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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bemerkt ein Psychiater, dass er psychisch krank ist?



Alcyon
10.01.2011, 23:03
Würde ein Psychiater z.B. bemerken, dass er schizophren ist? Würde er erkennen, dass die Stimmen, die er hört, Symptome einer Krankheit sind?

Strodti
10.01.2011, 23:19
Es kommt ja auf die Ausprägung der Erkrankung an. Bei formellen und inhaltlichen Denkstörungen, Ich-Störung und co. würde sicher auch ein gestandener Psychiater Probleme mit der Realität bekommen. Warum auch nicht?
Bei depressiven Störungen oder Suchterkrankungen sind Ärzte auch nicht wesentlich krankheitseinsichtiger als der medizinische Laie. Vielleicht ist das Inanspruchnahmeverhalten professioneller Hilfe etwas besser, aber dazu habe ich keine Daten. Vielleicht kann einer unserer Forenpsychiater da etwas zu sagen.

MRSA
10.01.2011, 23:57
So lange jemand seine Halluzinationen als solche erkennt, liegt meines Wissens nach keine Schizophrenie vor, für die eine "Ichstörung" ja zwingend ist. Die meisten psychiatrischen Erkrankungen beinhalten ja ohnehin, dass der Betroffene um diese weiß.

Bei einer Kenntnis aller Befunde könnte ein Psychiater sicher auch die Diagnose bei sich stellen; das ist nicht das Problem. Ich meine vielmehr dass die Erhebung dieser Befunde nicht möglich ist, da sie immer die Außenperspektive erfordert, die Interaktion des Gemessenen mit einer "Messvorrichtung"(sprich anderen Person). Was in anderen Fächern das CT ist, ist in der Psychiatrie eben jene Interaktion.

Man könnte nun natürlich ganz kühn spekulieren, was denn wäre, wenn sich jemand vor den Spiegel setzt und mit sich selbst redet. Damit man dann aus sich selbst heraustreten kann, die Rolle eines objektiven Beobachters einnimmt, muss man sich "spalten"; das ist, als würde man gegen sich selbst Schach spielen.

Theoretisch ist das erstmal möglich; praktisch betrachtet dreht man dabei jedoch durch. Ein berühmtes Beispiel ist der Hauptdarsteller der Schachnovelle von Stefan Zweig.

Egal ob man eine solche Erkrankung also selbst diagnostizieren könnte oder nicht: Es wäre nicht erstrebenswert. Da eine richtige, positive Diagnosestellung automatisch zur Krankheit führen würde, selbst bei ursprünglich unauffälligem Befund. Den man allerdings vorher nicht kennen kann.

Mich würde hierzu tatsächlich die Meinung eines Fachmanns interessieren.

Antracis
11.01.2011, 00:56
Die Frage ist insgesamt etwas merkwürdig und ist sicher auch nicht sinnvoll zu beantworten. Zumindest für mich als Psychiater. Scheint aber ein größeres öffentliches Interesse zu haben, als die Frage, ob Urologen ihre eigene Prostata im Selbstversuch sicherer beurteilen können, als die ihrer Patienten. :-))

Ich versuchs mal so aufzurollen:

Fehlende Krankheitseinsicht ist ja bei weitem kein Vorrecht psychiatrischer Patienten, die kennen ja andere Fachrichtungen auch. Sicher spielt sie aber in der Psychiatrie eine besondere Rolle. Ist ja auch nicht nur Krankheitsbildern aus dem schizophrenen Formenkreis vorbehalten, sondern auch bei vielen anderen Krankheiten wichtig, man denke nur mal an Angststörungen.

Insofern würde ich dann den Sinn der Frage so deuten, ob ein Psychiater als Fach-Mann eher gegen mangelnde Krankheitseinsicht gefeit ist, als der Nicht-Fach Mann. Das zu diskutieren würde wiederum sicher nur im konkreten Einzelfall Sinn machen. ;-)

Generell gehen ja schwere psychische Störungen bei mangelnder Krankheitseinsicht oft mit formalen und inhaltlichen Denkstörungen und Sinnestäuschungen einher, die dann das eigene Urteilsvermögen drastisch beeinflussen. Viele Menschen hören ja auch beispielsweise Stimmen, ohne damit ein Problem zu haben. Oder sie erkennen sie als das (was auch immer ;-) ), was sie sind. Wenn man jetzt aber beispielsweise die These aufgreift, dass eine gehörte Stimme oder ein Wahn etwas Externalisiertes des eigenen Ichs ist, dann wird wohl auch kein auswendig gelerntes Facharztbuch dagegen schützen.

