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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Anticholium



RS-USER-gnuff
24.09.2006, 12:39
Vorgestern im IC-Dienst hat mir der Unfallchirurg einen Patienten zur Überwachung auf die Station gewichtelt der nach ausreichender Vorarbeit besoffen vom Barhocker gefallen war. Bei Eintreffen des NA lt. Protokoll GCS 3 (!), Platzwunde an der Lippe, ein Zahn abgebrochen. Jetzt spritzt der NA aus differentialdiagnotischen Erwägungen 2mg Anticholium und ich kann mich den Rest der Nacht völlig normal mit dem Menschen unterhalten. Blutalkohol war 2,7 Promille.
Ich hab das vielleicht mal irgendwo gelesen, aber noch nie erlebt dass wirklich jemand das ausprobiert hat.
Weil ich wissen wollte ob der Pat. irgendwann wieder von seinem Alkohol im Blut eingeholt wird wenn das Anticholium nachlässt hab ich mal rumgefragt, aber keiner hat Erfahrung mit dem Zeug bei alkoholisierten Pat. Wie sieht das bei Euch aus?

RS-USER-Katja
24.09.2006, 13:23
Anticholium ist Physostigmin, ein Cholinesterasehemmer, der im Gegensatz zu den gängigen anderen durch die Blut-Hirn-Schranke geht (als einziges ein tertiäres Amin, die anderen sind quartär). Dadurch eignet es sich zur Antagonisierung der anticholinergen Wirkung diverser Pharmaka und so auch des Allohols ;) Außerdem nimmt man es zur Behandlung des Zentralen Anticholinergen Syndroms. Alkohol bewirkt manchmal (dosisabhängig... und mir ist klar, daß das "lies to children" ist, aber die genaue Erklärung wird sehr pharmakotheoretisch) etwas Ähnliches wie ein depressorisches anticholinerges Syndrom, daher funktioniert das.
Die Wirkungsdauer beträgt etwa eine halbe Stunde. Mit Rebound ist also zu rechnen. Aber wer auf 2,7Promille kommt, ist ja kein 2-Glas-Sekt-Trinker...

RS-USER-Rugger
25.09.2006, 17:28
Original geschrieben von Katja
Alkohol bewirkt manchmal (dosisabhängig... und mir ist klar, daß das "lies to children" ist, aber die genaue Erklärung wird sehr pharmakotheoretisch) etwas Ähnliches wie ein depressorisches anticholinerges Syndrom, daher funktioniert das. Jetzt muss ich mal ganz "naiv" nachfragen:
ist der Patient dann de fakto nüchtern???

R.

RS-USER-Katja
25.09.2006, 17:31
Nö. Das Mittel dafür ist noch nicht erfunden (außer Du nimmst jetzt den Kaffee von Gimlets Delikatessen aus der Scheibenwelt :D).

RS-USER-Rugger
25.09.2006, 18:51
Ok, war zugegebenermassen ein wenig arg naiv, meine Frage... Aber mich hat einfach die von Gnuff beschriebene Reaktion des Patienten auf das Anticholium verwundert!

R.

RS-USER-Küchenhexe
25.09.2006, 19:08
Original geschrieben von Katja
Nö. Das Mittel dafür ist noch nicht erfunden (außer Du nimmst jetzt den Kaffee von Gimlets Delikatessen aus der Scheibenwelt :D).

Ich denke mal, Ratte mit Ketchup müßte auch reichen. Ratte allein wohl nicht; nicht mal ein sehr betrunkener Zwerg würde seine Ratte ohne Ketchup essen...

Back to topic: Wie schnell kommt der Rebound? Schleichend oder eher plötzlich?

RS-USER-Katja
25.09.2006, 19:40
Schleichend. Wie eigentlich alle Rebounds ;)

RS-USER-Katja
29.09.2006, 15:14
Wo ich so gerade am LEsen bin, fällt mir was auf...


Original geschrieben von gnuff
der nach ausreichender Vorarbeit besoffen vom Barhocker gefallen war. Bei Eintreffen des NA lt. Protokoll GCS 3 (!), Platzwunde an der Lippe, ein Zahn abgebrochen. Jetzt spritzt der NA aus differentialdiagnotischen Erwägungen 2mg Anticholium und ich kann mich den Rest der Nacht völlig normal mit dem Menschen unterhalten. Blutalkohol war 2,7 Promille.

Der junge Mann ist ja definitiv auf den Kopf gefallen und hat wohl auch mit dem Gesicht gebremst.
Vielleicht solltest Du in einer stillen Minute den akademischen Kollegen darauf hinweisen, daß bei (V.a.) ein frisches SHT Anticholium absolut kontraindiziert ist (weil beim SHT die ACh-Konzentration im Hirn sowieso schon grenzwertig erhöht ist).
Sonst kann man nämlich auch als Unfallchirurg in Teufels Küche kommen... und da kann man sich nicht auf diagnostische Erwägungen rausreden.

RS-USER-gnuff
29.09.2006, 20:57
Mich hatte jetzt weniger interessiert wie das funktioniert, das hatten wir uns schon zusammengereimt. Was ich vielmehr wissen wollte war, ob irgendwer das schonmal draussen oder drinnen gesehen hat? Ich nicht. Ich habe auch keinen Kollegen gefunden, der das schon mit dieser Indikation angewendet hat.

@Katja: das mit der Kontraindikation SHT habe ich dann zwischenzeitlich auch gelesen. Der Scherz ist allerdings, dass der aufnehmende Unfallchirurg mir erzählt hat, der NA (hohes Tier Anästhesie, ganz nebenbei) habe die Physostigmingabe damit begründet, er habe eine SHT bedingte Bewusstlosigkeit ausschliessen wollen :eek: Prima, oder?

RS-USER-Katja
29.09.2006, 21:05
Original geschrieben von gnuff

@Katja: das mit der Kontraindikation SHT habe ich dann zwischenzeitlich auch gelesen. Der Scherz ist allerdings, dass der aufnehmende Unfallchirurg mir erzählt hat, der NA (hohes Tier Anästhesie, ganz nebenbei) habe die Physostigmingabe damit begründet, er habe eine SHT bedingte Bewusstlosigkeit ausschliessen wollen :eek: Prima, oder?
*Grusel* Man sollte von den Medis, die man benutzt, Nebenwirkungen und Kontraindikationen kenne, dachte ich... aber ich bin ja auch bekennendes Weichei, Warmduscher, Supraverdünner... :rolleyes:

Ich kenne Kollegen, die das schon draußen gemacht haben und ich hab's auf Intensiv schon gemacht. Wobei ich draußen aus diversen Gründen vorsichtiger mit der Indikation wäre (was weiß ich über die VEs eines hackebesoffenen Patienten?).

RS-USER-gnuff
29.09.2006, 21:11
Original geschrieben von Katja
Wobei ich draußen aus diversen Gründen vorsichtiger mit der Indikation wäre (was weiß ich über die VEs eines hackebesoffenen Patienten?).

deswegen war ich ja so verwirrt. Wer würde sich denn einen Besoffenen intubiert irgendwo hinlegen wo er Platz wegnimmt, wenn er ihn quasi nüchtern zaubern könnte. Mir kam das sehr spanisch vor und es freut mich, dass mein Bauchgefühl mich nicht verschei$$ert hat, auch wenn es halb vier war... :)