PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Stationäre Aufnahme nach Stromunfällen?



Der Altnoob
15.09.2007, 12:52
Hallo zusammen!

Als Frischling sowohl hier im Forum als auch im Bereich Notfallmedizin (bin nur einfacher ehrenamtlicher Sanitäter beim DRK - allerdings mit Ambitionen für mehr, wenn mein Arbeitgeber mitspielt...) möchte ich mal eine Frage stellen, die mir gestern richtiggehend ins Auge sprang:

Wie ist denn derzeit die Lehrmeinung über die stationäre Aufnahme von Patienten nach Stromunfällen?

Der Grund für meine Frage ist folgender: Aus meiner (lange zurückliegender) Lehre als Elektroniker sowie aus der Erste Hilfe-Ausbildung ist mir in Bezug auf Stromunfälle in Erinnerung geblieben, dass auch symptomlose Patienten nach Stromunfällen auf jeden Fall ärztlich untersucht werden müssen, um so unschöne Dinge wie Arythmien oder gar einen Herzstillstand auszuschließen.
Gestern abend habe ich allerdings in dem Buch "Fallbeispiele Rettungsdienst", welches ich von einem Kollegen, der gerade seine RS-Prüfung abgelegt hat, ausgeliehen bekommen habe, einen Satz gelesen, der mich im Zusammenhang mit der von mir erwähnten Lehrmeinung (Nach Niederspannungsunfall immer ärztlich untersuchen lassen) etwas stutzig werden lies:
Dort steht nämlich: "...Herzrhythmusstörungen treten beim Niederspannungsunfall üblicherweise sofort auf oder sind bereits bestehend...". Warum werden dann ansonsten unverletzte und symptomlose Patienten nach Stromunfällen doch für 24h stationär überwacht? Nach dieser Aussage dürfte sich doch die Gefahr der später auftretenden Herzyrhythmusstörung erledigt haben, oder?

Gut, ich werde jedenfalls nicht darauf verzichten, weiterhin bei solchen Unfällen den symptomlosen Patienten zumindest einen Arztbesuch zu empfehlen - auch wenn mein letztes "Elektroopfer" (Elektriker, den wir von einem unter Spannung stehenden Spannungsmeßgerät pflücken mussten) seinen 24h-Aufenthalt im Krankenhaus als "absolut unnötig und nur was für Weicheier" bezeichnete...Aber mich interessiert nur der scheinbare Widerspruch zwischen "Auf jeden Fall ärztlich untersuchen lassen" und "Entweder Arrhythmie oder nichts"...

RS-USER-Bärentöter
15.09.2007, 13:10
ich sehe das ähnlich wie bei Gehirnerschütterung oder Inhalationstrauma: in 99% der Fälle passiert nichts, aber das eine % führt dann schlimmstenfalls zu einer Klage und dann komme ich evtl. ins Gefängnis.

(boah ey, voll der Insider!)

Con
15.09.2007, 13:46
Original geschrieben von Der Altnoob
... auch wenn mein letztes "Elektroopfer" (Elektriker, den wir von einem unter Spannung stehenden Spannungsmeßgerät pflücken mussten) seinen 24h-Aufenthalt im Krankenhaus als "absolut unnötig und nur was für Weicheier" bezeichnete...

Dann hätte der "harte Typ" ja gegen Unterschrift das KH verlassen können.

Aber darum gings ja nicht. Meine persönliche Meinung ist, das ich ein "Elektroopfer" in die Klinik transportieren würde, einfach nur damit dieses eingehend körperlich untersucht wird und ein vernünftiges EKG ( das auch jemand mit Ahnung befundet )geschrieben bekommt. Entlassen kann man immer noch. Patienten nach Stromschlag ( selbst unverletzte ) nehme ich lieber zu mir auf die ITS als so manch andere Patienten, bei denen ich die Indikation nicht so ganz einsehen möchte.

Der Altnoob
15.09.2007, 15:56
@Con:

Zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Herrn retten durfte, war ich "nur" Betriebs-Ersthelfer - und da er direkt in meinem damaligen Einsatzbereich seinen Unfall hatte, habe ich eigentlich nicht mehr gemacht als den Strom abgestellt und per Notruf mir kompetentere Leute beigeholt. (Dazu ist zu sagen, dass ich in einer JVA arbeite und somit quasi auf Abruf die Möglichkeit habe, medizinisches Personal beizuholen. Und da die Entfernungen bei uns nicht allzu weit sind, habe ich außer dem Notruf und dem Strom abstellen keine weiteren Maßnahmen einleiten müssen, da zu dem Zeitpunkt schon unsere Anstaltsärztin und Krankenpflegepersonal da war).

Als er dann am übernächsten Tag wieder bei uns war und weiter am Schaltschrank weiterarbeitete, machte er halt so Sprüche wie "Och, so ein bissl Strom hat noch niemand geschadet - wie dämlich, dass ich 24h im Krankenhaus war".

Jedenfalls hat er erfolgreich verdrängt (vielleicht auch, weil der Strom nur vom linken Ellenbogen über die linke Hand abgeflossen ist), dass er mindestens 30 sec. zappeln musste und seinen Unwillen über diese "Reizstrombehandlung" auch laut schreiend kund getan hat...

Con
15.09.2007, 17:19
Wenn der in Deinem gastlichen Haus eingezogen war, möchte ich meine Aussage mit der Unterschrift gerne widerrufen. Aber ich denke, Du hast meine Aussage vom Inhalt her verstanden.

krumel
15.09.2007, 17:52
Habe mal bei "uns" nachgefragt, hier gilt weiterhin Standing Order (angeblich wegen BG) das 24h auf IMC/Wachstation am Monitor verbracht werden...

Morbus X
16.09.2007, 10:43
Ich habe mich nach meinem letzten Stromunfall ins Krankenhaus begeben - dort wurde mein Puls kurz überprüft und ich konnte wieder nach Hause gehen. ;)

Back to life machine
17.09.2007, 13:17
Hier (http://chirinn.klinikum.uni-muenchen.de/forschung/for_02/2002kanz_elektrounfaelle.pdf) mal ein netter Link

RS-USER-Küchenhexe
17.09.2007, 15:45
Original geschrieben von Back to life machine
Hier (http://chirinn.klinikum.uni-muenchen.de/forschung/for_02/2002kanz_elektrounfaelle.pdf) mal ein netter Link

Schöner Überblick. Danke!:)

Rmi_RS
17.09.2007, 16:04
Hmm... hab letzthin mit nem Chemiker und nem Elektriker unterhalten... und da hat mich der Chemiker auf das Stichwort Elektrolyse gebracht....

Bei Stromunfällen kann man noch Stunden später sterben wegen der Elektrolyse (angeblich)....

kann das hier jemand entkräften oder bestätigen??

RS-USER-DocMezzoMix
17.09.2007, 16:40
Eine unserer Kliniken informierte mich letztens darüber, dass bei Haushaltsstromunfällen KEINE 24Stunden Überwachung mehr gemacht würde, sondern die Patienten nach EKG und Untersuchung wieder entlassen würden.
Für den Rettungsdienst ergibt sich daraus keine Änderung, der Patient wird zur Untersuchung mit in die Klinik genommen (sei den natürlich ein zufällig anwesender NA segnet das 12Kanal ab, allerdings wird bei uns bei einem Haushaltsstromunfall der Symptomfrei reinkommt kein NA mitentsendet)

Gruß dMM

RS-USER-Elektro-Dengel
17.09.2007, 16:48
Also ich als alter Biochemiker (lang lang ists her) sehe da eingentl. kein Problem.

Elektrolyse bedeutet ja nun per def. nur "Zerlegung durch elektrischen Strom".
Da der menschl. Organismus zum Großteil aus Wasser besteht, schäte ich jetzt mal kann hier nur die Hydrolyse gemeint sein, also die Zerlegung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff

2 H2O -> 2 H2 + O2

Das funktioniert meines Wissens schon mal nur bei Gleichstrom, da an der Anode O2 anfällt und an der Kathode H2 (oder umgekehrt). Dass das sich im Körper abspielt halte ich mal für ausgeschlossen und selbst wenn, mit ein bisschen molekularem Wasserstoff und Sauerstoff könnten wir wohl leben, das dürfte schnell neutralisiert sein.

Viel mehr Sorgen mach ich mir über evtl. Ionenverschiebungen, denn wenn man sich mal vor Augen hält, wieviele Ionenkanäle in unserem Körper spannungsabhängig arbeiten, kann ich mir da schon Probleme vorstellen!

RS-USER-Katja
17.09.2007, 18:04
Original geschrieben von Elektro-Dengel

Viel mehr Sorgen mach ich mir über evtl. Ionenverschiebungen, denn wenn man sich mal vor Augen hält, wieviele Ionenkanäle in unserem Körper spannungsabhängig arbeiten, kann ich mir da schon Probleme vorstellen!
Ja; zumal man sich bitte vorstellen muß, daß der Strom unter Unständen ganze Muskelpartien "kocht", durch die er fließt. Daß zerstörter Muskel Kalium freisetzt und daß ein hohes Kalium zu ziemlichen Herzrhythmusstörungen führen kann.
Merke: Nur weil man von außen nichts sieht, heit das nicht, daß innen nichts passiert ist. Ich habe schon Patienten zwei Tage nach Stromunfall mit Kompartmentsyndrom und häßlichen Nekrosen gesehen, wo am Anfang auch "Nichts außer ein bißchen Zucken" war...
Wer mehr gemacht hat als gegen den Weidezaun gepinkelt kommt ins KH; was dann weiter passiert, findet sich dann.

Knusperriegel
17.09.2007, 19:59
Original geschrieben von Morbus X
Ich habe mich nach meinem letzten Stromunfall ins Krankenhaus begeben - dort wurde mein Puls kurz überprüft und ich konnte wieder nach Hause gehen. ;)

Nur gut, daß es keine komplikationen gab - der Rechtsanwalt der Klinik hätte nicht mehr so gut schlafen können.
Oder anders ausgedrückt: grobe Fahrlässigkeit !

Tatsächlich weisen die Berufsgenossenschaften immer wieder daruf hin, daß eine stationäre Abklärung erfolgen soll.
Die 24-Std-Empfehlung wird sicher nicht sehr oft konsequent durchgeführt; was aber damit zusammenhängt, daß EKG-Kontrollen u.a. Monitroring zeitnah und problemlos möglich sind.

Entscheidend sind hier für mich die Umstände des Unfalls:
wenn Lieschen Müller mal kurz ans falshce Kabel greift, ist es ein Haushaltsunfall.
Wenn die gleiche Person dies im blauen Anton von Elektro-xyz tut, besteht ein Arbeitsunfall (!) mit allen sich daraus ableitenden haftungrechtlichen Konsequenzen für den Arbeitgeber.

In meiner Firma hatten wir neulich den Fall, daß ein Mitarbeiter einen Stromschlag erlitt incl. Lichtbogen.
Der MA war beschwerdefrei, geschulte Kollegen und Vorgesetzte hatten den Vorfall beobachtet.
Bei dringlicher Indikationsstellung des Feierabends durch die betroffene Person wurde der Vorfall weder uns (werksärztlicher Dienst) gemeldet, noch ein Verbandbucheintrag in der Abteilung des Mitarbeiters gemacht.
Durch zufällige Umstände wurde das ganze dann doch noch bekannt.
Der MA war zwischenzeitlich zuhause (ca. 100 km entfernt).
NAch tel. Beratung wurde umgehend der Hausarzt herbeizitiert, der ein 12-Kanal-EKG schrieb.
Eine Vorstellung beim D-Arzt lehnte der MA gegenüber dem HA ab; wir hatten dies fernmündlich dem MA und seiner Ehefrau dringend angeraten.

Bei entsprechender Konzernstruktur war der Unfall am nächsten Tag der Konzernleitung bekannt.
Ergebnis ist jetzt eine umfassende NAchschulung von über 100 Mitarbeitern der Abteilung (5-Schicht-Betrieb), weil hier gesetzlich und betriebsinterne Sicherheitsvorschriften grob mißachtet wurden.

Jeder, der bei uns beruflich mit Elektroarbeiten zu tun hat, ist erfasst; ein Ruhe-Ekg ist dokumentiert, um evtl. Veränderungen
nach einem Stromunfall bemerken zu können.

Rettungszwergin
17.09.2007, 22:35
Original geschrieben von Knusperriegel


Tatsächlich weisen die Berufsgenossenschaften immer wieder daruf hin, daß eine stationäre Abklärung erfolgen soll.
Die 24-Std-Empfehlung wird sicher nicht sehr oft konsequent durchgeführt;

So kenn ich das hier auch. Vor allem bei Lehrlingen wird peinlichst genau darauf geachtet. Auch wenn die meisten das nachher lachend abtun, wehren tut sich keiner.

Morbus X
18.09.2007, 15:04
Original geschrieben von Back to life machine
Hier (http://chirinn.klinikum.uni-muenchen.de/forschung/for_02/2002kanz_elektrounfaelle.pdf) mal ein netter Link

Sie resultieren meist aus einer unsachgemäßen
Gerätehandhabung...

Stimmt - man kann die Sicherung rausnehmen - muss man aber nicht. :rolleyes::D :cool:

RS-USER-emergency doc
13.10.2007, 09:24
Also in "Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie" (Hrsg. Mutschler/Wirth) wird ein tgl. EKG-Monitoring über drei Tage empfohlen. Rein theoretisch könnte man das auch ambulant durchführen...