PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Leichenschau



Seiten : [1] 2

RS-USER-emergency doc
12.06.2007, 22:38
Aufgrund der Lektüre des folgenen Artikels möchte ich mal rumfragen: Wie haltet ihr es mit der Leichenschau?
Packt ihr immer ein EKG an jeden dran?
Reichen euch Rigor und Livores? Hat schonmal einer ein Lazarus-Phänomen erlebt?



Kasuistik
Notarzt 2006; 22: 193-197
DOI: 10.1055/s-2005-866914


Rigor mortis - ein sicheres Todeszeichen?

Rigor mortis - A Definite Sign of Death?

A. R. Heller1, M. P. Müller1, M. D. Frank1, J. Dreßler2
1 Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden
2 Direktor des Institutes für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

Nachdruck aus: Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40: 225 - 229© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · DOI 10.1055/s-2004-826199 · ISSN 0939-2661
Zusammenfassung

In der jüngsten Vergangenheit wird in der Bundesrepublik eine kontroverse Diskussion über die Erfüllbarkeit rechtsmedizinischer Qualitätsansprüche an die Leichenschau in der ärztlichen Praxis geführt. Es wird über den Fall einer 90-jährigen Frau berichtet, die bei suizidaler Benzodiazepin-Überdosierung nach unbekannter Liegezeit in Halblinksseitenlage aufgefunden wurde. Bei der Inspektion der Patientin zeigten sich wegdrückbare fleckförmige Hauterscheinungen an Unterschenkel und Unterarm links. Gleichzeitig fiel ein Rigor (mortis?) des linken Armes auf, der eine Streckung im Ellenbogengelenk verhinderte. Die stark unterkühlte ateminsuffiziente Patientin wurde intubiert. Eine mechanische kardiopulmonale Reanimation erfolgte bei sehr schwach tastbarem zentralem Puls (RR 70 mm Hg systol.) und einer Sinusbradykardie (45/min) mit einzelnen VES nicht. Nach Einbringen einer Venenverweilkanüle (V. jugularis ext. rechts 17 G) konnte die hämodynamische Situation durch fraktionierte Adrenalin-Gabe und Pufferung mit Bicarbonat stabilisiert werden. In dem Maße, in dem stabile Kreislaufverhältnisse etabliert werden konnten, verschwanden sowohl die Hauterscheinungen als auch die beobachtete Starre der Extremitäten. Im vorliegenden Fall wurde trotz vorhandener Livores und einem auf die linke Körperhälfte begrenzten Rigor ein zentraler Minimalkreislauf vorgefunden, der durch entsprechende Therapie stabilisiert werden konnte. Pathophysiologisch muss eine zentripetal voranschreitende Glykogen- und ATP-Verarmung (Rigor) der Patientin im Rahmen der peripheren Minderperfusion (Livores) in Kombination mit lokalen Kälteerscheinungen (Kälteerythem, Kältestarre) postuliert werden, die nach Reperfusion wieder aufgehoben wurden. Damit erscheint die Sensitivität und Spezifität von fleckförmigen Hauterscheinungen und Muskelstarre für die Todesfeststellung insbesondere bei Intoxikationen und unterkühlten Patienten nicht ausreichend. Ein sorgfältiger ABC-Check sollte auch bei scheinbarem Vorliegen sicherer Todeszeichen durchgeführt werden, um das Vorhandensein einer Vita reducta nicht zu übersehen. Apparative Zusatzdiagnostik wie EKG könnte die Rate falsch positiver Todesfeststellungen reduzieren. Inwiefern der Beginn von kardiopulmonalen Reanimationsmaßnahmen durch medizinisches Assistenzpersonal (Rettungsassistenten etc.) auch bei Vorliegen von Rigor und Livores bis zum Eintreffen des Notarztes zu fordern ist, muss kritisch diskutiert werden.
http://www.thieme-connect.com/ejournals/abstract/notarzt/doi/10.1055/s-2005-866914;jsessionid=8ED97799FA0F555401F613C2CFAC230D .jvm1

[ed]

RS-USER-Katja
12.06.2007, 23:23
Original geschrieben von emergency doc
Aufgrund der Lektüre des folgenen Artikels möchte ich mal rumfragen: Wie haltet ihr es mit der Leichenschau?
Packt ihr immer ein EKG an jeden dran?
Reichen euch Rigor und Livores? Hat schonmal einer ein Lazarus-Phänomen erlebt?

