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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Kostaufbau bei Bäuchen



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Lava
07.01.2011, 16:54
Kann mir jemand sagen, wo ich so eine Art Leitfaden für den Kostaufbau nach Bauch-OPs finde? Ab nächster Woche muss ich mich auf der Wachstation selbst um sowas kümmern und ich hab als Traumatologe ja keine Ahnung von sowas. :-? Bei uns dürfen die natürlich sofort immer alles essen. :-nix

papiertiger
07.01.2011, 17:00
Nicht, dass ich jetzt von diesem Thema soviel Ahnung hätte, aber als grundsätzliche Idee: Bei uns gibt es für sowas interne Standards, die auch auf den damit betrauten Stationen in entsprechenden Ordnern zu finden sind - bei Euch vielleicht auch? Im Detail dürfte sich das sowieso von Haus zu Haus je nach dort verfolgter Lehrmeinung unterscheiden..

Lava
07.01.2011, 17:09
Es gibt nur einen Standard für Fast Track Patienten.

Sebastian1
08.01.2011, 00:56
Wobei ich finde, dass das eins der Dinge ist, die sich nicht gut in eine SOP pressen lassen, da es viel zu viele Ausnahmefälle und spezielle Situationen gibt. Im Zweifelsfall muss es meiner Meinung nach der Operateur entscheiden.

Lava
08.01.2011, 12:42
Tun sie ja auch. Bei der Visite ist eigentlich immer der Chef der Allgemeinchirurgen dabei uns sagt an, was der Patient darf. Aber ich hätte gerne mal so einen Leitfaden. Ich denke, dass es da auch Unterschiede gibt zwischen den OPs. Ob jemand ne anastomose hat oder ein Stoma und wenn ja, wo sich das befindet :-nix

mainzer
08.01.2011, 12:50
hi lava,

bei uns auf der ibst existiert so ein zettel...werd am montag mal danach ausschau halten und ihn posten...aber jedes kh hat da u.U. auch seine eigenheiten...

WackenDoc
08.01.2011, 13:05
@Lava: Was sagen denn eure Fachärzte zu dem Thema?
Bin zwar kein Chirurg, aber so wie ich das mitbekommen hab, hat da wirklich jedes Haus andere Vorgaben.

John Silver
08.01.2011, 20:50
Ich versuch's mal.

Generell gilt: keine unnötige Verzögerung des Kostaufbaus; wenn der Patient die nächste Stufe haben kann, dann auch die nächste Stufe geben.

1. Unkomplizierte Darmteilresektionen mit direkter Anastomosierung: Fast Track.

2. Tiefe Rektumresektionen mit vorgeschaltetem Stoma, Resektionen nach Hartmann: dito, ggf. auch schneller, da die Anastomose durch das Stoma geschützt ist bzw. keine vorhanden ist; erfahrungsgemäß aber dennoch wie Fast Track, weil die Leute postoperativ in den ersten 1-2 Tagen wenig Appetit durch die postoperative Darmatonie haben und nach Schnitzel am 1. Tag kotzen.

3. Bei gefährdeten Anastomosen (der Operateur muss es einschätzen und diese Einschätzung mitteilen) eher kein Fast Track, obwohl es hier wenig Evidenz gibt. Hier kann ich keine allgemeinen Empfehlungen geben, hier muss man von Fall zu Fall entscheiden.

4. Nach Ösophagus- oder Magenresektionen gibt es keine klare Evidenz. Meistens wird mindestens 3 Tage ausschließlich i.v. ernährt und dann ein Methylenblauversuch oder Breischluck gemacht, um eine Anastomoseninsuffizienz auszuschließen. Wenn das gut geht, wird in etwa Fast Track gemacht. (Cave: nach subtotalen und totalen Magenresektionen nehmen die Leute postoperativ schnell ab, deshalb täglich wiegen!).

