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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Was hat das Kind?



Dr.Benni-Baer
17.07.2007, 14:02
Jetzt mal ein Fall von mir:

Ein achtjähriger Patient mit vom Kinderarzt diagnostizierter akuter Bronchitis bekommt seit 5 Tagen Erythromycin-Saft. Ferner inhaliert der Patient mit Salbutamol und Ipratropiumbromid vernebelt daheim, da er schon häufiger Bronchitiden hatte. Die Temperatur ist noch subfebril (ca. 38°C), Atemnot hatte er zuletzt nicht mehr. Allergien sind nicht bekannt.

Den Eltern ist nun aufgefallen, dass er teilweise große gerötete Hautareale hat, die jucken und erhaben sind und sich über den gesamten Körper verteilen. Als sie an mehreren Stellen plötzlich Bläschen entdecken und das Kind starke Schmerzen angibt, rufen Sie den RTW.

Was nun? Was könnte dahinter stecken?

Rescuerambo
17.07.2007, 14:31
Hat das Kind akute Atemnot? Geschwollene Schleimhäute, etc?

Haben wir Vitalwerte, wie SpO², RR, etc. ?

Ich kann mir gerade nciths unter der geröteten Haut vorstellen, sieht das nach Windpoken, Masern oder so aus?

RS-USER-Bärentöter
17.07.2007, 14:36
gibt es einen Impfpaß? Ist das Kind schon gegen Windpocken geimpft?
Unsere hatt sie kürzlich- mit 5 1/2 Jahren durchs (Impf-) Raster gefallen.

RS-USER-Katja
17.07.2007, 16:40
Petechien? Blasenbildung in den erhabenen Stellen? Wie groß sind die?

RS-USER-Schädelspalter
17.07.2007, 21:31
Das Wichtigste wäre, eine unmittelbare Lebensbedrohung zu erkennen bzw. auszuschließen. Vigilanzminderung, Meningismus, zugeschwollene Atemwege, septischer Schock wären einige Dinge, auf die man achten muß.

Außerdem wäre ein Blick auf die Hauterscheinungen wichtig, vielleicht hast Du ja ein Bild oder findest eines unter www.dermis.net , was Du verlinken könntest (ohne die Lösung zu verraten).

Die Blasen sind schmerzhaft? Habe ich das so richtig verstanden?

Wenn ich das richtig verstehe, sind die Hauterscheinungen neu. Windpocken haben typischerweise juckende erhabene Bläschen, die aber unerschiedlich alt sind. Am besten sieht man das am Rücken des Kindes, weil da weniger Kratzartefakte wegen der Erreichbarkeit sind.
Bei rezidivierenden Atemwegserkrankungen sollte man auch an eine Immunschwäche denken, z.B. der CVID (common variable immunodeficiancy) geht übrigens oft mit granulomatösen Hauterkrankungen einher.
Blasenbildende Erkrankungen sind z.B. auch Pemphigus und bullöses Pemphigoid, es kann aber auch sein, dass die Blasen durch eine Superinfektion oder sonst irgendwie sekundär (Spannungsblasen oder so) sind.

Möglich wäre auch eine allergische Reaktion aufs Erythromycin, z.B. als Epidermolyse.

Hauterscheinungen können Hinweis auf gefährliche Erkrankungen sein, z.B. die Hautblutungen bei Meningokokkensepsis (Waterhouse-Fiederichsen-Syndrom) oder anderen hämorrhagischen Diathesen.

Bei Hauterkrankungen ist zu fragen:
seit wann?
schonmal gehabt?
Juckreiz?
Was macht es besser / schlechter?
Wegdrückbar?
Infektzeichen?
Auslandsanamnese.
Familienanamnese.

Dr.Benni-Baer
22.07.2007, 16:26
Entschuldigt den Zeitverzug:
Also: Die Blasen sind teilweise sehr klein (0,2 cm) teilweise aber auch sehr groß (bis zu 10 cm), sind bei Kontakt schmerzhaft, und neigen zum Platzen... Bewegung macht den Schmerz erheblich stärker und läßt jene Blasen, die in Gelenknähe sind, schnell "aufegehen", darunter deutlich gerötete Haut. Starker Juckreiz, nicht wegdrückbar.
Besonders die Lippen sind befallen und schmerzen sehr. Ebenso die Mundschleimhaut zeigt Defekte!
Der Patient war seit 12 Monaten nicht mehr im Ausland.
Kein weiteres Familienmitglied hat solche Beschwerden.
Erstereignis beim Patienten.
Der Patient fiebert und hyperventiliert. RR 135/85mmHg, Puls 110/min.
Keine Petechien, kein Meningismus (bei Kindern mit Schmerzen sowieso immer schwierig, aber bei diesem "Idealkind" unauffällig).

