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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Zustände in der Psychatrie



R.P.McMurphy
11.10.2011, 23:48
Ich versuche gerade einen Einblick in der Stations-Alltag der Psychiatrien zu bekommen.

Dabei bin ich unter anderem auf dieses Video gestoßen:
http://www.youtube.com/watch?v=xd5b-ZP2QyQ


Ich gehe davon aus (oder hoffe), dass es sich bei der Klinik um ein schwarzes Schaf handelt und diese "Doku" nicht den tatsächlichen Alltag in der Psychiatrie wiederspiegelt (besonders krass z.b. Teil 2/9 oder die mitteTeil 7/9, naja eigentlich auch alles andere....).
Verwundert hat mich das Video dennoch (die Klinik ist immerhin nicht komplett erfunden).

Die Gedanken und Sorgen, welche die Patienten äußern werden nicht ernst genommen!
Ständig wird von seiten der Pfleger autoritär argumentiert und immer wieder mit Strafen gedroht (zum Teil sogar mit Injektionen!).
Wie soll ein ohnehin gestörter Mensch (der vielleicht noch wasweißichwas für soziale Ängste hat) in einer derart "feindlichen" Atmosphäre gesunden?

Gibt es tatsächlich ähnliche Psychiatrien?
Werden in Psychiatrien die Probleme der Patienten tatsächlich so körperlich betreut (diesen Medikament, jenes Medikament), statt die Ursachen in den Lebensumständen oder Gedanken der Insassen zu behandeln? Finden tatsächlich so wenige therapeutische Gespräche statt? Hat jemand vielleicht eine Quelle mit der man sich realistische Eindrücke über den Alltag auf Psychiatrischen Stationen informieren kann (für ein längeres Praktikum hab ich im Moment keine Zeit - aber ihr Ärzte solltet ja alle eins gemacht haben)
Vielen Dank für die Antworten

EKT
12.10.2011, 17:32
Für ein Praktikum keine Zeit? Aber Zeit, um sich im Internet zu und in unsinnigen Spekulationen zu verlieren? :-keks

R.P.McMurphy
13.10.2011, 22:13
Neben Beruf/Studium ein längeres Praktikum anzufangen ist tatsächlich nicht so einfach.
Ich hatte versucht mich für sowas wie ein Tagespraktikum anzumelden (keine Antwort bisher)
Ich könnte mich natürlich auch einfach einliefern lassen, aber da hoffe ich lieber das sich ein Psychiater findet der kurz ein/zwei Sätze zu meinen Vorurteilen? schreibt.

Mich hatte hauptsächlich interessiert, wie die Patienten in einer Psychiatrie untersucht/behandelt werden (das allgemeine Vorurteil ist ja, das Patienten hauptsächlich mit Medikamenten therapiert würden).

(Falls jemand weiß, wo es zum Themenfeld Psychiater schon ausreichen Infos (hier im Forum, sonstwo) gibt, lass ich mich auch gern weiterleiten und geb hier ruh:-)) )

maggi90w
14.10.2011, 09:23
das allgemeine Vorurteil ist ja, das Patienten hauptsächlich mit Medikamenten therapiert würden
Ich bin jetzt auch kein Experte auf dem Gebiet, aber manche Patienten muss man erst mal mit Medikamenten therapieren, bevor man überhaupt irgendeine Art Gesprächstherapie (oder überhaupt ein Gespräch) mit ihnen führen kann.
Jemand der überall Krokodile sieht wird nicht wieder gesund, weil du mit ihm darüber redest, da musst du erst mal die Psychose in den Griff kriegen.
Man muss sich eben darüber im klaren sein, dass das Gehirn ein Organ ist, das krank werden kann. Die Probleme die du in der geschlossenen Psychiatrie findest beruhen eben meistens nicht auf, wie du gesagt hast auf Lebensumständen oder Gedanken. Da läuft einfach biochemisch etwas falsch.
Bei einem Diabetiker oder einem Dialyse Patienten würdest du doch auch nicht verlangen, die "Ursachen in den Lebensumständen oder Gedanken der Insassen zu behandeln", oder?

Heißt natürlich nicht, das Medikamente der einzige Therapieansatz sind. In der Psychiatrie die ich kennen gelernt habe jedenfalls wurde die ganze Palette geboten. Sporttherapie, Musiktherapie, Ergotherapie, Gesprächskreise, Selbsthilfegruppen und so weiter.

Antracis
14.10.2011, 10:03
Man muss sich eben darüber im klaren sein, dass das Gehirn ein Organ ist, das krank werden kann. Die Probleme die du in der geschlossenen Psychiatrie findest beruhen eben meistens nicht auf, wie du gesagt hast auf Lebensumständen oder Gedanken. Da läuft einfach biochemisch etwas falsch.


Interessante Theorie. Ich habe zumindest noch keinen hochpsychotischen schizophrenen Patienten fixiert, wo ich in der Anamnese nicht eine ganze Palette von Lebensumständen gesehen hätte, die ich als sehr bedeutsam für die Psychoseentwicklung erachtet habe. Eine Psychose kommt über einen meist genauso wenig überraschend, wie in der Regel ein Herzinfarkt. Muss nicht, ist aber oft kein Wunder.

Das heisst aber in der Tat nicht, dass man das nichtauch biochemisch behandeln kann oder meist sogar muss. Man sollte sich immer klar darüber sein, dass der ganze Liebeskram, der das Leben so schön macht, letztlich auch nur auf Neurotransmittern und Hormonen beruht - ist nicht romantisch, aber iss so.

Ansonsten kenne ich keine Psychiatrie, wo nicht multimodal behandelt wird. Bei uns ist das Ergo,- Musik-, Kunst, -Tanz, Physiotherapie, Psychotherapie und allgemein sozialpsychiatrisches Handeln.

Das die Personalsituation manchmal mehr Zwangsmaßnahmen und Sedierungen hervorruft als notwendig wäre, dürfte aber zunehmen. Ist aber kein Grundproblem des Fachs, sondern der Gesundheitspolitik.

maggi90w
14.10.2011, 10:11
Interessante Theorie. Ich habe zumindest noch keinen hochpsychotischen schizophrenen Patienten fixiert, wo ich in der Anamnese nicht eine ganze Palette von Lebensumständen gesehen hätte, die ich als sehr bedeutsam für die Psychoseentwicklung erachtet habe. #
Du kennst dich da sicher besser aus als ich, vermutlich habe ich die Sachen einfach übersehen. Die Lebensläufe der Patienten die ich gesehen habe, wirkten häufig völlig normal. Stabiles Elternhaus, Studium, Job, Ehe, Kinder... und trotzdem eine Psychose. Welche Lebensumstände sind denn bedeutsam für die Entwicklung einer Psychose? Ich meine die Frage jetzt ernst. Interessiert mich wirklich.

Evil
14.10.2011, 10:22
Bei einem Diabetiker oder einem Dialyse Patienten würdest du doch auch nicht verlangen, die "Ursachen in den Lebensumständen oder Gedanken der Insassen zu behandeln", oder?
Bei der Mehrzahl der Typ2-Diabetiker liegt die Ursache aber tatsächlich in den Lebensumständen in Kombination mit einer Disposition. Da wird bei Erstdiagnose meist mit diätetischen Maßnahmen begonnen, bevor man orale Antidiabetika verschreibt.

