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RS-USER-Anonym
16.02.2008, 13:16
Einsatzmeldung: "Erkrankte Person" Anfahrt mit Sondersignal während des Nachtdienstes

Ein RTW Team (RA&RS) wird zu einem Patienten Ende dreißig gerufen.
Der Patient klagt über starke Rückenschmerzen auf Höhe des Übergangs von Brust zur Lendenwirbelsäule.
Die Schmerzen sind v.a. im intercostalbereich zu lokalisieren, Höhe der 9ten Rippe am Übergang von Rippen zu Wirbelsäule.
Der Schmerz ist bewegungsabhängig links leicht stärker, strahlt aber deutlich auch rechts der Wirbelsäule aus.

Anamnestisch gibt der Patient vor vier Tagen mit dem Fahrrad gestürzt zu sein.
Die betroffene Stelle tue seitdem weh, er sei vor 2 Tagen beim Hausarzt gewesen, dieser habe ihn "komplett" durchgecheckt, was genau gemacht
wurde weiß der Patient aber nicht mehr, aber es sei "viel" untersucht worden.
Der Patient hat bis auf bekannte Rückenprobleme der LWS mit bestehndem Prolapsausschluss und eine
weit zurückliegende Appendektopmie keine Vorerkrankungen, nimmt keine Medikamente, hat keine Allergien.
Am Morgen war der Patient bei einem Notdienstarzt, nachdem er dort aber mehrere Stunden hätte warten müssen verließ er die Praxis wieder unbehandelt.


Die Schmerzstärke liege aktuell bei 4-6 auf der Skala von 1 (geringer Schmerz) bis 10 (Vernichtungsschmerz).
RR liegt bei 140/90, HF bei 90, SpO2 bei 98%, das abgeleitete Sechskanal-EKG zeigt einen absolut normalen Sinusrhythmus.
Beide Lungen sind seitengleich gut belüftet.
Neurlogisch ist der Patient komplett unauffällig, keine Parästhesien oder ähnliches.
Die Inspektion des Rückens zeigt ein ca. 1 € Stück großes Hämatom auf Höhe des Übergangs der Rippe zur Wirbelsäule. Laut Angabe des Patient sei dieses Hämatoms "ein bisschen" größer gewesen jedoch zurückgegangen.
Eine kleine ältere Prellmarke ist sichtbar.
Die Rippen erscheinen stabil, jedoch die Palpation recht schmerzhaft.

Mit der Verdachtsdiagnose "Intercostalneuralgie durch Prellung" wird dem Patienten etwas "halbherzig" ein Transport in die Klinik angeboten, dieser wünscht jedoch nur eine "Schmerzspritze".
Der Patient wird an den ärztlichen Hausbesuchsdienst verwiesen, dieser wird direkt angerufen und sagt eine Eintreffzeit von unter 20 Minuten zu.
Das Geschehene wird für den ärztlichen Hausbesuchsdienst dokumentiert. Da der Patient sich dagegen wehrt, da er sich zum Unterschreiben aus seiner einzigsten "schmerzmindernden" Lage begeben müsste, wird auf eine
Dokumentation der Transportverweigerung mittels Unterschrift verzichtet.

Das Team übergibt den Patienten direkt an den ärztlichen Hausbesuchsdienst und verbucht die Fahrt als Fehlfahrt.

Der ärztliche Hausbesuchsdienst will keine Schmerzmittel geben da er eine Rippenfraktur vermutet und daher erst eine Röntgenaufnahme machen möchte und verweist den Patienten an das Krankenhaus der Regelversorgung.

Der Patient wird auf der Privat-PKW Fahrt dorthin plötzlich schockig und dekompensiert zusehens.
Im Krankenhaus wird er notfallmäßig sonograophiert, es stellt sich die Diagnose Milzruptur mit freier Flüssigkeit im Bauchraum.
Dem Patient wird per NotOP die Milz entnommen.

Der weitere klinische Verlauf ist leider nicht bekannt.

Das RTW Team erfährt durch das Personal der Klinik schließlich von der Fehldiagnose.
Im anschließenden Einsatznachbesprechung wird die Feststellung getroffen das beide Teammitglieder obwohl sie als erfahren anzusehenen sind (mehr als 5 Dienstjahre) sich nicht darüber bewusst waren das eine Milzruptur auch nach mehreren Tagen den Patienten "noch am Leben lassen kann".

