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Anditi
19.04.2004, 13:29
D'ehre alle miteinander!

Das was hier folgt, ist nicht unbedingt ein Roman im Stile unseres allseits verehrten Doktor Dolor. Er ist auch nicht besonders witzig oder humorvoll.

Trotzdem ist es ein Rettungsdienstroman. Ich möchte ihn hier scheibchenweise online stellen, um zu schauen, wie er unter Kollegen so ankommt.

Nun denn, ich wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre

Anditi
19.04.2004, 13:30
Prolog

Das Ausfahrtssignal war soeben auf freie Fahrt umgesprungen und Christoph Summer schob den Geschwindigkeitsregler behutsam aufwärts. Es war ein lauer Sommerabend und wenn er seine Schicht in Kürze am Wiener Franz Josefs Bahn-hof beendet haben würde, würde er vielleicht noch einen Spaziergang mit seiner Frau unternehmen. Sie war schwanger, im dritten Monat. Als sie es ihm gesagt hatte, hatte Christoph Summer nicht sofort gewusst, was er davon halten sollte. Eigentlich hatte er vor gehabt, zunächst einmal genug Geld zu verdienen um sich ein Haus im Grünen leisten zu können, um endlich aus der alten Wohnung im zwanzigsten Bezirk ausziehen zukönnen. Daraus wurde jetzt natürlich nichts. Aber er freute sich darauf, Vater zu werden. Er erinnerte sich noch genau an den Tag vor drei Wochen, an dem seine Frau ihm die freudige Nachricht mitgeteilt hatte. Er hatte Frühdienst gehabt und war bereits um drei Uhr morgens aufgestanden. Sie hatte ausgesehen wie ein Engel, so wie sie da auf dem Bett lag, friedlich schlafend. Er hatte sie vorsichtig zugedeckt und war dann auf Zehen-spitzen aus dem Zimmer geschlichen. Als er kurz vor Mittag wieder nach hause zurück kam, war sie nicht da. Er hatte sich ein bisschen gewundert. Normalerwei-se hatte sie ihm immer einen Zettel an die Küchentür geklebt, wenn sie wusste, dass er vor ihr kommen würde. Doch die Küchentür war leer. Dann hatte er sich daran erinnert, dass sie am Vortag etwas von einem Arzttermin gesagt hatte. Er hatte sich einen von den Äpfeln genommen, die in der Küche gelegen hatten und gerade hineingebissen, als er hörte wie sie die Wohnungstüre öffnete. Ohne ein Wort zu sagen, war sie zu ihm in die Küche gegangen, hatte ihre Hände um sei-nen Halsgeschlungen und ihn angesehen.
„Weißt du“, hatte sie gesagt, „weißt du, dass wir bald umbauen müssen?“
Sein fragender Blick hatte sie offensichtlich amüsiert.
„Wir brauchen nämlich ein Kinderzimmer.“ Dann hatte sie ihn geküsst.
Die dreiteilige Schnellbahngarnitur der österreichischen Bundesbahn setzte sich langsam in Bewegung und Christoph Summer schob den Regler weiter in Rich-tung Höchstgeschwindigkeit. Seit mehreren Jahren fuhr er nun schon diese Stre-cke. Es gab kaum noch etwas, was ihn überraschen würde. So fand er immer wie-der Zeit dafür, das Treiben neben der Strecke zu beobachten. Heute waren auf dem Radweg, der die Bahnstrecke begleitete, besonders viele Jugendliche unter-wegs. Christoph Summer dachte daran, dass dieser Tag in Wien und Niederöster-reich den Beginn der Sommerferien markierte. Der Zug passierte das alte Strom-bauamt. Aus dem Innenhof des Gebäudes drang laute Musik und die bunten Lichtblitze zuckten durch die Dämmerung. Christoph Summer vermutete, dass dort heute wohl ein Clubbing stattfinden würde. Er war froh, dass sein Dienst nach dieser Fahrt zu Ende sein würde. Später, wenn sich die Gäste auf dem Heimweg befanden, wollte er nicht mehr fahren. Immer wieder kam es vor, dass einer der alkoholisierten Jugendlichen an der Bahnsteigkante das Gleichgewicht verlor und auf die Gleise fiel. Er hatte auch schon von Mutproben gehört bei de-nen die Jugendlichen möglichst knapp vor dem fahrenden Zug über die Gleise gesprungen waren. In den letzen beiden Jahren hatten sich zwar keine nennens-werten Unfälle auf diese Art ereignet, aber trotzdem war Christoph Summer diese Situation nicht geheuer. Immerhin war es einem seiner älteren Kollegen einmal passiert, dass er seine Garnitur nicht mehr rechtzeitig hatte bremsen können. Das Mädchen war damals in seinen Armen gestorben. Sie hatte mit einigen Freunden in einer Disco ihren sechzehnten Geburtstag gefeiert. Auf Erlebnisse dieser Art konnte Christoph Summer gerne verzichten.
Der Zug legte sich sanft in die Kurve und in der Ferne konnte er das erste Vor-signal des Abschnittes Kritzendorf erkennen. Es zeigte freie Fahrt an. Er passierte die Straßenbrücke, die die Gleise auf Höhe der Gemeindegrenze zwischen Grei-fenstein und Höflein überquerte. Auf der Brücke standen zwei Mädchen. Beide waren etwa fünfzehn Jahre alt und trugen kurze Röcke und hohe Schuhe. Ob sie geschminkt waren, konnte Christoph Summer von seinem Führerstand aus nicht erkennen. Eines der Mädchen, sie sie hatte ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, hielt etwas in der Hand. Wahrscheinlich war es ein Schminkspiegel. Gerade als Christoph Summer mit seinem Zug die Brücke passierte, betraten zwei weitere Jugendliche die Brücke.
Christoph Summer dachte daran, dass er noch nicht wusste, ob er Vater eines Buben oder eines Mädchen werden würde. Seine Frau wollte es nicht wissen. Namen hatten sie noch keine gefunden. Wenn es nach Christoph Summer ging, dann würde seine Tochter Verena heißen. So wie seine kleine Schwester, die sie eines Morgens tot im Gitterbett gefunden hatten. Ja er wünschte sich eine Toch-ter. Natürlich, über einen Sohn würde er sich auch freuen, aber mit einer Tochter würde all das nachholen, was er mit seiner Schwester nicht hatte erleben können. Er hatte sich vorgenommen ein guter Vater zu sein. Zumindest ein besserer als seiner es für ihn gewesen war.
Sein Vater hatte getrunken, solange Christoph Summer denken konnte. Nicht einmal war er sturzbetrunken nach Hause gekommen und auch nicht nur einmal hatte er dann seine Frau geschlagen, weil sie bereits schlief. Irgendwann hatte er seine Stelle als Lagerarbeiter verloren. Seine Alkoholsucht war immer schlimmer geworden. Manchmal blieb er tagelang fort. Zwei Tage vor Christoph Summers achtzehnten Geburtstag war ein Polizist vor der Wohnung gestanden. Sein Vater war betrunken in den Donaukanal gefallen und ertrunken. Damals hatte sich Christoph Summer vorgenommen, seinen Kindern ein besserer Vater zu sein. Jetzt hatte er Angst davor Vater zu werden. War es denn überhaupt möglich, alles richtig zu machen. Würde er seinem Kind, wenn es einmal fünfzehn war, erlau-ben, auch auf solche Veranstaltungen wie dieses Clubbing zu gehen? Was würde mehr wiegen. Der Wunsch seines Kindes, mit den Freunden auszugehen, cool zu sein. Oder doch die Angst davor, der Nachwuchs, könnte mit Drogen in Berüh-rung kommen, an Leute geraten, deren Bekanntschaft man im Normalfall besser nicht macht? Wäre er nicht ein besserer Vater, wenn er es verbieten würde? War es nicht die Aufgabe von Eltern, ihre Kinder vor den Gefahren, die in der Welt auf sie lauerten, zu beschützen? Würde er wirklich so ein guter Vater sein, wie er es sich wünschte?
Christoph Summer griff zum Geschwindigkeitsregler um seine Fahrt zu verzö-gern. Bald würde er die Haltestelle Höflein an der Donau erreichen. Er sah auf die Uhr. Es war Freitag, der 28. Juni 2002. Es war kurz vor neun Uhr. Christoph Summer war pünktlich.

