PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Bis zum nächsten Jahr



Vindu
14.01.2004, 13:35
Einmal im Jahr is in jedem Dorf der Ausnahmezustand. Diese Orgie
heißt dann Feuerwehr-, Schützen-, oder Sängerfest oder meinetwegen auch
Hühnerwämserball, is vollkommen egal, weil is alles dasselbe.
Dann wird nen Zelt aufgebaut irgendwo und mindestens drei Tage
getestet, wieviel Ballerbrühe die alte Karkasse noch aufsaugen kann.
Fängt meist schon Tage vorher an, mit Kränzeflechten, Birkenbraken
anne Verkehrsschilder nageln oder weiß der Henker: Haupsache mitn
Trecker rumnageln und Kiste Bier dabei. Während die Männer in der
Wildnis das gefährliche Tannengrün erlegen, sitzen die Weibchen im Kreis
und basteln daraus meterlange Kränze. So wird die traditionelle
Rollenteilung gefestigt und keiner kommt auf dumme Gedanken. Die Sitte
des Kränzens is uralt. Früher bein Schützenfest kamen immer mehrere
Leute zu Tode:
Kaputtgesoffen, anner Theke totgetrampelt oder anner achten Bratwurst
erstickt. Ja und weil das ganze Dorf nachn Zeltfest zu tattrig war, um
nen Kranz für die Beerdigungen zu flechten wurden die vorher auf Vorrat
fertiggemacht. Mußte man Montag dann bloß noch auf Ende schneiden das
Gestrüpp, Papierblume dran und ab nachn Friedhof.
Heute gibs ja kaum noch Tote bei Zeltfesten, nich mal mehr
Schlägereien - die warn ja früher der Höhepunkt.
Die Schlägerei ist die Form, in der der Mann vom Lande einem andern
sagt, daß er ihn lieb hat. Und nach der Massenschlägerei in der Sektbar
waren alle Männer Blutsbrüder. Doch die soziale Kälte is auch aufm Dorf
zu spüren: keiner haut mehr dem anderen einfach so einen in die Fresse.

Ein heimlicher Höhepunkt beim Zeltfest ist der spontane
Geschlechtsverkehr an der Rückwand vom Festzelt. Wenn die Kerle zum
Pissen irgendwo ins Gebüsch verschwinden, erinnern sie sich plötzlich,
daß sie nich bloß ein Loch im Kopp haben, wo man Bier reinschütten kann,
sondern daß es zwischen den Beinen auch wieder raus kann. Und mit dieser
verkümmerten Restexistenz hatten sie früher doch auch immer viel Spaß.
Und jetzt schlägt die erotische Phantasie gnadenlos zu: Sex ohne sich
groß ausziehen zu müssen, is das allergrößte. Hose is eh noch auf vom
Pissen, quasi die halbe Miete.
Jetzt fehlt bloß noch die Gelegenheit. Doch da siehts dann finster
aus:
die Anzahl der willigen Tanten, die teilentblößt an der Zeltwand
lehnen, hält sich doch in Grenzen. Und so laufen Dutzende von
halbbesoffenen Typen mit offener Buchse hinterm Zelt rum und verstehen
die Welt nich mehr..
Müßt Ihr mal drauf achten, so ab 23 Uhr etwa geht's los: dann
schleichen hier überall die Männer durchs Unterholz.
Offiziell wollen sie natürlich nur zehn Liter Gerstenaufguß nach
draußen bringen, in Wahrheit sind sie auf Suche nach erotischen
Abenteuern.
Es gibt auch Männer, die gehen zum Pinkeln in den Toilettenwagen, die
haben die Hoffnung schon aufgegeben, daß da draußen in der Wildnis
noch irgendwas zu löten wäre. Aber auch bei den andern sieht die
Realität nich besser aus:
nach dem Strullen kommen sie total gefrustet wieder zurück ins Zelt.
Früher entlud sich dann der Frust in einer homoerotischen
Ersatzbefriedigung:
der Massenschlägerei. Haben wir schon gesehen: gibs heute kaum noch. Was
bleibt also:
Das EINE: Körper stillegen durch Alkoholzufuhr.
Das hört sich einfach an, isses aber nich, weil beim Zeltsaufen gibt
es festgelegte Rituale, die man unbedingt beachtet muß:

1.
Ein Bier bestellen geht gar nich. Damit sagt man, dass man ne knickrige
Sau is, keine Freunde hat oder Antialkoholiker, quasi das allerletzte.

2.
Also immer mindestens zehn Stück, einen Meter oder ein ganzes
Tablett. Nie vorher abzählen, wieviel Leute um einen herumstehen und
dann genau die Anzahl bestellen. Am besten irgendeine Zahl über die
Theke grölen und ab dafür.

3.
Ganz falsch: Die Umstehenden fragen, ob sie überhaupt noch ein Bier
haben wollen. Wichtige Regel: gefragt wird nich. Saufen ist schließlich
kein Spaß.

4.
Wenn der Stoff da is, nich blöd rumgucken und überlegen, wem man denn
eins in die Hand drücken soll. Am besten die Gläser wild in der Umgebung
verteilen, denn nur so zeigt man seine Großzügigkeit. Nur der
kleinkarierte ------------------------------ stellt sich da an.

