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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Nach welchen Kriterien entscheidet das Pflegepersonal über den Grad der Mobilisation?



RS-USER-Nufragnich
27.01.2007, 22:48
Moin,moin!

Neulich hatte ich folgendes Erlebnis: Ich war mit einer Kollegin am Krankenbett, als eine Patientin den Wunsch äußerte, sich für ein paar Minuten in den Stuhl zu setzen. Die Kollegin sagte daraufhin: "Das geht leider nicht, dazu sind sie im Moment zu schwach". Ich habe allerdings die Situation völlig anders eingeschätzte und war der Meinung, wir könnten ihr zumindest helfen, sich für ein paar Minuten an die Bettkante zu setzen.
Nach diesem Erlebnis habe ich mir die Frage gestellt, nach welchen Kriterien entscheiden wir eigentlich, in welchem Ausmaß wir Patienten mobilisieren? Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn man darüber nachdenkt, gibt es eigentlich wenig greifbares. Es bleibt am Ende die Erfahrung, aber das ist meiner Meinung nach das Problem. Denn offensichtlich geht die Einschätzung je nach Kollege/in doch weit auseinander. Die Gefahr ist, das der Patient entweder überfordert oder unterfordert wird. Oft scheint mir, dass Bettlägrigkeit als Sackgasse gesehen wird, die letztendlich mit dem Tod endet. Hat ein Mensch erst einmal begonnen, den größten Teil des Tages im Bett zu verbringen, - so scheint mir - unternimmt das Pflegepersonal wenig, etwas an der Situation zu ändern. Man ist der Meinung, das gehöre eben mit zum Sterbeprozess. Aber auch in der ganz normalen Kliniksituation erscheint mit die Bewertung der Mobilisation ein großes Problem zu sein. Oft arbeitet man nur nach einem starren Schema. Wie sind da eure Erfahrungen? Wie beurteilt ihr, wie ein Patient mobilisiert werden sollte?

Hörbird
27.01.2007, 23:24
Gute Frage - heißes Eisen.

Man sollte vielleicht schauen, inwieweit der Patient davor mobil war. Ziel sollte ja sein, das man soviel wie möglich an das herankommt, was vorher (Vor Krankenhausaufnahme) möglich war. Langsames Herantasten ist für mich sehr wichtig. Scheinbar fitte Patienten können schnell einbrechen in ihrer Leistung.

Aber vorallem sollte man ( obwohl es in der Praxis gaaaanz anders aussieht) die Regeln bei der Erstmobilisation einhalten: zu zweit sein, vorher VZ kontrollieren, Patienten langsam an die Belastung heranführen, auf Unregelmäßigkeiten achten. Dabei kann man nämlich schon ganz gut erkennen, wie sich der Patient anstellt und was bei ihm möglich wäre.

Wäre in Deinem Beispiel eigentlich richtig gewesen . Hatte die Kollegin vielleicht einfach keine Lust?

Schemen sind eigentlich schon ganz gut, gerade oder auch weil diese auf Erfahrungen basieren.



Hat ein Mensch erst einmal begonnen, den größten Teil des Tages im Bett zu verbringen, - so scheint mir - unternimmt das Pflegepersonal wenig, etwas an der Situation zu ändern.

Ich vermute, das liegt auch an unseren Strukturen. Zeit zum richtigen Pflegen bleibt einem auch in der Klinik kaum noch, und diese braucht man, wenn man solche Leute aus dem Bett haben will - DRG läßt grüßen.

Muß dazu sagen, das ich es relativ einfach habe - arbeite in einer chirurgischen Klinik. Die meisten sind Planeingriffe, die ohnehin das Ziel haben, wieder mobil zu werden. Bei den unplanmäßigen arbeiten wir eng mit den Physiotherapeuten zusammen.
Es gibt feste Schemen, die genau eingehalten werden, ob der Patient will oder nicht ;-P (meistens glaubt er nicht, das es schon möglich ist)
Probleme bereiten uns eher medizinische Gründe (strikte Bettruhe), die eine Mobilisation verhindert. Bei älteren Menschen - die Folgen aufzuhalten braucht ne Menge Zeit, Geduld und Energie.

