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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Krisenbewältigung im Rettungsdienst



Stahlfeder
30.06.2004, 12:08
Hallo!

Ich habe derade den Rettungsdienstroman von Anditi im Forum "Dr. Dolors Arztromane" gelesen.
Die Krisenbewältigung der beiden Sanitäter funktioniert dort (oder funktioniert nicht), indem sie sich mit dem Fall näher befassen, mit Angehörigen sprechen usw.

Ich selbst habe auch schon gehört, dass einige Sanis manchmal die Patienten durch die gesamten Untersuchungen in der Notaufnahme hindurch begleiten, oder die Patienten am Tag darauf auch noch im Kranhenhaus besuchen.

Ich persönlich halte von dieser Art sehr wenig. Für mich ist ein Patient vergessen, sobald ich den Einsatz beendet habe, d.h., sobalt ich den Pat. dem NA oder dem KH übergeben habe.

Nach schlimmen Einsätzen findet bei uns manchmal kurz eine Nachbesprechung statt, die aber oft in Sarkasmus endet. Dieser Sarkasmus ist meiner Meinung nach eine sehr effiziente Möglichkeit. Man gewinnt sehr rasch Abstand zum Patienten.

Wie ist das bei euch, besucht ihr Patienten, erfährt ihr, was aus ihnen geworden ist? Interessiert euch das überhaupt. Ist es schon einmal vorgekommen, dass ihr mit einem Einsatz nicht meh fertig geworden seit?

Leitstelle
30.06.2004, 12:20
Original geschrieben von Stahlfeder
Wie ist das bei euch, besucht ihr Patienten, erfährt ihr, was aus ihnen geworden ist? Interessiert euch das überhaupt. Ist es schon einmal vorgekommen, dass ihr mit einem Einsatz nicht meh fertig geworden seit?
bei uns spricht man mit kollegen darüber wenn man zb erfährt dass der pat verstorben ist aber so richtig hinein steigern tut sich niemand

meine kollegen haben mir den tipp gegeben dass der pat für uns ein "arbeitsstück" ist wo man sein bestes giebt.so wird man leichter fertig wenn etwas schlimmes passiert!

RS-USER-Rippenspreizer
30.06.2004, 17:59
Hallo Stahlfeder,

Deine Ansichten finde ich schwer nachvollziehbar. Persönlich halte ich es für alle Beteiligten auch langfristig besser, wenn man versucht, so ehrlich wie möglich mit den Patienten und Einsätzen umzugehen. Dazu gehören meines Erachtens auch mal Tränen.

Sarkasmus bringt einen zwar im akuten Moment weiter, auf lange Sicht bringt das aber glaube ich gar nichts. Man kann sich nicht ewig selbst belügen und man zieht auch keinen Vorteil daraus, möglichst wenig Emotionen zu zeigen.

Das heisst ja nicht, dass man den Patienten bis zum OP mit möglichst betroffenem Blick folgt aber man darf sich ruhig hinterher so seine Gedanken machen. Das schützt auch vor Überheblichkeit und Ignoranz.

Meine Meinung eben...
Gruss, Daniel

RS-USER-Rettungshund
30.06.2004, 18:11
Also manchaml wäre es schon intressant was aus den Patienten geworden ist besonders bei Symtomen die nicht wirklich schlüssig sind und die alles mögliche sein können. Und auch wäre es manchmal nett zu wissen ob die Masnahmen die man ergriffen hat die richtigen waren.

Anditi
30.06.2004, 18:42
Hi, ihr alle!

Zunächst mal freut es mich dass mein Roman Anlass für eine hoffentlich interessante Diskussion geworden ist, aus der sicher jeder von uns etwas lernen kann! (An dieser Stelle verspreche ich auch hoch und heilig am Freitag im RTW Dienst wieder einmal etwas online zu stellen!)

Soviel zum Off-Topic

Ich persönlich finde, dass die Bewältigung des Einsatzes auch von der Situation abhängt. Ich möchte euch zwei Beispiele bringen, wie unterschiedlich das sein kann!

