outcome, dann ist diese nicht indiziert. Und es ist Patienten auch mal erlaubt zu sterben.

In der Situation war es so, dass der Patient aufgrund des Nierenversagens kardial dekompensiert war und Pleuraergüsse bis zur Unterlippe hatte. Damit er besser schnaufen konnte, hab ich einseitig punktiert (rein serös, ohne Blutbeimengung), was ihm auch Erleichterung verschaffte. Und dann fiel er mir auf einmal mit einem Lächeln primär asystol in die Arme.