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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Medizinstudium mit chronischer Major Depression



Hanin
01.04.2011, 19:03
Hallo Ihr Studienerfahrenen,

ich leide seit Jahren unter einer chronischen Major Depression.

Mittlerweile habe ich so ziemlich alles an Therapieoptionen durch und Deutschlands Fachkliniken halten mich für austherapiert.

Jetzt bleibt als einzige Lösung, mein Leben irgendwie wieder selbst in den Griff zu bekommen.

Eigentlich wollte ich immer schon Medizin studieren, habe aber auf Grund eines schweren Unfalls und der daraus resultierenden körperlichen Behinderungen Wirtschaftsingenieurwesen studiert und in diesem Bereich auch 9 Jahre erfolgreich gearbeitet - bis die Depressionen so schlimm wurden, dass ich dem nicht mehr gewachsen war.

Heute ist von den körperlichen Behinderungen fast nichts mehr übrig und ich frage mich, ob es nicht doch noch meine Rettung sein könnte, wenn ich meinen Traum vom Medizinstudium verwirkliche.

Nun ist mir bewusst, dass das Medizinstudium hauptsächlich aus Auswendiglernen, Auswendiglernen, Auswendiglernen,... besteht, was mit schweren Depressionen nicht gerade einfach ist.

Meint ihr, dass einerseits die Freude am Studium die Symptomatik so weit wieder zurückdrängen könnte, dass ich das irgendwie schaffe oder dass andererseits deutsche Unis auf Grund der anerkannten Schwere der Erkrankung zu zeitlichen Zugeständnissen bereit wären (ggf. wäre ich sehr dankbar für Ortsvorschläge - Abischnitt ermöglicht freie Ortswahl).

Für Antworten wäre ich Euch sehr dankbar - gerne auch kritische Antworten, wenn meine Gedanken an ein Medizinstudium völlig unrealistisch sind.

Viele liebe Grüße,
Hanin

Melina93
01.04.2011, 19:08
Ich habe auch Depressionen in meiner Familie. Generell denke ich, dass es dir gut tun würde, deinen Traum zu verwirklichen. Allerdings ist ein Medizinstudium auch psychisch anstrengend. Man muss ja mit vielen schlimmen Schicksalen klar kommen und man sieht viele Menschen leiden. Ich möchte dir wirklich nicht deinen Traum ausreden, aber wenn dir Wirtschaftingeneurwesen schon Probleme macht, dann wirst du an den Anforderungen ( die Seelischen! Den Rest packt du, wenn du es möchtest.) des Mediziners sicherlich scheitern. Vielleicht solltest du dein Traum, Medizin studieren zu wollen, als Ziel nehmen und so Motivation entwickeln, deine Depressionen endgültig zu besiegen.
Viel Glück!

Kackbratze
01.04.2011, 19:24
Willkommen im Forum!

Zu dem Thema gibt es bereits einen Thread, am Besten findest Du den per Boardsuche.
Darin wirst Du sicherlich ein paar Ideen und auch Anstösse finden.

Hanin
01.04.2011, 22:27
Zu dem Thema gibt es bereits einen Thread, am Besten findest Du den per Boardsuche.
Darin wirst Du sicherlich ein paar Ideen und auch Anstösse finden.

Hallo Kackbratze,

den Thread habe ich natürlich durchgelesen, bevor ich einen eigenen eröffnet habe.

Die Situationen sind völlig verschieden, im bereits existierenden Thread hat der Betroffene nur eine leichte Residualsymptomatik; ich stecke seit 3,5 Jahren in einer schweren Episode fest, wurde letzte Woche nach 6 Monaten Gerichtsbeschluss trotz weiterhin nur schwer kontrollierbarer Suizidalität entlassen, da die Ärzte der Uniklinik nicht mehr weiter wussten und ich unter diesen Umständen lieber Zuhause als eingesperrt bin.

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Hallo Melina93,

mit den "seelischen" Anforderungen komme ich sicherlich gut klar. In meinem bisherigen beruflichen Werdegang und durch meine Erfahrungen in Familie, ehrenamtlichem Engagement, nach dem Unfall und in der Psychiatrie habe ich einiges erlebt.

Große Angst macht mir die ganze Auswendiglernerei - durch die Erkrankung sind Konzentration und Merkfähigkeit auf ein Minimum reduziert.
Ich benötige sicherlich wesentlich mehr Zeit für alles.

Am besten frage ich mal bei den Schwerbehindertenvertretungen einiger Unis und der Rentenversicherung an, ob es die Möglichkeit für "Studienzeitverlängerung" gibt.

Vielleicht nimmt ja auch die Symptomatik ab, falls das Studium seit langem wieder Lebensfreude bringt.


Ich stehe halt gerade am alles entscheidenden Scheideweg...

Viele Grüße,
Hanin

Melina93
01.04.2011, 22:31
Wenn du damit klar kommst, dann wirst du es sicherlich schaffen. Das Lernen ist ja lernbar. Es gibt viele Menschen, die mit Problemantiken in dieser Richtung dennoch ein Studium anstreben. Du wirst sicherlich mehr geben müssen. Aber du hast ja nichts zu verlieren und es scheint das innigster Wunsch zu sein.

