PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Blöde Chirurgen



Seiten : [1] 2 3 4 5

Wilbur Larch
08.03.2003, 18:47
Hallo Kollegen,

ihr kennt das: der Kollege von der schneidenden Zunft braucht Zahlen, und um diese zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht (wir alle kennen die Fälle von 90-jährigen Bettlägerigen, denen ein Hüftgelenk implantiert wird). Den Vogel schiessen aber unsere Thoraxchirurgen ab: Patienten mit Bronchial-Ca werden Opfer des sog. Prozeduren-Splitting. Nach der diagnose-sichernden Bronchoskopie werden die Patienten zunächst mediastinoskopiert, danach thorakoskopiert, um dann schließlich eine Segment-, Lappen- oder Pulmonektomie (besonders gerne bei kontralateraler Pneumonie) zu erleiden. So kann man bei einem Patienten prima 4 Eingriffe abrechnen. Sterben diese Patienten dann nach Tagen oder Wochen auf der Intensivstation, nölen die Herren Chirurgen rum: "oh, das ist aber ganz schlecht für unsere Statistik" (O-Ton). Meldet man als Anästhesist Bedenken an und versucht, wenigstens den präoperativen Status des Patienten zu optimieren, wird man als Bremser verhöhnt oder bekommt beispielsweise zu hören: "mal ganz ehrlich, Herr Kollege, was interessiert den Anästhesisten die Gerinnung des Patienten? Wir müssen doch operieren." (Das hat der ernst gemeint!)

Ehrlich, mir gehen diese Arzt-Darsteller manchmal fürchterlich auf die Nerven. Schlimm ist es, wenn man den Eindruck hat, dass der (krebskranke) Patient in keiner Weise von einem Eingriff profitieren wird, sondern ihm im Gegenteil ein wochenlanges Siechtum auf der Intensivstation blüht, an dessen Ende man als Anästhesist/Intensivist sogar noch für das "schlechte Outcome" verantwortlich gemacht wird.

Welche Erfahrungen habt ihr gemacht? Wie verhaltet ihr euch in solchen Fällen?

Beste Grüsse
Wilbur Larch

RS-USER-Morpheus
09.03.2003, 08:31
Hallo,

ich denke, derartige Procedere kommen auch in anderen Fachrichtungen vor. Trotzdem kenne ich diese Sprüche ebenfalls zu genüge.
Offenbar verlieren viele "Kollegen" irgendwann den Blick für´s Wesentliche und denken nur noch an Statistiken, Kataloge und Paper. Traurig, wenn dabei Patienten misstreated werden!

Ein ganz wichtiger Punkt: Diese Haltung kostet Krankenkassen und Kommunen immense Summen an Geld. Ich bin gespannt, wie lange das System ein solches Verhalten toleriert...

Morpheus.

DerBlinde
09.03.2003, 22:19
Sicher ist das solches Verhalten weder für den Patienten gut und sinnvoll noch finanziell vertretbar.
Aber nur allein die Chirurgen als diejenigen darzustellen die abrechnen ist auch etwas einseitig, oder?! ;)
Der Änasthesie-Chef hat sicher ebenfalls abgerechnet und der Kollege, der die Narkose gefahren hat, hat sich diese auch für FA-Katalog oder Ähnliches anrechnen lassen.
Allerdings ist es für die Anästhesie leichter, das Problem in die Chirurgie zu verlagern, da die Chirurgen ja um die Narkose zur OP bitten und nicht andersrum...

Just my 2cents

Wilbur Larch
09.03.2003, 22:32
Zum Thema "Abrechnen durch Anästhesisten": das relativiert sich, wenn man bedenkt, dass viele der von mir angesprochenen Patienten nach dem Eingriff mehrere Wochen auf der Intensivstation liegen (und dadurch Kosten verursachen, die einem keiner bezahlt). Im Übrigen: würdest du als Anästhesist bei einem Patienten die Narkose ablehnen, wenn du den Eindruck hättest, der Eingriff schadet ihm? Ja? Dann herzlichen Glückwunsch! Das war ja meine Frage: wie verhalten sich Kollegen in anderen Kliniken in solch schwierigen Fragen?

