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RS-USER-Rippenspreizer
10.01.2007, 11:33
Ich habe eine Weile überlegen müssen, ob ich den folgenden Fall als Case Report, als Critical Incident Report oder letztlich doch hier im Trainings-Center zur Diskussion stelle.

Ich schildere den Einsatz aus notärztlicher Sicht;
das soll euch aber keinesfalls davon abhalten, mitzudenken und eure Massnahmen vorzustellen.


Los gehts...


Ihr werdet gegen 10 Uhr als NEF zu einer 55jährigen adipösen Patientin gerufen, die aufgrund einer telefonischen Einweisung des Hausaztes primär von einem KTW aus ihrer Wohnung in ein Krankenhaus transportiert werden sollte.
Da die Situation vor Ort der KTW-Besatzung unklar vorkam, hatten sie RTW und NEF nachgefordert.

Bei Eintreffen des NEF war die Patientin auf dem Sofa liegend zunächst unauffällig. Sie klagte bei Nachfrage über seit mehreren Tagen bestehende grippale Beschwerden. Seit 2 Tagen hätte sie gegen Abend immer hohes Fieber gehabt, aktuell war sie fieberfrei. Auch Rückenschmerzen und Diarrhoe plage sie seit zwei Tagen. Gegen die Rückenschmerzen hatten 2x 25mg Diclac/Tag aber gut geholfen.
Am schmerzhaftesten und auffälligsten waren allerdings die ödematös massiv geschwollenen Ober- und Unterarme beidseits. Teilweise livide verfärbt aber noch gut tastbare Pulse waren vorhanden. Die Schwellung wäre seit ca. 12 Stunden zunehmend. Die Arme waren leicht erwärmt; die Anlage eines iv-Zuganges aber aussichtslos, sodass ein Versuch nicht mal erwogen wurde.

BZ, Sättigung und 12-Kanal-EKG waren von der KTW- und RTW-Besatzung bereits ermittelt und unauffällig. Der Blutdruck war mit RRsyst. 80 hypoton, die HF mit 140/min. sinustachykard.
Neurologisch gab es keinerlei Auffälligkeien, kein Hinweis auf Meningismus, keine Übelkeit/Erbrechen. In den letzten Tagen habe sie wenig Appetit und daher wenig gegessen und getrunken. Die Patientin verneint Vorerkrankungen und ist adäquat orientiert zur Situation. Die soziale Umgebung erschein unauffällig - sie wird innerhalb der Familie gut versorgt.

Wie geht ihr weiter vor?

Beachbaer82
10.01.2007, 12:24
Original geschrieben von Rippenspreizer
Wie geht ihr weiter vor?

Nun, da offensichlich keine akute Gefährdung ( ausser dem RR ja alles normal befundet ) besteht, würde ich einfach die Patientin in den RTW laden ( falls doch noch was zum Vorschein kommt ) und gemütlich ( Schwellung seit mehreren Stunden, Sypmtome schon länger ) in die nächste "Innere" fahren, da dort die diagnostischen Möglichkeiten besser sind ( BE, evtl. radiologische Kontrolle / ggf. Doppler der Arme ).

Was ein wenig komisch ist, ist die "Schocksymptomatik" mit HF ^ und RR ( wo ist das "runter"-Zeichen??? ).
Ein kardiogener Schock wäre mit Sicherheit irgendwo im EKG oder der weiteren Symtptomatik zu erkennen.

Aber im Ernst - ich möchte da nichts wirres rein interpretieren. Im "echten" Leben wäre mir das nicht mal ne NEF Indikation sondern der Trsp. ins nä. KH

RS-USER-Rippenspreizer
10.01.2007, 12:48
Okay. So in etwa auch meine Herangehensweise.
Macht ihr noch irgendwelche weiteren Untersuchungen? Konkrete Fragen an die Patientin? Irgendwas?

Ich habe mich aufgrund der fehlenden Indikation dazu entschlossen, keinen Zugang zu legen, auch wenn etwas intravasales Volumen/Haes vielleicht toll gewesen wäre. Für die präklinische ZVK-Anlage (und das wäre vermutlich die einzige Option gewesen) bestand meiner Meinung nach keine Indikation.

Wir sind also ohne Sonderrechte mit dem RTW unter abkömmlicher NA-Begleitung in die Innere - optional innere Intensiv gefahren. Für den Transport ist die Patientin selbstständig ohne klinische Auffälligkeiten vom Sofa auf die Trage geklettert und war auch während des Transportes vollkommen unauffällig. HF und RR sowie SO2 um 99% blieben konstant.

RS-USER-Bärentöter
10.01.2007, 12:56
Original geschrieben von Beachbaer82
Nun, da offensichlich keine akute Gefährdung ( ausser dem RR ja alles normal befundet ) besteht

das sehe ich bei den Vitalwerten anders! Immerhin kann sich flott ein (relativer) Volumenmangelschock entwickeln!