Wenn der Kostaufbau nicht recht vorankommen will, was meistens durch Inappetenz und Übelkeit verursacht wird, kann man medikamentös eingreifen: Magnesium oral gehört sowieso dazu, MCP ist ein gutes Prokinetikum (aber kein Antiemetikum!), dann Prostigmin oder Distigmin, dann Erythromycin bei Magenatonie usw.

Wenn der Patient erbricht, dann macht man logischerweise keinen Kostaufbau, sondern erstmal i.v.-Ernährung und Antiemesis (Vomex, die ganzen blabla-setrone); wenn der Patient wenig erbricht, dann reicht das; wenn er viel erbricht, dann besser eine Magensonde legen (aber NICHT nach Ösophagus- oder Magenresektionen!). Mit der Magensonde verfährt jeder unterschiedlich, mein Tipp: auf Ablauf lassen, solange viel kommt und Übelkeit bleibt. Sobald der Patient keine Übelkeit mehr angibt, MS abklemmen und 2 Stunden abgeklemmt lassen, dabei den Patienten nüchtern lassen; nach 2 Stunden abklemmen und schauen, wieviel zurückläuft. Wenn es weniger als ca. 100-150 ml spontan sind, dann wieder abklemmen und trinken lassen; wenn der Patient das gut verträgt, MS ziehen und Kostaufbau. Aber das ist nur meine Methode, das will jeder anders.

Die Niere
09.01.2011, 10:05
John Silver hat schon einige gute Anmerkungen gegeben und das ist nur ein kleiner Teil einer Seite der Medallie, da es auf der einen Seite noch andere Faktoren gibt und auf der anderen Seite jeder Operateur / jedes Haus seine eigenen Regeln hat, deswegen ist ein Schema sehr, sehr schwierig.

Zum Beispiel kann nach einem Hartmann mit endständigem Stoma ohne eine Anastomose eigentlich sehr, sehr schnell voll gegessen werden. Dies ändert sich aber, wenn zum Beispiel eine ausgedehnte Adhäsiolyse durchgeführt werden musste oder der Patient davor im Ileus war, weil zum Beispiel ein stenosierender Tumor ätiologisch Schuld war. Dann würde ich langsam kostaufbau und nach Darmgeräuschen respektive Stomaförderung gehen. Sobald Passage vorhanden ist oder man gute Darmgeräusche hat, kann man sicher schnell kostaufbauen. Die Frage nach dem Appetit ist auch immer ein sehr guter Indikator.

Karenzzeiten bei Oesophagusresektionen kenn ich zum Beispiel bis zu 7 Tage, gemäss Silver wird es bei ihm nur 3 Tage sein - da sieht man wieder einen mehr als 100% grossen Unterscheid von Haus zu Haus.

gruesse, die niere

Lava
09.01.2011, 17:31
Vielen Dank, das hilft mir schonmal weiter. :-)

John Silver
09.01.2011, 17:39
Bei Ösophagusresektion halte ich 5 Tage Nahrungskarenz für angemessen, 7 bei gefährdeten Anastomosen. Ich kenne aber einen Oberarzt, der mit 3 Tagen zufrieden ist und schon danach den Methylenblau-Versuch macht. Wie gesagt, wenig Evidenz, Operateur entscheidet.

Zu Hartmannresektionen sagte ich, dass man auch schneller als Fast Track aufbauen kann - nach meiner Erfahrung vertragen aber nur die wenigsten Patienten am 2. postop. Tag ein Schnitzel. Man soll die Leute nicht hetzen.

Letztlich gilt im Zweifelsfall zweierlei:
1. Nie den Kostaufbau ohne Grund verzögern.
2. Im Zweifelsfall immer den Operateur entscheiden lassen.

Vinni
09.01.2011, 22:38
@ John Silver;

Hallo,

sie haben Erythromycin zu Darmmobilisation angegeben - bei uns wird dies auch relativ häufig gegeben. Wenn ich richtig informiert bin, dann handelt es sich bei diesem Med. doch um ein Antibiotikum, nicht wahr? Im Hinblick auf generell zunehmende Resistenzen, frage ich mich immer ob dies wirklich sein muss - was sagen Sie dazu? Und Paspertin hilft nicht gegen Übelkeit - generell oder nur bei Bauch-OP's nicht?