1.
Begonnen hatte alles an einem von diesen lauen Sommerabenden, die zum Hoch-sommer genauso dazu gehören, wie Sonnencreme und viel zu süßes, dafür schon fast flüssiges Eis aus dem Freibadkiosk. Der Tag war fast schon unerträglich schwül gewesen und obwohl sich die Sonne den ganzen Tag hinter einer dicken grauen Wolkendecke versteckt hatte, waren die Temperaturen hoch und die Luft-feuchtigkeit schweißtreibend gewesen. Jeder Handgriff wirkte wie Schwerstarbeit und eine eigenartige Trägheit hatte das ganze Land erfasst. Die Menschen hatten wie Schnecken in ihren Häusern vor der Hitze Schutz gesucht. Beneidenswert jene, die in den Genuss einer Klimaanlage kamen. Das erlösende Gewitter kam erst am späten Nachmittag. So gegen fünf Uhr machte sich zunächst fernes Don-nergrollen bemerkbar. Dann färbte sich die dunkle Wolkendecke noch dunkler, schon fast bläulich-violett. Blitze durchzuckten den späten Augustnachmittag und endlich zerschnitten die ersten zentimeterdicken Regentropfen die von der Schwüle fast greifbar gemachte Luft. Das Gewitter war heftig, aber kurz.
Schon nach einer halben Stunde gaben die Wolken, getrieben von einer leichten Brise, die Sicht auf einen klaren Sommerabendhimmel frei, wie er blauer nicht hätte sein können. Lediglich die Kondensstreifen zweier Verkehrsflugzeuge in großer Höhe durchschnitten das blaue Firmament in dessen Mitte die Sonne als großer orange leuchtender Ball unterzugehen begann. Die Luft über den Wein-bergen und den Getreidefeldern fühlte sich leicht an und wirkte, als wäre sie von den Regentropfen gereinigt worden. Eine warme Brise kam auf und hielt die Luft in Bewegung. Man kam sich bei jedem Atemzug vor, als wäre man gerade frisch geboren worden.
Dieser plötzliche Wetterumschwung war allen herzlich willkommen. Auch den Mitarbeitern der Mistelbacher Rettungswache. Sie hofften, auf einen ruhigen Abend, vor allem aber und das war wichtig, auf eine ruhige Nacht. Schließlich waren sie alle freiwillig im Dienst und mussten am nächsten Morgen wieder ih-rem Beruf nachgehen, als hätten sie die Nacht in ihrem eigenen Bett verbracht. Der Tag hatte, dem schwülen Wetter zum Trotz, keine Notfälle gebracht. Die Hitze hatte sich weniger auf den Kreislauf der Menschen, dafür umso mehr auf deren Köpfe ausgewirkt und so bildete eine Wirtshausschlägerei um ein nicht bezahltes Krügerl Bier den tragischkomischen Höhepunkt des Tages. Der Wech-sel zwischen Tag- und Nachtdienst konnte pünktlich vollzogen werden.
Die Sanitäter machten es sich auf der Terrasse hinter der Dienststelle gemütlich. Man kannte sich seit Jahren. Vor bald fünfzehn Jahren hatten sie gemeinsam ih-ren ersten Erste- Hilfe Kurs besucht. Seit damals waren sie dabei. Im Einsatz verstanden sie einander blind und auch abseits des Rettungsdienstes hatten sich tiefe Freundschaften entwickelt. „Was meint ihr, kommt der Klosterneuburger heute?“, fragte Frederik Marz, der in dieser Nacht den Notarztwagen fuhr, in die Runde.
Der „Klosterneuburger“ war der Fahrer eines Ambulanzwagens der Klosterneu-burger Dienststelle, der dreimal in der Woche zwei Dialysepatienten zur Behand-lung nach Mistelbach brachte und gelegentlich seine Zeit an der Mistelbacher Dienststelle totschlug.
„Einen Kaffee, dass er heute nicht kommt!“, brummte Werner Ringelhöffner, der den Rettungswagen lenkte. Karl Salzer, sein Sanitäter, ein etwas jüngerer Mitar-beiter hielt genau wie Marz dagegen.
Salzer und Heinz Knöchler, der Sanitär am Notarztwagen gingen in die Fahr-zeughalle. Die Rettungsfahrzeuge mussten zu Beginn der Schicht immer einem genauen Check unterzogen werden. Gab es doch kaum etwas Peinlicheres als bei einem Einsatz mit zu wenig oder defektem Material dazustehen.
Kurz darauf stand Werner Ringelhöffner auf und brachte Marz wortlos eine Tasse Kaffee. Der Klosterneuburger war soeben eilig durch das Stiegenhaus in die Kü-che gekommen und hatte es sich auf der Bank vor dem Fernseher bequem ge-macht.
„Ich werde mir jetzt bald eine neue Maschine kaufen. Eine Ducati Monster.“ Ringelhöffner begann, Marz von dem neuen Motorrad, das er sich bald kaufen wollte, zu erzählen. Marz trank langsam seinen Kaffee. Er hörte Ringelhöffner sehr halbherzig zu. Er tat sich schwer, seinem Kollegen bei, seiner Meinung nach, so unwichtigen Dinge zuzuhören. Es gab wichtigeres als Werners neues Motor-rad, fand er. Außerdem hatte er sich für diese Leidenschaft seines Kollegen ohne-hin nie erwärmen können. Schon aus ganz logischen Gründen nicht. War doch die Wahrscheinlichkeit, bei einem Motorradunfall getötet zu werden viel größer, als im Auto. Von der Raserei einmal ganz abgesehen, hatte man einfach keinen Schutz beim Aufprall. Frederik Marz hatte schon oft darüber nachgedacht, aber er wollte und konnte für diese Leidenschaft einfach kein Verständnis aufbringen.
Knöchler und Salzer kehrten aus der Garage zurück. Beide Fahrzeuge waren voll-ständig und in gutem Zustand. Es sollte eine ruhige Schicht werden. Sie setzten sich wieder auf die Terrasse. Knöchler zündete sich eine Zigarette an. Normaler-weise hätte Ringelhöffner sofort demonstrativ zu husten begonnen, aber er war noch immer dabei, vom Motorradfahren zu schwärmen. Salzer unterbrach ihn.
„Schon mal darüber nachgedacht, wo wir heute Essen?“
Es war üblich, dass die Mannschaften gemeinsam zu Abend aßen. Meistens wur-de etwas bestellt, manchmal wurde aber auch gekocht. Und obwohl Heinz Knöchler, wenn er nicht gerade im Rettungswagen saß, Koch war, einigten sie sich, eine Bestellung bei der örtlichen Zustellpizzeria aufzugeben. Das ging schneller und ersparte vor allem den lästigen Abwasch im Anschluss. Karl Salzer erhob um telefonisch die Bestellung aufzugeben. Er war gerade aufgestanden, als die Notfallmelder beider Teams gleichzeitig zu heulen begannen. Knöchler nahm noch einen tiefen Zug, bevor er seine Zigarette im Aschenbecher ausdämpfte. Marz zuckte mit den Schultern. Mit dem ruhigen Abend war es vorbei.
„Einsatz für NAW und RTW Mistelbach, schwerer Verkehrsunfall auf der B7 bei der Abfahrt Mistelbach, mehrere vermutlich schwer Verletzte. Ich wiederhole: Einsatz für NAW und RTW Mistelbach, Verkehrsunfall auf der B7 bei der Ab-fahrt Mistelbach.“ Die Stimme des Disponenten rauschte verzerrt aus den Not-fallmeldern.
Die Blaulichter blitzten auf und unter dem Geheul der Sirenen verließen die Au-tos die Garage. Marz hielt noch kurz an der Kreuzung zum Krankenhaus um auf die Notärztin zu warten.
„Leitstelle Mistelbach von NAW Mistelbach, kommen!“ funkte Marz.
„Leistelle Mistelbach hört!“
„Gibt es eine genauere Notfallbeschreibung?“
„Ein tschechischer Skoda ist beim Überholen geschleudert und in einen Tanklas-ter geknallt. Angeblich war der Skoda voll besetzt. Was in dem Tanklaster war, hat mir der Anrufer nicht sagen können. Also passt besser auf!“
„Na ganz toll! Die Feuerwehr ist alarmiert?“
„Bin gerade dabei.“
„NAW Mistelbach hat verstanden.“
„Leiststelle Mistelbach, Ende!“ Der Disponent beendete das Gespräch. Nachdem er bei der Feuerwehrleitstelle Unterstützung angefordert hatte, dachte er einen Moment nach. Auf einem der Computerbildschirme konnte er sehen, wo die an-deren Rettungswägen der näheren Umgebung unterwegs waren. Alle Fahrzeuge waren im Einsatz. Er beschloss, einige Mitarbeiter zu alarmieren, damit sie auf der Dienststelle kommen und eine Bereitschaft bilden würden. Doch bevor er dazu kam die Alarmierungsroutine in Gang zu setzen, erreichte ihn der nächste Notruf.
In einem kleinen Wald unterhalb der Pfarrkirche hatten spielende Kinder den leblosen Körper eines Mädchens entdeckt. Der Anrufer, war aufgebracht und sprach schnell. Seine Sprache war laut und hektisch, fast hysterisch. Er war der Vater eines der Kinder. Vermutlichen hatten ihm die Kinder den grausigen Fund gezeigt. Weder der Anrufer noch der Disponent getrauten sich, das Wort „Lei-che“ in den Mund zu nehmen.
Das Telefonat war zu Ende. Der Disponent überlegte kurz. Immer noch waren alle Fahrzeuge im Einsatz. Und es war auch nicht absehbar, dass eines in den nächsten Minuten einsatzbereit sein würde. Jetzt war guter Rat teuer. Ines, die junge Kollegin, die die Jugendgruppenstunden hielt, bereitete sich im Lehrsaal vor. Sie konnte fahren. Aber mit wem? Der Disponent starrte aus dem Fenster. Sein Blick glitt über den Hof und blieb an den Fenstern des Mannschaftsraums hängen. Natürlich. Das war die Lösung. Er würde nachsehen. Einen Versuch war es wert, vielleicht war er ja da.

EDIT am 28.07.2005 um 22:31
Wenns euch gefällt, kommt die Fortsetzung...