Gruß
Hörbird

-hoffentlich klang das nicht besserwisserisch-

RS-USER-Bärentöter
28.01.2007, 12:19
Original geschrieben von Hörbird
Probleme bereiten uns eher medizinische Gründe (strikte Bettruhe), die eine Mobilisation verhindert.

Nebenbemerkung: in der Inneren geht man immer mehr von der Doktrin der Bettruhe ab, da sie kontraproduktiv ist.
Natürlich ist das in der Chirurgie was anderes.

RS-USER-rettungshamster
12.02.2007, 07:46
Bei uns wird schon versucht weitest gehend zu mobilisieren...was aber unter dem Aspekt des "Zeitmangels" oftmals auch in die Binsen geht.

Hatte neulich den Fall eine bettlägerige Dame zum duschen zu mobilisieren...bisserl Bauchweh hatte ich dabei schon, da die Gute schon seit 3 oder 4 Wochen strikt bettlägerig ist und seitdem die Horizontale auch nicht mehr verlassen hatte.

Anfänglich wurden erstmal ein paar aktive Bewegungsübungen im Bett gemacht; Vitalzeichen erhoben, auf die Bettkante mobilisiert und dann erst mal geschaut wie es dem Kreislauf gefällt.

Dies sollte der "Normalfall" sein...in Wahrheit aber, wird da weniger nach den Vitalzeichen geschaut als vielmehr auf das zu erledigende Soll der Arbeit. Und so wird auch schon mal ohne zu schauen wie es dem Pat. geht, aus dem Bett geholt.

Dann kann es schon mal sein das sich die/der ein oder andere KollegIn wundert, dass es zu einer Dysregulation des Kreislaufes kommt und der Pat. die Augen verdreht. :rolleyes:

ichbinheldin
12.02.2007, 19:43
Ich bin selbst in der Pflege, allerdings in einem Seniorenheim. Ich muss dazu sagen, dass ich in div. Praktika feststellen musste, dass es leider wirklich so ist, wie du sagst. Liegt der Bewohner erst mal, wird nicht mehr viel unternommen und er bleibt einfach liegen.
In dem Heim, wo ich jetzt bin, ist dies gsd anders. Wir mobilisieren unsere Bewohner wo und wie es nur geht. Und wenn sie nur für eine halbe Stunde auf einem Mobilisationssessel oder vl nur kurz Querbettsitzen.
Dei traurige Tatsache ist, dass wir viele, eigentlich mobile Bewohner, in einem äußerst traurigem Zustand und meistens noch mit einem schönen Dekubitus aus dem KH zurückbekommen. Gerade bei alten Leuten ist es sehr zeitintensiv und mühevoll diese Rückschritte wieder aufzuholen, aber es lohnt sich. Leider wird dies, wie bereits gesagt, nicht überall so gehalten. Ich war in Heimen, die hatten nicht mal einen Aufenthaltsraum. Also die Bewohner, die sich nicht selbst fortbewegen konnten, waren den ganzen lieben langen Tag in ihrem Zimmer, was auch die erfreuliche Nebenwirkung hatte, dass sie irgendwann quasi "verblödeten". So traurig das klingt, aber man baut einfach ab, wenn das Gehirn keine Anregung in Form von Gesprächen bekommt.

Jedenfalls wird der Grad der Mobilisation (wie in einem anderen Beitrag bereits gesagt wurde) durch vorsichtiges Herantasten festgelegt. Viele alte Menschen über- oder unterschätzen sich und es hat keiner was davon, wenn er plötzlich umkippt, weil es zuviel war. Aber so wie du es schilderst kann es durchaus sein, dass die Schwester einfach nur faul war