Rettungszwergin
16.02.2008, 13:29
viel wichtiger ist bei diesem Bericht für mich, dass ich immer auf die Unterschrift bestehe, ein Arzt bei so einer Vorgeschichte die Aufklärung macht, und ich auf den ÄND warte. 20min ist keine zeit, und nachher hat man kein besch... Gefühl was falsch gemacht zu haben.

Möchtest du den letzten Abschnitt nicht lieber löschen? Das ist etwas Internes, und geht nur die Wache, den RD-Leiter und den Betriebsrat was an sowie die betroffenen Mitarbeiter. Meiner Meinung nach ist unser Forum hier für sowas zu öffentlich.

RS-USER-Küchenhexe
16.02.2008, 14:32
Aus dem Bericht meine ich herauszulesen, daß auf den ÄND gewartet wurde. Trotzdem hätte ich wohl an Stelle der beiden Kollegen auch auf die Unterschrift bestanden. Wenn diese konsequent verweigert wird, versuche ich, zumindest die Unterschrift von Zeugen (z.B. der Ehefrau) zu bekommen - ich kann niemanden körperlich zu einer Unterschrift zwingen, aber ich muß mich irgendwie absichern.

Den letzten Abschnitt finde ich wichtig. Betriebsinterna konnte ich darin nicht finden, weder Ort noch Organisation sind für mich herauszulesen. Ich habe aber ein paar Dinge daraus gelernt (und dazu ist CIRS schließlich da):

- Die Einsatznachbesprechung fand nicht nur statt, sondern sie konnte auch die Ursache des Problems finden (mangelndes Problembewußtsein)

- Es hat sich hier anscheinend nicht um einen Anfängerfehler, Müdigkeit, mangelndes Interesse oder ungenügende Anamnese / Untersuchung gedreht. Die Kollegen haben anscheinend alle notwendigen Daten erhoben und waren dabei auch sorgfältig, allerdings konnte der richtige Schluß nicht gezogen werden, auch nicht durch den ÄND.

- Ich glaube, daß ähnliche Sachen durchaus öfter vorkommen. Sie werden aber nicht immer erkannt, zurückgemeldet oder berichtet.

Interessieren würde mich noch, ob vielleicht auch eine praktische Umsetzung dieser Erkenntnisse stattgefunden hat, z.B. in Form von Rettungsdienstfortbildungen oder Dienstanweisungen.

krumel
16.02.2008, 16:22
Hmmm, habe gerade selber einen ähnlich gelagerten Fall erlebt, unschön sowas.
Ganz ehrlich gesagt möchte ich nicht wissen wie viele solche Fälle es gibt in denen man sowas nicht mitkriegt..

RS-USER-emergency doc
16.02.2008, 17:35
IMHO kann man aus diesem Beispiel zwei wesentliche Dinge lernen:

1. Dokumentation geht über alles! Wenn ein Patient den Transport verweigert , schreibe ich immer den schönen kleinen Vermerk "Pat verweigert Transport trotz Aufklärung über mögliche Folgen und Risiken." Wenn er auch noch die Unterschrift verweigert, ergänze ich es um "Pat verweigert Unterschrift".

2. Naja, so blöd es klingt, aber einem Anfänger wäre dieser Fehler wohl nicht passiert, weil er wohl zu "schissig" gewesen wäre, während die erfahrenen Kollegen einfach nach der Klink gegangen sind, und (bei fehlendem Gedanken an die Möglichkeit einer Milzruptur) es nicht weiter schlimm fanden, einen jungen stabilen Mann mit Rippenprellung zu Hause zu lassen. Meiner Erfahrung nach ist es eigentlich immer dann kritisch, wenn man sich ertappt bei dem Gedanken "Ach wird schon gut gehen..." Geht eben vielleicht hundert mal gut, und beim hundertersten mal machts Peng...

saddamski
16.02.2008, 18:41
Schade, dass nichts weiteres zum Unfallhergang geschrieben, oder sogar gefragt wurde?!

Interessant ist ja, ob man mit dem Fahrrad einfach nur seitlich umgefallen ist oder ob man doch einen Salto gemacht hat, wobei man den Lenker in den Bauch bekommen hat.