Anditi
19.04.2004, 15:51
Aus dem Augenwinkel musterte der Klosterneuburger die junge Sanitäterin, die neben ihm saß und trotz seiner ruppigen Fahrweise versuchte, ein Einsatzproto-koll ausfüllte. Sie war, so weit war er bei seinen Beobachtungen bereits gekom-men, um ein gutes Stück kleiner als er. Ungefähr einen Meter fünfundsechzig, vielleicht siebzig. Überhaupt hatte sie auf ihn einen zierlichen Eindruck gemacht. Viel Zeit, sich ein Urteil zu bilden hatte er nicht gehabt, als sie in die Garage gelaufen waren. Ihr blondes Haar trug sie offen. Es fiel gerade bis zu ihren Schul-tern. Wenn sie aufsah, blickte der Klosterneuburger in große schokoladenbraune Augen. Er raste an einer roten Ampel vorbei, ohne sich viel um den Verkehr zu kümmern. Die Sirene musste als Warnung reichen. Fast wäre der Rettungswagen in der Kurve umgekippt, so rasch war er um die Kurve gefahren. Die Sanitäterin gab das Schreiben auf. Unter anderen Umständen hätte er sie jetzt wahrscheinlich gleich in ein langes Gespräch verwickelt. Im Moment erschien es im allerdings ein wenig unpassend. „Servus, ich bin der Max.“ quetschte er zwischen den Zäh-nen heraus, während er die Friedhofsmauer entlang raste und mit quietschenden Reifen in den Fußweg zur Kirche einbog. „Ines“ Er registrierte ihre Antwort nur halb. Ein kleiner, korpulenter Mann kam ihnen aufgeregt winkend entgegen.
„Da vorne muss es sein!“
„Wir nehmen alles mit?“ Sie musterte ihn für einen kurzen Augenblick genauso interessiert, wie er es zuvor bei ihr getan hatte. Er war ungefähr einen Kopf grö-ßer als sie. Ein bisschen pummelig vielleicht, aber das konnte auch an der schlampig angezogenen Uniformjacke liegen. Seine dunkelgrünen Augen waren ihr schon aufgefallen, als er beim Wagen auf sie gewartet hatte. Sie hatte eine Schwäche für grüne Augen. Für kurze dunkle Haare auch. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Vielleicht später.
Die Reifen zogen zwei tiefe Rillen in den Kiesweg als Max den Wagen vor der Kirche zum Stillstand brachte. Ines hatte sich bereits die Einweghandschuhe an-gezogen als sie aus dem Wagen sprang und mit dem Notfallkoffer dem Weg folg-te, den der Mann, der ihnen entgegen gelaufen war mit wilden Gesten wies. Max folgte ihr mit einigen Schritten Abstand.
„Wurde auch Zeit, dass ihr Arschlöcher kommt!“, brüllte er Max an, als dieser an ihm vorbeilief. Max warf hastig einen Blick auf die Uhr. Rund drei Minute waren vergangen, seit der Leitstellendisponent an die Türe des Fernsehzimmers geklopft hatte und Max fragte, ob er denn für diesen Einsatz einspringen könne.
Normalerweise hätte Max zurück gebrüllt. Aber nicht diesmal. Der Abend war kühler geworden und Max versuchte einen Moment lang, sich auf das vorzuberei-ten, was jetzt unweigerlich kommen würde.
Dieses Bild wird Ines nie vergessen. Die dunkelrote Blutlacke. Der reglose Kör-per eines rund fünfzehnjährigen Mädchens liegt, der darin liegt. Die weit aufge-rissenen blitzblauen Augen wird sie noch nächtelang in ihren Träumen sehen. Das Loch in der Brust, vier Zentimeter oberhalb der linken Brustwarze und die Pistole in der rechten Hand lassen nur einen Schluss zu: Selbstmord.
Für die Frage, warum ein junger Mensch dazu entscheidet, sich das Leben zu nehmen, ist jetzt keine Zeit. Nicht jetzt. Gefühle sind verboten. Wie ferngesteuert laufen die Maßnahmen zur Wiederbelebung ab. Ansprechen ist sinnlos, der Schmerzreiz führt zu keiner Reaktion. Das Mädchen ist nicht mehr bei Bewusst-sein. Mit dem Funkgerät verständigt Max den Leitstellendisponent über die Situa-tion. Die Atmung ist ausgefallen. Ein Notarzt muss her. Dringend. Der Disponent verspricht zu fragen, ob der Rettungshubschrauber aus Wien frei ist. Kreislauf-stillstand. Kein Puls mehr zu spüren. „Kein Schock empfohlen!“ sagt die mecha-nische Stimme aus dem Defibrilator. Mit beiden Händen fünfzehn Mal auf das Brustbein drücken, dann zweimal beatmen. Der Hubschrauber ist in Wien gestar-tet. Flugzeit zirka zehn Minuten. Wieder beatmen. Dazwischen jede Minute kon-trollieren ob der Kreislauf wieder eingesetzt hat, versuchen den Defibrilator ein-zusetzen. Wenigstens ein Flimmern, nur ein klitzekleines Flimmern. Zumindest eine kleine Chance. Dann könnten die Stromstöße des Defibrilators sie wieder zurück ins Leben bringen. Nichts, offensichtlich hat die Kugel das Herz genau getroffen. Die beiden Sanitäter sind verzweifelt, arbeiten wie in Trance. Aber sie wissen es beide. Dem Mädchen wieder Leben einzuhauchen ist unmöglich. Zu-mindest für sie. Dass er längst in einem Schlamm aus Blut und Erde kniet, be-merkt Max nicht einmal.
In der Luft knattert es. Der Hubschrauber kreist zweimal über ihnen. Ines deutet nach oben. Max nickt. Der Wind wirbelt die Verpackung der Klebeelektroden durch die Luft. Der Pilot setzt zur Landung an. Die Rotoren schneiden noch durch die Luft, als der Notarzt schon aus der Maschine springt. Die Kraft lässt nach. Ines und Max kommt es vor, als würden sie bereits seit Stunden reanimieren. Ein kurzer Blick, der Arzt hat verstanden. Während der Pilot die Maschine abstellt, läuft sein Sanitäter mit Rucksäcken bepackt, auf sie zu. Er übernimmt die Reani-mation. Ein Polizeiwagen kommt mit laufender Sirene um die Kurve. Keiner bemerkt es. Zuerst ein Blick auf das EKG. Nichts. Jetzt nur nicht aufgeben. Viel-leicht gibt es noch eine Chance. Die Chance nicht vergeben. Der Notarzt verlangt ein Medikament. Dann noch eines. Immer noch drückt Ines den Beatmungsbeutel zusammen, in der Hand mit der sie die Maske auf das Gesicht drückt, hat sie ei-nen Krampf. Sie spürt die Schmerzen längst nicht mehr. Max keucht noch immer, während er ein weiteres Medikament in eine Spritze aufzieht. Wieder ein Blick auf den Monitor. Diesmal gibt der Arzt dem Sanitäter ein Zeichen: Aufhören, Nulllinie, Asystolie, Herzstillstand, nichts geht mehr. Die Medikamente haben nichts geholfen. Gemeinsam sammelt die Mannschaft des Hubschraubers ihre Ausrüstung ein. Keiner sagt ein Wort. Zurück bleibt der Notfallkoffer aus Max Auto. Der Arzt blickt Ines und Max an. Max schüttelt den Kopf. Die Crew zieht sich zum Helikopter zurück. Max betrachtet den leblosen Körper. Das blutge-tränkte Top der Kleinen war wohl hellblau und auch ihre dunkelblonden Haare sind jetzt blutgetränkt, besitzen nun eine dunkelrote Farbschattierung.
Wie zwei Salzsäulen mussten die beiden auf die Polizisten, die inzwischen einge-troffen waren, wirken. Max reagierte erst, als ihn der Polizist m zum dritten Mal ansprach. Den zweiten Beamten, der gerade eine schwarze Plastikfolie über den toten Körper breitete, bemerkte er ebenso wenig wie die immer größer werdende Menge an Schaulustigen. Die Fragen des Polizisten beantwortete er monoton und geistesabwesend.
„Name?“ Der Beamte blickte nur sehr kurz von seinem Notizblock auf, als er begann Max Fragen zu stellen. Anscheinend war er mit seinen Gedanken auch ganz woanders.
„Max Partovec.“, Max antwortete so knapp wie möglich. Zum Reden war ihm jetzt gerade nicht zumute.
„Geburtstag?“
„28. April 1983.“
„Beruf?“
„Zivildiener.“
„Wissen Sie, was hier passiert ist?“
„Die Kleine hat sich erschossen!“, sagte Max etwas patzig. Er fühlte sich mies. Und dann diese dummen Fragen. War der Kerl etwa blind?
„Haben Sie versucht die Tote wiederzubeleben?“
„Natürlich.“ Er steckte die Hände in die Hosentasche und atmete tief durch. Na-türlich, er trug die Uniform nur zum Spaß und war zufällig vorbeigekommen.
„Wie lange?“
„Was weiß ich. Viertel Stunde, halbe Stunde. Eine Zeit lang halt, bis der Hub-schrauber gelandet ist. Für alles weitere fragen Sie bitte den Arzt.“ Er biss die Zähne zusammen. Wie konnte ein einzelner Mensch bloß so dumme Fragen stel-len?
„Haben Sie hier irgendwas verändert?“
„Sicher, wir haben reanimiert, du Arschloch.“ Mit der Selbstbeherrschung war es vorbei. Mit einem Mal bahnten sich die Enttäuschung und der Zorn ihren Weg. Max hatte die Beschimpfung nicht einmal bewusst gesagt. Doch der Uniformierte überging es nicht.
„Wie bitte?“
„Nichts.“
In der Zwischenzeit hatte sich Ines in der offenen Schiebetür auf den Boden des Rettungswagens gesetzt. Ihren Kopf hatte sie an den Türrahmen gelegt und ihr Gesicht in ihren Händen vergraben. Max drehte dem Gendarmen den Rücken zu und setzte sich neben sie. Dann zog er sie langsam zu sich heran und legte vor-sichtig seinen Arm um ihre Schulter. Ihr Körper bebte und sie wurde von Wein-krämpfen geschüttelt. Schüchtern strich ihr Max durch die Haare um sie zumin-dest etwas zu beruhigen. Allerdings war er sich nicht sicher, ob es etwas nutzte. Am Horizont begann die Sonne unterzugehen. In dem Gewirr aus all den Stim-men und Gerüchen kam es Max vor, als sei auch sie blutrot.
Hinter sich hörte er, wie sich einer der Polizisten und der Pilot unterhielten. Der andere versuchte vergeblich, die Horde der Schaulustigen auseinander zutreiben. Es war kühler geworden. Die Sonne verschwand endgültig hinter dem Horizont und tauchte die ganze Szenerie in ein unheimliches Licht. Direkt am Horizont erschien der Himmel dunkelrot um in großer Höhe in ein helles Blau getaucht zu sein. Max, der in diesem Moment den Kopf hob, kam es vor, als würde er das eben Erlebte am Himmel noch einmal sehen. Das helle Blau des Tops auf dem das Blut dunkelrot geronnen war. Es dämmerte weiter. Bald würde sich der Man-tel der Dunkelheit über das Geschehene breiten. Auf den Mantel des Vergessens würden er und Ines wahrscheinlich vergebens warten. In der Ferne waren die Sirenen weiterer Polizeiwagen zu hören. Vermutlich die Spurensicherung. Der Pilot startete seine Maschine und nachdem der Sanitäter das OK gegeben hatte, zog er seine Maschine langsam in die Höhe. Dabei trug der immer stärker wer-dende Wind der Rotorblätter die schwarze Plastikfolie, mit der die Leiche des Mädchens zugedeckt worden war, davon. Max’ Blick streifte noch einmal das tote Kind. „Warum hast du dir und uns das angetan?“, dachte er und drückte die schluchzende Ines fester an sich. Da fiel sein Blick auf die linke Hand des Mäd-chens. Irgendetwas hielt sie fest. Und sie würde es nicht mehr hergeben. So viel stand fest.

EDIT am 28.07.2005 um 22:31

RS-USER-Obelix
19.04.2004, 15:58
Wow, super spannend. Bitte weiterschreiben.

RS-USER-schmoelzi
19.04.2004, 17:40
Hab aus Zeitmangel bis jetzt nur mal den Prolog gelesen.

Muss aber sagen, nur weiter so!

Anditi
20.04.2004, 08:06
2.
Die Rückfahrt nach Klosterneuburg wurde für Max zu einem Horrortrip. Mehr-mals wäre er in der Dunkelheit vor Müdigkeit fast von der Straße abgekommen. Immer wieder fielen im die Augen zu. Jedes Mal fuhr er erschrocken hoch und versucht angestrengt sich zu konzentrieren. Die beiden Patienten im Fond des Wagens merkten nichts davon. Sie waren beide nach einer kurzen, dafür aber umso heftigeren Diskussion rund um den ihrer Meinung nach so knackigen Hin-tern einer der Schwestern eingeschlafen. Entgegen seiner Gewohnheit hatte sich Max diesmal nicht daran beteiligt. Es war ihm nicht zum Reden. Er wollte schrei-en. Obwohl er versuchte, sich auf die Fahrt zu konzentrieren, tauchten ständig die Bilder des toten Mädchens vor seinen Augen auf. Das Kind in der Blutlache ließ ihn nicht mehr los. Dazu mischte sich die mechanische Stimme des Defibrilato-rautomaten. Max hielt an, verschloss die Fenster des Wagens, setzte die Warn-blinkanlage in Betrieb und ging einige Meter davon. Er atmete in die Nachtluft hinein und sog sie in sich auf. Dann schrie er. Es war ein langgezogener, unarti-kulierter Schrei. Er schrie, als würde es ihn zerreißen. Fast schien es Max, als könnte er das Geschehene aus seinem Gedächtnis schreien, als würden die Erin-nerungen wie der Schrei in der Nacht verhallen. Als der Schrei jedoch verklang, waren die Bilder wieder da. Für einen kurzen Moment spielte Max mit dem Ge-danken, sich dem nächsten vorbeifahrenden Auto in den Weg zu stellen. Er hielt inne. Ines... wie würde sie wohl reagieren, wenn sie erfuhr dass er sich einfach aus der Verantwortung stahl? Es war komisch. Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Warum, das wusste er nicht. Zum ersten Mal seit langer Zeit, hatte er wieder so ein komisches Kribbeln im Bauch. Ein unangenehmes Gefühl, fand er. Er fand es unpassend. Max war sich sicher. Er versuchte sich darüber zu freuen, dass er sie kennen gelernt hatte. So schlecht war der Abend ja eigentlich gar nicht verlaufen. Ein missglückter Einsatz, ja das schon. Aber immerhin war er auch einer äußerst netten Kollegin begegnet. Ihm begann zu frösteln. Er zwang sich, an Ines zu den-ken als er zu seinem Wagen zurückkehrte. Er stellte den Blinker ab und ließ den Motor an. Die beiden Patienten im Fond hatten weder den außerplanmäßigen Halt noch Max’ Verzweiflungsschrei bemerkt. Der Wagen kam wieder auf Touren und Max versuchte vor seinem geistigen Auge Ines’ Gesicht zu rekonstruieren. Aber merkwürdig, immer wieder drängten sich die Merkmale des toten Mädchens da-zu. Mal waren es ihre blutgetränkten Haare, mal ihre blitzblauen, weit aufgerisse-nen Augen. Max schüttelte sich. Er wollte die Bilder nicht mehr sehen. Wieder zwang er sich an Ines zu denken. Dieses Mal waren es ihre Nase und die Lippen, die begannen sich zu verändern. Plötzlich waren alle Gedanken an Ines umsonst. Das Bild der Kleinen war wieder da, deutlicher und klarer als je zuvor. Dabei fiel ihm ein, dass das Kind noch nicht identifiziert war. Es hatte keine Papiere bei sich gehabt. Auch in dem kleinen Lederrucksack, den die Spurensicherung etwas weiter weg gefunden hatte, war nichts, was eine Identifizierung erleichtert hätte. Er war sorgfältig in einem Gebüsch am Rand der Wiese versteckt worden. Neben einer Jugendzeitschrift, einem ausgeschalteten Handy und einem Lippenstift war ein kleiner, offensichtlich schon sehr alter Stoffteddybär das einzig Merkwürdige, das sich darin befand. Auch in der Geldbörse, die später in der Gesäßtasche des Rocks gefunden wurde, war nichts außer ein paar Cent und einigen alten Kino-karten.
Die Kinokarten waren es, die die Polizisten zu der Vermutung veranlasste, dass sie aus Mistelbach oder der näheren Umgebung kommen musste. Immerhin hatte sie regelmäßig die Vorstellung besucht. Das war aber auch schon der einzige Anhaltspunkt und leichter wurde dadurch auch keinem.
Je später es geworden war, umso bizarrer wirkte der Schauplatz. Kriminalbeamte aus Wien waren gekommen und hatten Scheinwerfer aufgestellt, die alles in tag-helles Licht tauchten. Ines und Max waren noch lange auf dem Boden des Ret-tungswagens gesessen und hatten das Treiben aus der Ferne beobachtet. Eigent-lich hätten sie schon längst fahren können aber aus irgendeinem Grund, den die beiden selbst nicht einmal wussten, waren sie geblieben. Wie Gespenster wirkten die Exekutivbeamten auf sie, und die Glocken der Kirchturmuhr die sich regel-mäßig in das Stimmengewirr einmischten verstärkten dies Bild. Erst kurz vor Mitternacht hatten sie sich dann auf den Rückweg zurück zur Dienststelle ge-macht. Der Sarg mit der Toten war schon vor längerer Zeit an ihnen vorbei getra-gen worden und auch einer der beiden Gendarmen hatte sich bereits davonge-macht. Die Rückfahrt verlief schweigend. Keiner wagte den anderen anzusehen.
Auch die Stimmung auf der Dienststelle war seltsam gewesen. Die anderen Sani-täter waren bereits vom Disponenten informiert worden. In ihren Augen konnte man die Erleichterung, nicht dabei gewesen zu sein, erkennen. Ihr Einsatz war auch nicht einfach gewesen, aber sie hatten es zumindest geschafft, alle Unfallop-fer lebend zu bergen und ins Krankenhaus zu bringen. Außerdem war ein Ver-kehrsunfall etwas alltägliches, nicht Ungewöhnliches. Es wurden keine Fragen gestellt und keine Antworten erwartet. Sie hatten Max angeboten, seine Transpor-te zu übernehmen, damit er das Geschehene überschlafen könne, aber Max hatte trotz Ines hilflos flehender Blicke darauf bestanden, selbst nach Klosterneuburg zurückzufahren. Er hatte geglaubt, dass es ihn ablenken würde.
Einen Kilometer hinter der Wiener Stadtgrenze wurde Max jäh aus seinen Wachträumen gerissen. Das energische Hupkonzert, das ihn darauf aufmerksam machen sollte, dass er eine rote Ampel überfahren hatte, schien ihn nicht zu stö-ren. Er kehrte zum Ausgangspunkt seiner Gedanken zurück. Das Mädchen war noch nicht identifiziert. Irgendwo in Mistelbach gab es also ein Ehepaar, das sor-genvoll, aber auch gleichzeitig voll verzweifelter Hoffnung darauf wartet, dass die geliebte Tochter nach Hause kommt. Vielleicht war es auch nur eine Mutter. Oder nur ein Vater. Es blieb jedoch bei der unverrückbaren Tatsache, dass ir-gendwann die Hausglocke schellen und statt der erwarteten Heimkehrerin ein Kriminalbeamter um Einlass bitten würde.
Der Verlauf des darauffolgenden Gesprächs wollte sich Max nicht vorstellen. Er nahm sich stattdessen vor, am nächsten Tag Ines anzurufen, um zu erfahren, ob der Name der Toten bereits festgestellt sei. Er war sich allerdings noch nicht so ganz sicher ob er es eher zeitig in der Früh oder doch erst zu Mittag zu versuchen sollte. Dann fragte er sich, ob sie überhaupt mit ihm sprechen wollte. Ob sie nicht enttäuscht von ihm war, weil er sie einfach im Stich gelassen hatte.
Max schreckte hoch. Auf der Gegenfahrbahn hat ein Radargerät einen Schnell-fahrer erfasst und geblitzt. Der Blitz hatte Max für den Bruchteil einer Sekunde geblendet. Er blickte auf die Uhr. In wenigen Minuten würde sein Höllentrip vorbei sein. Dann würde er in seinem Bett liegen und versuchen zu schlafen. Er dachte gar nicht daran, dass ihn dann wieder die Bilder der letzten Stunden ver-folgen würden.
Er entschloss sich, Ines erst am Nachmittag anzurufen. Max wusste, dass sie ge-nau wie er nur in der Erschöpfung Ruhe finden würde und daher erst spät aufste-hen würde. Die automatische Garagentür schloss sich hinter ihm und er stellte den Motor ab. Er legte die Einsatzprotokolle seiner Dialysefahrt in den dafür vorgesehenen Schubfächern ab. Dann fuhr er nach Hause.
Max lag noch lange wach. Ihm fröstelte und vor seinen zur Zimmerdecke gerich-teten Augen wiederholte sich immer das gleiche Szenario. Der Abend lief wie ein Spielfilm vor ihm ab. Von der Autofahrt bei der ihm kurz sogar der Gedanke gekommen war, dass er Ines irgendwann ins Bett bekommen würde über die er-folglose Reanimation bis hin zum Start des Helikopters, bei dem der Rotor alles noch mal aufdeckte, was endlich von der Plastikfolie verdeckt war.
Bevor Max einschlief, beschloss er Ines gleich anzurufen wenn er aufwachte. Egal wann. Dass würde er tun, dessen war er sich sicher. Dann schlief er endlich ein.