RS-USER-Rippenspreizer
10.01.2007, 12:58
Original geschrieben von Bärentöter
das sehe ich bei den Vitalwerten anders! Immerhin kann sich flott ein (relativer) Volumenmangelschock entwickeln!
Was wäre die Ursache, wie Deine mögliche Therapie?

RS-USER-DerDings
10.01.2007, 13:00
ich hätte wohl auch eher kein NEF nachgefordert, wenn ich als solches allerdings hierzukommen würde und der doc den transport im rtw begleiten will, werd ich ihm aus dem kleinen auto noch was mit auf den weg geben:

http://www.rippenspreizer.de/forum/showthread.php?s=&threadid=6671

Beachbaer82
10.01.2007, 13:01
Original geschrieben von Bärentöter
das sehe ich bei den Vitalwerten anders! Immerhin kann sich flott ein (relativer) Volumenmangelschock entwickeln!

Sollte sich die Frequenz erhöhen und der Druck sinken, d.h. die Schocksymptomatik verändern, kann ich mit einfachem "Beine hoch" intervenieren ( zumal die iV Anlage ja erschwert schien ).

Bei jemand der seit 2 Tagen grippale Merkmale angibt erwarte ich so und so kein "Super" Blutdruck bzw. generellen Kreislauf...

RS-USER-Rippenspreizer
10.01.2007, 13:05
Vielleicht regt es die allgemeine Diskussion an, wenn ich sage,
dass die Patientin 2 Stunden später in der Klinik verstorben ist.

:confused:



Es gibt tatsächlich eine Erkrankung, die als unmittelbare Todesursache verantwortlich ist;
dennoch möchte ich eure Mutmaßungen und Spekulationen abwarten...

RS-USER-Bärentöter
10.01.2007, 13:14
im Hinterkopf habe ich sowohl etwas septisches wie auch ein Eiweißmangelsyndrom (Diarrhoe!). ZVK lege ich außerklinisch nicht, trotz Schocksymptomatik hätte ich vor Labor keine größeren Mengen Flüssigkeit gegeben, weil die eh nur im dritten Raum verschwunden wäre. Ein Versuch Venenpunktion, zur Not an "exotischen" Stellen.
Aufgrund der mangelhaften außerklinischen Diagnosemöglichkeiten raschestmöglicher Transport!

Nach Diktat offline!

Mrs.Rett
10.01.2007, 13:32
Was ergab den die weitere Befragung der Frau?
Wie sieht es mit Vorerkrankungen aus ?
Weitere Medikamente???(vllt. allergische Reaktion oder Vergiftung ?):confused:
Atmung war unauffällig???

RS-USER-Sanitoeter
10.01.2007, 15:09
Vll. wage ich mich jetzt ein bisschen weit aus dem Fenster, als nicht- Rettungsdienstler.


Die Patientin hat seit 12 Stunden zunehmende Armödeme, was auf eine Abflußstörung hindeutet. Zudem hatte sie Rückenschmerzen gegen die sie Diclo nahm. Aufgrund der Adipositas sicher erschwerte Untersuchbarkeit (Palpation) des Abdomens. Der Schock (Schockindex 1,75) könnte evtl. auf einem hämorrhagischen Schock basieren.
Alles in allem könnte ich mir, in Verbindung mit dem schnellen Versterben der Patientin, durchaus einen Defekt an der Aorta vorstellen, evtl gedeckt perforiertes AA. Die Grippesymptomatik und die Diarrhoe kann ich jedoch nicht zuordnen.

Wie gesagt, nur eine Idee, die vorhandenen Symptome ein bisschen zusammen zu bringen.

Als KTW hätte ich hier spätestens nach RR und HF einen NAW nachgefordert, evtl. aber auch früher aufgrund dieser unklaren Situation.


Gruß Sani

saddamski
10.01.2007, 15:43
Naja....schnell verstorben ist ja doch relativ. Ich vermute wenn die Aorta perforiert geht es doch was flotter.

Ich hätte aber genau so wie alle anderen hier gehandelt. In den RTW und fahren. Ich hätte wahrscheinlich nicht mal ein NEF oder RTW bestellt.

Anscheinend ging es Ihr ja mit der hypotonie ganz gut. Schockindex hin oder her. Hatte auf nem SanDienst mal jemanden der nen Druck von 70 hatte und noch lief. Das sei normal bei Ihm und er hat fast nie beschwerden damit.

Da mir die Situation also alles andere als Lebensgefährlich vorkommt, hätte ich Sie sie vermutlich sogar mit dem KTW gefahren.

Ich habe auf jeden Fall keine Ahnung, nicht mal Ansatzweise, was die Frau gehabt haben könnte.

Edit: Ich würde in diesem Fall keine Schocklage anwenden, weil ich mir irgendwie nicht 100%ig sicher bin dass es nicht doch was cardiales sein könnte.

Edit2: Was steht denn auf der Einweisung vom Arzt?