5.
Wer zahlt wann welche Runde? In der Regel kommt jeder der Reihe nach
dran. Ganz miese ----------------------------------- saufen die ersten neun Runden an der Theke mit
und wenn sie an der Reihe wären, müssen sie plötzlich pissen. Der erste
Besteller bestimmt meist die Dauer des Projekts: Wenn er zwölf Bier
bestellt müssen alle solange warten, bis zwölf Runden durch sind.
Wichtig ist, daß der Strom nie abreißt. Also wenn alle noch die Hälfte
im Glas haben, sofort die nächste Runde ordern und das neue Glas in die
Hand drücken. Was voll peinlich ist: Mit zwei Gläsern in der Hand an der
Theke stehen, deshalb is Tempo angesagt beim reinschütten, is
schließlich kein Kindergeburtstag.

6.
Richtig fiese Schweine bestellen zwischendurch noch ne Runde Korn
oder die absolute Hölle "Meyers Bitter", eine Art grünes Schlangengift,
daß mit dem Eiter von toten Fröschen verfeinert wurde. Hier wird's
ernst. Sollte sich sowas andeuten, kann man bloß noch die Flucht
ergreifen. Merke:
Biersaufen kann man überleben aufm Zeltfest mit etwas Planung und Glück;
nach Meyers Bitter weigert sich sogar der Notarzt, diese Schweinerei
wiederzubeleben.

7.
Konsequent durchgezogen, bist Du normalerweise aufm Zelt um halb Neun
stramm wie die Kesselflicker. Geht natürlich nich, weil Du kannst ja
noch nich nach Hause, wegen Verdacht auf Weichei. Was also dann?

Pausen machen! Dafür sind in der Regel zwei Sachen vorgesehen:
Bratwurstfressen und Tanzen.

Erstens: Bratwurstfressen
Vorteil: an der Bude gibs kein Meyers Bitter, da bist Du also ne
zeitlang sicher vor der Alkoholvergiftung durch andere. Nu sind die
Bratwurststände auf Zeltfesten immer so konzipiert, daß die Nachfrage
immer größer ist als das Angebot. In der Bude arbeiten auch meistens
Fachkräfte, denen man beim Grillen die Schuhe besohlen kann. Einzige
Qualifikation: sie können mit einem Sauerstoffanteil in der Luft von
unter 1% überleben, deswegen wirken sie auch so scheintot. Nu sagt der
Laie: watn Scheiß, das könnte man doch viel besser organisieren:
zackzack kämen die Riemen übern Tresen..
Falsch: die mickrigen Bratwurstbuden mit den Untoten am Grill stehen
da nich aus Versehen, sondern absichtlich. Hier kann man Asyl beantragen
von der Sauferei und je länger man auf den verkohlten Prengel warten
muß, desto größer die Überlebenschance.


Zweitens Tanzen:
Im Vergleich zu Bratwurstfressen natürlich die schlechtere Wahl, weil
anstrengend und mit Frauen. Aber irgendwann geht halt kein Riemen
mehr rein in den Pansen und Du mußt in den sauren Apfel beißen. Also
zack, einen Rochen von den Bänken gerissen und irgendwie bescheuerte
Bewegungen machen. Wenn Du Glück hast, spielt die Kapelle mehr als zwei
Stücke und Du kannst Dir ein paar Bier ausse Rippen schwitzen. Hast Du
Pech, kommt sofort nachm ersten Stück der Thekenmarsch und Du stehst
wieder da, von wo Du gerade geflohen bist.


Drittens: Sektbar
Eine richtig gruselige Bude, quasi die Abferkelbox im Festzelt. Hier
isses so voll und eng, hier bleibst Du auch noch stehen, wenns
eigentlich nich mehr geht. Es soll schon Kriegsverletzte gegeben haben,
denen hat man in der Sektbar beide Beinprothesen geklaut und sie habens
nich gemerkt. Doch der Preis, den Du für die Stehhilfe zahlst is hoch:
Du mußt Sekt saufen aus so mickrigen Blumenvasen, die man von der
Spermaprobe beim Urologen kennt. Ziemlich eklig alles. Wenns keine
Sektbar gibt, gibst meist ne Cocktailbar: Cocktail heißt im Zelt aber
nich Caipirinha oder Margerita sondern Fanta/Korn oder Korn mit Fanta.
Also vorsichtig. Hier kanns ganz schnell zuende gehen. Eine Alternative
für den ganzen schnellen Weg ins Nirwana is noch der hannoversche
Zaubertrank: Lüttje Lage. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her immer noch
ne reelle Sache: So besäuft sich der kritische Verbraucher und hat es
ruckzuck geschafft. Doch bevor Du nach Hause darfst, kommt noch ein ganz
wichtiger Punkt, nämlich...


Viertens: Kotzen
Klingt scheiße, Du wirst aber dankbar sein, wenn Dein Körper, Dir
dieses Geschenk bereitet. Du hast Platz für neue Bratwürste und
vielleicht sogar Glück, daß Du die letzten zwanzig Bier noch erwischt,
bevor sie Dein Gehirn erreicht haben. Der Profi jedenfalls kotzt oft und
gern.