Ich packe (wenn nicht der Kopf daneben liegt) an jeden ein EKG; die alte Dame, die schon praktisch steif war und beginnende Totenflecken hatte, aber noch Kammerkomplexe hatte, habe ich nämlich auch schon gehabt (und nein, wir haben sie nicht reanimiert, weil terminales Larynx-CA).

Lazarusphänomen: Jepp. Nicht selbst gesehen, aber bei uns an der alten Klinik: Patient mit Notkoro kam nicht von der HLM ab, war richtig schlecht, keinen Eigenrhythmus, Pacer übernahm bestenfalls mäßig, Herz machte einfach nicht mit und es war kein Land zu sehen. Nach langen nächtlichen Bemühungen einverständliches Bleibenlassen weiterer Maßnahmen; Chirurgen raus, Beatmung ab, Katecholamine aus... eine Viertelstunde später schaut nochmal wer in den Saal: "Der atmet ja!!!" Also nochmal ran, Patient ließ sich stabilisieren, ist aber nach Beendigung der OP auf Intensiv in der Nacht noch verstorben.

RS-USER-Claudi
13.06.2007, 06:39
Original geschrieben von Katja
...die alte Dame, die schon praktisch steif war und beginnende Totenflecken hatte, aber noch Kammerkomplexe hatte, habe ich nämlich auch schon gehabt (und nein, wir haben sie nicht reanimiert, weil terminales Larynx-CA).



Au weia!
Frage des Interesses: Wie groß wäre denn da die Chance einer erfolgreichen Rea gewesen?

RS-USER-Rippenspreizer
13.06.2007, 07:07
In der "DER NOTARZT"-Ausgabe 4/2007 (glaube ich) war ein ziemlich gruseliger Fallbericht einer Patientin mit Totenflecken, Leichenstarre, eingetrocknetem Sekretfluss aus Mund/Nase und offenen matten Augen, die wohl seit Tagen schon in der Wohnung lag. NA, RD und FW haben die Patientin zurück ins Bett gelegt, Totenschein ausgefüllt und sind abgerückt.

Der Bestatter hat ca. 30 Minuten später noch kurzzeitig (aber letztlich erfolglos) reanimiert, weil die Patientin eindeutige Lebenszeichen aufwies (wach & ansprechbar)

Seitdem klebe ich auch an jede Leiche das EKG und versuche mir - wenn es die Zeit und Umstände erlauben - eine möglichst sorgfältige Leichenschau zu machen.
Idealerweise lässt sich diese Aufgabe aber an den behandelnden Hausarzt übertragen, der aufgrund der Vorkenntnisse der Patientengeschichte in der Regel auch nicht die Pol hinzuziehen muss.

krumel
13.06.2007, 10:12
Meines Wissens war der zitierte Fall in München,
selbiger schlug hier massivst in der Presse ein, hat leider aber den Umkehrschluss zur Folge gehabt:
Es wird noch eher der Notarzt gerufen als der Hausarzt.
GRML.

RS-USER-blacksheep
13.06.2007, 10:16
Original geschrieben von krumel

Es wird noch eher der Notarzt gerufen als der Hausarzt.
GRML.

Meintest du nicht eher umgekehrt? Also eher den Arzt für Häuser als den Arzt in Not.

Rmi_RS
13.06.2007, 10:36
[nichtErnstMeinModus=an]

Ich hab immer n Messer am Gürtel... da kann man dann auf nummer sicher gehn :D

[nichtErnstMeinModus=aus]

RS-USER-DeDe
13.06.2007, 12:39
Ich schließe mich da der Ausführung von Katja an, ich lege grundsätzlich an jeden Patienten das EKG und die Hand an, außer es liegen Verletzungen vor, die mit dem Leben nicht vereinbar sind - Kopf daneben, Patient auf 20qm² vorfindbar.. oder am sommerlichen Badesee noch die Schlittschuhe an bzw. zeigt deutliche Todeszeichen (Verwesungseintritt usw.) an.

Was man draus macht (zum Beispiel Zustand nach CA präfinal ect.) ist dann ein anderer Schnack.

Gruß

RS-USER-Katja
13.06.2007, 15:44
Original geschrieben von Claudi
Au weia!
Frage des Interesses: Wie groß wäre denn da die Chance einer erfolgreichen Rea gewesen?
35 Kilo, hatte abends das letzte Mal mit ihrem Mann kommuniziert, jetzt 6:30 morgens, sonst sei sie immer um fuenf Uhr wach, seit 60 Jahren... seit Wochen nur noch ein halbes Tuetchen einer bekannten hochkalorischen Fluessignahrung taeglich, reden tat sie seit Wochen nicht mehr.
Was heisst hier erfolgeiche Rea...?

