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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Enthebung von der ärztl. Schweigepflicht bei HIV-Diagnose?



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*dasQ*
22.05.2011, 12:29
Hej ihrs,

wenn ich bei einem Patienten HIV diagnostiziere, ihm dies mitteile, er beispielsweise in einer festen Beziehung ist, ich ihm empfehle, die Diagnose seiner Partnerin mitzuteilen und er dies aber nicht tun will - werde ich dann als Arzt von der Schweigepflicht befreit wegen der Gefährdung dritter und habe ich dann die moralische Verantwortung, den Fall zu melden?

:-notify
Gruß vom Q

Kackbratze
22.05.2011, 13:10
Moral interessiert den Staatsanwalt nicht, wenn es um die Verletzung der Schweigepflicht geht.

Hier ein Artikel von 2010:
http://www.medical-officeservice.de/news/wann-duerfen-aerzte-ihr-schweigen-brechen__15.php

*dasQ*
22.05.2011, 13:15
laut diesem Bericht würde ja folgender Absatz zu meinem Beispiel passen:

"Schwierig wird es, wenn der Arzt weiß, dass der Partner nicht über die Infektion informiert ist und sein Patient ungeschützten Geschlechtsverkehr mit ihm praktiziert, so der Medizinrechtler. Unter diesen Umständen kann der Arzt straffrei ausgehen, wenn er seine Schweigepflicht verletzt, da es sich um einen "rechtfertigenden Notstand" handelt. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass der Arzt konkrete Anhaltspunkte hat, dass der HIV-Infizierte seinen Geschlechtspartner nicht über die Infektionsgefahr informiert."

oder?

Die Niere
22.05.2011, 13:16
Ist das eine perverse Welt, der obige Beitrag zeigt es nur zu deutlich.

Erzähl ich was, kann ich mich strafbar machen (geb aber vielleicht straffrei aus der Sache heraus), erzähl ich nichts, kann ich mich starbar machen... *kopfschüttel*.

Die Essenz dieser Rechtssprechung ist, Patienten mit positiven HIV-Status bzgl. ihrer sexuellen Aktivität aufzuklären, sie aber tunlichst nicht detailliert darüber auszufragen.

gruesse, die niere

Rico
22.05.2011, 13:55
Wieso? Die Sache ist doch relativ klar:
Grundsätzlich die Schweigepflicht einzuhalten, außer Du hast als Arzt Kenntnis davon, dass der Patient andere gefährdet (z.B. durch ungeschützten Geschlechtsverkehr), dann ist die Schweigepflicht hinfällig.
Wenn der Patient Dir gegenüber angibt immer ein Kondom zu benutzen oder keusch zu leben, dann musst Du die Schweigepflicht auch einhalten - auch wenn Du die Angaben natürlich nicht nachprüfen kannst.

Kackbratze
22.05.2011, 14:05
und wenn er doch ohne Kondom mit dem Partner aktiv ist muss man auf einen guten eigenen Anwalt und einen Richter mit Hirn und Herz hoffen.

*dasQ*
22.05.2011, 14:06
ward ihr denn als ärzte schonmal in einer solchen situation? und wie seid ihr damit umgegangen? finde das echt sehr schwierig :-nix

Kackbratze
22.05.2011, 14:14
Nope, wir stellen solche Diagnosen normalerweise nicht.

Evil
22.05.2011, 14:22
Moral interessiert den Staatsanwalt nicht, wenn es um die Verletzung der Schweigepflicht geht.
Das Zauberwort heisst Güterabwägung; die Gesundheit des Partners und das Risiko einer lebensgefährlichen Infektion ist höherwertiger als der Datenschutz des Patienten, falls letzterer den Partner im Unklaren läßt. Und mit dieser Begründung kann ein Arzt seine Schweigepflicht in diesem speziellen Fall erklären, zumindest hat mir das mal ein Medizinrechtler so erklärt.