Der Impfpaß ist vollständig.

Die angehängte Datei wurde mit freundlicher Genehmigung der von Schädelspalter empfohlenen Seite angehängt.

RS-USER-Bärentöter
23.07.2007, 10:34
Aus Sicht eines Nichtkinder- oder -hautarztes:
ob jetzt Pemphigus/-oid, etwas aus der Stevens-Johnson-Ecke oder etwas ganz anderes, auf jeden Fall Transport zur nächsten Kinderklinik. Da ist Gefahr im Verzug.

Dr.Benni-Baer
23.07.2007, 14:34
Ausgezeichnet Herr Bärentöter! *LobenddiePrankehinhalt*

Es handelt sich tatsächlich um etwas aus der "Stevens-Johnson-Ecke"... Und zwar habe ich das Vollbild eines Lyell-Sndroms versucht zu beschreiben... Man kann jetzt sagen: naja... sehr selten, oder? Ich habe das aber in den vergangenen 2 jahren in Oberhausen schon zweimal erlebt und es kann tatsächlich lebensbedrohlich werden!
Es handelt sich um akute auftretende Blasenbildungen mit Nekrosen, die sich an unterschiedlichen Körperregionen zeigen können. Diese werden schnell größer und reissen auf. Risiko ist die Superinfektion, großer Flüssigkeitsverlust und Elktrolytentgleisungen bis zum Schock! Also: völlig richtig: EINPACKEN UND AB INS KRANKENHAUS!

Auslöser können Medikamente sein (bei uns war das jeweils wohl Eryhtomycin) aber auch ein staphylogenes Lyell-Syndrom wird beschrieben. Flüssigkeit, Bettruhe, Antipyrese, Analgesie und antibakterielle Therapie stehen im Vordergrund. Natürlich sollte die Noxe eruiert und ausgeschaltet werden.

RS-USER-Katja
23.07.2007, 14:58
Zu spät wieder hingeguckt... aber nach sowas klang es. Danke für den schönen Fall - gesehen habe ich das seit der KiKli- und Derma-Vorlesung nicht mehr, aber ich fand die Bilder damals schon sehr einpräglich (und he, so viele dermatologische Notfälle gibt es ja nicht :D und die paar kann man sich gut merken).

Dr.Benni-Baer
23.07.2007, 15:25
Gerne! :D
Habe mir überlegt ein paar weitere typische Kindernotfälle zusammenzustellen... zum rätseln und Angst verlieren... Also wenn Bedarf besteht...

RS-USER-Katja
23.07.2007, 17:12
Dafür!

RS-USER-Häuptling weiße Wolke
24.07.2007, 05:42
Auch wenn dieser Fall komplett an mir vorbeigegangen ist, bin ich da sehr für!!!

RS-USER-DocMezzoMix
24.07.2007, 09:01
Das fände ich auch super!
Gerade in der RD Ausbildung kommt ja recht wenig ausser CPR, Krupp-Syndrom und (Fieber)-Krampfanfall.

Da is noch Lücke, wah!

RS-USER-Schädelspalter
24.07.2007, 22:08
Patienten in extremen Lebensaltern sind oft schwer zu behandeln. In der Gyn und der Kinderheilkunde gibt es im Studium beträchtliche Lücken. Für Nachhilfe wäre ich dankbar.

RS-USER-Häuptling weiße Wolke
25.07.2007, 06:20
Original geschrieben von Schädelspalter
Patienten in extremen Lebensaltern sind oft schwer zu behandeln. In der Gyn und der Kinderheilkunde gibt es im Studium beträchtliche Lücken. Für Nachhilfe wäre ich dankbar.


Lücken??? Ich würde das eher als einen ausgewachsenen Canyon bezeichnen:D
Und wenn man dann keine Famulatur in der Pädiatrie kriegt, lernt man irgendwie gar nix für die Praxis relevantes. Ich hab von meinen eigenen Kids mehr über Pädiatrie gelernt als von meinen Profs an der Uni.