Erstes Beispiel: Einsatz in einer richtig verlotterten Hütte (das vorbild von dem Einsatz, der auch im Roman geschildert ist), Kind mit starken abdominalen schmerzen, die ganze Situation einfach besch****. Ich bin von Freitag abend bis Montag nachmittag gerannt um den Fall an die Jugendfürsorge zu übergeben, bzw. mit dem behandelnden arzt die bestmögliche Information für die Behörde herauszufinden. Nachdem ich dann bei der Fürsorge war, habe ich beim ÖRk einen Teddybären mit roten Kreuz gekauft und dem Kind ins Krankenhaus gebracht. erst dann war der Fall für mich erledigt.

Zweites Beispiel: Am Montag habe ich am KTW eine Dame geführt, die in der NS Zeit als Krankenschwester gearbeitet hat. Mittlerweile ist sie immobil und noch dazu geistig verwirrt. Als wir sie von der Internen Abteilung auf die Gerontopsychatrie bringen wollten, hat sie begonnen laut um Hilfe zu schreien und immer geschrieen: Die wollen mich verbrennen! Das ging die ganze Fahrt so. Ich und meine Kollegen haben den Einsatz als ziemlich belastend befunden, da die eindrücke der Patientin offensichtlich wirklich so stark waren. Allerdings waren in diesem Fall anschließend kollektives Reissen von bösen Witzen das beste mittel, da uns eine ernsthafte aufarbeitung des Themas sicher noch mehr belastet hätte. (Zumal ich einfach nicht verstehe, wie dieses grauen damals zustande kommen konnte)

Was ich mit diesen beispielen zeigen möchte, ist, dass jede situation eine eigene methode zur Bewältigung von Belastungen gibt. Und im schlimmsten fall gibt es bei uns auch noch eine Peer group, die wir, falls uns danach ist, jederzeit in anspruch nehmen können. Das sind Kollegen, die auch psychologisch geschult sind. Ich persönlich empfinde das als angenehmes sicherheitsnetz, das hoffentlich nie brauchen werde

LG Anditi

David Seemayer
30.06.2004, 19:26
Eingentlich gibt's ja für sowas (jedenfalls beim ÖRK) SvE - Stressverebreitung nach belastenden Einsätzen. Speziell geschulte Mitarbeiter dienen als Ansprechpartner, geht in die Richtung von peers. IMHO wird das so eher wenig praktiziert.
Viel eher redet man mit Kollegen mit denen man eine "bessere" Gesprächsbasis hat. Man redet nicht nur von den "schlimmen" Begebenheiten sondern auch von lustigen Situationen. Sarkastisch wird's bei uns eingentlich nie, vielleicht macht man einmal einen Witz über irgendeine komische Begebenheit abr mehr nicht.

Die meisten Patienten sind für mich abgeschlossen sobald ich den Bericht abgeschlossen hab'. Allerdings erkundigt man sich in manchen Fällen schon nach den Patienten und wie's ihnen jetzt geht.
Schließlich sind wir Menschen und keine Maschinen, jeder hat seine eigene Schmerzgrene und wie er damt umgeht. Wichtig nur, dass man darüber redet - sonst bekommt man irgendwann Probleme.

RS-USER-opus
30.06.2004, 19:32
Schwieriges Thema.

Jeder hat vermutlich andere Mechanismen die seelischen Belastungen abzubauen. Verdrängung ist irgendwo schon wichtig, will man nicht bald zum verängstigten Nervenbündel werden. Daß man die Patienten in der Regel nicht persönlich kennt und sie nach der Dienstleistung aus den Augen verliert, halte ich dabei eher für hilfreich. Das heißt, an einem Feedback aus dem Krankenhaus wäre ich meistens nicht interessiert gewesen (allerdings bin ich nie über den KTW heinausgekommen, ein fachliches Interesse wecken die 'Fälle' dort aber auch durchaus). Ich habe auch nicht in der Tageszeitung anschließend nach meinen 'Kritiken', denen im schwarzen Rahmen, gesucht.