Gerade bei Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie haben sich Ernährungsumstellung und Zunahme der körperlichen Aktivität als sehr wirkungsvoll erwiesen, unglücklicherweise sind Lebensstiländerungen aber nicht so einfach umzusetzen.

maggi90w
14.10.2011, 10:27
Bei der Mehrzahl der Typ2-Diabetiker liegt die Ursache aber tatsächlich in den Lebensumständen in Kombination mit einer Disposition. Da wird bei Erstdiagnose meist mit diätetischen Maßnahmen begonnen, bevor man orale Antidiabetika verschreibt.
Stimmt, war irgendwie ein schlechtes Beispiel.
Es spricht ja auch generell gar nichts gegen einen ganzheitlichen Therapieansatz, egal um welches Krankheitsbild es geht. Es ging mir eher darum, dass man viele psychische Erkrankungen nicht einfach "wegreden" kann.

WackenDoc
14.10.2011, 12:04
Das Diabetesbeispiel finde ich sogar recht passend.
Bei einem manifesten Diabetes würde ich nämlich tatsächlich medikamentlös behandeln und parallel den Patienten zu einer Lebensumstellung motivieren.
Mit Änderung der Lebensweise kann man dann im Verlauf auch die Medikamente reudizeren und ggf. sogar ganz absetzen.

Ich kann auch nicht ganz nachvollziehen, warum Psychopharmaka einen schlechten Ruf haben. Bei vielen Patienten erleichtern sie andere Therapieformen, bei manchen ermöglichen sie sogar erst eine Therapie.
Wenn eine Gehirnstoffwechselstörung besteht, warum soll man die nicht behandeln, wenn es die Möglichkeit gibt.

Natürlich wäre es wünschenswert, wenn das Personal auf den psychiatrischen Stationen mehr Zeit für die PAtienten hätte- aber wo besteht dieses Problem nicht.

R.P.McMurphy
16.10.2011, 22:14
Anders gefragt:

Ich hatte mich für die Arbeit der Psychiater interessiert, weil mich Medizin und Psychotherapie gleichermaßen faszinieren.
Falls man in der Psychiatrie vor allem über Medikamente therapiert, fände ich das Berufsbild weniger interessant und wöllte dort wahrscheinlich nicht arbeiten.

Falls man bei Patienten, die andere Therapieformen offensichtlich nötig hätten, öfter mal auf Psychopharmaka zurückgreift, weil eben keine Zeit/Geld da ist, wäre mein Interessa daran gleich 0.
(Ich weiß, bei anderen Fächern wird auch auf die Kosten geachtet, aber da finde ich es iergendwie weniger schlimm, evtl. einfach ne persönlich Sache).

Daher hatte ich mich interessiert, wie da eigentlich in den realen Psychiatrien gedacht/gewertet wird.
(Und ja, man kann dort Praktika machen, aber ich arbeite zur Zeit und bin noch? nicht zur Medizin gewechselt)

LasseReinböng
17.10.2011, 13:09
Hast du mal in entsprechende Fachliteratur geschaut ? Vielleicht verschaffst du dir mal einen Überblick über die gängigen psychiatrischen Krankheitsbilder und deren Therapie.

ftp://ftp.unizh.ch/depression/katzenfuss/ssl-dir/psychiatrie_skript.pdf

Mit langjährigen Analysen auf der Couch hat der Alltag in der Psychiatrie mit Sicherheit nichts zu tun.

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17.10.2011, 13:54
Habe mir die Videos/Reportage angeschaut - als Fachfremder erscheint mir das Gesehene jetzt nicht als absolut untypisch bzw. inadäquat. Das z.T. junge Personal verhält sich m.E. überwiegend sehr professionell...

Was auf den Laien (siehe auch die Tube-Kommentare) sicher sehr irritierend wirkt, dürfte der hier etwas problematische Kommentar-/Erklärungslose Doku-Stil sein (intensive Eindrücke ohne Sachkenntnis/Erläuterung löst halt wilde Spekulation/Interpretation beim Betrachter aus) und die etwas ältlichen & noch dazu düster gefilmten Räumlichkeiten...
Mit diesen Stilmitteln bezieht der Filmbeitrag unterschwellig eine eindeutig kritische Position, obwohl mit dem Material eine weitaus differenzierte Darstellung möglich gewesen wäre!
Eigentlich schade.