RS-USER-DoktorW
13.06.2007, 16:14
Ich habe das "Glück", dass ich die L-Schau nur mehr oder weniger ordentlich machen muss. In RLP kann der NA nur eine vorläufige Bescheinigung schreiben und in F macht das idR der Hausarzt. Aber ein 0-Linien EKG ist Pflicht!

RS-USER-gnuff
13.06.2007, 16:29
Original geschrieben von Rippenspreizer
In der "DER NOTARZT"-Ausgabe 4/2007 (glaube ich) war ein ziemlich gruseliger Fallbericht einer Patientin mit Totenflecken, Leichenstarre, eingetrocknetem Sekretfluss aus Mund/Nase und offenen matten Augen, die wohl seit Tagen schon in der Wohnung lag. NA, RD und FW haben die Patientin zurück ins Bett gelegt, Totenschein ausgefüllt und sind abgerückt.

Der Bestatter hat ca. 30 Minuten später noch kurzzeitig (aber letztlich erfolglos) reanimiert, weil die Patientin eindeutige Lebenszeichen aufwies (wach & ansprechbar)
...

fast richtig... der Bestatter hat Lebenszeichen festgestellt, und die Pat. konnte vom erneut hinzugezogenen RD stabilisiert und ins Krankenhaus gebracht werden. Dieses hat sie auch auf ihren eigenen Füßen verlassen.

in dem Artikel geht es darum, dass die ersteintreffende RTW-Besatzung den Tod festgestellt hat und auf die Nachforderung einen Notarztes verzichtete. Nach der Gesetzeslage in HH war dies aber korrekt. Die Pat. war leblos, vermeintlich pulslos, blassgrau und kalt. Ein Abschiedsbrief war auch vorhanden. Hamburger RTW verfügten damals noch nicht über EKG-Monitore...

falls jemand den Artikel haben will, kann er/sie sich ja melden...

RS-USER-emergency doc
13.06.2007, 22:13
Der von mir gepostete Artikel war auch aus dem Notarzt...

EKG ist mittlerweile auch bei mir absolutes Muss...

[ed]

RS-USER-Häuptling weiße Wolke
14.06.2007, 13:13
Komme gerade von einem Einsatz mit toter Pat. zurück. Hausarzt vor Ort, der hat die Pat. noch nicht mal umgedreht oder entkleidet (lag auf dem Bauch in der Küche), war halt tot. Ich hab aber trotzdem noch ein EKG gemacht, denn Leichenflecken oder Totenstarre war noch nicht sicher vorhanden. Der HA hat sich dann immerhin ohne Murren bereit erklärt, die Todesbescheinigung auszustellen, dafür hat er von mir auch einen schonen EKG-Ausdruck mit der Nulllinie geschenkt bekommen.

Über den HA kann ich echt nur den Kopf schütteln!:rolleyes:

Rescuerambo
14.06.2007, 13:22
Original geschrieben von Katja
Ich packe (wenn nicht der Kopf daneben liegt) an jeden ein EKG; die alte Dame, die schon praktisch steif war und beginnende Totenflecken hatte, aber noch Kammerkomplexe hatte, habe ich nämlich auch schon gehabt (und nein, wir haben sie nicht reanimiert, weil terminales Larynx-CA).


Mal ne doofe Frage:

Die Leichenstarre und Totenflecken wurde mir als sicheres Todeszeichen auf der RD-Schule verkauft... ist dem nicht so :confused:

RS-USER-apoplex
14.06.2007, 14:12
Die Leichenstarre und Totenflecken wurde mir als sicheres Todeszeichen auf der RD-Schule verkauft... ist dem nicht so

Doch, ist so weiterhin Konsensmeinung der Rechtsmediziner, Leichenflecken, Leichenstarre, nicht mit dem Leben vereinbarende Verletzungen und Fäulnis/Verwesung sind die einzigen sicheren Todeszeichen.

Hier war aber die Rede von "beginnende Totenflecken", in der Agoniephase (also der direkten Phase vorm entgültigen Tod, die je nach Mechanismus fehlen kann, unterschiedlich lang ist) können auch schon solche Erscheinungen auftreten (sog. Kirchhofrosen), jedoch tritt die vollständige Ausbildung erst postmortal auf. Die Flecken können aber auch mal fehlen (z.B. ausgeblutet) oder untypische Farben haben (CO-HB, MetHB, Kälte).
Leichenstarre tritt eigentlich immer erst postmortal auf, jedoch können auch, gerade bei lang bettlägrigen Patienten z.B. Kontrakturen auch mal fehlgedeutet werden, daher - typische und meist früheste Lokalisation im Kiefergelenk.