Belastende Einsätze hatten wir durchaus. Für mich waren dabei weniger die akuten Notfälle schlimm, hier hat man zu viel zu tun, um an anderes zu denken. Wenn man aber mal wieder ein CA im Endstadium in die Radiologie fährt und im Wagen nichts zu tun hat, außer Smalltalk, sowas hat mich sehr beschäftigt.

Ein Hilfsmittel habe ich in den zehn Jahren, die ich im Aussendienst war, aber nie benutzt, das war der Sarkasmus. Er mag durchaus funktionieren, um das Verarbeiten solcher Erlebnisse zu beschleunigen, nur bewegen wir uns dann ganz nahe an der Grenze zur Menschenverachtung. Ich halte es eher für ein Zeichen von (entschuldige) Unreife, wenn man sich in die Lächerlichkeit flüchtet, allerdings hat man es als Ehrenamtlicher, der nach der Schicht erstmal zwei Wochen ein ganz normales Leben führt, natürlich einfacher.

Ich möchte eigentlich, daß auch der Kranke in der kurzen Zeit, die er uns anvertraut ist, sich als Mensch und nicht nur Menschenmaterial verstanden sieht, nur das sind natürlich blauäugige Fantasien.:(

Wie gesagt, schwieriges Thema.

PS: Anditis Beispiele werfen meine Thesen natürlich wieder teilwesen über den Haufen. Man sieht, jeder Fall ist wirklich anders. Das Beispiel mit dem Kind ist wirklich hart. Alle Achtung vor deinem Einsatz!

RS-USER-opus
30.06.2004, 20:44
Der Grund, weswegen ich mich gegen Sarkasmus als Mittel zur Stressbewältigung ausgesprochen habe, ist, daß man sich dafür natürlich nur die schwächsten aussucht, die es am wenigsten verdient haben...und man ist wirklich nahe an der Menschenverachtung.

Dazu mal ein Beispiel, wie ich es nicht so toll fand.
Es war wieder so ein Sonntag Morgen. wir fuhren den 24h-KTW und träumten gerade so vor uns hin, als so gegen halb sieben das freundliche Telefon uns in die Vertikale brachte.
Von einem Altenpflegeheim war eine Bewohnerin ins nächste KH zu befördern. Diagnose KoPlaWu. Wie an ruhigen Tageszeiten durchaus üblich, hieß es dazu, "wartet dort und bringt die Dame nach dem Kunststopfen wieder nach Hause".

Na schön. Routine das ganze, das können wir.

Im Pflegeheim stellte sich heraus, die Patientin, Alter nahe 100, reagierte auf keinerlei Ansprache oder Kontaktversuche, lediglich auf Berührung und einen Händedruck hatte sie, wie ein Schraubstock. Sie war blind und taub. Der Pfleger erzählte noch, sie sei in der Nacht aus dem Bett gefallen und als er sie zurückheben wollte, hat sie ihn so gezwickt, daß... nun ja, daher die Blessur.

Da die Frau soweit vital war, haben wir sie auf die Trage geschnallt und sie begann sofort die Einmaldecke zu zerfetzen.