EDIT am 28.07 2005 um 22:30

RS-USER-Cypher
20.04.2004, 15:50
N1! Sehr, sehr geil!

nefgeländefahrer
20.04.2004, 16:22
verdammt gut

Anditi
21.04.2004, 09:15
Nachdem sich Max auf den Weg gemacht hatte, war Ines noch einige Zeit alleine und gedankenverloren im Mannschaftsraum sitzen geblieben. Der Nachtdienst war zu Bett gegangen und auch der Disponent hatte sich in die Leitstelle zurück-gezogen um etwas Ruhe zu finden.
Ines ging in die Küche und begann sich Tee zu kochen. Seit sie sich als Kind an einer Kanne heißen Kaffee verbrüht hatte, trank sie nur mehr Tee. Kaffee war ihr schlichtweg unsympathisch. Sie versuchte sich abzulenken und begann das Ess-geschirr vom Abendessen abzuwaschen.
Das Teewasser begann zu kochen und Ines goss den Tee auf. Während der Tee zog, begann sie, die Küche nach Zucker zu durchsuchen. Da ihre Suche erfolglos war, trank sie ihren Tee ungezuckert. Dann ging sie in die Garage, setze sich in den Notarztwagen und starrte vor sich hin.
Es war nicht klug gewesen, Max allein nach Klosterneuburg fahren zu lassen. Ohne ihn kam sie sich alleine gelassen vor. Natürlich hatte die Psychologin der Dienststelle ihre Hilfe angeboten, aber was wusste die schon. Ines überlegte, Max sofort anzurufen und kramte nach ihrem Handy. Sie wollte nur sicher sein, dass er wohlbehalten nach Hause gekommen war. Dann ließ sie es doch bleiben und steckte ihr Telefon wieder in die Hosentasche. Er würde sonst vielleicht glauben, sie würde sich an ihn klammern. Sie kletterte nach vorne in den Fahrerraum und drehte das Radio auf. Eine dieser kurzlebigen Retortenbands säuselte etwas von wahrer Liebe. Ines dachte an Max, als das Lied langsam durch ihr Gehirn sicker-te. Als er sie in den Arm genommen hatte, war ihr die Tragödie wenige Meter vor ihren Füßen unendlich weit entfernt vorgekommen. Jetzt sah sie das unwirkliche Bild wieder klar und deutlich.
Das tote Mädchen, die blutgetränkte Kleidung und als lebender Bildrahmen, die Menge der sensationsgeilen Schaulustigen rundherum die wirr durcheinander geredet hatten, laut und hysterisch. Sie hatten geredet und geschrieen, geweint und manche sogar gelacht, aber zu sagen hatte keiner von ihnen etwas gehabt. Weil es schlicht und einfach nichts zu sagen gab.
Ein metallischer Gong aus dem Radio verkündete, dass es ein Uhr geworden war. Der Nachrichtensprecher berichtete von einer Konkursmeldung eines großen Unternehmens in Amerika, von einem Politiker, der betrunken am Steuer er-wischt worden war und von einem neuen Konflikt zwischen zwei afrikanischen Staaten. Ines atmete tief durch, als der Nachrichtensprecher Luft holte und fort-setzte:
„In Mistelbach, Niederösterreich, wurde heute Abend die Leiche einer vorerst unbekannten Jugendlichen gefunden. Bisher ist es der Gendarmerie nicht gelun-gen, die Identität der Toten zu klären. Auf Grund der bisher gefundenen Hinweise geht die Exekutive von Selbstmord aus!“
Die Meldung vom Erfolg eines österreichischen Tennisspielers hörte Ines nicht mehr, denn sie hatte das Radio abgedreht. Das Gesagte hatte ihre Erlebnisse nüchtern auf den Punkt gebracht. Die Tatsachen die vor ihr lagen, versuchte sie zu verdrängen. Die Frage nach dem Grund der Tragödie beschäftigte sie viel mehr. Was, um alles in der Welt, bewegt einen so jungen Menschen, einen dicken Schlussstrich unter sein Leben zu ziehen? Ines wusste, dass sie nur zur Ruhe kommen würde wenn sie eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage finden würde. Aber gab es überhaupt eine klare Antwort? Sie trat aus der Garage in den Hof. Eines der Fenster im ersten Stock war geöffnet. Sie konnte das Telefon läu-ten hören. Vermutlich das städtische Altersheim, mit der Meldung dass ein Heimbewohner auf der Toilette gestürzt war. Das Telefon verstummte. Entweder hatte der Leitstellendisponent abgehoben oder der Anrufer hatte aufgegeben. A-ber vermutlich würde gleich das Rettungswagenteam geweckt werden und der Wagen würde zu einem dieser Einsätze fahren, die unter Kollegen auch schon mal als „Scheißhäuseltour“ bezeichnet werden. Sie lehnte sich an die Wand ne-ben der Eingangstüre.
Der Disponent betrat den Hof.
„Ines?“, fragte er im Vorgehen in die Dunkelheit. Es klang etwas unsicher.
„Ja.“, Erschrocken wirbelte er herum. Er hatte sie im Vorbeigehen nicht wahrge-nommen..
„Die Gendarmerie hat angerufen.“
„Und weiter? Soll ich die Kleine erschossen haben?“, fragte sie ironisch.
„Nein, sie glauben nur, dass es dich vielleicht interessiert, dass sie wissen, wer sie ist.“
„Davon wird sie auch nicht mehr lebendig.“ Ines tat, als würde es sie nicht inte-ressieren, dabei hoffte sie, dass ihr der Disponent den Namen gleich nennen wür-de.
„Ich weiß. Du sollst anrufen, wenn du mehr wissen willst.“ Er hatte das Interesse in ihrer Stimme sehr wohl heraus gehört.
„Haben sie gesagt, wie sie hieß?“
„Ja, ihr Name war...“, er kramte aus seinen zahlreichen Taschen einen kleinen zerknitterten Zettel heraus, „... Eva Glatterbeck. 15 Jahre. Die Eltern wissen schon Bescheid!“
„Danke, ich ruf morgen an!“ Sie ging ein paar Schritt auf den Hof hinaus, hielt jedoch in der Bewegung inne, als sie merkte, dass ihr Gegenüber noch etwas sa-gen wollte.
„Gehst du heim oder schläfst du hier?“
„Ich bleib da! Gute Nacht!“
„Na gut. Gute Nacht!“
Der Disponent verschwand wieder im Haus. Ines blieb noch ein, zwei Minuten reglos stehen. Mehrmals atmete sie tief ein. Dann ging sie zurück in die Küche, wo sie die restlichen Teller abwusch. Schließlich setzte sie sich in den Mann-schaftsraum und drehte den Fernseher an. Sie zappte zwischen den verschiedenen Kanälen herum. Die meisten Sender wiederholten die zur Hauptsendezeit gelau-fenen Spielfilme, auf den anderen liefen bereits die ewigen Home-Order-Endlos-Schleifen. Bei einem drittklassigen japanischen Porno blieb Ines einige Minuten hängen. Sie dachte an Max. Was tat er wohl, um sich von der Tragödie des A-bends zu erholen? Er würde sich wohl keine Pornos ansehen. Abermals verspürte sie den Drang ihn anzurufen. Ein Blick auf die Uhr hielt sie jedoch davon ab. Es war bereits kurz vor zwei. Bestimmt lag er schon im Bett und schlief.
Doch dann wurde ihr das Gestöhne der vollbusigen Asiatinnen zu viel und sie drehte den Fernseher ab. Außerdem glaubte sie, zwischen einer der wenigen eu-ropäischen Darstellerinnen und dem toten Mädchen eine undeutliche Ähnlichkeit ausgemacht zu haben.
Ines betrat einen der Schlafräume, und obwohl sie sich sicher war, dass er leer war, verzichtete sie darauf, Licht zu machen. Sie zog ein Leintuch über, richtete das Kopfkissen, entkleidete sich und wickelte sich in den Deckenüberzug. Die Daunendecke hatte sie zuvor über einen Sessel gehängt. Sie dachte wieder an Max. Was ihn wohl dazu bewogen haben mag, einfach nach Klosterneuburg zu-rückzufahren? Sie kam sich alleine gelassen vor. Ines versuchte sich vorzustellen, was sie wohl besprochen hätten, würde Max nun im Bett neben ihr liegen. Viel-leicht würde er sogar in ihrem Bett liegen oder sie in seinem. Vermutlich hätten sie miteinander geschlafen, nur um Ablenkung zu finden. Ihre Gedanken schweif-ten zu dem Mädchen. Hatte sie einen Freund gehabt? Wenn ja, wie hat er wohl geheißen? Franz? Nein, das war furchtbar altmodisch. Oder Paul? Adam wäre zu kitschig und Frank klang nach einem Deutschen. War er, Paul oder wie der Freund auch immer geheißen haben mochte, vielleicht der Grund für ihren Selbstmord?
Ines merkte, dass sie ruhiger wurde, als das Leben zusammen mit dem Namen begann, Konturen anzunehmen. Bevor sie einschlief beschloss sie, Max anzuru-fen und ihm zu sagen, dass die Tote nun auch einen Namen hatte.

