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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Magnesium und Vorhofflimmern



RS-USER-Schädelspalter
21.06.2007, 19:33
Hallo.
Irgendwie habe ich den Eindruck, als wäre vieles, was wir bei Rhythmusstörungen tun oder lassen Geschmackssache, von Vorurteilen oder eigenen Erfahrungen geprägt und recht uneinheitlich.
Evidence-based-medicine hat halt da ihre Grenzen, wo es um schlecht untersuchbare bzw. standardisierbare Umstände geht oder wo die Situation sehr komplex wird.

Mir geht es um die Verwendung von Magnesium bei Tachyarrhythmia absoluta (TAA) und zwar bei leidlich kreislaufstabilen Patienten, die (z.B. aus nichtkardialen Gründen) möglichst nicht kardiovertiert werden sollen - aber auch nicht stunden-/tagelang mit einer Kammerfrequenz von > 150 rumliegen sollen.
Also Frequenz-, statt Rhythmuskontrolle.

Magnesium ist hier off-label-use, aber manche schwören ja drauf.

Also:
Früher war Magnesium groß in Mode. In der Roten Liste (Onlineversion: www.rote-liste.de) findet sich als Anwendungsgebiet:
Nachgewiesener Magnesiummangel, wenn er Ursache für Stör. der Muskeltätigkeit (neuromuskuläre Stör., Wadenkrämpfe) ist
Als Kontraindikationen findet man nur "AV-Block" und "Myasthenia gravis". Die Kontraindikationen werden aber gleich wieder eingeschränkt:
Absolute generelle Kontraindikationen sind bei der parenteralen u. enteralen Zufuhr von Elektrolyten nicht für jeden Einzelfall zutreffend. .... Als Nebenwirkungen werden "Bradykardie, Überleitungsstörungen" genannt.
Wechselwirkungen:
Mg verändert die Aufnahme und Spiegel einiger Medikamente. Bei parenteraler Gabe wird besonders hingewiesen auf: "Calciumsalze i.v." (Magnesiumwirkung vermindert),
"Calciumantagonisten" (Verstärkung der calciumantagonistischen Wirkung)
"Muskelrelaxanzien vom Tubocurarintyp" ( Verstärkung der muskelrelaxierenden Wirkung)
"Barbiturate, Hypnotika, Narkotika" (Risiko der Atemdepression)

1. Mancherorts ist es üblich (mal abgesehen von Kontraindikationen), bei einer TAA unbekannter Dauer erstmal mit Betablocker i.v. anzufangen (Frequenzkontrolle, Konversionswahrscheinlichkeit niedrig), bei Wirkungslosigkeit gibt es Digitalis i.v. und dann auch noch Magnesium.
2. Manche mögen auch Verapamil (z.B. Isoptin) primär i.v. und ggf. Betablocker zusätzlich ("das mache ich seit -setze hohe Zahl ein- Jahren, da passiert nix")
3. Oft gesehen: Metoprolol, Amiodaron (z.B. Cordarex), Magnesium.
4. Oder von einem wenig beliebten Chirurgen: Amiodaron, Ajmalin, Magnesium, Beloc, Digitalis und die Aussage: "dann habe ich aufgehört, zuviel soll man ja auch nicht durcheinander geben" :rolleyes:
Auch wenn einem (nicht klinisch tätigen) Pharmakologen bei solchen Kombinationen die Haare zu Berge stehen dürften (nicht zu Unrecht), einen totalen AV-Block habe ich bei den IPS-Zugängen wegen solcher Medikationen zum Glück noch nicht erlebt (mache das aber noch nicht lange, ist wohl nur eine Frage der Zeit...)

Ein bestimmter IPS-Oberarzt gibt 2g Magnesium bei TAA quasi gleichzeitig mit der Begrüßung des Patienten ;) , ein anderer erwürgt seine Assistenten verbal, wenn sie Magnesium auch nur erwähnen (hat mal einen AV-Block III° nach Mg unter Vormedikation mit Digoxin erlebt).

Soweit die Vor-Rede :D

Meine Fragen:
1. Habt ihr Erfahrungen mit Magnesium bei TAA? Wann (wenn überhaupt) setzt ihr das ein?
2. Habt ihr höhergradige AV-Blockierungen unter Magnesium erlebt? Wie lange dauerten die? Welche Medikamente wurden zusätzlich gegeben?