Sonntag Morgen in der chirugischen Ambulanz. Es war sehr ruhig, nur eine gelangweilte Schwester rief den Doc. Dem sah man an, daß es nicht die ganze Nacht so ruhig gewesen sein konnte. Gesicht und Kittel waren zerknittert wie Colombo in seinen besten Zeiten. "Jungs, was bringt ihr denn jetzt wieder" war seine Begrüßung. Man sah, so ganz ernst nahm er diesen Fall nicht. Mit einer Hand untersuchte er den Kopf, die andere Hand fand ein paar Protokolle der vergangenen Nacht, die dritte Hand bediente das Telefon und zum einen oder anderen Scherz mit der Schwester reichte es auch noch. Mitten im telefonieren meinte er dann zu uns, " Jungs, seid ihr so gut, und bringt die Frau mal zum Röntgen?" Öh, wir gucken uns an, sollte das alles gewesen sein? Na gut, man ist ja gefällig. Wir schoben also los, kamen aber nicht weit, denn Doc Colombo war auch aufgefallen, daß er was vergessen hatte: "Will doch gerade mal die Pupillenreflexe...". Ah ja!
Er macht ein Auge auf, die Pupillenleuchte in der Hand: Eine schneeweiße Pupille leuchtet zurück. "Oh, da sieht die aber nichts mehr". Anderes Auge: "Oh!" Ein großes Loch, wo mal ein Augapfel war. "Öh, na gut, fahrt sie zum Röntgen!"
Das Röntgen ging auch nicht so leicht. Nach mehreren verwackelten Aufnahmen, oder Ausschnitten, die garnicht mehr stimmten, bekam ich schließlich die Bleischürze um und mußte festhalten, so gings dann. Aber es dauerte und so stand, als wir gerade die Patienten auf den Rollsessel verfrachteten, plötzlich Doc Colombo in der Tür um zu sehen, wo wir blieben. Nun, wir waren schon soweit, da meinte er plötzlich zur Röntgenschwester: "Ach, Schwester, wo Sie gerade dabei sind, könnten Sie schnell noch mal nach den Pupillenreflexen schauen?" Die Schwester: "Öh, klar!" Erstes Auge: "Oh, die ist da wohl blind". Zweites Auge: "Huch!!!!!!"
Der Arzt hielt sich am Türrahmen vor Lachen, die Schwester fing an zu zetern: " Warten Sie! Das kriegen Sie wieder! Das kriegen Sie wieder!..."



Nunja. Die Patientin hat sicher nichts davon mitbekommen, irgendwie war es lustig, aber trotzdem, manches möchte man nicht mit sich gemacht wissen....


:(

David Seemayer
30.06.2004, 21:00
SvE un KiT sind ja nicht dasselbe! SvE ist für "uns", also für's RD-Personal, KiT ist für die Angehörigen. Allerdings hatte ich noch nie damit zu tun, kann's also nix drüber sagen!

Das mit den Pupillenreflexen find' ich schon pervers!:mad:

Turnusknecht
30.06.2004, 21:55
Nun, David, da gibt´s nun leider immer wieder Spassvögel.


Auf der Unfall hab ich in meiner ersten Famulatur einen Turnusarzt gehabt, dem es einen Heidenspass gemacht hat, beim Infiltrieren mit LA durch den Wundrand hindurchzustechen, Dich mit der Nadel anzuvisieren und Dich mit LA, Blut und Wundsekret vollzuspritzen.........wenn Du nicht schnell genug warst.

Hab eigentlich schon gepostet,aber irgendwie ging mein Beitrag verloren:

Wichtig ist vor allem eines: reden, reden, reden...........wurscht ob´s dein Kumpel, Kamerad, ein kollege oder ein speziell ausgebildeter psychologe oder dein partner ist............man muss einfach zulassen können, "darüber" zu reden.

Sonst geht man zugrunde.......

Beachbaer82
01.07.2004, 09:00
Mit ( zum Teil auch schwarzem ) Humor sollten man versuchen die Situation, soweit es geht aufzulockern.

Ich versuche erst garnicht, die Eindrücke, den Einsatz auf mich wirken zu lassen. Wie schon mal erwähnt ist der Patient in dem Moment unser "Arbeitsstück" für den wir das Beste geben.
Denoch passiert es auch mal, das man sich mit einem Einsatz beschäftigt, währenddessen und danach...
Wichtig ist es, meiner Ansicht nach, wenn man in dieser Situation ist, darüber zu reden. Vieleicht nicht mal unbedingt mit einem Kollegen ( da - erfahrunngsgemäß - das ganze dann nicht ernst genommen wird, man in Sarkasmus verfällt o.ä. ).
Ich hatte auch schon Situationen wo die Emotionen überhand bekommen hatten...

Müssen wir uns in dem Job schämen, wenn auch mal Tränen fliessen oder wir ein Problem haben? Sind wir dann schwächer als andere? :confused: Ich sage klar NEIN! Wir sind auch nur Menschen! :knuddel:

Wenn man das Gefühl hat und es runterschluckt rächt sich das irgendwann...

Wie und ob jemand mit seinen Problemen/Sorgen zurecht kommt, ist jedermans eigene Verantwortung. Die einen so, sie anderen so ( aber meine steht hier oben ;) )

Lieben Gruß Strandbär