Da muss man dem ÄND mal ein Lob aussprechen, wenn denn schon so oft drüber gemeckert wird ;)

Wobei ich für mich zugeben muss, dass ich, den Unfallhergang außer acht gelassen, bei der Sympomatik auch nicht auf eine Milzruptur getippt hätte.
Klassisch ist ja eben das Hämatom am Oberbauch.

Beachbaer82
16.02.2008, 23:25
Ich habe die Tage wieder gelesen, dass es rechtlich KEINE Relevanz hat ob jemand unterschreibt oder net...

Ich habe auf der Rückseite des Protokoll ein Standarttext den ich unterschreiben lasse ( sofern möglich )...

Rettungszwergin
17.02.2008, 00:01
Das wäre interessant, wo du das gelesen hast. Bei uns gilt nach iwe vor, dass der Rd erklärt, warum ein Transport ins KH sinnvoll wäre, dass das RD-Personal nicht ausschließen kan, dass es zu Folgeschäden kommen kann, die der ezit nicht absehbar sind, etc pp......und dann kommt der hans-anton drunter. Pat bekommt ja einen Druchschlag. Ist ja auch geschäftsfähig. Da interessiert mich schon, was daran juristsisch nicht haltbar sein soll.

Beachbaer82
17.02.2008, 10:56
Original geschrieben von Rettungszwergin
Das wäre interessant, wo du das gelesen hast.

Jaa,...

Ich meine es wäre in einem Buch zum Thema "Recht im Rettungsdienst"...

Ich schau nochmal - dann gibts ne Quellenangabe! :)


Edit: Habs gefunden! Meine Aufzeichnungen von der RD-Fortbildung letztes Jahr!
Da war ein Verwaltungsrichter bei uns und hat rechtliche Fragen beantwortet. U.a. gab es die Aussage, dass eine Unterschrift nichts bringt und rechtlich irrelevant ist.
Ich habe in 2 Wochen wieder FoBi - da werde ich nach dem Namen fragen und dann mal eine schriftliche Stellungnahme "erfragen" :D

RS-USER-Hoffi
17.02.2008, 11:11
Original geschrieben von Beachbaer82



Edit: Habs gefunden! Meine Aufzeichnungen von der RD-Fortbildung letztes Jahr!
Da war ein Verwaltungsrichter bei uns und hat rechtliche Fragen beantwortet. U.a. gab es die Aussage, dass eine Unterschrift nichts bringt und rechtlich irrelevant ist.
Ich habe in 2 Wochen wieder FoBi - da werde ich nach dem Namen fragen und dann mal eine schriftliche Stellungnahme "erfragen" :D

Bei uns in der Bereitschaft (ich glaube auch im RD) wurde die Order rausgegeben, dass so etwas nur dann einen Wert hat, wenn man handschriftlich ergänzt, welche Risiken in diesem Fall genau drohen. Diese Information kam, wenn ich mich recht erinner, von ersten Vorsitzenden des Ortverbandes, der Vorsitzender Richter am OLG ist.

Morbus X
17.02.2008, 14:53
Da hat Hoffi sicher recht, das ist die einzige wirkliche Absicherung falls aus so einem Fall mal ein Gerichtsverfahren wird. Die Unterschrift passiert aus "einer Notsituation" heraus und ist daher rechlich nahezu ohne jegliche Relevanz.
Auch die Unterschrift der Frau/der Mutter/des Vaters etc. bringt nichts, da mehrheitlich ohne jegliche medizinische Ausbildung.
Und ich gebe offen und ehrlich zu, daß ich da wohl auch in die Falle "erfahren" getappt wäre.
Mich möge bitte mal ein Arzt über die verschiedenen Arten von Milzrupturen aufklären, das wäre echt prima!
4 Tage so gut wie gar nichts und dann schlagartig dekompensiert???

Echt krass. Ich hätte auch getippt "sofort oder gar nicht"...

krumel
17.02.2008, 15:42
Naja, zweizeitige Milzruptur sollte ja soweit bekannt sein...Aber das eine zweizeitige Milzruptur über mehrere Tage "hält" und nicht vorher a) rupturiert oder b) zum stehen kommt hat mich doch auch sehr verwundert.
:eek:

Morbus X
17.02.2008, 16:03
zweizeitig: ja schon. aber ich dachte die schmerzsymptomatik wäre doch etwas ausgeprägter dann...