Coxy-Baby
01.04.2011, 22:46
Hmmm schwierig, so schön die erste Freude über einen Studienplatz ist, so muss man doch eins sagen, Stress und Lernerei stellen sich schnell ein und werden im Laufe des Studiums nicht weniger (bei uns, sehr ruhige Semester mit absolut stressigen Klausurphasen...) von daher sollte man sich Strategien überlegen wie man das halbwegs heil übersteht, aber mal eine andere Frage hast du an einer deutschen Hochschule deinen Wirtschaftsing.abschluss gemacht? Denn dann wärst du Zweitstudi und dann ist auch der Abischnitt egal.....

Keenacat
01.04.2011, 22:47
Letztendlich kannst nur du für dich entscheiden, ob du das versuchen willst und kannst.
Aber:
Auch wenn ein Studium das ist, was man schon immer machen wollte und insofern sicherlich auch Lebensfreude bringt, ist es doch in erster Linie harte Arbeit.
Hart und oft frustrierend, das erleben auch völlig Gesunde so und du hast nicht gerade die idealen Voraussetzungen, um mit verbockten Klausuren und elendigen Praktika umzugehen. Erfahrungsgemäß (F33.4 hier) sind die akuten Frustrationen in depressiven Phasen so überwältigend, dass das Fernziel völlig nebensächlich wird.

Wie gesagt, letztendlich kannst nur du das für dich entscheiden, aber ich befürchte fast, du erwartest zuviel vom Studium. Auch die größte Begeisterung darüber, dass man mal Arzt wird, weicht irgendwann der Normalität. Dann sind andere Sachen einfach vordringlicher (die Angst vor der nächsten Klausur, die scheiß Testate, das unfreundliche Personal im Pflegepraktikum) und das Studium ansich wird weitaus weniger zu deiner seelischen Gesundheit beitragen können, als du vielleicht hoffst.
Ich würde dir als Alternativüberlegung vorschlagen, erstmal ins "normale" Leben zurückzukommen. Du kommst grad frisch von stationär, erstmal stabilisieren und dann nach und nach austesten, was du leisten kannst.
Lad dir nicht gleich zuviel auf einmal auf. Das Studium rennt nicht weg.

Hattest du EKT, btw? Nur interessehalber.

Hanin
01.04.2011, 23:22
Hallo Keenacat,

vielen Dank für Deine ausführliche Antwort.

Zu Deiner Frage:
Ja, ich hatte EKT, in den letzen 2 Jahren 22 x bilateral und 27 x unilateral.

Die EKT haben auch immer sehr gut geholfen, das Problem war nur, dass die Wirkung nie mehr als 2 Wochen angehalten hat.

Bei der unilateralen EKT waren die kognitiven Nebenwirkungen überschaubar, während die bilaterale EKT (v.a. wenn in Kombination mit Lithium) große Lücken in mein Langzeitgedächtnis gerissen haben (mir fehlen bis heute mehrere Jahre).
Aber selbst die unilaterale EKT hat retro- und anterograde Amnesie, sich im Rahmen von Erhaltungs-EKT irgendwas neu zu merken ist aussichtslos.

Mir hat zwar der Chefarzt einer Klinik gesagt, er hätte einen Fall gehabt, der über 500 Erhaltungs-EKTs hatte und erst danach symptomfrei war. Allerdings habe ich wegen der Vorerfahrungen bisher zu große Angst vor einer "Langzeitbehandlung" mit EKT - depressionsfrei und dafür geistiges Gemüse zu sein...

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Hallo Coxy-Baby,

ich habe in einem internationalen Studienprojekt studiert, welches je zur Hälfte vom Studenten und von einem Partnerunternehmen finanziert wurde.

Deshalb "zählt" dieses Studium nicht.

Zunächst wollte ich allerdings in Deutschland studieren, was aber daran scheiterte, dass ich auf Grund meiner damaligen Gehbehinderung die Vorlesungsorte nicht erreichen konnte.

Ich hoffe nicht, dass mir das deshalb als Zweitstudium gewertet wird - das wäre echt diskriminierend.

Viele Grüße,
Hanin

Keenacat
01.04.2011, 23:53
Also, wenn du einen Rat möchtest:
Überstürz nichts, nimm dir genug Zeit, dich außerhalb des stationären Umfelds wieder einzurichten und schau mal, wie weit du dich stabilisieren kannst.
Du hast dann genug Zeit, um dir die nächsten Schritte zu überlegen, ob du z.B. intermittierend EKT machen willst, inwiefern du dir ein Netzwerk aufbauen kannst (Therapeuten, Hilfseinrichtungen für Menschen mit psychischen Erkrankungen, Selbsthilfegruppen etc.), ob du ggf. erstmal mit einer Teilzeitbeschäftigung einsteigst oder die Hilfe von einem Projekt zur beruflichen Teilhabe annehmen möchtest um deine Belastungsgrenzen auszutesten.
Wenn du dein tägliches Leben gut in den Griff bekommst, spricht eigentlich nichts dagegen, es mit dem Studieren zu versuchen. Vergiss aber nicht, dass du in besonderer Weise auf Unterstützung angewiesen sein wirst und kümmer dich rechtzeitig vorher um die entsprechenden Strukturen.