EDIT am 28.07.2005 um 22:29

nefgeländefahrer
21.04.2004, 12:37
so hab alles mal in eine pdf datei gesteckt, wenn der autor nichts dagegen hat, kann ich sie euch per email verschicken

Anditi
21.04.2004, 13:08
Wenn ihr wollt können wirs auch so machen!

Allerdings ist das Ding noch nicht ganz fertig. Ich weiß zwar schon, wie es ausgeht, aber dazwischen fehlt noch einiges. Ich weiß zwar schon ungefähr worums geht, aber es is halt noch nicht fertig.

Deshalb die Scheibchenversion. Zur Zeit bin ich bis Kapitel neun fertig. Also wenns interessiert, dann gibts mehr davon.

Und zwischenzeitlich mal danke fürs Feedback!

Andi

RS-USER-schmoelzi
21.04.2004, 13:10
Nur her damit. Scheibchenweise ist sehr okay, so komm ich zum Lesen.

Finds super, als mir gefällts und dann eine endgültige Fassung als pdf file wäre toll.

Anditi
21.04.2004, 13:16
Und wieder eine kleine Scheibe:

PS.: Wenns fertig is, dann is pdf natürlich no problemo!


3.
Als Max erwachte, kam es ihm vor, als hätte er nur wenige Minuten geschlafen. Das Läuten seines Handys hatte ihn unsanft aus dem Tiefschlaf hochkatapultiert. Diesem Umstand verdankte er es wohl auch, dass er sich nicht an seine Träume erinnern konnte. Schlaftrunken tastete er sich mit halb geöffneten Augen vor-wärts. Der Anrufer ließ einfach nicht locker, der Piepser klingelte immer noch. Max entsann sich, dass es sich nur in einer seiner Hosentaschen befinden könnte und begann die Taschen zu durchsuchen. Tatsächlich wurde er fündig und hob ab.
„Wo in aller Welt bist du?“
„Wo? wer, ich?“
„Nein, der Kaiser von China. Natürlich du! Wirf mal einen Blick auf die ver-dammte Uhr und frag dich dann, wo du seit einer halben Stunde sein solltest.“
„Wo soll ich denn sein?“
„Verarschen kann ich mich auch allein, da brauch ich dich nicht dazu! In fünf Minuten bist du da! Der Hoffmann tobt schon!“
Der Anrufer hatte das Gespräch beendet. Max stand konsterniert in der Mitte seines Zimmers und realisierte erst langsam, dass der Anruf soeben von der Dienststelle gekommen war. Einige Sekunden später war er hellwach. Seine Mut-ter hatte das Zimmer betreten und die blutgetränkte Uniform entdeckt, die Max in der Nacht achtlos über einen Stuhl geworfen hatte. Ihr Entsetzen darüber tat sie mit einem lauten, langgezogenen Schrei kund. Max unternahm nicht einmal den Versuch, das Chaos in seinem Zimmer zu erklären sondern griff nach frischer Unterwäsche und verließ den Raum blitzartig in Richtung Dusche. Die Fragen und Vorwürfe seiner Mutter ignorierte er.
Für die Fahrt zur Dienststelle benötigte er an diesem Morgen etwas mehr als drei Minuten.
Allerdings hoffte er inständig, dass es niemanden gestört hatte, dass er mit mehr als siebzig Kilometern pro Stunde durch eine Dreißiger- Zone gerast war. Nach der Dusche glaubte er für einige Augenblicke, dass es ihm gelungen war, die Erinnerungen genauso wie die letzten Blutspritzer an den Unterarmen in den Ab-fluss zu spülen. Doch jetzt, auf dem Weg zum Dienst, kamen die Bilder vom Vorabend wieder zurück. Bei Tageslicht hatten sie vielleicht ein bisschen von ihrem Schrecken verloren. Max erinnerte sich daran, dass er Ines anrufen wollte. Mittlerweile musste die Kleine doch identifiziert worden sein. Er würde Ines gleich anrufen, wenn er den notwendigen Rapport bei Hoffmann hinter sich ge-bracht hatte. Hoffmann war ein impulsiver Chef und schwer von einer anderen Meinung als der seinen zu überzeugen. Hatte sich die erste Aufregung jedoch einmal gelegt, so bemühte er sich stets, die Sache der Vergessenheit anheim fal-len zu lassen. Davon abgesehen war Hoffmann eine Naturgewalt. Sein Körper-umfang war weit über die Grenzen des Rettungsbezirks hinaus bekannt und unter den Zivildienern wurde er auch öfters als „Kollege Bauchmann“ bezeichnet. Max stand vor Hoffmanns Türe und überlegte, welche Verteidigung gegen das gewal-tige Erscheinungsbild und die kräftige Stimme seines Chefs wohl die beste war. Durch die halboffene Tür sah er, dass Hoffmann telefonierte. Er hatte also noch einige Minuten Galgenfrist. Sein vorsichtiges Klopfen an den Türrahmen wurde durch von Hoffmann durch ein kurzes Nicken erwidert. Er winkte Max zu sich und deutete ihm, sich zu setzen. Das Gespräch schien noch länger zu dauern. Schließlich warf Hoffmann den Hörer auf die Gabel und blickte dann Max lange an. Er räusperte sich.
„Hast du mir nichts zu sagen?“, fragte der Chef und sah Max noch durchdringen-der an.
„Sorry, ich hab verschlafen. Tut mir echt leid!“, verteidigte Max sich sofort.
„Abgesehen davon, dass du der erste Zivi bist, der den Dreizehn- Uhr- Dienst verschlafen hat, spreche ich eigentlich von gestern Abend! Bist du vollkommen übergeschnappt?!“ Langsam konnte sich Hoffmann nicht mehr zurückhalten.
„Wieso, ist denn verboten, an einer anderen Dienststelle auszuhelfen, wenn es sein muss?“
„Davon rede ich doch gar nicht!“
„Nicht? Ich kann mich nicht erinnern, gestern noch mehr Scheiße gebaut zu ha-ben!“
„Ich rede davon, dass du zwei Patienten und dich selbst einem gewaltigen Risiko ausgesetzt hast! Was hast du dir dabei gedacht, als du mitten in der Nacht zu-rückgefahren bist?!“
„Nichts, ich weiß nicht!“
„Er weiß es nicht!“ Hoffmann rang nach Atem. Schließlich holte er tief Luft.
„OK, reden wir ein anderes Mal darüber. Ich glaube, heute ist nicht mehr viel zum Fahren. Such dir ein schönes Sofa, leg dich hin und schlaf dich aus!“
„Danke!“
Max verließ Hoffmanns Büro. Einige Sekunden dachte er nach, ob er sich wirk-lich nicht einfach hinlegen und ausschlafen wollte. Wollte er wirklich wissen, ob das Mädchen schon identifiziert war? Die Erinnerung an den gestrigen Abend würde sich doch nur noch mehr verstärken. Wer weiß, was er sonst noch erfahren würde. Dann warf er alle Zweifel hin und wählte Ines Nummer. Er ließ es einmal läuten. Dann legte er wieder auf. Was wenn Ines noch schlief? Er wollte sie nicht wecken. Sein Handy läutete. Ein Blick auf das Display bestätigte ihm, was er zu wissen glaubte. Es war Ines. Max hielt einen Moment inne, dann hob er ab.
„Guten Morgen!“, grüßte er freundlich.
„Morgen? Du bist gut. Hast du auf die Uhr geschaut?“
„Ja, ich hab seit eins Dienst!“
„Wie geht es dir?“
„Beschissen und selbst?“
„Danke, ebenfalls!“
„Gibt’s was Neues?“
„Ja, sie haben die Kleine gestern Nacht noch identifiziert!“
Auf diesen Satz hatte Max gewartet. Er hatte erwartet, dass es nun leichter wäre, die Geschehnisse am Mistelbacher Kirchenhügel zu verarbeiten. Davon merkte er im Moment allerdings wenig. Er schwieg einfach.
„Max?“
„Ja?“
“Willst du wissen wie alt die Kleine war?“
„Nein!“
„Sie war fünfzehn!“
„Wissen es die Eltern schon?“
„Ja.“
„Wie haben sie sie identifiziert?“
„Eine Freundin, bei der sie einige Nächte hätte schlafen sollen, hat sie vermisst. Deshalb ist sie zur Gendarmerie und dort hat sie ihren Kuschelbären erkannt.“
„Der in dem Rucksack war?“
„Ja.“
„Wissen sie schon, was sie in der Hand gehalten hat?“
„Einen Schlüssel.“
„Einen Schlüssel?“
„Ja, so einen komischen kleinen.“
„Warum hat sie bei der Freundin übernachtet?“
„Die Eltern sind auf Urlaub! Irgend so ein Kurzurlaub. Geschäftlich“
„Sind? Du meinst, sie waren auf Urlaub.“
„Nein, die kommen erst übermorgen zurück! Die Flieger aus den Vereinigten Staaten waren alle ausgebucht!“
Max beschloss, Ines keine weiteren Fragen zu stellen. Er merkte, dass ihr noch was anderes auf den Lippen brannte.
„Max?“
„Ja?“
“Wann kommst du wieder herauf?“
„Wär dir heute Abend recht?“
„Ja! Bitte lass mich nicht allein!“ Max wollte etwas sagen, biss sich aber auf die Lippen. Dann stimme er zu.
„OK, ich komm so gegen halb acht!“
„Danke! Bis später!“
„Bis später!“
Ines hatte aufgelegt. Max legte das Handy weg. Irgendetwas irritierte ihn. Er wusste bloß nicht, was es war. Es war nur so ein Gefühl, ein Gefühl, dass er so schnell nicht wieder loswerden würde. Er beschloss, am Abend mit Ines darüber zu reden. Dann befolgte er Hoffmanns Rat, legte sich auf ein Sofa und fiel bald in einen tiefen traumlosen Schlaf.

EDIT am 28.07.2005 um 22:28

nefgeländefahrer
21.04.2004, 13:28
super...weiter damit....
kann das ja dann mal gesamt pdf datei formatierten...
und wenn die moderatoren mitspielen als download anbieten

Anditi
21.04.2004, 14:14
Is aber der letzte teil für heute, sonst kommt der Schmoelzi nicht mim lesen nach!

