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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : BurnOut-Therapie mit TCA?



ER-Student
29.05.2011, 10:48
Wir machen bei uns an der Uni immer mal wieder eintägige Hospitationen in Hausarztpraxen. An meinem letzten Tag gab es einen Fall, bei dem mir im Nachhinein ein paar fachliche Fragen offen geblieben sind. Leider komme ich jetzt erstmal nicht mehr zu dem Hausarzt, daher stelle ich die Fragen hier.

Es handelte sich um eine 45jährige Patientin, die sich mit Insomnie und vermeintlichem BurnOutSyndrom vorstellte. Als Therapie verschrieb der HA direkt beim ersten Besuch Amitriptylin und riet ihr, bezüglich der Fahrtauglichkeit die ersten Tage nicht zu fahren, wobei sie dann, wenn sie sich in der Lage fühlen würde, durchaus kürze Strecken mit dem Auto fahren dürfe.

Welchen Sinn hat die Behandlung mit TCA? Über den H1-Antagonismus kann man natürlich eine sedierende Wirkung erzeugen, um die Schlaflosigkeit zu erzeugen, aber das könnte man doch auch mit anderen Medikamenten mit wesentlich weniger Nebenwirkungen? Um eine antidepressive Komponente des BurnOutSyndrom zu therapieren gäbe es doch andererseits auch besser Verträgliche Präparate?

Nachdenklich hat mich auch ein wenig die Empfehlung bezüglich der Fahrtüchtigkeit gemacht. Natürlich steht in der Fachinformation bezüglich der Fahrtüchtigkeit, dass letztendlich eine Einzelfallbewertung vorgenommen werden muss. Aber wenn der Patient in einen Unfall verwickelt wird, wird man wohl immer den Medikamenteneinfluss als Ursache sehen, mit allen Konsequenzen für die Versicherung. Würde man dann nicht auch am Ende noch als Arzt potentiell mit in die Haftung genommen?

stennadolny
29.05.2011, 11:34
Amitriptylin ist bei HÄ nach wie vor ein beliebtes, bewährtes und gut wirksames Medikament OHNE Suchtpotential wie etwa ein Benzo zur Schlafinduktion.

Burn-Out gibt es als Diagnose nicht; der HA wird sich gedacht haben: Etwas antidepressiv-sedierendes (leider hast Du uns die Dosis verschwiegen) hilft der Guten. Niedrig dosiert haste kaum NW.

Warum er nichts anderes verschrieben hat - kommt alles (ausg. Benzos) teurer ( etwa ein "modernes" sedierendes Neuroleptikum) , Alternative wäre evtl. Mirtazapin gewesen, aber das ist Geschmackssache.

Übrigens geht man in der Primärversorgung nach Erfahrung- und da haben HÄ oftmals ein weit besseres Händchen als (Uni-)Psychiater oder -Neurologen mit ihrem ganzen Theorie-Geschwurbel.

Die Sache mit Fahrtauglichkeit und Medikamenten wäre vor Gericht (Zivil- oder Strafgericht) so komplex (je nach Einzelfall), daß die von Dir geschilderte Aufklärung des HA, so dokumentiert, vollends in Ordnung war und er eigentlich alles richtig gemacht haben dürfte.

Haftungsgefahr besteht für jeden Arzt bei jeder Mediverschreibung. Nur keine Panik.

SidVicious
29.05.2011, 12:53
Hi,
sehe es ähnlich wie Sten, Amitriptylin ist in niedriger Dosierung gut verträglich und bei einem "Burn-out" mit im Vordergrund stehenden Insomnie auch keine schlechte alternative. IMHO würde ich eher Mirtazapin eindosieren. Ich finde das hat eine etwas bessere antidepresive Wirkung und die sedierende Komponente ist auch ganz gut. Wobei bei Frauen auch mit der blöden NW der Gewichtszunahme zu rechnen ist, was nicht besonders Compliance förderliche ist.
Die Fahruntüchtigkeit ist bei beiden Medikamenten zu beginn der Therapie eingeschränkt.
Ich finde man könnte auch mal Probieren mit Melperon niedrig dosiert die Schlafstörungen in den Griff zu bekommen.

ER-Student
29.05.2011, 13:08
Leider kann ich mich an die verschriebene Dosierung nicht mehr erinnern. Dass es den BurnOut als ICD10 - Diagnose nicht gibt, hatte ich ganz vergessen. Der HA hatte es gegenüber der Patientin einfach so bezeichnet.
Irgendwie sind damals bei unseren Pharmakologen TCA immer so ein wenig wie "Medikamente von gestern" dargestellt worden, weshalb überhaupt erst die Frage aufgekommen ist.

Beeinträchtigen TCA denn eigentlich in der Realität die Fahrtüchtigkeit oder ist das mehr eine seltene Nebenwirkung? Letztendlich hat der HA hier ja dem Patienten ein wenig die Wahl gelassen. Kann der Patient denn selbst bei solchen Medikamenten einschätzen, inwiefern seine Reaktion und Wahrnehmung im Straßenverkehr eventuell beeinträchtigt ist? Meine Gedanken bezogen sich halt auch ein wenig auf die Patienten.

EKT
29.05.2011, 16:39
"Burn out" sollte als Diagnose auch gegenüber Patienten nicht verwendet werden. Die Erkrankung, die meist damit umschrieben wird, ist üblicherweise eine Depression, die durchaus lebensbedrohlich werden kann. Nur ist dies immer noch so schambesetzt, daß man den Ausdruck vermeidet, womit jedoch niemandem geholfen ist.

Beim Einsatz von Amitriptylin sollte ein Vor- und Kontroll-EKG nicht vergessen werden!

Eine Fahrtüchtigkeit für "kürzere Strecken" auszusprechen, halte ich für sehr fragwürdig. Entweder jemand ist fahrtüchtig oder eben nicht. Die Fahrtüchtigkeit wird (nach einigen Tagen Gewöhnung) weniger vom Medikament beeinflußt, als vielmehr von der Erkrankung selber (z. B. Konzentrations-und Aufmerksamkeitsstörungen, Müdigkeit u. a.)

Nicht unerwähnt bleiben sollten bei einer solchen Diagnosestellung die Wichtigkeit möglicher DD, insbesondere einer bipolaren Erkrankung (mit bedeutenden Konsequenzen für die Pharmakotherapie), was aber von einem Hausarzt nicht verlangt werden kann.