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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Radioonkologie - Praxismöglichkeiten?



Confused
17.04.2011, 14:47
Hallo zusammen,

ich arbeite derzeit in der Inneren Medizin, habe aber das längerfristige Ziel, in der Radioonkologie tätig zu werden. Mir gefällt die Mischung aus längerfristigem Patientenkontakt im onkologischen Setting sowie der modernen Technik und Forschung (zumindest stelle ich mir das so vor aufgrund meiner bisherigen (Praktika-)Erfahrungen ;-) )

Anyway, meine Frage ist folgende: wie sehr bin ich als Radioonkologe an (grössere) Krankenhäuser gebunden? Ich sehe mich in ferner Zukunft eigentlich eher in einer Praxis resp. in einem privaten radioonkologischen Institut. Mir gefällt zwar momentan der Alltag im Krankenhaus schon recht gut, ich glaube aber nicht, dass ich ein Leben lang im 'Krankenhausalltag' (mit all seinen Vor- und Nachteilen) verbleiben möchte. Nicht zuletzt erhoffe ich mir in einer Praxis auch mehr persönliche Freiheiten.

Nun weiss ich zwar dass es so etwas gibt, aber wie realistisch ist es wirklich in einer privaten Praxis für Radioonkologie tätig zu sein, geschweige denn eine selber zu eröffnen? Ich nehme an die Investitionen gehen in die mehrfache Millionenhöhe? Gibt es denn auch einen Bedarf hierfür?

Vielleicht arbeitet ja jemand hier in der Radioonkologie und kann mir etwas berichten, wäre sehr dankbar!:-)

MfG

alex1
18.04.2011, 22:40
Hallo

Eine Praxiseröffnung in der Radioonkologie ist durchaus machbar. Allerdings sind ein paar Hürden zu überwinden:

1. Der Investitionsbedarf. Wir reden hier über Millionen Euro / Franken. Eine moderne Praxis mit einem LINAC, ein CT, die strahlenschutzspezifischen Baumassnahmen, die Software, usw. kann schnell 10+ Millionen Euro kosten. Geld dafür kriegt man von Investoren, es sei denn, man hat soviele Dienste bis dahin gemacht, dass man alleine für die Kosten aufkommen kann. :-D

2. Die Konkurrenz. Es gibt noch einige Flecken auf der Karte, die leer sind. In den Ballungsgebieten herrscht jedoch bereits jetzt eine gute Konkurrezsituation und man sollte vorsichtig sein, wenn man in der Nähe eines grösseren Zentrums aufmachen will, es sei denn das grössere Zentrum ist völlig überlastet. Unikliniken und grössere Krankenhäuser haben in der Regel aufwendigere Techniken im Angebot und sind daher heutzutage konkurrenzfähig. Die Situation wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen, da diese leere Flecken verschwinden werden.

3. Die fehlende Interaktion. Als Niedergelassener Radioonkologe verliert man viel an Eigenständigkeit im Beruf (ich weiss, es klingt pervers, ist aber so!) und Interaktion. Man bestrahlt, was man kriegt. Niedergelassene Kollegen sind wenig an lange Diskussionen, Tumorboards, usw interessiert. Man behandelt einfach was man kriegt und man muss sehr sanft mit den Zuweisern sein. Wenn man die Zuweiser blossstellt, hat man Ärger (oder eben keine Patienten mehr).

4. Es kann langweilig werden. Geld verdient man in der Radioonkologie mit den einfachen Fällen, d.h. palliative Behandlungen, Mammas und Prostatas. Man verdient kein Geld mit Ewing-Sarkomen, Nephroblastomen oder Kopf-Hals-Tumoren. Die sind alle nur aufwendig in Planung & Durchführung, sind aber auch am Interessantesten.
Damit man Geld verdienen kann (um die Investoren glücklich zu machen / den Kredit für die teuren Geräte abzubezahlen) muss man also die einfachen Sachen nehmen. Und das kann heissen, dass man an einem Tag 3-4 Mammapatientinnen neu sieht, plant und neueinstellt. Das kann auf Dauer nervig werden.


Gründe 3+4 sind für mich die wichtigsten Gründe, warum ich nicht in die Praxis gehen will. Ich mag eben die Interaktion mit anderen Kollegen, die Tumorboards, die Argumentation bezüglich der richtigen Therapie, den "Luxus" eine Behandlung ablehnen zu können (ohne Angst, dass diese meine letzte Zuweisung von dem Kollegen war) und die Abwechslung.

Ich denke, dass du zunächst erstmal das Fach kennenlernen solltest, bevor du dich für oder gegen die Praxis entscheidest.
In der Schweiz kannst du sicherlich Millionen in der Radioonkologie pro Jahr als Niedergelassener verdienen. Eine Prostatabestrahlungsserie inklusive Planung wird mit knapp 20.000 CHF vergütet. Theoretisch könntest du bei etwa 220 Patienten pro LINAC im Jahr (7 Wochen Behandlung, 30 Patienten am LINAC zu jedem Zeitpunkt) 4,4 Millionen CHF Umsatz pro Jahr machen.
Die Frage ist ob du das Geld wirklich brauchst? In der Klinik sind die Arbeitszeiten in der Regel viel humaner und so schlecht verdient man als OA auch nicht.

Confused
21.04.2011, 09:21
Hey alex1,

vielen Dank für die ausführliche Antwort!

Etwas ist vielleicht etwas falsch rübergekommen: es geht mir nicht primär um den Verdienst (wie du richtig sagst, verdient man ja als OA dann auch ziemlich gut und für meinen Lebensstil auch mehr als genug). Es ist mehr so, dass ich mir momentan noch nicht so sicher bin, ob ich den 'Spitalalltag' (eben mit all den Tumorboards usw.) mein ganzes Arbeitsleben lang haben möchte, oder ob ich nicht irgendwann die Praxistätigkeit vorziehe (mit Inkaufnahme der von dir genannten Nachteile, sprich Gefahr der Einseitigkeit und Routine, wobei letzteres ja auch nicht unbedingt schlecht sein muss.). Dies übrigens nicht unbedingt als Besitzer, kann mir auch eine Anstellung in einem privaten Radioonkologieinstitut vorstellen.

Aber sicherlich hast du recht, dass ich das Fach sowieso erst als ganzes kennenlernen sollte. Wollte einfach schonmal schauen, wie es denn in der Richtung aussieht - nochmals besten Dank :)

alex1
21.04.2011, 11:08
Ich vestehe, was du meinst.

Mittlerweile ist es aber auch so, dass Kollegen aus der Praxis auch an Tumorboards teilnehmen müssen. Die Behandlung finden mehr und mehr innerhalb von "Behandlungszentren" statt, z.B. Mamma-Zentrum.
Und genau da sind auch niedergelassene Kollegen eingeladen, wenn eben kein grösseres öffentliches Spital in der Nähe ist.

Sicherlich hat man in einem grossen Unispital viel mehr Tumorboards pro Woche, allerdings arbeiten in einem grösseren Unispital auch mehrere Fachärzte, so dass die "Last" der Tumorboards nicht nur auf eine Person fällt. Die Arbeit verteilt sich und man kann sich auch auf Spezialgebiete weiterentwickeln.

Falls du Tipps wegen Weiterbildungsstellen, Bewerbung etc. brauchst, kannst du dich gerne per PN melden.