Zum Thema;

Gleich vorne weg: Ich bin bis jetzt "nur" Pfleger auf einer Chir. Wachstation... Ich möchte nur soviel sagen, dass ich anstelle des Arztes (soweit ich das überhaupt beurteilen kann) generell immer eher vorsichtig wäre und es lieber langsam angehen lassen würde - seit einiger Zeit scheint es (vielleicht im Rahmen der DRG-Politik) einen "Drang" zu geben, die Pat. schneller als bisher aufzubauen. Ich habe den Eindruck, dass es dadurch mehr "brechende" Pat. und mehr Komplikationen gibt als vorher.

...ansonsten hoffe ich jetzt nicht von den Medizinern nicht in der Luft zerissen zu werden :-bee

Asclepia
09.01.2011, 23:15
Bei Erythromycin kommt es auf die Dosierung an. Auch in unserer Klinik wird es öfter "für den Magen" verwendet.

Relaxometrie
10.01.2011, 00:23
seit einiger Zeit scheint es (vielleicht im Rahmen der DRG-Politik) einen "Drang" zu geben, die Pat. schneller als bisher aufzubauen
So kritisch ist das hektische Rumwurschteln an Patienten und die Behandlung ausschließlich der Hauptdiagnose (für eine aktuelle Nebendiagnose müssen die Patienten dann eben nochmal kommen, dann wird diese Nebendiagnose zur Hauptdiagnose umdeklariert und behandelt) sehe, so halte ich das Fast-Track-Konzept nicht für unsinnig. Ein längerer stationärer Aufenthalt birgt ja auch Risiken (nosokomiale Infektionen), und eine schnelle Mobilisierung ist auch besser, als die Patienten ewig im Bett zu belassen.

John Silver
10.01.2011, 00:40
Erythromycin ist ein Antibiotikum, das ist korrekt. Es wird als solches aber eigentlich kaum noch verwendet; die Verwendung ist Prokinetikum ist hingegen weit verbreitet, weil kaum ein Medikament den Magen (und zwar recht gezielt den Magen, nicht den Darm!) so in Bewegung bringt. Der Einsatz wird aber nicht generell, sondern nur dann empfohlen, wenn Mobilisierung und die üblichen Mittel wie MCP, Vomex etc. keinen Erfolg bringen und der Patient nach wie vor eine Magenatonie zeigt.

Im Hinblick auf die zunehmenden Antibiotikaresistenzen ist diese Verwendung für Erythromycin kein Problem, weil Resistenzen nicht mit dem gezielten Einsatz eines bestimmten Antibiotikums, sondern vielmehr durch unkritischen Einsatz aller Antibiotika gezüchtet werden.

Metoclopramid wird grundsätzlich nicht mehr als Antiemetikum geführt; es kann gegen Übelkeit helfen, aber nur, wenn diese durch die verminderte Motilität des Magens hervorgerufen wird. MCP ist ein Prokinetikum.

Der angesprochene "Drang", Patienten schneller "fit" zu machen und zu entlassen, wird sicher durch das DRG-System ausgelöst und unterhalten. Mit dem Fast-Track-Konzept hat das aber nichts zu tun. Tatsache ist, dass abwartendes Verhalten beim Kostaufbau für jemanden, der die Physiologie nicht kennt und die Zusammenhänge nicht sieht, sinnvoll erscheinen mag, aber das ist ein Trugschluss. Der Mensch ist ein riesiger, immens komplexer Haufen chemischer Gleichgewichte, die alle miteinander verzahnt sind. Der Darm ist ein Haufen dieser Gleichgewichte, die allesamt auf die Verdauung und den Transport der Nahrung ausgerichtet sind. Je länger diese Funktion ungenutzt bleibt, desto mehr geraten die Gleichgewichte aus der Balance, und desto mehr entgleist die Funktion. Die Folge eines zu zögerlichen Kostaufbaus ist eine prolongierte Darmatonie. Das Fast-Track-Konzept, jedenfalls der Teil mit dem Kostaufbau, ist für die Patienten vorteilhafter als die alte, zögerliche Methode. Natürlich muss man dabei der individuellen Situation eines jeden Patienten Raum lassen; wenn ein Patient einen schnellen Kostaufbau nicht verträgt, darf man nicht stur bleiben und muss einen Gang runterschalten.