Im Gegensatz dazu ist ein Nulllinien-EKG nicht beweisend für den eingetretenen Tod sondern eher ein zusätzliches Indiz.

RS-USER-emergency doc
14.06.2007, 20:05
Original geschrieben von Häuptling weiße Wolke
Über den HA kann ich echt nur den Kopf schütteln!:rolleyes:

Hmmm...

Hatte mal 'nen Toten, lag neben dem Bett auf dem Schlafzimmerboden. Bett, Boden, Wände alles voller Blut und Erbrochenem. Diagnosen aus nem daliegenden alten Arztbrief:BAA, Gastritis.
Kommentar des Grünen: Achja, Aortenaneurysma... Das ist dann wohl geplatzt...

:rolleyes:

Hab dann obere GI-Blutung draus gemacht...
[ed]

RS-USER-Katja
14.06.2007, 20:22
Original geschrieben von Häuptling weiße Wolke

Über den HA kann ich echt nur den Kopf schütteln!:rolleyes:
Da hat wohl jeder von uns eine Geschichte zu... ich habe da noch einen Erhaengten im Gedaechnis, der uter mir total suspekten Umstaenden aufgefunden wurde - wir haben ihn so haengen lassen, Polizei dazu, der das beschrieben und mussten dann weg weil richtiger Einsatz.
Stunden spaeter treffe ich den Polizisten bei einem ganz anderen Einsatz wieder und frage, was mit dem Pat. geworden ist. Er: Naja, Doc Dorfarzt hat einen Totenschein geschrieben, Suizid und ab dafuer. Ich: :mad: :mad: :mad: Der macht es sich aber einfach. Dafuer rufe ich doch nicht die Kripo, wenn es alles so easy ist! Er: Jaaaa, aber wenn es V.a. nicht natuerlichen Tod ist (was Suizid per se meines Wissens eh ist!) , dann muessen die Toten ja in die Stadt gebracht werden und das kostete 350 Euro.

Sie haben den also nur abgeschnitten und in einen Sarg getan, Leichenschau im Sinne von ausgezogen etc. hat keiner gemacht. Grund: Der Bruder des Erhaengten habe sich vor Jahren auch umgebracht. Ist dann ja logisch, dass er das auch tut....

Wenn du wen umbringen willst, mach es auf dem Dorf...

RS-USER-emergency doc
14.06.2007, 21:51
Ich finds interessant, daß bis jetzt noch keiner angekreuzt hat, er ziehe jeden komplett aus und untersuche von Kopf bis Fuß inklusive aller Körperöffnungen.

Gibts dieses Ankreuzfeld jetzt übrigens in jedem Bundesland? AFAIK gabs da nen Fall, wo der Arzt ein Ermittlungsverfahren wegen unsachgemäßer Durchführung der Leichenschau an den Hals gekriegt hat, weil er ehrlicherweise "nein" angekreuzt hat...

Ich kreuze seitdem IMMER "ja" an, es sei denn, ich rühre nix mehr an wegen unnatürlichem Tod

[ed]

RS-USER-Schädelspalter
14.06.2007, 22:10
Seit April sind in Niedersachsen neue Totenscheine zu verwenden. Auf den alten war (frei wiedergegeben) anzukreuzen "Die Leiche war bei der Untersuchung unbekleidet" "Ja" "Nein, weil die Todesursache auch ohne so erkennbar war" "Nein, weil ... andere Gründe hier eintragen"
Während diese Scheine noch im Umlauf waren, wurden die gesetzlichen Voraussetzungen geändert, die nicht korrekte Leichenschau war somit eine Ordnungswidrigkeit und konnte mit einem 4telligen Eurobetrag geahndet werden.
Natürlich kreuzte man da "Ja" an...

RS-USER-Schädelspalter
14.06.2007, 22:14
Ach so: bei der Umfrage halte ich es mit Aussage 2 & 3: die sogenannten sicheren Todeszeichen reichen mir, aber die will ich an einer unbekleideten Leiche gesehen haben. Bei der Untersuchung der Körperöffnungen reicht mir allerdings die Inspektion :D Wenn ich zufällig ein EKG habe nehme ich auch gerne einen Ausdruck.