Als er Mistelbach erreichte, blickte Max auf die Uhr. Noch waren es nicht ganz 24 Stunden, seit er und Ines das tote Mädchen gefunden hatten. Dennoch kam es ihm vor, als kannte er Ines seit einer Ewigkeit. Das gemeinsame Erlebnis hatte sie zusammengeschweißt. Er hielt seinen Wagen vor der Adresse, die ihm Ines gege-ben hatte und stieg aus. Vor der Haustür blieb er stehen. In dem Haus wohnten offensichtlich mehrere Parteien, und Max wusste nicht, bei welchem Namen er klingeln musste. Er beschloss Ines anzurufen. Noch während er zum Handy griff, öffnete Ines die Haustüre. „Ich hab dich kommen sehen.“ antwortete sie auf Max’ verdutztes Gesicht. Er trat ein und folgte ihr über die Treppen hinauf. Ihre Woh-nungstür im zweiten Stock war geöffnet. Die Wohnung war nicht besonders groß. An das Wohnzimmer, das auch als Schlafzimmer herhalten musste, schloss eine kleine Küche an, durch die man auch ins Badezimmer gelangte. Die Einrichtung war schlicht, aber freundlich. Max glaubte, den einen oder anderen Einrichtungs-gegenstand schon im IKEA-Katalog gesehen zu haben. Ihm fiel auf, dass an den Wänden keinerlei Bilder zu sehen waren. Er beschloss jedoch, Ines lieber nicht danach zu fragen. Sie mochte es wahrscheinlich genauso wenig wie er, wenn man versuchte ihn auszufragen. Er setzte sich auf das Sofa und sah Ines an. Zum ers-ten Mal, seit sie sich begegnet waren, nahm er sich die Zeit, sie genauer zu be-trachten. In seinen Augen war sie wunderschön. Stumm saß Max da und betrach-tete sie. Ines merkte seinen starren Blick und drehte sich um.
„Kann ich dir was anbieten?“, fragte sie lächelnd und riss ihn so aus seinen Ge-danken.
„Ja, einen Tee vielleicht! Weißt du, ich mag keinen Kaffee.“
„Komisch, ich auch nicht! Ich trinke fast nur Tee!“
Sie lachte kurz auf, ging dann in die Küche hinaus und begann Tee zu kochen.
„Wie geht es dir?“, brüllte er in die Küche hinein.
„Danke, geht so! Ich versteh das alles nur nicht... warum hast sie sich umge-bracht?“
„Wüsst ich auch zu gern, aber das werden wir wohl nie erfahren!“
„Vielleicht hast du Recht, aber irgendwann werden wir es schon vergessen.“
„Bis dahin ist es aber um meinen Schlaf geschehen!“
„Um meinen auch!“
Ines kam mit zwei Tassen aus der Küche zurück.
„Er muss noch ziehen.“, sagte sie und deutete auf die Teebeutel in den Tassen. Sie ließ sich neben Max auf das Sofa nieder und lehnte sich an ihn. Da war es wieder, dieses Gefühl von Geborgenheit, das sie gefühlt hatte, als er sie auf dem Kirchenhügel in den Arm genommen hatte.
„Danke, dass du gekommen bist.“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Max nahm eine der beiden Tasse und trank einen großen Schluck. Der heiße Tee wirkte beruhigend auf ihn. Die ganze Zeit hatte ihn eine Frage besonders beschäftigt. Es war höchst ungewöhnlich, dass eine fünfzehnjährige einen Teddybären mit sich herum trug. Überhaupt kam ihm die ganze Sache immer mehr wie ein schlechter Traum vor, aus dem er gerne aufgewacht wäre. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, mit Ines darüber zu reden, aber er merkte, dass sie im Moment nicht über den ver-gangenen Abend sprechen wollte. Ines drückte sich fester an ihn und legte ihre Hand auf seine Brust. Max überlegte kurz, ob er etwas sagen sollte, beschloss aber stattdessen, seinen Arm um ihre Schultern zu legen. Sie saßen eine lange Zeit schweigend da. Der Tee in den Tassen war schon längst kalt geworden. Ein Blick auf die Uhr verriet ihnen, dass es bereits kurz nach zehn war.
„Bleibst du heute da?“, fragte Ines und sah ihn kurz an.
„Ja, ich hab morgen frei.“
Morgen würde Max auf der Dienststelle anrufen und sich krank melden. Nach allem, was er erlebt hatte, würde Hoffmann schon Verständnis dafür aufbringen. Das hoffte Max jedenfalls. Er musste nur einen Arzt finden, der ihm die Krank-heit auch bestätigte. Aber das würde sich schon irgendwie machen lassen.
Ines stand auf, nahm die beiden Tassen und trug sie hinaus in die Küche. Max blieb alleine im Wohnzimmer zurück. Der Entschluss, über Nacht bei Ines zu bleiben, war ein spontaner gewesen. Er hatte weder Wäsche zum Wechseln noch Waschzeug mitgenommen. Er rief zu Hause an. Sein Vater meldete sich. Max teilte ihm seinen Entschluss, bei Ines zu übernachten, mit. Er war überrascht. Sein Vater war sehr ruhig geblieben. Anscheinend konnte er Verständnis für seine Situation aufbringen. Ansonsten hätte er bestimmt zu einer seiner langgezogenen Moralpredigten angesetzt, nach denen sich Max immer fühlt e, als wäre er gerade erst fünf Jahre alt. Max legte auf und steckte das Handy zurück in die Hosenta-sche. Ines kam aus der Küche zurück und hielt einen Teller mit belegten Broten und zwei Gläser Orangensaft in den Händen. „Ich hab gedacht, vielleicht hast du Hunger.“, meinte sie, als sie das Tablett auf den Esstisch stellte. Max stand vom Sofa auf und lächelte. „Danke!“ Sie setzten sich an den Esstisch. Während sie aßen, sprachen sie kein Wort miteinander. Nachdem sie die Teller geleert hatten, stand Max auf und trug die Teller in die Küche. Ines begann am Sofa zu hantie-ren. Man sah ihr an, dass sie darin geübt war, dennoch dauerte es einige Minuten, bis sie das Sofa zu einem Doppelbett ausgezogen hatte. Aus einem Kasten in der Küche holte sie eine bezogene Garnitur Bettwäsche und legte sie aufs Sofa. Dann verschwand sie im Badezimmer. Max war die ganze Zeit in der Küche gestanden und hatte ihr zugesehen. Sie kam mit einem zweiten Satz Bettwäsche zurück.
„Mach es dir einstweilen bequem! Ich geh kurz unter die Dusche!“
„Ist okay!“
Draußen vor dem Fenster war es dunkel geworden. Zwischen den Sternen meinte Max auch eine Sternschnuppe ausgemacht zu haben. Er dachte daran, dass er sich, einem Aberglauben nach, nun etwas wünschen könnte. Max schloss die Augen. Seine Wünsche waren unerfüllbar. Sollte er wirklich wollen, dass sie in Erfüllung gingen, musste er es selbst versuchen. Gott erfüllt keine Wünsche. Sie würden nie eine Antwort darauf finden, warum sich das Mädchen umgebracht hatte. Außerdem zweifelte er daran, dass er dann wirklich seinen Frieden finden würde. Trotzdem sprach er in Gedanken den Wunsch aus, dass er eine Antwort auf diese quälende Frage finden würde. Daran, dass sich der Wunsch erfüllen würde, daran glaubte er nicht.

EDIT am 28.07.2005 um 22:28

RS-USER-schmoelzi
21.04.2004, 14:16
Danke, aber extra wegen mir die andern hinhalten muss auch nicht sein! :D

Anditi
21.04.2004, 14:21
Original geschrieben von schmoelzi
Danke, aber extra wegen mir die andern hinhalten muss auch nicht sein! :D

Also gut ich will mal nicht so sein: Hier kommt Teil 7

Und ich muss mich heut Abend noch hinsetzen und schauen, dass ich weiterschreib :compy:

Also hier ist TEIL 7:


Als Ines aus der Dusche kam, stand Max immer noch am Fenster und blickte in die Sterne. Alle Versuche, bestimmte Sternbilder zu erkennen, waren kläglich gescheitert. Ines betrachtete ihn einige Sekunden lang, dann räusperte sie sich.
„Die Dusche ist jetzt frei, wenn du möchtest“
„Danke“ Max dreht sich um und sah sie an. Sie hatte sich, anstatt sich anzuklei-den, in ein Handtuch gewickelt, dass von ihren Achseln bis knapp oberhalb der Knie reichte. Ein zweites Handtuch hatte sie um den Kopf gewickelt. Er lächelte. „Hast du etwas zum anziehen für mich da?“
Ines schüttelte den Kopf.
„Ich hab nämlich nichts mit“, fuhr Max fort.
„Wart‘ einmal, vielleicht hab ich noch irgendwo etwas von meinem Bruder, ich schau’ mal nach!“
Sie verschwand in der Küche und Max hörte wie sie den angeschlossenen Ab-stellraum durchsuchte. Schließlich kehrte sie mit einem T-Shirt und einer alten Sporthose zurück.
„Mehr hab‘ ich jetzt nicht gefunden!“
„Also, ich geh dann mal unter die Dusche!“ stammelte Max verlegen.
„Ich bring‘ dir gleich ein Handtuch“ rief sie ihm nach. Als Max inne hielt, fügte sie lächelnd hinzu: „ Die Duschkabine ist blickdicht!“
Unter der Dusche dachte Max darüber nach, wie es nun wohl weitergehen würde. Worüber würden sie sprechen, wenn sie nebeneinander im Bett lagen. Den Ge-danken, dass sie miteinander schlafen würden, verwarf er. Er redete sich ein, dass sei pietätlos. Auch wenn Ines das Thema mied, interessierte es ihn doch, wie sie mit den Ereignissen des Vorabends umging. Er beschloss, sie darauf anzuspre-chen, auch wenn es unangenehm werden könnte.
Kurz wurde Max in seinen Gedanken unterbrochen, als Ines das Bad betrat um ihm das Handtuch zu bringen. Er versank wieder in Gedanken.
Er wollte unbedingt mehr über diese Mädchen herausfinden. So hatte ihm Ines noch immer nicht gesagt, wie die Kleine geheißen hatte. Was war mit den Eltern und was hatte die Freundin außer dem Namen sonst noch gesagt.
Max stieg aus der Duschkabine, trocknete sich ab und stieg in die Kleidung die Ines für ihn herausgesucht hatte. Dann raffte er seine Sachen zusammen und ver-ließ das Badezimmer.
Ines, die in der Zwischenzeit in ein knielanges, altes T-Shirt geschlüpft war, saß auf dem Sofa und las in einer kleinformatigen Tageszeitung einen Artikel über ihren Einsatz vom Vortag. Nachdem er seine Schmutzwäsche neben seinen Ruck-sack geworfen hatte, setzte sich Max neben sie.
„ Wie hat sie geheißen?“ fragte er leise.
„Eva“
Danach kehrte wieder Stille ein. Auch Max begann, den Artikel zu lesen. Der Journalist stützte sich dabei nur wenig auf die ohnehin spärlichen Fakten und versuchte stattdessen, durch dramatische Ausdrücke und vage Spekulationen zu glänzen. Angewidert schlug Ines die Zeitung zu, warf sie auf den Tisch und lehn-te sich zurück. Max tat es ihr gleich und legte seinen Arm um ihre Schulter.
„Weißt du, was die Obduktion ergeben hat?“ fragte er in die entstandene Stille.
„Nein, noch nicht, aber der Polizist mit dem ich gesprochen hab, hat mir verspro-chen, anzurufen, wenn sich etwas besonderes ergibt!“
„Ich würde gerne mit der Freundin reden, die Eva identifiziert hat!“
„Wieso?“
„Um mehr über die Kleine zu erfahren! Um zu begreifen, warum sie sich er-schossen hat!“
„Dass möchte ich auch, aber ich glaub’ wir werden das nie verstehen!“
„Probieren will ich’s trotzdem! Wie heißt sie?“
„Karin Kämmerhofer, sie wohnt draußen in Ebendorf“
„ Können wir sie besuchen?“
„Vielleicht?“
Ines rückte näher an Max heran „Glaubst du wirklich, dass sie uns weiterhelfen kann?“
„Auf jeden Fall kann sie uns erzählen, was für ein Typ Eva war. Und außerdem: Ich muss irgendwas tun. Sonst zuck ich aus.“
„Der Polizist sagte, Karin war mit den Nerven total am Ende, als sie ihre Freun-din identifizierte“
„Dass muss nichts heißen“
„Angeblich hat sie dauernd davon geredet, dass sie das alles nicht versteht und Eva doch eigentlich doch nur aufs Klo gehen wollte.“
„Das gibt’s, dass Leute im Schock total komisch reagieren. Bei uns ist einmal einer mit dem Auto in eine Autobushaltestelle gerast und hat nachher nur davon gesprochen, dass ihm die Feuerwehr nun sein Auto ersetzen müsse. Weil sie ihn rausgeschnitten haben.“
Ines versuchte höflich zu lachen. Es misslang.
„Lass uns schlafen gehen. Morgen wird sicher sehr anstrengend.“ Sie schloss die Augen und packte Max Faust mit ihrer Hand. Er drückte sie fester an sich und merkte, dass sie zu weinen begonnen hatte. Leise, fast unmerklich, flossen ihr die Tränen über die Wange. Mit der freien Hand strich er durch ihre Haare. Schließ-lich überwand er sich und küsste sie sanft auf die Stirn. Ines blickte auf und sah ihn an. Ihre Augen waren von den Tränen gerötet. Dennoch glaubte Max, in ih-rem Blick zum ersten Mal etwas anderes entdeckt zu haben, etwas dass wieder ein bisschen wie Lebensfreude aussah. Plötzlich beugte sie sich nach vorne und küsste ihn auf den Mund. Dann schlüpfte sie unter die Bettdecke und schloss wieder die Augen. Max holte Luft, um etwas zu sagen, doch Ines kam ihm zuvor. „Sag nichts“!“ flüsterte sie und legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen. Dar-aufhin glitt auch Max unter die Bettdecke. Er legte seinen Arm um sie. Sie öffne-te die Augen und sah ihn für einige Sekunden an. Dann küssten sie sich.