DerBlinde
09.03.2003, 22:37
Sicher ist das ein schwieriges Thema. Deswegen wird auch so oft darüber gestritten.
Zum Glück bin ich nicht in der prekären Lage, eine Narkose ablehnen zu müssen, da ich von der schneidenden Zunft bin ;) Aber der Einwand mit den Liegezeiten auf Intensiv ist sicher richtig. Allerdings gibt es auch viele chirurgische Abteilungen, die ihre eigenen Intensivstationen betreiben.

evipan
13.03.2003, 08:29
Hallo Leute,
wollen wir uns wirklich auf diesem Niveau (bloede Chirurgen) mit der anderen Fachgruppe unterhalten?
Ich bin froh, dass ich keine Indikation stellen muss : z.B. für einen Klappenersatz mit 89a. Ich habe so eine Patientin auch schon nach Hause gehen sehen, viele natürlich sind auch andere Wege gegangen.
Das interdisziplinäre Gespräch wird die Zukunft sein...und darauf sollten wir hinarbeiten. Wird uns das gelingen wenn wir die Chirurgen alle "bloede"nennen???
(Ich kenne übrigens auch ganz viele nette und umsichtige "Aufschneider". (selbst unter Herzchirurgen;) zu DerBlinde)).
Auch DerBlinde scheint ja im Dunkeln zu sehen:p .
Viel Spass beim perioperativen Gespräch wünscht
Evipan
(der hat übrigens auch keinen Bart)

DerBlinde
13.03.2003, 14:47
Danke, Evipan! Du sprichst mir direkt aus der Seele.
Zumal es sicher auch eine Indikation für die alte Dame mit ihrer Hüfte gab (z.Bsp. fortgeschrittene Arthrose mit Ruheschmerzen, die anders nicht mehr therapierbar waren, etc.)
Wir haben bei uns eigentlich ein sehr gutes Klima zwischen unserer Herzchirurgie und der Anästhesie. Klar neckt man sich immer, aber es wird nie niveaulos. Und da bei uns alle großen Abteilungen ihre eigene Intensiv haben, sind sowohl Herzchirurgie als auch Anästhesie auf die Kollegen angewiesen ;)

Und zum Schluß noch: Ich finde es etwas bedenklich, in einem halböffentlichem Forum solch generell platte Phrasen zu dreschen (a la: Alle Chirurgen sind blöd und operieren nur zu ihrem Spaß ohne Rücksicht auf Patienten). Das ist schlichtweg falsch! Und verunsichert nur all diejenigen, die nicht "vom Fach" sind. Das kann ja nicht der Sinn sein, oder?

Wilbur Larch
13.03.2003, 15:25
Hey, es war überhaupt nicht meine Absicht, alle Chirurgen als blöd hinzustellen. Ich habe nur von denen gesprochen, denen Zahlen, Honorare, Heldentum und das eigene Ego wichtiger sind als ihre Patienten. Und dass es solche Chirurgen gibt, steht doch ausser Frage. Ich wollte lediglich wissen, wir andere Anäshesisten mit diesem Problem umgehen.

Ich beneide euch (evipan und DerBlinde) um eure vorbildlichen "schneidenden" Kollegen; bei uns gibt es die zwar auch, sie sind aber leider nicht in der Mehrzahl....

Der Pfleger
29.03.2003, 17:59
Hallo,

sowas kennt man in der Pflege auch, das Schwerstkranke nicht sterben "dürfen". Manchmal denke ich, das diverse Ärzte es persönlich nehmen, wenn dann eine 95jährige Pat. dann doch einen Herzstillstand hat und nach 30 min (!?) Reanimation dann doch noch stirbt....