Wikipedia sagt dazu: Entwicklung der hypovolämischen Symptomatik nach einem Intervall von Tagen oder Wochen nach dem Unfall bei erhaltener Kapsel, da das Blut sich zunächst in der Kapsel sammelt (Sickerblutung).

Aber genau diese Sickerblutung in der noch erhaltenen Kapsel muss doch echt scheißweh tun.

RS-USER-Katja
18.02.2008, 00:59
Die zweizeitige Milzruptur ist zwar nicht typisch so "langsam" (meist sind es eher Stunden als Tage oder gar Wochen), aber beschrieben ist das durchaus.
Der Kapselschmerz hält sich erstaunlicherweise meist in Grenzen, im Vergleich zur Leber zum Beispiel, wo deutlich mehr Patienten über Schmerzen klagen. Das mag daran liegen, daß die Nervenversorgung nicht so weit her ist oder daran, daß die Milz weniger oberflächlich liegt und sich der Palpation doch eher entzieht, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall ist bei langsamer Extension der Kapsel wie hier der Schmerz sowieso nicht so ausgeprägt wie bei einer schnellen Ausdehnung.

Die schnelle Dekompensation nach der langen Stabilität dagegen ist ausgesprochen typisch. Der Blutverlust hält sich in Grenzen, solange es nur in die Kapsel blutet, so daß es keinen offensichtlichen Einfluß auf die Hämodynamik hat. Das geht so lange gut, bis die Kapsel platzt - dann ist der "Druckverband" weg, den die Kapsel darstellte, weg und der Blutung ist freie Bahn gegeben. Und dann kann es ganz, ganz schnell bergab gehen.

Morbus X
18.02.2008, 07:14
Danke soweit schon mal.
Eine Frage hab ich noch: Kann es sein, daß die Sickerblutung sich selbst "verstopft", die Blutung so sistiert und nichts weiter passiert???

RS-USER-Schädelspalter
18.02.2008, 08:05
Original geschrieben von Morbus X
Eine Frage hab ich noch: Kann es sein, daß die Sickerblutung sich selbst "verstopft", die Blutung so sistiert und nichts weiter passiert???
Das ist zwar denkbar, wäre aber recht ungewöhnlich. Die Milz"kapsel" ist nur ein dünner Überzug aus Bindegewebe. Und das Peritoneum ist noch dünner und setzt einer Blutung keinen nennenswerten Widerstand entgegen.

saddamski
18.02.2008, 08:47
Ich frage mich gerade wieso eine Blutung der Milz denn nicht durch die Thrombozyten gestoppt wird?
Sind Verletzungen, die zu einer Ruptur führen, letztendlich immer so groß, dass der Mechanismus da nicht vernünftig greift? Oder hat es einen anderen Grund?

Es gibt doch auch bestimmt "nur ein bisschen kaputt" oder? ;)
Können kleine Verletzungen auch zu einer bedrohlichen Blutung führen? Oder ist der Körper in der Lage kleine Verletzungen selber zu heilen?

Morbus X
18.02.2008, 09:04
IMHO ist eine Ruptur immer so "groß", ja.
Egal ob nun sofort oder eben zweizeitig - die Milz ist gut durchblutet mit recht großen Gefäßen.

RS-USER-DerDings
18.02.2008, 11:59
Original geschrieben von Morbus X
IMHO ist eine Ruptur immer so "groß", ja.
Egal ob nun sofort oder eben zweizeitig - die Milz ist gut durchblutet mit recht großen Gefäßen.

...die trotzdem nicht verletzt sein müssen. die chancen stehen zwar gut, aber nicht jede verletzung der kapsel muss auch mit einer verletzung der segmentarterien einhergehen!

saddamski
18.02.2008, 13:12
Mir ging es gar nicht um ein oder zweizeitig :rolleyes:

Die Frage war: Geht jede Verletzung der Milz mit einer starken Blutung einher?
Werden kleine Verletzungen, die auch bluten, durch den Körper versorgt oder hat die Milz vielleicht eine Besonderheit, dass auch kleine Blutungen lebensgefährlich werden können weil, aus welchem Grund auch immer, die Hämostase da nicht greift.?

Ich gehe mal ganz naiv davon aus, dass es neben der Milzruptur auch kleinere Verletzungen gibt :)