Das Fast-Track-Konzept, 1:1 umgesetzt, bedeutet, dass man einen Patienten nach einer unkomplizierten laparoskopischen Sigmaresektion am 4. postop. Tag nach Hause entlässt. Wer macht das schon in Deutschland? Ich kenne niemanden. So dramatisch ist die Sache also nicht. Aber der schnelle Kostaufbau, die Verwendung der PDKs bei vielen Eingriffen, bei denen der Nutzen durch wissenschaftliche Evidenz gesichert wurde, die schnelle Mobilisation und die insgesamt wesentlich schnellere Entlassung als früher sind für die Patienten insgesamt sicher von Vorteil. Man darf's eben nicht übertreiben und muss zuerst den Patienten, und erst dann den Erlös sehen.

Relaxometrie
10.01.2011, 00:52
In Dänemark, wo das Fast-Track-Konzept ja von Prof. Kehlet "erfunden" wurde, werden Patienten wohl -wenn möglich- schon am zweiten post-OP-Tag entlassen, zumindest ist das die Absicht des Konzepts gewesen. Wie oft diese frühe Entlassung dort tatsächlich realisiert wird, kann ich nicht sagen.
Diese sehr frühen Entlassungen erfordern aber auch eine perfekte ambulante Anbindung. Irgendwann muß man sich dann auch fragen, ob es wirklich billiger und vorteilhafter ist, den Patienten ultrafrüh zu entlassen.
Heute habe ich einen Artikel zu Fast-Track gelesen, in dem davor gewarnt wurde, die untere Grenzverweildauer zu unterschreiten :-))
Der Artikel bezog sich auf die Berliner Charité, war von 2006, und man entließ Patienten nach elektiver Kolonchirurgie und Vorgehen nach Fast-Track am liebsten am 5ten post-OP-Tag. Auf ausdrücklichen Wunsch der Patienten hin, und wenn Darmpassage/Schmerzen ok waren, war auch mal der dritte post-OP-Tag möglich.

Sebastian1
10.01.2011, 02:18
Auf ausdrücklichen Wunsch der Patienten hin, und wenn Darmpassage/Schmerzen ok waren, war auch mal der dritte post-OP-Tag möglich.
Ich verstehe das aus Patientensicht ja durchaus, mir würde es auch nicht anders gehen, aber eine medizinische Indikation ist eine medizinische Indikation. Entweder der Patient ist entlassfähig oder nicht. In letzterem Fall ist das eine Entlassung gegen ärztlichen Rat.
Ok, bei sehr complianten (was für ein Wort...) Patienten mag es möglich sein, bestimmte Nachkontrollen dann eher ambuolant durchzuführen, aber ob das insgesamt sinnvoll ist?

Rico
10.01.2011, 14:23
sehr complianten (was für ein Wort...) OT:
Das medizindeutsche Wort, das sich bei uns zunehmend durchsetzt (auch wegen seiner besseren Deklinierbarkeit) ist "therapieadhärent". Find ich fast noch besser... :-))

Vinni
10.01.2011, 21:42
Danke für die fundierten Antworten!

MRSA
11.01.2011, 18:22
http://h568612.serverkompetenz.net/kman/content/memos/nahrungskarenz_und_kostaufbau/index_ger.html

Überhaupt finde ich dieses Chirurgiemanual super.