Im Pflegebereich ist das allerdings auch manchmal nicht besser!!:peace:

RS-USER-Claudi
30.03.2003, 12:09
Wobei man als Pflegeperson glücklicherweise nicht die Entscheidungsbefugnis darüber hat, ob jemand sterben darf oder nicht ;) . Wo soll man die Grenzen ziehen, wer soll das bestimmen, an welchen Kriterien soll das festgemacht werden? Ist schon ein heikles Thema. Allerdings wurden solche Dinge bei uns immer im Team zusammen mit den Ärzten entschieden, ob Reanimation oder nicht. Oft auch in Rücksprache mit den Angehörigen oder (wenn möglich) mit dem Patienten selber. Wobei ja vor kurzem ein heikler Fall durch die Presse ging (oder geht - ist ja noch nicht ausgestanden): Per Patientenverfügung hat jemand bestimmt, dass er jede lebensverlängernden Maßnahmen ablehnt - und nun liegt diese Person im Koma mit Absterben der kompletten Hirnrinde im Pflegeheim und wird weiter künstlich am Leben gehalten. Der Vater rennt von x nach y um den festgelegten Sterbewunsch gerichtlich durchzusetzen - mit mäßigem Erfolg. Der behandelnde Arzt ordnete die Einstellung der Ernährung (per PEG) an, weil er sich an die Patientenverfügung gebunden fühlte - und das Pflegepersonal setzt sich kurzerhand über diese Anordnung hinweg und setzt die Lebenserhaltung in Eigenregie fort.....
Darüber kann man sicher geteilter Meinung sein - ist ein sehr heißes Eisen.

Der Pfleger
30.03.2003, 12:28
:D

Es ist wirklich gut, das wir als Pflegepersonal nicht diese Entscheidungsbefugnis haben. Es sollten solche Dinge auch immer im Team besprochen werden, leider ist das nicht immer der Fall.

Wie gesagt, es gibt auch Pflegende, die sich über solche Entscheidungen hinwegsetzten. "Wie, der ist DNR, nee, sowas mache ich nicht, ich werde alles tun....."

Gruß auch Wattenscheid

RS-USER-Claudi
30.03.2003, 14:20
Original geschrieben von Der Pfleger
:D

Es ist wirklich gut, das wir als Pflegepersonal nicht diese Entscheidungsbefugnis haben.


... weil ich nicht genötigt sein möchte, solche Entscheidungen zu treffen! Aber um das Thema nochmal aufzugreifen: Es wird derzeit in der Pflege sehr kontrovers diskutiert ob "sterben lassen" mit Krankenpflege vereinbar ist. Schätze, genau die gleiche Diskussion gibt es auch bei den Ärzten: "Ist sterben lassen mit der Medizin vereinbar?"
Viele Menschen (und das betrifft alle medizinischen Fachbereiche) verdrängen einfach den Tod oder sehen ihn als Niederlage ihres Könnens. Darum dieser "Aktionismus" bei Sterbenden (oft - natürlich nicht immer). Dass allerdings ein über 90-jähriger reanimiert wird habe ich (bin seit 1983 in der Pflege), wenn ich scharf nachdenke, nur 1 x erlebt. Der Mann hatte in der Stadt einen Herzstillstand und es fand sich tatsächlich spontan jemand, der reanimieren konnte. Noch am selben Tag hatte er auf Intensiv im Krankenhaus wieder einen Herzstillstand und wurde wieder reanimiert (weil noch keine Absprachen getroffen waren). Mit Erfolg (wenn man es so nennen will) - der Mann lag danach 3 Monate im Koma, bis er endlich starb...
Abschließend gesagt: Ich finde, die Betreuung Sterbender (und vor allem das Zulassen des Sterbeprozesses) ist genauso ein fester Bestandteil der Medizin/Pflege wie die Geburtshilfe auch. Wäre nur wünschenswert, wenn es auch so überall gehandhabt werden würde und nicht nur in der Palliativmedizin...