@ *dasQ*: ich hatte kürzlich einen Patienten mit einer genitalen Infektion, die durchaus ein syphilitischer Primäraffekt sein könnte. Von ungeschützem Verkehr habe ich ihm bis zur Diagnosesicherung abgeraten mit dem Hinweis, daß eine mutwillige Infektion strafbar ist. Ich denke, daß er sich daran halten wird.

Rico
22.05.2011, 14:24
und wenn er doch ohne Kondom mit dem Partner aktiv ist muss man auf einen guten eigenen Anwalt und einen Richter mit Hirn und Herz hoffen.Wieso sollte das so sein?
Du kannst den Patienten doch nicht 24h/d beschatten und kontrollieren ob er das tatsächlich so macht.
Da dokumentierst Du "Patient über Infektionsgefahr bei ungeschützten GV aufgeklärt, Bedeutung der Verwendung eines Kondoms besonders betont. Patient berichtet, ausschließlich geschützten GV zu praktizieren." Damit ist Dein Teil getan.
Wenn der jetzt irgendwen in der Disco abschleppt und dann keinen Gummi nimmt, das kann Dir doch keiner vorwerfen...

JJ*
22.05.2011, 20:00
Kackbratze spielt auf ein Urteil des OLG Frankfurt an, das in einem solchen Fall sogar eine Offenbarungspflicht sieht. Geklagt hat eine Patientin, die sich vermutlich bei ihrem Lebensgefährten mit HIV infiziert hat. Der Hausarzt wusste von der Infektion des Lebensgefährten und hat die Frau nicht informiert. Aus der Urteilsbegründung:


Der Senat konzediert, daß die Aussage, ohne Aufklärung der Klägerin über die HIV-Infektion sei ihr Infektionsschutz unmöglich gewesen, zu relativieren ist. Angesichts der Verantwortlichkeit des Beklagten auch für die Sicherheit der Klägerin konnte und durfte er jedoch allein auf Grund des Versprechens des Erkrankten, er werde Kondome benutzen, keinesfalls davon überzeugt sein, daß dies auch geschehen würde. [...]
Indem der Beklagte von einer Unterrichtung der Klägerin abgesehen hat, ist ihm eine schuldhafte Verletzung von ärztlichen Pflichten anzulasten. Sein Unterlassen ist vorwerfbar, weil er nach richtiger Güterabwägung hätte einsehen müssen, daß er die Klägerin nicht der Todesgefahr, sich an Aids zu infizieren [sic], aussetzen durfte.aus: OLG Frankfurt, 08.07.1999 - 8 U 67/99 (http://www.iww.de/index.cfm?pid=1307&opv=071171)

Der Beklagte wurde jedoch nicht verurteilt, da nicht nachgewiesen werden konnte, dass eine Information der Klägerin die HIV-Infektion noch hätte verhindern können.

In dem Fall vor dem OLG war es außerdem so, dass sowohl die Klägerin als auch ihr HIV-infizierter Lebensgefährte Patienten des Arztes waren. Außerdem hat der Infizierte dem Arzt explizit untersagt, seine Lebensgefährtin zu informieren. Ob das für die Bewertung des Falls von Q relevant ist - keine Ahnung :-nix

test
22.05.2011, 21:26
Hallo,

ich kläre Patienten mit HIV immer darüber auf, dass es sich um gefährliche Körperverletzung handelt (übrigens auch bei Syphilis der Fall), wenn sie ungeschützten Verkehr haben. Bisher hat keiner dann gesagt, er wolle das praktizieren. Insofern hatte ich bisher diese Konfliktsituation noch nicht. KOmmt aber auch nicht so oft vor, dass man die Erstdiagnose stellt.
Ich würde aber auch bei V.a. Fremdgefährdung die Schweigepflicht verletzen, da sie ja aus moralischer und zumindest auch gesetzlicher Sicht höher zu werten ist.

Die Niere
23.05.2011, 13:42
Das Problem ist ja nicht das Stillschweigen, wenn der Patient sagt, er habe nur geschützten Verkehr, sondern das Gegenteil.