EDIT am 28.07.2005 um 22:27

Anditi
22.04.2004, 12:43
Wo zur Hölle bin ich stehen geblieben?

Achja, beim Einschlafen....

Heut gibts ein bisschen mehr, weil ich mich ins Wochenende verabschiede... Ja, ich weiß es ist Donnerstag, aber ich grüß auch die Rentiere in Lappland schön von euch, und den Kollegen in Rot-Weiß mit dem langen Bart...

4.
Als sie am nächsten Tag vom Piepen des Weckers geweckt wurden, war es bei dem Kuss geblieben. Beiden war es wichtiger gewesen, die Nähe des anderen zu fühlen und zu genießen als sich zu seltsam verzerrten Lauten über das Sofa zu wälzen. Trotzdem verspürte Max an diesem Morgen ein schon verloren geglaub-tes Glücksgefühl. Gleich nachdem er aufgewacht war, hatte er sich im Büro sei-ner Dienstelle krank gemeldet. Der Grund, den er Hoffmann nannte, war faden-scheinig, doch sein Chef schien ihn durchschaut zu haben und schwieg beredt. Während er telefoniert hatte, war Max ins Vorzimmer gegangen. Unter dem Briefschlitz der Eingangstüre lag die Tageszeitung. Offenbar hatte Ines ein A-bonnement gebucht. Auf der ersten Seite prangte ein Passfoto Evas. Das Bild darunter zeigte einen Mann, der auf eine Hecke zeigte, die Max nur zu gut kann-te. Dort hatte das tote Mädchen gelegen. „Wer hat schuld an Evas Tod?“ fragte ein unbekannter Journalist in dicken Lettern. Die Frage sollte offensichtlich als Schlagzeile dienen. Antworten konnte der Journalist aber auch in diesem Artikel nicht geben. Stattdessen war jener Mann interviewt worden, der auf dem Bild auf den Fundort zeigte. Dieser sprach davon wie er den leblosen Körper gefunden hatte und dass ihn die Polizei nicht über die neuesten Ermittlungsergebnisse in-formierte. Angewidert von der offensichtlichen Sensationslust schlug Max die Zeitung zu und warf sie in den Papierkorb. Er wollte nicht, dass Ines sie las.
Als er ins Wohnzimmer zurückkam, war Ines gerade dabei, sich anzuziehen. Max blieb erschrocken stehen, als Ines nur in der Unterhose vor ihm stand. Er wollte sich schon umdrehen und eine Entschuldigung stammeln, als Ines lächelte. „Macht nix!“ sagte sie.
„Draußen im Bad liegt was zum Anziehen. Ich hab dir noch was von meinem Bruder herausgesucht.“
Max flüchtete ins Badezimmer. Als er die Badezimmertüre hinter sich schloss, riskierte er noch einen Blick. Ines hatte bereits einen BH angelegt und war nun dabei in die Hose zu schlüpfen. Obwohl er sie gerne noch länger beobachtet hätte, schloss er hastig die Türe.
Während er sich anzog, dachte er über das Glücksgefühl nach, das er schon den ganzen Morgen über verspürte. Zuletzt hatte er es auf seiner Maturareise verspürt als er seine letzte Freundin kennen gelernt hatte. Seine erste große Liebe.Sie hatte Melanie geheißen. Das war jetzt etwas mehr als ein Jahr her. Damals hatte Max sein Glück kaum fassen können. Sie schien wie für ihn geschaffen und mit jedem Tag, den er sie kannte, meinte er, sie mehr zu lieben. Dennoch währte das Glück nur kurz. Nach wenigen Monaten erkrankte sie an einer schweren Lungenentzün-dung. Als sie sich schon auf dem Weg der Besserung wähnte, diagnostizierten die Ärzte ein Übergreifen der Entzündung auf den Herzbeutel. Die Antibiotika schlu-gen nicht mehr an. Zwei Tage nach der niederschmetternden Diagnose fiel sie ins Koma, am Tag darauf hörte ihr Herz auf zu schlagen. Später hatte Max erfahren, dass es eine angeborene Immunschwäche gewesen war, die den Krankheitsver-lauf so stark beschleunigt hatte. Er hatte sich damals vom Dienst freistellen lassen und an ihrem Bett gewacht. Als er nach zwei Tagen zum ersten Mal auf die Toi-lette ging, starb sie. Weil er sich deshalb schuldig fühlte, hatte er an ihrem Toten-bett geschworen, ihr ewig die Treue zu halten.
Überhaupt war sein Leben seit Melanies Tod ziemlich aus dem Ruder gelaufen. Er war vergesslich geworden. Eine stete Antriebslosigkeit hatte ihn erfasst und seine Umgebung sagte ihm Unzuverlässigkeit nach. Durch seine Schuldgefühle betrieb er nur seinen Zivildienst mit Übereifer und einer peinlichen Genauigkeit.
Erst in den letzten Wochen hatte er sich ein wenig besser gefühlt, aber das, was er am Kirchenhügel erlebt hatte, hatte ihn wieder weit zurückgeworfen. Und doch war da dieses eigenartige Glücksgefühl. Den Gedanken, dass er sich in Ines ver-liebt haben könnte, wollte er verdränge, um sein Versprechen von Melanies To-tenbett nicht zu brechen.
„Frühstück ist fertig“ hörte Ines aus der Küche rufen. Fertig angezogen betrat er das Wohnzimmer. Auf dem Tisch dampften zwei Tassen Tee. Ines war gerade dabei, Butter und Marmelade auf ihre Brotscheibe zu streichen.
„Tut mir leid, wegen vorhin!“ Max merkte wie er wieder verlegen wurde.
„Vergiss es!“ Sie lachte, „Anatomie gehört doch zur Grundausbildung!“ Dann biss sie herzhaft in ihr Brot.
Max wollte etwas erwidern, doch das Läuten des Telefons unterbrach ihn. Ines legte ihr Brot zur Seite und hob ab. Ihre Antworten waren kurz und meistens von einem Nicken begleitet. Bevor sie auflegte, sagte sie: „Ich bring‘ auch den Kolle-gen mit, der dabei war.“ Sie legte auf.
„Wohin nimmst du mich mit?“
„Zur Polizei. Sie müssen noch deine Aussage genauer aufnehmen. Außerdem haben sie bei der Obduktion doch wirklich was Interessantes herausgefunden.“
„Fahren wir jetzt gleich?“ Max Neugierde war groß.
„Nein, nein. Du kannst schon noch aufessen!“ lachte Ines.
Überhaupt. Sie machte auf Max einen viel erleichterteren Eindruck als noch am Abend davor. Kurz überlegte er, ob sie sich in ihn verliebt haben könnte. Etwas in ihm sträubte sich dagegen. Wieder schob er den Gedanken daran, sich neu zu verlieben, energisch von sich fort. Außerdem kannte er sie ja erst seit zwei Ta-gen!
Er griff nach einer Brotscheibe und strich Butter darauf. Als er hinein biss, dachte er daran, dass er das gleiche wie damals nicht noch einmal durchstehen wollte. Er saß gedankenverloren da und bemerkte nicht, dass Ines plötzlich neben ihm stand. Sie hielt ihm die Hand vor die Augen, um ihn aus seinen Gedanken zu holen.
„He, Max! Wach auf, wir fahren gleich!“
„Was?“ Er sah sie verständnislos an.
„Wir gehen, kommst du?“
„Ja ja...“ Er stand auf, aß sein Brot fertig und folgte ihr zum Wagen.
„Wohin fahren wir überhaupt?“ Max saß auf dem Beifahrersitz während Ines fuhr.
„Zur Polizei.“
„Stimmt. Was haben sie herausgefunden?“ fuhr er fort und kratzte sich an der Wange.
Es war ein komisches Gefühl, Ines Autofahren zu sehen. Das letzte Mal, dass er neben jemandem im Wagen gesessen hatte, war abgesehen von seiner Arbeit beim Roten Kreuz, in Melanies Wagen gewesen. Überhaupt war es seltsam, dass die Erinnerung an Melanie wieder stärker wurde. Ausgerechnet jetzt, wo die Le-thargie des letzten halben Jahres endlich durchbrochen war.
„Das haben sie nicht gesagt!“ Max benötigte einige Sekunden, bis er begriff, dass Ines auf seine Frage von vorhin geantwortet hatte.