DerBlinde
30.03.2003, 20:35
Nun, wir hatten an der Klinik in Deutschland eine Ethik-Kommision für solche Fälle. Das waren 3 Leute und es fand ein Gespräch mit denen, edn Angehörigen, unserem Chef oder leitenden OA und den Stationsärzten statt. Da wurde dann das weitere Prozedere festgelegt.
Ein ständiges Problem, besonders für die Intensivstationen, ist aber, daß man nur sehr schlecht die Therapie reduzieren kann (darunter fällt die Entfernung einer PEG, das Abschalten der Beatmung, etc.). Was wesentlich einfacher ist, ist das Ablehnen einer Therapieerweiterung. Aber das kann eben dauern, da man z.Bsp. auf die Lungenentzündung oder Sepsis wartet, um dann genau keine Antibiose zu geben.

RS-USER-Claudi
31.03.2003, 13:00
Und wie ist das in den USA geregelt?
Zum Thema Reanimation fällt mir noch eine kleine Geschichte ein:
Wir teilten uns einen Defibrillator mit der Nachbarstation (nur ein paar Meter entfernt) und bei uns gab es eines morgens einen Kreislaufstillstand. Während sich zwei am Patienten zu schaffen machen, rannte ich rüber - riß die Tür zum Stationszimmer auf: "wir brauchen den Defi - schnell!" Dort schaut mich ein Mädel müde an und meint seelenruhig: "muss das jetzt sofort sein?" Das hätte ich wirklich gerne bei einem Kaffee ausdiskutiert - "nee, lass mal! Dann komme ich in einer Stunde wieder, wenn's dann besser passt..."
So kann man das Problem Rea ja/nein natürlich auch lösen.:-p

RS-USER-Finn
31.03.2003, 19:01
Original geschrieben von Der Pfleger
"Wie, der ist DNR, nee, sowas mache ich nicht, ich werde alles tun....."
JaJa, immer der Ärger mit DNR. Mir fällt da spontan ein Cartoon ein: "Do not reanimate? - Ich dachte, DNR steht für "Drück ´n Richtig"!
(MedStudent neben einem voll versorgten Patienten. Monitoring, multiple Drainagen, etc...)

RettRambo
02.04.2003, 17:42
Nabend,

helft mir kurz auf die Sprünge: "DNR" war dieser Vermerk in der Pat.Akte als eine Art Patientenwille gegen lebenserweiternde Maßnahmen - richtig?
Unsere Kundschaft (=Hausbesuche) haben sowas nämlich äusserst selten. Und mit Sprechen ists dann auch nicht immer...

DerBlinde
02.04.2003, 18:06
Original geschrieben von Finn
JaJa, immer der Ärger mit DNR. Mir fällt da spontan ein Cartoon ein: "Do not reanimate? - Ich dachte, DNR steht für "Drück ´n Richtig"!
(MedStudent neben einem voll versorgten Patienten. Monitoring, multiple Drainagen, etc...)

Da steht es doch schon! ;)

Ansonsten siehe Sig. ;) :D

Greetz

RS-USER-Claudi
02.04.2003, 18:15
Obwohl diese Vermerkerei unterschiedlich gehandhabt wird. Manchmal gibt es auch nur eine durchgestrichenes "R" auf der Krankenakte.

RettRambo
02.04.2003, 20:40
Original geschrieben von DerBlinde
Da steht es doch schon! ;)

Ansonsten siehe Sig. ;) :D

Greetz

Ne, is klar...

Muss man doch wissen - mein nächstes Klinik Praktikum ist erst im Juni...

Abendstern
16.05.2003, 02:23
Um das Thema "blöde Chirurgen" aufzugreifen - ich kenn von 20 Schnipzlern nur 2 die ich persönlich als solche auch bezeichne. Wenn man einer verängstigten 60J. Frau ne Parotidektomie in LA aufschwatzen will(dieser Arzt liebt LA's) geht es mir gegen den Strich - da dafür auch keine Indikation zu sehen war(Herz/Kreislauf o.B) und der andere macht halt gerne Versuche .
Aber diese beiden Menschen sind eher die Ausnahme - die meisten bei uns gehen mit mehr oder weniger viel Mitgefühl und Achtung vor dem Patienten an die Sache .