Das Brechen der Schweigepflicht, weil du die Gefahr siehst (oder der Patient dies mündlich so sagt), dass er ungeschützen Verkehr hat oder hatte. Nun bestreitet der Patient dies aber im Nachhinein und verklagt dich, weil du dich NICHT an die Schweigepflicht gehalten hast - in dem Moment braucht man einfach einen guten Anwalt und einen "netten" Richter...das meinte ich mit dem rechtlichen Glatteis.

lg, n

Salzi19
23.05.2011, 18:27
Es gibt auch die "Wink-mit-dem-Zaunpfahl"-Methode, die bei uns in der Zahnklinik praktiziert wird....

Kommt ein Patient mit einer der Klinik bekannten HIV-Infektion und der Partner weiß nichts davon, kommt aber zur Behandlung mit (is ja beim Zahnarzt öfters so), dann wird halt demonstrativ die gute Schutzkleidung angelegt, alles abgedeckt usw. Daraufhin fragen die schon mal bei ihren Partnern nach, warum nur für sie der ganze Aufstand veranstaltetet wird :-))

medizininteressiert
23.05.2011, 18:35
Ist das eine perverse Welt, der obige Beitrag zeigt es nur zu deutlich.

Erzähl ich was, kann ich mich strafbar machen (geb aber vielleicht straffrei aus der Sache heraus), erzähl ich nichts, kann ich mich starbar machen... *kopfschüttel*.

Die Essenz dieser Rechtssprechung ist, Patienten mit positiven HIV-Status bzgl. ihrer sexuellen Aktivität aufzuklären, sie aber tunlichst nicht detailliert darüber auszufragen.

gruesse, die niere

geht es geht es einem kath. Priester nicht ähnlich, bezüglich der Strafbarkeit, bei der Beichte?

schwarzwald
23.05.2011, 18:56
Es gibt auch die "Wink-mit-dem-Zaunpfahl"-Methode, die bei uns in der Zahnklinik praktiziert wird....

Kommt ein Patient mit einer der Klinik bekannten HIV-Infektion und der Partner weiß nichts davon, kommt aber zur Behandlung mit (is ja beim Zahnarzt öfters so), dann wird halt demonstrativ die gute Schutzkleidung angelegt, alles abgedeckt usw. Daraufhin fragen die schon mal bei ihren Partnern nach, warum nur für sie der ganze Aufstand veranstaltetet wird :-))

Das finde ich aber auch eine fragwürdige "Methode" :-nix

Salzi19
23.05.2011, 19:02
Das finde ich aber auch eine fragwürdige "Methode" :-nix

Warum? Damit geb ich dem Betreffenden doch a gute Gelegenheit, doch mal mit der Wahrheit rauszurücken und hab selber kei Problem mit Schweigepflicht usw. :-meinung

medizininteressiert
23.05.2011, 19:09
Jemand sollte mit der Wahrheit raus rücken, wenn er sich selbst dazu in der Lage fühlt. Andere Methoden können doch zu bleibenden Schäden führen bzw. zur Unwahrheit führen. Dann erzählt er ihm halt nicht von HIV, sondern von einer anderen Krankheit. Geholfen wäre in diesem Fall dem Partner nicht. Weißt ihr die Leute eigentlich auch an andere (Hilfs)stellen weiter?

Salzi19
23.05.2011, 19:15
Solche Situationen kommen vielleicht einmal in 3 Jahren vor und ja, ärztliche Konsile zu einzlenen Patienten, wo dann auch Humani-Fachärzte dazukommen, sind durchaus an der Tagesordnung.

Edit: Außerdem, wenn einer net mit der Wahrheit rausrücken will, dann geht es immer noch um den Schutz des anderen.

spekulatia
24.05.2011, 15:02
also laut impp ist die schweigepflicht aufgrund der gefährdung aufgehoben :luigi: