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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Unterschied: Neurochirurgie u. andere Chirurgie-Richtungen



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Phoen1x
19.01.2011, 18:20
Ich hätte da mal folgende Fragen:

Mir ist aufgefallen, dass sich einige Chirurgie-Facharztausbildungen hinsichtlich ihres formalen Aufbaus unterscheiden. So zählt man Allgemeine Chirurgie, Gefäßchirurgie, Unfallchirurgie/ Orthopädie, Thoraxchirurgie, Vizeralchirurgie, Plastische Chirurgie und ästhetische Chirurgie, Kinderchirurgie und Herzchirurgie zu den 8 Säulen der Chirurgie. Wählt man eine dieser Weiterbildungen aus, hat man die ersten 2 Jahre Common Trunk und dann quasi 4 Jahre die eigentliche fachspezifische Weiterbildung, bei der man sich dann erst für eine Richtung entscheiden muss.

Diese 2 Jahre Basischirurgie finde ich ja durchaus sinnvoll. Wieso entfällt das bei Neurochirurgie denn völlig? Warum macht man bei Neurochirurgie da so einen Unterschied und zählt diesen Facharzt nicht mal zur eigentlichen Chirurgie?

Lava
20.01.2011, 15:17
Gute Frage! Vielleicht liegt es daran, dass Neurochirurgie relativ speziell ist. Da wird ja hauptsächlich mit dem Mikroskop operiert und das lernt man nicht in den anderen Fächern. Hab mal gelesen, manche Chefs mögen es nicht, wenn jemand von einem anderen chirurgischen Fach wechselt, weil man sich dort eine eher grobmotorische Technik angewöhnt. Weiß nicht, ob das jetzt wirklich der Grund ist. Vielleicht ist es auch historisch bedingt, dass die Neurochirurgie eher aus der Neurologie hervorging als aus der Chirurgie. :-nix

Ich finds auch gut so, dass die Neurochirurgie keinen Common Trunk braucht. Die Weiterbildung ist so schon lang genug, da wären 2 Jahre Bauchchirurgie echt verschwendet.

MRSA
20.01.2011, 22:53
Mit dem Mikroskop? Das hört sich tatsächlich sehr speziell an; und vor allem so, als ob Berufsanfänger da erstmal Jahre lang eher nur Stationsarbeit machen dürfen...

John Silver
20.01.2011, 23:25
Naja, sooo schlimm muss es nicht sein, es gibt auch viele Eingriffe, beispielsweise an der Wirbelsäule, die die Nussknacker ohne Mikroskop machen. Die Tatsache, dass viele neurochirurgische Assistenten tatsächlich Jahre auf operative Ausbildung warten müssen, ist eher durch die Vorgesetzten verschuldet.

(Im Übrigen ist es vermessen, zu behaupten, Leute aus anderen operativen Fachrichtungen seien Grobmotoriker; das mag einigermaßen in Bezug auf Orthopäden zutreffen, aber z.B. Gefäßchirurgie oder auch Ophtalmologie - das ist sehr feines Operieren! Es ist halt so, dass die allermeisten Neurochirurgen sich selbst insgeheim oder auch ganz offen für Gottesgeschenke halten, nach meiner Erfahrung wirklich überdurchschnittlich häufig, aber sei's drum).

Lava
21.01.2011, 15:25
Hm, in Freiburg hab ich nicht viele Eingriffe an der Wirbelsäule ohne Mikroskop gesehen. Und da durften die Assis im ersten WBJ auch operieren, spätestens im 2. WBJ nach ihrer Intensivzeit. In der Weiterbildungsordnung steht ja drin, was für welches Jahr vorgesehen ist und zumindest in Freiburg hat sich der Chef ganz gut dran gehalten.

Aber das mit dem etwas überhöhten Selbstwertgefühl kann ich bestätigen. ;-) Allerdings fand ich im PJ die Herzchirurgen noch schlimmer!

Phoen1x
21.01.2011, 16:07
Danke für Eure Erklärungen :)

Wenn man die Ausbildung zum Neurochirurgen abgeschlossen hat, ist man doch aber hauptsächlich operativ tätig (was jedenfalls die Behandlung angeht) oder? Deswegen verstehe ich einfach nicht, wieso diese Spezialisierung nicht zur Chirurgie gezählt wird. Aber okay, ist wahrscheinlich nur eine Sache der Formulierung.

Die 2 Jahre Basischirurgie wären vielleicht wirklich nicht erforderlich, wenn in der Neuro völlig andere (mikroskopische usw.) Operationsverfahren angewendet werden. Aber vielleicht entscheiden sich einige Assistenzärzte erst nach dem Common Trunk für eine Spezialisierung. Oder steht diese bei den Meisten schon von Anfang an fest, wenn Chirurgie überhaupt gewählt wurde?

Mir fällt gerade auf, dass ich in diesem Forum noch nie von Usern gelesen habe, die in der Neurochirurgie tätig sind. Entscheiden sich nur wenige Mediziner für diese Fachrichtung?

Alcyon
21.01.2011, 17:08
Ich denke auch, dass dies zunächst eher historisch begründet ist.
Neuropathologie und Neuroradiologie sind ja auch abgekapselt von der üblichen Pathologie bzw. Radiologie.
Und die Techniken sind meiner Ansicht nach zwar natürlich andere als die der Unfallchirurgie, aber auch keine Hexenkunst.An die Motorik unter dem Mikroskop gewöhnt man sich recht schnell.
Aus eigener Famulatur-Erfahrung damals weiß ich, dass die Assistenten eben nicht viele Jahre warten müssen, bis sie operieren dürfen. Das scheint mir ein sehr weit verbreiteter Irrtum zu sein. Es ist zwar so, dass der Assistent im OP nicht wirklich viel zu tun hat, aber man darf doch schon ziemlich schnell kleinere Eingriffe vornehmen und der Schwierigkeitsgrad steigt dann mit der Zeit immer weiter an.

MRSA
21.01.2011, 22:28
Ich finde das Fach hochinteressant, habe dort allerdings noch keine Famulatur oder ähnliches gemacht. Im Studium gab es das nichtmal als eigenes Fach. Wenn mich aktuell jemand fragt, antworte ich immer ich wisse noch nicht, was ich machen wolle, einfach nur weil ich Angst habe, man würde mich für verrückt erklären, da es doch ein ziemlich ungewöhnlicher Wunsch ist, und es wahrscheinlich sehr schwer wird, eine gute Stelle dort zu bekommen. Außerdem kursiert das Gerücht, man brauche dafür unheimliches Talent, und könne das nicht durch Training wettmachen so wie in anderen Disziplinen(die mir teilweise schon sehr hochdiffizil scheinen und mir irgendwie Zweifel an meinen Fähigkeiten aufkommen lassen). Wie viel Wahres ist da dran? Sind die Arbeitszeiten außerdem tatsächlich so viel schlimmer als in anderen chirurgischen Disziplinen(geht es überhaupt noch schlimmer)?

Alcyon
22.01.2011, 03:01
Ich finde das Fach hochinteressant, habe dort allerdings noch keine Famulatur oder ähnliches gemacht. Im Studium gab es das nichtmal als eigenes Fach. Wenn mich aktuell jemand fragt, antworte ich immer ich wisse noch nicht, was ich machen wolle, einfach nur weil ich Angst habe, man würde mich für verrückt erklären, da es doch ein ziemlich ungewöhnlicher Wunsch ist, und es wahrscheinlich sehr schwer wird, eine gute Stelle dort zu bekommen. Außerdem kursiert das Gerücht, man brauche dafür unheimliches Talent, und könne das nicht durch Training wettmachen so wie in anderen Disziplinen(die mir teilweise schon sehr hochdiffizil scheinen und mir irgendwie Zweifel an meinen Fähigkeiten aufkommen lassen). Wie viel Wahres ist da dran? Sind die Arbeitszeiten außerdem tatsächlich so viel schlimmer als in anderen chirurgischen Disziplinen(geht es überhaupt noch schlimmer)?

Das ist genau der Grund, weshalb ich die Famulatur dort gemacht habe: Im Studium lernt man das Fach überhaupt nicht kennen.

Zur Stellensituation: Ich denke, heutzutage findet man in Deutschland in jedem Fach eine Stelle, auch wenn Neurochirurgie sicherlich noch eines der beliebteren Fächer sein dürfte.

Zum Talent: Ich hatte darüber viel mit den Ärzten gesprochen. Einhellige Meinung war, dass man alles lernen könne. Auch in der Neurochirurgie sind Übung und Erfahrung das Wichtigste. Natürlich gibt es Leute, die schlussendlich besser operieren können als andere - aber genau so gibt es auch z.B. Geburtshelfer, die besser sind als andere. Oder Köche, die besser sind als andere. Das ist ja überall so im Leben. Meiner Meinung nach benötigt man in der Neurochirurgie aber ein überdurchschnittliches räumliches, strukturelles und anatomisches Vorstellungsvermögen.

Zu den Arbeitszeiten: Das "Schlimmste" bezüglich Arbeitszeiten, was ich bisher erlebt habe, war die Herzchirurgie. Neurochirurgie an einer Uni-Klinik ist mit Sicherheit kein Zuckerschlecken, ich fand es aber nicht "härter" als die übrigen chirurgischen Fächer (im Gegenteil: Dadurch, dass man während der OP sitzt, empfand ich es weniger körperlich denn viel mehr mental anstrengend). Die meisten OPs in der Neurochirurgie dauerten etwa 2-5 h, da habe ich in meinem Studium ja wirklich schon ganz anderes erlebt.

Ich würde Dir wirklich dringend empfehlen, mal in der Neurochirurgie zu famulieren, wenn Du Dich für das Fach interessierst! Oder mach gleich Dein PJ-Wahltertial dort, ist auch ein super Fach für die mündliche Prüfung.

Vielleicht gibt es ja aber hier noch einen Neurochirurgen, der was dazu sagen kann.

MRSA
22.01.2011, 16:40
Famulaturen hab ich schon alle, und fürs PJ hab ich Anästhesie genommen; der Zug ist also schon abgelaufen. Deshalb wäre es nett, wenn ihr die Fragen dennoch beantworten könntet(obwohl eine Famulatur natürlich besser wäre).

Wie viel macht denn die Traumaversorgung dort in etwa aus, anteilig? Wo liegen denn normalerweise die Schwerpunkte?

Strodti
22.01.2011, 16:54
Die Schwerpunkte sind in den Kliniken verschieden. Einige Abteilungen operieren fast ausschließlich Bandscheiben, an der Uni halt auch mehr intrakraniell. Es gibt sogar niedergelassene, die ausschließlich Wirbelsäulenchirurgie mit Belegbetten betreiben und daran sehr gut verdienen ;-)
Zumindest in Marburg (die einzige NCH Abteilung, die ich kenn ;-) ) wird das Polytraumateam bei Verdacht auf SHT um den diensthabenden Neurochirurgen erweitert.
Kann dir gar nicht so genau sagen, welchen Anteil Tumorchirurgie vs. Blutungen bei den kraniellen Operationen haben. Werd da mal einen Oberarzt fragen.

Lava
22.01.2011, 17:32
Hab eine Famulatur in der Neurochirurgie gemacht und mein Wahltertial im PJ. Kopf OPs machen schon eine Menge aus. Bei uns stand bestimmt jeden Tag ein Glioblastom oder ein Meningeom auf dem Plan. Außerdem manchmal noch Aneurysmen oder arteriovenöse Malformationen, Shunts und viele Epilepsie-OPs. Das war eine Spezialität von Freiburg.

MRSA
23.01.2011, 00:50
Darf man fragen, warum du dann nicht dabei geblieben bist? Klingt ja alles erstmal sehr interessant und herausfordernd, aber irgendeinen Grund muss es ja geben, weshalb du was anderes vorgezogen hast; wo ist also der Haken bei dem Fach?

Lava
23.01.2011, 11:13
Schwer zu erklären. Ich mochte immer Unfallchirurgie und Neurochirurgie. Nach dem Examen hab ich mich dann gefragt, was mir mehr fehlen würde, wenn ich's nie wieder machen könnte. Und der Gedanke, nie wieder an Knochen herumzuschrauben war mir unerträglicher als der, nie wieder ein pulsierendes, freiliegendes Gehirn zu sehen. ;-) Aber ich geb's zu: vielleicht hab ich mir Neurochirurgie auch nicht so 100%ig zugetraut. Auch wenn manche hier was anderes behaupten, ich halte das Fach für schwieriger als Unfallchirurgie. So eine neurologische Untersuchung hatte ich nie wirklich gut drauf und trotz CT und MRT ist das immer noch das A und O bei der Geschichte. Oder sagen wir mal so: in der Neurochirurgie werden Fehler weniger leicht verziehen...

MRSA
25.01.2011, 17:06
Kann man also auch sagen, dass die Erfolgserlebnisse in der Neurochirurgie eher seltener sind als in anderen Disziplinen? Es ist doch ein sehr anderes operieren, man knotet und sägt wahrscheinlich eher weniger, die Nähte sind wahrscheinlich auch sehr speziell in ihrer Technik. Würdest du sagen, die meisten schreckt es eher ab, dass sie es sich nicht zutrauen, wenn die Arbeitszeiten gar nicht mal viel schlimmer sind als in anderen operativen Fächern? Ist Neurochirurgie außerdem immer zwingend an sehr viel Forschung geknüpft und auch von den Erfolgen in dieser abhängig?

Neurologisch untersuchen kann ich auch nicht so wirklich, mir fehlt einfach die Erfahrung in den Neurofächern; das lief bei uns im Studium total nebenher. Aber man kann das doch sicher mit der Zeit lernen, oder?

MuluGulu
29.01.2011, 17:34
An der Uniklinik Graz werden grad Stellen für die Neurochirugie ausgeschrieben.

Gruß aus Österreich!

Spezializt
31.01.2012, 14:57
Ich habe auch mein Wahltertial in der NCH gemacht und lerne jetzt gerade fürs Hammerexamen.
Kann mir vielleicht jemand ein bisschen was über die mündliche Prüfung erzählen? Dadurch, dass das Fach im Studium nicht wirklich detailliert behandelt wird, gibt es leider nicht viele Bücher für Studenten. Oder gibt es doch sowas wie "In Frage und Antwort" oder etwas in der Art? Womit habt ihr euch vorbereitet?
Danke!!

Lava
31.01.2012, 19:41
Bei mir waren die Fragen sehr einfach. Hat fast ausgereicht, sich mit dem Müller vorzubereiten. In diesem Chirurgie Fallbuch von Thieme sind auch ein paar neurochirurgische Fälle drin. Ich hatte mir auch den Schirmer gekauft, aber das Buch fand ich eher verwirrend und schlecht. Nur wenige Kapitel daraus waren hilfreich. Letztendlich kam mir am meisten das zugute, was ich tatsächlich im PJ gelernt habe. :-) Wichtig: den Prüfer fragen, worauf er Schwerpunkte legt und was man nicht unbedingt lernen muss.

wjsl
31.01.2012, 21:23
Gute Neurologiebücher(z.B.Mumenthaler) enthalten auch Themen wie Hirnblutungen und Hirntumoren relativ detailliert. Sogar auf das Prinzip der neurochirurgischen Behandlung von Störungen des extrapyramidalen Systems wird eingegangen. Dazu dann noch den Müller, und ich denke es dürfte reichen. Meines Wissens nach gibt es für dieses Fach tatsächlich keine wirklich guten deutschen Bücher. Bei stärkerem Interesse soll die Oxford Reihe aber ganz gut sein.

miked
01.02.2012, 09:20
Das Neurochirurgie Buch aus der Basics-Reihe gibt nen sehr guten Überblick über (fast) alle Themen. Beim Vorstellen versuchen, die Schwerpunkte der Prüfung heraus zu finden. Dann noch mit den Assistenzärzten 1, 2 Tage vorher die Spezialgebiete durchsprechen. Das hat bei mir vollkommen ausgereicht. Hatte mir noch von nem Assi den Greenberg geliehen, aber vielleicht max. 1-2 Seiten darin durchgelesen. Der is viel zu speziell. Kommt natürlich immer auf den Prüfer an, aber ich denke, das wichtigste deckst du tatsächlich mit dem Basics und ein bisschen was mit den Assistenten durchsprechen.

Viel Erfolg!