RS-USER-Bärentöter
10.01.2007, 15:57
eine gedeckte Aortenruptur könnte die Rückenschmerzen erklären, aber sonst paßt vieles nicht dazu.

RS-USER-Linda
10.01.2007, 16:05
Hmm. Ich als nicht-medizinische Akademikerin... Nierenprobleme? Wie stehts mit dem Urin? Blutig, viel, wenig?

RS-USER-Rippenspreizer
10.01.2007, 16:38
Die Einweisung lautete auf Grippaler Infekt.
Die Atmung war unauffällig, Hinweise auf ein Aortenaneurysma ergaben sich nicht. Die Nierenfunktion war nicht eingeschränkt.

Die Patientin gibt an, sonst keinerlei Medikamente zu nehmen und auch sonst immer gesund gewesen zu sein.

Als kleiner Hinweis: Eine körperliche Untersuchung des Oberkörpers hätte zumindest einen Teil der Symptome erklärt - obgleich ich die Dame bei der nicht lebensbedrohlich wirkenden Klinik ungerne im Wohnzimmer oder RTW entblöst hätte. Das kam mir ehrlich gesagt nicht mal in den Sinn; wer zieht schon eine weibliche Patientin aus, die mit V.a. grippalen Infekt ins Krankenhaus soll? (Abgesehen davon waren wir ca. 10 Minuten von einer geeigneten Klinik entfernt)

Und noch einen Hinweis: Bei der Beantwortung der Frage, ob sie sonst irgendwelche Beschwerden und/oder Erkrankungen hätte, muss uns die Patientin entweder a) angelogen oder es b) schlichtweg verdrängt haben...

RS-USER-Küchenhexe
10.01.2007, 16:41
Wie sahen denn die Lymphknoten aus (v.a. die axillären)? Hinweise auf eine Brust-OP in der Vergangenheit?

RS-USER-Bärentöter
10.01.2007, 16:43
Original geschrieben von Rippenspreizer
Als kleiner Hinweis: Eine körperliche Untersuchung des Oberkörpers hätte zumindest einen Teil der Symptome erklärt -

hmmm... so Dinge wie Einflußstauung (Lymphome) sollten doch bei der EKG-Anlage aufgefallen ein, oder?

RS-USER-Rippenspreizer
10.01.2007, 16:52
Original geschrieben von Bärentöter
hmmm... so Dinge wie Einflußstauung (Lymphome) sollten doch bei der EKG-Anlage aufgefallen ein, oder?
Hm, ja. Aber das 12-Kanal war ja schon geschrieben, als ich kam.
Und da den Jungs nichts aufgefallen war, hab ich auch kein zweites Mal die Brust entblättert.

Aber genau hier verbarg sich des Pudels Kern:

Nachdem wir die Patientin zwar kreislaufauffällig aber stabil und soweit neurologisch unauffällig im Krankenhaus übergeben hatten, erfuhren wir wenig später (telefonisch), dass sie ein massiv infiltrierendes Mamma-Karzinom auf der rechten Seite hatte. Dabei muss der Tumor wohl bereits durch die Hautschichten hindurchgewuchert sein und das nicht erst seit zwei Tagen!!

Kurzum: Die Patientin muss schon seit Monaten diese Wucherung ignoriert haben; der letzte Arztbesuch lag mehr als 35 Jahre zurück und zum Zeitpunkt unseres Eintreffens war sie bereits am Beginn einer fulminanten tumorbedingten Sepsis, an der sie trotz intensivmedizinischer Intervention zwei Stunden später unter kardiorespiratorischer Dekompensation verstarb.

Moral von der Geschicht? Vertraue den Patienten nicht!
(Obgleich eine präklinische körperliche Untersuchung und Diagnose den Verlauf zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verändert hätte - sowas sieht man Dank unserer guten medizinischen Versorgung ja nahezu gar nicht mehr. Bevor ein Tumor einen derartigen Verlauf nehmen kann, waren 99% der Patienten schon längst beim Gynäkologen)

Geduldsbalken-Träger
10.01.2007, 17:49
...was mir mal wieder meine Einstellung bestätigt:
Ich rufe mir lieber einmal zuviel den Doc dazu, als einmal zuwenig!
Manchmal ist unser Bauchgefühl (KTW-Besatzung) doch der beste Ratgeber.

Ein RR sys. von 80 wäre für mich (als RH/RS-besetzter KTW) in Verbindung mit dem tachykarden Puls schon ein Grund, mindestens den besser ausgestatteten RTW dabeizuholen.

Gruß
Klaus

RS-USER-DerDings
10.01.2007, 18:08
Original geschrieben von Rippenspreizer
[...] massiv infiltrierendes Mamma-Karzinom auf der rechten Seite hatte. Dabei muss der Tumor wohl bereits durch die Hautschichten hindurchgewuchert sein [...]

und das hat die besatzung die das 12er geschrieben hat nicht erwähnt? :eek: :confused: