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Beachbaer82
24.07.2007, 19:53
Folgender Beitrag im Forum "www.planet-liebe.de

Beitrag: hier... (http://www.planet-liebe.de/vbb/showthread.php?t=178052)

Hallo Forum,

ich erwarte nicht, dass das jemand liest, aber ich muss einfach mal irgendwo meine Gefühle niederschreiben, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Meine jüngste Tochter (7) ist vor drei Tagen auf der Straße mit einem rüpelhaften Radfahrer zusammengestoßen. Außer ein paar Schrammen schien erstmal nichts passiert zu sein. Der Radfahrer jedenfalls hat sie einfach liegen gelassen und ist abgehauen. Sie kam nach Hause und erzählte nur, sie habe irgendwas in den Bauch bekommen und daher auch Bauchweh, aber es sei auszuhalten und ginge wohl wieder vorbei. Ich habe ihre Schrammen verarztet, sie hat sich auf das Sofa gepackt und gut.

Vorgestern ging es ihr eigentlich recht gut, gestern klagte sie dann wieder über Bauchweh. Dann gingen sie wieder weg, so dass sich auch ziemlich vergnügt war und sogar mittags noch gekocht hat, heute morgen hatte sie Bauchkrämpfe und konnte kaum gerade sitzen, hat auch mehrfach gespuckt. Ich habe beim Kinderarzt angerufen, der wollte zwischen 14 und 15 Uhr mal vorbeikommen.

Um 13 Uhr sah sie im Gesicht aus wie eine Leiche, musste sich wieder übergeben, es roch sehr unangenehm, kalter Schweiß und sie krümmte sich vor Schmerzen. Ich habe sie ins Auto verfrachtet und bin mit ihr ins nächste Krankenhaus gefahren. Erst mussten wir warten, aber als sie dann nochmal spucken musste, kamen wir sofort dran.

Man hat sie abgehorcht und abgetastet, dann sollte eine Darmspiegelung gemacht werden. Ich habe Null Ahnung davon, wurde rausgebeten, musste unterschreiben, so, und dann saß ich auf dem Flur und dachte nur: Hoffentlich hat mein kleiner Wurm das bald hinter sich. Aber glücklicherweise schlief sie ja und bekam nichts mit.

Dann kam eine Schwester raus und ging in das Zimmer nebenan, kam sofort mit einem Arzt wieder raus, der sie zu meiner Tochter begleitete. Ich dachte nur: 2 Ärzte? Oh jee, entweder was schlimmes oder nichts eindeutiges. Und dann steppte der Bär. Erst kam eine Schwester im Laufschritt, dann kamen zwei Pfleger, die einen Wagen mit allen möglichen Koffern drauf dort hinein schoben, dann kam eine Ärztin im Laufschritt den Flur runtergelaufen mit wehendem Kittel, alle wollten zu meiner Tochter rein. Ich saß wie gelähmt auf meinem Stuhl. Ein, zwei Minuten vergingen, dann ging erneut die Flurtür auf und ein weiterer Arzt kam im Laufschritt auf seinen Birkenstockschuhen den Gang entlang. Im Vorbeilaufen sah ich nur das Namensschild: Professor Sowieso. Wir sind Kassenpatienten... Und als er in das Zimmer ging, wagte ich einen Blick um die Ecke. Alles grell erleuchtet, drei Leute standen in der Ecke und guckten nur, drei Infusionen baumelten herum, über dem Gesicht hatte sie eine Sauerstoffmaske, auf der Erde lag jede Menge blutverschmierter Zellstoff und Verpackungen von allem möglichen. Es sah aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Eine Schwester kam raus mit einigen Ampullen voll Blut und brachte sie im Laufschritt weg, der erste Arzt kam schweißgebadet raus, Hemd blutverschmiert, ging nur an mir vorbei, ich fragte ihn, was denn los ist, und er meinte nur: "Warten Sie, Ihre Tochter ist in guten Händen." Dann ging er weg.

Es dauerte und dauerte, dann ging wieder diese automatische Flurtür auf und die Frau von der Information kam mit zwei Sanitätern, die eine Trage schoben, im zügigen Schritt bis zu dem Zimmer. Einer der beiden klopfte an der Tür, wo meine Tochter drin lag. "Rettungsdienst" stand auf seiner Jacke, ich stand auf und wollte mit rein, sehen, was mit meiner Tochter ist. Was sollte der ganze Aufriss und wieso holen die einen Rettungswagen? Drinnen fing meine Tochter an zu schreien wie am Spieß. Als der Sanitäter die Tür aufmachte, lagen drei Leute auf meiner Tochter und hielten sie fest, während der Professor ihr einen durchsichtigen Plastikschlauch, eine Nasensonde, durch die Nase einführte und immer nur "Schlucken, schlucken, schlucken" rief. Neben ihr ein Plastikeimer, in den sofort eine eklige braune Flüssigkeit ablief, als die Sonde weit genug drin steckte. Mir wurde ganz anders. Der Sanitäter machte die Tür wieder zu und fragte mich, ob ich die Mutter sei. "Das sieht ganz gut aus", meinte er. Ich fragte ihn, ob er wegen meiner Tochter gekommen sei und er meinte: "Ja, sie soll verlegt werden in ein Kinderkrankenhaus. Mehr weiß ich auch nicht. Der Notarzt kommt aber gleich auch noch."

"Der Notarzt?" - "Ja, es soll während der Fahrt ein Arzt dabei sein." Kaum hatte er den Satz beendet, kam eine Frau in schwarzen Springerstiefeln, roter Hose mit reflektierenden Streifen und weißem Poloshirt durch die Flurtür. Braungebrannt, langer Bauernzopf, ungeschminkt. Sie sah, dass ich mich mit dem Sanitäter unterhielt, sie kam sofort auf mich zu, gab mir die Hand, stellte sich vor und fragte, ob ich die Mutter sei. Ich musste zu heulen anfangen, sie legte die Hand auf meine Schulter und setzte sich mit mir hin, für einen Moment dachte ich, ob sie für mich oder für meine Tochter gekommen war. Dann sagte sie, sie würde mal schauen, wie es meiner Tochter jetzt ginge und wann wir losfahren können.

In dem Moment ging die Tür auf und der Professor kam raus, gab mir die Hand und erklärte mir, dass bei dem Unfall bei meiner Tochter der Darm verletzt worden wäre und sich Darminhalt in die Bauchhöhle ergossen hätte. Dadurch wäre es zu einer Blutvergiftung gekommen und zu einer Anschwellung anderer Darm-Abschnitte, so dass der Darm komplett zugeschwollen sei. Dadurch hätte sie auch die Schmerzen und das Erbrechen gehabt. Man habe ihr jetzt eine Sonde gelegt, damit alles, was noch an Brei und Flüssigkeit im Verdauungstrakt ist, ablaufen kann. Sie sei bei Bewusstsein, aber ihr Zustand sei sehr kritisch. Man würde sie sofort in eine Kinderklinik verlegen, weil die die besseren Möglichkeiten hätten. Sie müsste sofort operiert werden und vermutlich auch zwei oder drei Blutkonserven bekommen. Auf dem Weg dorthin würde sich die Notärztin um sie kümmern, damit sie die ganze Zeit unter ärztlicher Aufsicht sei. Die Kinderklinik sei informiert, man erwarte meine Tochter. In 5 Minuten seien die Papiere fertig, dann können wir losfahren, ich dürfte im Rettungswagen mitfahren. Ich wollte nur zu meiner Tochter und der Professor meinte: "Geben Sie den Schwestern zwei Minuten zum Aufräumen, dann dürfen Sie rein."

Dann durfte ich rein, die Notärztin kam mit, meine Tochter grinste mich an, mit Schlauch in der Nase, und sagte: "Mach Dir keine Sorgen, Mama, mir geht es schon wieder besser. Die Bauchschmerzen sind weg. Aber ich soll mit einem Krankenwagen in ein anderes Krankenhaus gebracht werden, weil ich noch ein Kind bin und das hier ein Krankenhaus für Erwachsene ist. Wusstest Du das nicht?" Am liebsten hätte ich sie umarmt. Ich hatte einfach das nächste Krankenhaus genommen. War das ein Fehler? Die Notärztin gab meiner Tochter die Hand und erklärte ihr, dass sie gleich mit ihr mitfährt. Dann wurde die Trage reingefahren und meine Tochter musste sich rüberlegen und irgendwie schien es mir, als wenn sie das alles mehr spannend als schlimm fand. Vielleicht hat man ihr aber auch irgendwas gegeben, was sie beruhigt, ich weiß es nicht.