RS-USER-Feife
21.06.2007, 23:43
1. Bei neu aufgetretenem Vorhofflimmern (AF), ist bei uns der erste Weg, den wir gehen:
Kalium geben (Ziel-Serumspiegel 4,5 bis 5,0)
Magnesium geben (Ziel: Serumspiegel 1,4 bis 1,8)
Je nach Beeinträchtigung des Kreislaufs sofort oder nach 1-4h nach Korrektur der Elektrolyte:
Amiodaron (300mg über 1h, dann 900/600/300mg über jeweils 24h Folgedosis)
oder Digoxin (ich weiß das Schema grad nicht mehr auswendig)
sehr selten auch mal Metoprolol.

2. AV-Blöcke habe ich in Kombination mit Magnesiumgabe noch nicht erlebt.


Insgesamt sind wir hier deutlich für Magnesium. Unsere Zielwerte für normale Patienten liegen bei >1, für Patienten mit kardiologischer Vorgeschichte >1,4
Du hast bei mir die Neugier geweckt - ich weiß nicht ob die Nutzung von Magnesium hier in England zu solchen Zwecken eigentlich eine off-label use darstellt.

RS-USER-Häuptling weiße Wolke
22.06.2007, 10:36
Magnesium geben wir nicht.

Kalium wird auf >4,5 angehoben, die Frequenzsenkung erfolgt mit Beloc i.v., ggf. als Perfusor. Wir streben eine rasche Elektrokardioversion an nach TEE, wenn das VHFlimmern frisch ist, aber sehr oft kommt es schon nach der konsequenten Frequenzsenkung zur Spontankonversion.
Rezidivprophylaxe zunächst mit Beloc + Digoxin/Digitoxin, bei Rezidiven dann ggf. andere Antiarrhytmika.

Ist Amiodaron bei erstmalig aufgetretenem VHFlimmern nicht ein wenig mit Kanonen auf Spatzen schießen???

RS-USER-Katja
23.06.2007, 04:41
Bei neuem VHF ist bei allem was man liest natürlich Ursachenforschung gaaanz weit vorn; seltener sieht man, daß das wirklich gemacht wird ;)
Magnesium so habe ich glaube ich tatsächlich bisher nur für Torsaden (und Schwangere) eingesetzt; die Mischdroge Tromcardin - die iv Version zu 10ml, keine Tabletten - dagegen ist mir ans Herz gewachsen :D Gerade die kardiochrurgischen Patienten, die nach OP gern mal VHF bekommen, reagieren oft schon auf die reine Gabe von zwei Ampullen Tromcardin (das sind jeweils 2,8 mval Kalium und 2,8mval Magnesium) mit der Konversion in einen feinen Sinusrhythmus. Ob das dann am Kalium oder am Magnesium liegt, sei mal dahingestellt; wir halten das Kalium aber prinzipiell für diese Patienten auch hochnormal.

Und für eine frische (T)AA braucht man auch kein TEE vor der Konversion, wenn nicht irgendwer schon wieder die Leitlinien geändert hat?

Nein, ich habe noch kein Blockbild nach Gabe von Magnesium oder Tromcardin gesehen. Ich hatte aber auch einen Oberarzt, der bei Gabe von 5mg Beloc bei TAA jedes Mal im Quadrat gesprungen ist, weil er mal einen Patienten hatte, der damit Asystol geworden und geblieben ist - was die Sache mit den erlernten Vorlieben durchaus bestätigt. ;)

PS: Mg verstärkt nicht die eigentliche Atemdepression bei Barbituratgabe etc., aber durch seine muskelrelaxierende Potenz (die sich die Gynäkologen ja auch zu nutze machen) kann man einen Patienten natürlich leichter ateminsuffizient machen, wenn er nebenbei hohe Dosen Mg bekommt. Es verstärkt die Wirkung aller Museklrelaxantien, nicht nur der vom Turbocurarintyp. Darum soll es bei allen Patienten mit Neuromuskulären Erkrankungen vorsichtig eingesetzt werden.
Calcium ist der Antagonist für Mg Überdosierungen.

Wie prüft man klinisch, daß man dem Patienten genug Magnesium gibt, aber nicht zu viel? Patellasehenreflex sollte erhalten bleiben.