- So jetzt wären wir auch schon bald beim Nachhause gehen. Haha. Wenn Du
aber den Zeitpunkt verpaßt hast, und Du kommst vom Pissen oder
Bratwurstkotzen wieder ins Zelt und es sind bloß noch zwanzig Mann
übrig. Ätsch:
Arschkarte gezogen. Denn jetzt heißt es:

Fünftens: Die Letzten
Ab jetzt geht es um so spannende Sachen wie Faßaussaufen - es is
immer mehr drin, als Du denkst, oder Absacker trinken, wenns ein Meyers
Bitter ist, kannst Du Dir gleich den Umweg über den Notarzt sparen und
den Bestatter anrufen. Jeder paßt jetzt auf, daß keiner heimlich abhaut.
Die ersten sacken einfach so vor der Theke zusammen, damit sie
jedenfalls nich noch mehr saufen müssen. Vorteil dieser Phase des
Zeltfestes: Du mußt nich mehr extra mehr nach draußen latschen für
Pissen und Kotzen: geht jetzt alles vor Ort.


Sechstens: Nach Hause
Fällt aus. Mach Dir keine Illusionen: alleine schaffst Du's nich
mehr, Taxis gibst nich aufm Land, und wenn, würden sie Dich nich
mitnehmen. Deine Frau kommt nich, um Dich zu holen, die is froh, daß
dieses Wrack nich inner Wohnung liegt und der Gestank in die Möbel
zieht. Was bleibt ist..

Siebtens: Der Morgen danach
Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die Ritzen in der
Zeltfestplane.
Du wirst wach von einem Zungenkuß, wie Du ihn noch nie in Deinem
Leben gekriegt hast. Leidenschaftlich küßt Du zurück. Dann machst Du
Deine verklebten Augen auf und blickst in das fröhliche Gesicht des
zottigen Köters von dem Karusselfritzen. Und mit einem eigenen Beitrag
zum Thema Würfelhusten fängt der Tag wieder an. Dein Kopf fühlt sich an
wie nach einem Steckschuß. Jetzt hilft nur noch: Stützbier bis die
Maschine wieder halbwegs normal läuft.

Seid froh, dass die Schützenfest-Saison vorbei ist, wir alle hier
können stolz und fröhlich sein, denn wieder einmal haben wir es
überlebt.

Bis zum nächsten Jahr

der Vindu

RS-USER-Obelix
14.01.2004, 13:51
Hab zum Glück fast immer den Absprung vor Punkt 4 geschafft.

RS-USER-Kräuterhexe
14.01.2004, 13:52
:D :D :D
Ich fühle mich so ein bißchen an das *****talfest, an ***-Fasching im Nachbardorf - und an das FFW - Fescht bei ons im Dorf erinnert:grins: :grins: :grins: :grins:
Sehr erfeulich war dabei der San - Dienst bei solchen Festen.

RS-USER-fruehgriller
14.01.2004, 16:58
*roooooofffffllllllllllllllllll*

Mann, wie aus dem Leben geschrieben!!!!!

Super Vindu

Medizinarr
14.01.2004, 17:09
*looool* Total aus dem Leben gegriffen :D :D D:-)
Super, ich will mehr davon :)

RS-USER-Defi Brillator
14.01.2004, 17:27
*scheckiglach* :D :D
Vindu, sag mal, daß klingt von weitem sehr nach Dietmar Wischmeyer, lieg ich da richtig??

RS-USER-DocMezzoMix
14.01.2004, 17:28
Es ist schön Stadtkind zu sein:D
Aber auch der Städter hat extrem laut gelacht!!!

:D

nefgeländefahrer
14.01.2004, 18:40
lol

Mullbinder
14.01.2004, 19:54
Finden wir uns etwa hier wieder? ...... NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN *scheinheiligdreinschau*

RS-USER-Cookie
14.01.2004, 20:09
Erinnert mich in vielen Punkten doch sehr an unser Dorffest!!
:D:D:D:D:D

rettungsküken
14.01.2004, 20:29
Odda Schützenfest *schluck* :rolleyes: :D

RS-USER-gonzo
14.01.2004, 20:34
Original geschrieben von rettungsküken
Odda Schützenfest *schluck* :rolleyes: :D

was denn?:D :D :D

nefgeländefahrer
14.01.2004, 20:42
oder fasching.....hihi

Vindu
15.01.2004, 07:04
Also wie gesagt,

ich hab den Text in einer Newsgroup gefunden und da stand nicht bei wer der Autor ist.

Aber ist nicht schlecht, oder?

Hat mich dann doch irgendwie an unser Stadteigenes Schützenfest erinnert...läuft immer so ähnlich ab.

der Vindu

rettungsküken
15.01.2004, 18:56
ich find den Text echt klasse, und bei genauerm Nachdenken an ein ganz bestimmtes Fest kommen mir fast alle Punkte relativ bekannt vor! :D *unschuldichguck*