Andererseits kann man Symptome genauso erkennen und einer handlungsrelevanten Diagnose zuordnen, wie das die Ärzte anderer Fachrichtungen tun. (Die Urologen müssen halt gelenkig sein...)

Aber: Das Ganze ist praktisch gesehen vollkommener Murks, weil die für unseren Berufsstand so typische Unvernunft und mangelnde Fürsorge gegenüber der eigenen Gesundheit IMHO fächerübergreifend so dominant ist, dass sie alle anderen Faktoren in den Schatten stellt. :-))

Irgendwie ist das Thema aber doch spannend, vor allem in der Literatur. Man lese mal Dostojewskis Spieler, das ist auch die Selbstanalyse eines Spielsüchtigen, aber bei Weitem keine Therapie oder gar Impfung.

Und morgen gehts dann weiter in der Serie: Warum Gefäßchirurgen soviel rauchen...

Gruß und gute Nacht
Anti

PS: Auch, wenn innerhalb der Schizophreniediagnostik Ich-Störung eine sehr wichtige Rolle spielen, braucht man zumindest laut ICD-10 keine für eine Diagnose. Sind also nicht zwingend. Ich persönlich halte sie aber doch für ein so valides Kriterium, dass ich mich doch sehr wohl fühle, wenn sie beispielsweise jemand hat, dem ich eine schizoaffektive Störung andichte...-

MRSA
11.01.2011, 01:13
Sofern formale oder inhaltliche Denkstörungen hinzukommen, ist die Sache ohnehin klar. Das ist ungefähr so, als würde man einen Blutausstrich ohne Mikroskop befunden wollen.

Es ging im Übrigen nicht um Selbsttherapie, sondern Selbstdiagnose. Ich halte das Thema für alles andere als trivial, nicht nur im Bereich der Psychiatrie. Vielleicht handelt es sich sogar um die zentrale Crux der modernen Medizin. Wie viel Wissen braucht jemand, um keine (teuren) Ärzte und Krankenhäuser zu benötigen? Dies gilt bei weitem nicht nur für Mediziner.

Ein Dozent meinte einmal, Ziel von euch Psychiatern sei es, die Patienten so gut über ihre Krankheiten aufzuklären, dass sie darüber genau so viel wüssten wie ihr. Dies zeigt, dass Wissen nicht alles sein kann. Allerdings umfassen ärztliche und auch psychiatrische Fähigkeiten weit mehr als nur Wissen, auch was die Diagnostik angeht, oder gerade was diese angeht. Zählt dazu auch die "Außenperspektive"? Das war, so wie ich es verstanden habe, die zentrale Frage.

Besteht nicht auch die Gefahr, dass man Symptome nur deshalb wahrnimmt, weil sie einen Syndromkomplex stimmig ergänzen würden? Dass man sie ohne das Vorwissen oder "differentialdiagnostisches Clusterdenken" gar nicht gehabt hätte?

Antracis
11.01.2011, 01:23
Die sog. Psychoedukation, also möglichst viel Wissen zu vermitteln, sieht man ja heute teilweise nach Studienlage doch sehr ernüchternd.

Und klar gehört mehr dazu, als nur Wissen. Letztlich geht es aber hier um pathologische Prozesse, die sich sozusagen im wesentlichen Diagnoseorgan ereignen. Ob das nun besonders schlecht oder besonders gut ist, wird eine Einzelfallbetrachtung bleiben müssen. Deshalb finde ich die Frage nicht unbedingt trivial, aber wenig weiterführend.
Die Außenperspektive ist natürlich wichtig und während De Bakey ja angeblich sein geplatzes Aortenaneurysma selbst (verdachts-)diagnostiziert hat, dürfte das dem deliranten oder wirklich wahnhaften Psychiater verwehrt sein.

Das mit den vervollständigten Symptomen ist mir jetzt auch zu theoretisch. Hypochondrie ist auch keine psychiatrische Spezialität, kommt sogar bei Medizinstudenten vor. :-))

Ich muß jetzt erstmal ins Bett.

Lese aber davor noch etwas Terry Pratchett, der zwar Alzheimer bekommen, aber den Humor glücklicherweise nicht verloren hat. :-lesen