Wir gingen zum Krankenwagen. Ich sollte mich vorne hinsetzen, hinten durfte ich nicht, aber ich könne durch ein Fenster die ganze Zeit meine Tochter sehen und auch mit ihr reden. Meine Tochter wurde eingeladen und ich musste unbedingt die Ärztin ansprechen und ihr sagen, dass sie unbedingt gut auf meine Tochter aufpassen muss. Mir ging es so scheiße in dem Moment, dass ich erstmal zu heulen angefangen hab. Die streichelte nur meinen Arm und sagte: "Ich habe zwar schon fünf Kinder zu Hause, aber ich verspreche Ihnen, ich passe auf Ihre Tochter auf, als wäre es mein sechstes."

Da musste ich richtig anfangen zu heulen. Ich saß auf dem Beifahrersitz, meine Tochter lag hinten drin und machte die Augen zu. Dann wurden die ganzen Infusionen, die man ihr beim Transport auf den Bauch gelegt hat, angehängt, dann sagte die Notärztin: "So, Abflug. Und gib mir mal das Handy nach hinten." Der Rettungswagen wendete in der Einfahrt und erst jetzt sah ich einen Kleinbus, der auf der Rampe bereits auf uns wartete. Mit dem war offenbar die Notärztin gekommen und der Rettungswagen parallel dazu. Als wir vom Gelände fuhren, recht langsam, telefonierte die Notärztin und ich konnte nur verstehen, dass sie die Blutgruppe durchgab und endlose Fachausdrücke. Dann fuhren wir vom Krankenhausgelände und der Kleinbus vor uns schaltete sein Blaulicht ein. Auch wir fuhren mit Blaulicht, wie ich in den Scheiben, in denen sich das im Vorbeifahren spiegelte, sehen konnte. Ich musste erst recht heulen, denn es musste ihr ja sehr schlecht gehen, wenn man sogar mit Blaulicht fährt.

Und dann kam ich ins Grübeln, aber im wesentlichen über eine Sache: Wenn ich mir den Berufsverkehr in der Großstand anschaue, wie idiotisch und egoistisch die meisten Leute fahren, es kann einem nur schlecht werden. Jeder ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht, kaum einer lässt dem anderen mal Vortritt. Aber in einem Punkt gibt es dann doch noch eine Ausnahme. Dieser Notarzt-Kleinbus fuhr in gewissem Abstand vorweg und fegte quasi die Straßen frei. Die dicksten Bonzen fuhren ihre Luxuskarren vor den roten Ampeln links und rechts die Bordsteine hoch, damit meine Tochter, der es nun wirklich dreckig ging, "sehr kritisch" hatte der Professor gesagt, schnellstmöglich geholfen werden konnte. Alle fuhren beiseite, Fußgänger blieben an ihren grünen Ampeln stehen, Busse und Lastwagen hielten an, nur, um meine Tochter durchzulassen. Letztlich fuhren wir nicht schneller als 50, aber weil wir überall sofort durchkamen und nirgendwo warten mussten, waren wir sehr schnell.

Knapp 15 Kilometer mussten wir fahren. Ich wagte einen Blick nach hinten, irgendein Gefühl sagte mir, dass ich nach meiner schlafenden Tochter gucken musste. In dem Moment sagte die Ärztin von hinten: "Fahr mal ein bißchen zügiger, bitte." Ich fragte sofort: "Ist irgendwas mit ihr?" Die Notärztin sah nicht glücklich aus und antwortete: "Der Stress, dieses Geschaukel, macht ihr sehr zu schaffen." Aber ich hatte es im Gefühl, dass da was nicht stimmt. Keine zwei Minuten später sagte sie, er soll anhalten. Und das taten wir auch. Mitten im dicksten Berufsverkehr auf einer zweispurigen Straße blieben wir einfach stehen. Der Kleinbus kam im Rückwärtsgang zu uns zurück. Alle Autos mussten um uns rumfahren. Es entstand sofort ein Stau. Meine Tochter bekam nicht genug Sauerstoff und atmete unregelmäßig. Sie schlief, die Ärztin bat mich, wegzugucken. Ich guckte den Fahrer an. Der sagte, man würde ihr einen Schlauch in die Lunge legen, damit sie genug Sauerstoff bekommt und das ginge nur, wenn das Fahrzeug steht. Fünf Minuten später ging es weiter. Meine Tochter hatte einen Schlauch im Mund, wie im Fernsehen in billigen Krankenhausserien. Ich heulte immernoch und fing nun schon an, im Stillen zu beten, dass sie das alles überleben möge.