Ines parkt ihren Wagen vor dem Polizeiposten und stellte den Motor ab. Sie blie-ben noch einige Sekunden sitzen, ehe Ines Max Hand packte und sie fest drückte. Dann öffnete sie die Wagentüre und stieg aus. Max folgte ihr und betrat hinter ihr das Wachzimmer. Er sah sich kurz um. Der Raum, in dem sie sich befanden, wirkte als wäre die Zeit in den sechziger Jahren stehen geblieben. Neben der braun- grauen, abgegriffenen Einrichtung wirkte die verblasste Fotografie des amtierenden Bundespräsidenten wie eine Oase in einer Wüste völliger Eintönig-keit. Den diensthabenden Beamten erkannte Max wieder. Er war ebenfalls am Kirchenhügel dabei gewesen. Er war es gewesen, der Max erste Aussage nach der misslungenen Reanimation aufgenommen hatte. Die beiden Sanitäter hatte er ebenfalls gleich erkannt. Nachdem er sie höflich, aber distanziert begrüßt hatte, wies er den beiden den Weg in ein Nebenzimmer. Dem Türschild nach handelte es sich um das Büro des Postenkommandanten.
Der Kommandant hatte die beiden schon erwartet. Er saß hinter seinem Schreib-tisch und deutete den Eintretenden, sich zu setzen.
„Postenkommandant Eggl“ stellte er sich vor. Dann gab er den beiden die Hand.
„Ich danke ihnen, dass sie meiner Einladung so prompt gefolgt sind!“ begann er und kam ohne Umschweife zur Sache.
„Herr Partovec. Wir müssen leider ihre Aussage nochmals aufnehmen. Ist ihnen in der Zwischenzeit irgendetwas eingefallen, was für uns hilfreich sein könnte?“
„Nein, aber ich kann mich auch nicht mehr so richtig daran erinnern, was ich zu Protokoll gegeben habe.“
„Nun, das Protokoll haben wir hier. Wenn sie es sich bitte durchlesen würden?“
Der Polizist drückte Max einen Zettel in die Hand. Es waren nur wenige Zeilen darauf geschrieben. Das Protokoll war sehr kurz gehalten.
„Dem habe ich nichts hinzuzufügen.“
„Wirklich nicht?“
„Leider. Ich würde ihnen gerne helfen, aber ich kann nicht.“
„Schade.“ Der Beamte zuckte mit den Achseln. Sein Gesichtsausdruck änderte sich mit einem Mal. „Nun, zum zweiten Grund ihres Besuches. Ich bin mir sicher, dass sie dass, worüber ich ihnen berichten möchte, in höchstem Maße interessie-ren wird.“
Max war über die gewählt förmliche Ausdrucksweise des Beamten erstaunt. Er warf einen kurzen Seitenblick auf Ines. Sie war genauso verwundert.
„Im Fall der von ihnen tot aufgefundenen Schülerin Eva Glatterbeck wurde im Rahmen der Obduktion festgestellt, dass nämliche Person kurz vor ihrem Tod noch Geschlechtsverkehr hatte!“ Es klang als würde der Gendarm aus einem un-sichtbaren Bericht vorlesen. „Es war aber zumindest nicht das erste Mal!“ Jetzt klang in seiner Stimme etwas Persönliches mit. Ines betrachtete den Mann, der ihr gegenüber saß, genau. An seiner Körperhaltung und seiner versteinerten Mi-mik, hatte sich die ganze Zeit über nichts verändert. Als sie aber in die Augen des Mannes sah, wurde ihr schlagartig klar, dass er versuchte seinen Emotionen nicht freien Lauf zu lassen und sich hinter den formellen Floskeln zu verstecken. Sie fragte sich, ob er Eva vielleicht persönlich gekannt hatte. Der Beamte zuckte zu-sammen. Ines musternde Blicke waren ihm nicht entgangen. Es schien eine per-sönliche Niederlage für ihn darzustellen, dass sie die Tränen, die in seinen Au-genwinkeln hingen, bemerkt hatte.
„Woher können sie das so genau wissen?“ Max riss sie aus ihren Gedanken
„Immerhin war sie schwanger und die unbefleckte Empfängnis gehört ja nicht gerade zu den Spezialitäten der heutigen Jugend. Sie hat am Tag ihres Todes eine Abtreibung durchführen lassen.“ Die letzten Worte hatte der Polizist mit dem Namen Eggl mehr zwischen den Zähnen hervor gepresst als gesagt. Jetzt war sich Ines sicher, dass das Geschehene dem Mann, der ihnen gegenüber saß, mehr be-schäftigte als er zugab. Vermutlich hatte er Eva wirklich gekannt. „Den Rest wis-sen sie ja bereits.“ schloss er
Dann stand er auf, ging wortlos an den beiden vorbei und verließ das Zimmer, ohne sich auch nur noch einmal umzudrehen.
„Sie war schwanger?“ Es dauerte einige Sekunden, bis Max die Fassung wieder gefunden hatte. Er sah Ines an.
„Ich hab‘s gehört!“ Sie sah mitgenommen aus.
Sie stand auf, „Wir müssen den Vater von dem Kind finden!“
„Wozu?“
„Ich will wissen, was das für ein Typ ist. Ob er wusste, dass er Vater wird?“
„Glaub ich nicht.“
„Wieso?“
„Weil das heißen würde, dass sie es ihm erzählt hat.“
„Und wieso glaubst du, dass sie das nicht getan hat?“
„Nur so ein Gefühl.“
„Ein Gefühl?“
„Wenn du fünfzehn und schwanger wärst, wem würdest du es erzählen?“
„Keine Ahnung.“
„Deinem Ex-Freund? Vielleicht war’s ja auch nur was Einmaliges. Vielleicht kannte sie den Vater ja selbst nicht mal.“
„Du kannst Fragen stellen. Komm, lass uns verschwinden. Die Einrichtung macht mich ganz verrückt.“
Dann verließ sie das Zimmer.
Max zögerte noch einige Sekunden, dann erhob auch er sich, trat aus dem Zim-mer, grüßte den Wachhabenden flüchtig und verließ den Posten. Ines hatte Recht. In diesem altmodischen Zimmer konnte man einfach nicht klar denken.
Auf dem Beifahrersitz von Ines Auto begannen seine Gedanken erneut um Mela-nie zu kreisen. Auch er hätte heute bereits Vater sein können, dachte Max. Wehmütig dachte er an den lauen Spätsommernachmittag zurück. Demnächst würde es ein Jahr her sein. Er und Melanie kannten sich damals knapp zwei Mo-nate und hatten zusammen einen ausgedehnten Spaziergang durch den Wiener-wald unternommen. Auf der alten verwitterten Bank bei der großen Eiche hatten sie schließlich gerastet. Es war schon fast dunkel geworden. Vorsichtig hatte er seinen Arm um sie gelegt und sie fester an sich gezogen. Er konnte sich noch an jedes Wort erinnern, dass sie in dieser sternenklaren Nacht gesprochen hatten. Irgendwann, die Sonne war längst hinter dem Horizont verschwunden, hatten sie sich zum ersten Mal geküsst. Lange und leidenschaftlich. Zurück im Auto war eine wilde Schmuserei daraus geworden, bei der sie sich schließlich auch die Kleider wie wild vom Leib gerissen hatten. Letzten Endes hatten sie sogar mit-einander geschlafen obwohl sie sich noch kurz vorher auf der Bank, hoch über dem von tausend kleinen orange leuchtenden Lichtern durchflutetem Donautal fest vorgenommen hatten, damit noch eine Zeit lang zu warten. Der Gedanken daran trieb Max immer noch ein seliges Lächeln ins Gesicht. Da sie damals in ihrem Übermut nicht verhütet hatten, hatte sich Melanie am nächsten Tag die Pille verschreiben lassen. Max dachte wehmütig an Melanie. Sie fehlte ihm im-mer noch.
„Irgendwer muss es doch gewusst haben!“ Ines riss Max aus seinen Gedanken.
„Angesehen hat man es ihr auf jeden Fall nicht.“
„Stimmt!“ Ines musste lachen.
Max sah Ines von der Seite an. Sie hatte etwas Anziehendes. Es wusste nicht, woran es lag aber sie faszinierte ihn. Ihre Art zu reden, ihre Gestik, ihr Aussehen. Er wusste nicht genau was es war. Aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich in ihrer Gegenwart gut. Gleichzeitig irritierte sie ihn gewaltig.
„Wenn sie es gewusst hat, vielleicht sie hat es doch jemandem erzählt? Und wenn ja, wem?“
„Vielleicht der Freundin!“ Max hatte nur halbherzig zugehört und hoffte instän-dig, dass die Antwort zu Frage passte. Die Frage nach dem Vater erschien ihm nebensächlich. Er war sich sicher, dass der Grund für Evas Selbstmord bei jenem Mann zu suchen war, mit dem kurz vor ihrem Tod geschlafen hatte. Eine Idee blitzte auf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde. Er konnte den Gedanken nicht festhalten. Er versuchte sich, darauf zu konzentrieren, aber es war unmöglich. Die Erinnerung an Melanie beschäftigte ihn viel mehr.
„Sag, was ist eigentlich los mit dir?“ Ines war die Tatsache, dass Max an diesem Tag nur selten bei der Sache war, nicht entgangen. Für einen kurzen Augenblick dachte Max daran, Ines einfach die Wahrheit zu sagen. Einfach so. Damit sie es wusste. Dann biss er sich aber auf die Lippen und beschloss, nichts zu sagen. Warum, dass wusste er nicht. Jetzt über sein eigenes verqueres Gefühlsleben zu sprechen, das war im Moment doch ein wenig unangebracht.
„Ich denke nach!“ sagte er schließlich. Wenigstens hatte er nicht lügen müssen.
Ines fragte nicht weiter nach, obwohl sie merkte, dass Max versuchte, etwas vor ihr zu verstecken. Sie schlug ihm vor, den Besuch bei Karin auf den Nachmittag zu verschieben. Damit er in Ruhe nachdenke könne, wie sie hinzufügte, Wieder hatte Max nur geistesabwesend genickt.
An einer roten Ampel musste Ines halten. Sie betrachtete Max, der, den Kopf an die Fensterscheibe der Seitentüre gelehnt, dasaß. Er schien nicht einmal gemerkt zu haben, dass sie gehalten hatte. Ines hatte sich in den baumlangen Kerl der ne-ben ihr saß, verknallt. Das musste sie ohne Zweifel zugeben. Ob es ihm ähnlich ging, da war sie sich mehr als unsicher. Die Ampel schaltete auf grün und Ines fuhr weiter. Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Vor einem halben Jahr hatte ihr damaliger Freund ihre Beziehung beendet. Es war, alles in allem, eine unspektakuläre Trennung gewesen. Ohne Streit. Sie hatten sich auseinander gelebt, hatte er damals gesagt. Tatsächlich war die Beziehung zur Gewohnheit geworden. Sie hatten einander nichts mehr zu sagen gehabt. Über einen kurzen Smalltalk waren sie am Ende ihrer Beziehung nicht mehr hinausgekommen. Was war aus den hitzigen Diskussionen geworden, die sie frisch verliebt stundenlang geführt hatten. Oft so heftig, dass sie fast gestritten hatten. Umso schöner die Versöhnung im Anschluss. Doch irgendwann war es vorbeigewesen mit dem Diskutieren. Einfach so. Wenn sie sich noch getroffen hatten, dann hatten sie miteinander geschlafen. Anschließend war er immer wortlos aufgestanden und gegangen. Irgendwann hatte sie ihn darauf angesprochen. Gleichgültig hatte er damals mit den Achseln gezuckt und sich eine Zigarette angesteckt.
„Wenn’s dir nicht passt, dann lassen wir’s halt.“ Mehr hatte er dazu nicht zu sa-gen gehabt. „Ich werd es verkraften.“ Das war das letzte was sie von ihm gehört hatte.
Letztendlich war Ines froh darüber gewesen, dass Bernd, so hatte er geheißen, die Beziehung beendet hatte. Er schien die Trennung ohnehin sehr leicht verkraftet zu haben. Zwei Tage später hatte Ines ihn mit einer anderen im Eissalon sitzen gesehen. Turtelnd. Damals hatte Ines beschlossen, nichts mehr von Männern wissen zu wollen.
Irgendwie schien sie bei Männern einfach kein Glück zu haben. Ihr erster Freund hatte sich als eifersüchtiger Psychopath entpuppt, der von ihr über jeden Schritt Rechenschaft verlangt hatte. Als sie die Beziehung beendete, war es ihm fast unmöglich gewesen, die Trennung zu akzeptieren. Erst die Drohung mit einer Anzeige brachte ihn dazu, aufzugeben. Der Zweite war das genaue Gegenteil gewesen. Sie hatte ihn im Büro kennen gelernt. Bei jeder nur erdenklichen Gele-genheit war am Flirten und Ines wusste von mindestens fünf Anderen, mit denen er sie in den zwei Monaten in denen sie ein Paar waren, betrogen hatte. Mit zwei-en davon war sie sogar in die Schule gegangen. Schließlich hatte sie ihn mit einer Arbeitskollegin im Kopierraum erwischt. In flagranti. Sie saß auf dem Kopierer und er hatte ihr gerade mit den Zähnen den Stringtanga von den von unzähligen Stunden im Solarium dunkelbraun gefärbten Beinen gezogen. Dass sie, als Ines den Raum betrat, erschrocken den Kopierer betätigte, ließ die Situation endgültig zur Groteske werden. Die Kopie ihres nackten Hinterns hatte sich Ines eine Zeit lang an die Toilettentüre gehängt. Schließlich war Bernd in ihr Leben getreten. Ines hatte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt. Er war der Richtige. Hundert-prozentig. Ohne Zweifel. Umso größer war die Enttäuschung als es doch nicht so lief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Männer waren einfach nichts für sie. Zu diesem Entschluss war sie gekommen. Einer war wie der andere. Außer ihrem eigenen Vorteil hatten sie nicht viele Interessen. Aber der, der da neben ihr im Wagen saß, der war anders. Und entgegen ihrer felsenfesten Vorsätze hatte sie sich in ihn verliebt.
Sie hielt vor dem Haus und sah Max an. Er saß noch immer genauso da, wie bei der Ampel, an der sie vorhin gehalten hatte. Ines sprach ihn an. Da er keinerlei Reaktion zeigte, stieg sie verwundert aus und versucht, seine Aufmerksamkeit durch heftiges Zuschlagen der Autotüre auf sich zu lenken. Max blieb jedoch ungerührt sitzen. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper als Ines gegen die Fens-terscheibe klopfte, an die er seinen Kopf gelegt hatte. Für einige Augenblicke überfiel sie eine furchtbare Angst. Dann begriff sie. Max war eingeschlafen.

EDIT am 28.07.2005 um 22:26

RS-USER-Bubi
22.04.2004, 14:52
Total Genial !!!!!!!:D :D :D

Weiter so!!!!!!

BubiD:-)

RS-USER-Defi Brillator
23.04.2004, 08:27
Ich mag die Story! Auf jeden Fall weitermachen!