Kurz darauf kamen wir im Krankenhaus an. Direkt in die Notaufnahme. Meine Tochter wurde reingeschoben, das ging alles recht zügig. Die Notärztin übergab die ganzen Papiere und mehrere Leute nahmen sie schon in Empfang. Noch während wir reingeschoben wurden, düste ein Audi Kombi mit Blaulicht heran, ein Typ in Weiß stieg aus und holte eine Kiste aus dem Kofferraum. Er ging an uns vorbei zur Schwester und sagte: "Die Konserven. Schneller ging es nicht." Aus dem Fenster sah ich an der Aufschrift auf der Fahrzeugtür, dass er aus einem Nachbarort, 35 km von hier, gekommen war. Die Schwester sagte: "Sie sind trotzdem der Erste." Ich bekam schon wieder das Heulen bei dem Gedanken dran, was der Mann gegeben haben muss, um die 35 km in der kurzen Zeit zurückzulegen. Kaum war er auf dem Rückzug, ich überlegte noch, ob ich mich bei ihm bedanken sollte, fuhr ein Streifenwagen der Polizei mit Blaulicht vor. Eine Polizistin sprang heraus und brachte ebenfalls so eine Kiste rein. Ich wäre der vor Dankbarkeit am liebsten um den Hals gefallen. Aber ich saß nur in einer Ecke, heulte und wartete.

Nach 90 Minuten kam ein junger Arzt zu mir, fragte mich, ob ich die Mutter sei, sagte mir, er habe meine Tochter operiert und es sei alles gut verlaufen. Sie sei auf die Intensivstation verlegt worden, weil sie eng überwacht werden müsse. Ich war die ganze Zeit bei ihr, heute abend war man mit ihren Blutwerten schon wieder sehr zufrieden. Wenn alles gut geht, würde sie morgen früh wieder ansprechbar sein und den Beatmungsschlauch entfernt kriegen. Auf der Intensivstation war die Ärztin ebenfalls sehr nett und die Schwester dort auch, insgesamt möchte ich eins sagen: Heute haben insgesamt mindestens 30 Menschen sehr aufopfernd für das Leben meiner Tochter gekämpft. Hunderte haben im Straßenverkehr durch ihr sofortiges Handeln (Beiseitefahren oder Warten) dazu beigetragen, dass ihr schnell geholfen werden konnte. Kein einziger von ihnen hatte davon einen persönlichen Vorteil. Im Gegenteil.

Ich habe heute erfahren, dass es Menschen gibt, die zwar einen Job machen wie jeder andere, die aber trotzdem für ihre tägliche Leistung meinen tiefsten Respekt und meine größte Hochachtung verdienen. Ohne diese Menschen, ohne jeden einzelnen von ihnen, wäre meine Tochter jetzt vermutlich tot.

Hörbird
24.07.2007, 20:19
Guter Bericht, da freut sich mein Pflegerherz - als ich ihn hier zum ersten Mal vor ein paar Wochen hier las!

;)

Junimaus
24.07.2007, 23:40
Den habe ich mir vor längerer Zeit schon mal durchgelesen. Ich find den Bericht super.

RS-USER-rettungshamster
25.07.2007, 01:42
Schönes Gefühl wenn einem auch mal der Dank ausgesprochen wird......im Alltag beziehen wir ja genug Prügel

Rmi_RS
25.07.2007, 07:24
:heul:

tolle Geschichte :-p

cappuccinomum
25.07.2007, 12:14
Auch ich hab diese ergreifende Geschichte schon mal gelesen und hatte damals schon Gänsehaut - so als Mutter wird einem eben ganz anders, wenns ums eigene Kind geht und umso mehr dankbar ist man, wenn man erleben darf, dass es fähige Leute gibt, die ihr Menschsein nicht beim arbeiten vergessen.......:)

molti
25.07.2007, 14:23
kenn die Geschichte auch schon. Das schöne daran is wirklich das auch ma uns dankt für unsere Arbeit

kris05
25.07.2007, 20:57
nette und ergreifende geschichte, mein schatz hat mich auch auf den Artikel in dem Forum aufmerksam gemacht, da freute sich auch mein auszubildenes Pflegerherz.

greetz kris
PS: finde aber den theard titel nit sooo passend

Beachbaer82
26.07.2007, 09:53
Original geschrieben von kris05
PS: finde aber den theard titel nit sooo passend

Mach den Mods nen Vorschlag - mir ist in dem Moment nichts anderes eingefallen ;-)
Darf gerne geändert werden!!!